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Open Space

Dr. Stefan Groß

veröffentlicht am 22.12.2020

Abkürzung: OST

Synonyme: Open Space Technique, Open Space Technology, Open-Space-Konferenz

Mit Open Space wird eine Methode der Großgruppenmoderation bezeichnet, die mit wenigen Regeln auskommt und offene, freie Räume für die Selbstorganisation der Teilnehmenden bietet.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Ursprung und Hintergrund
  3. 3 Vier Prinzipien und ein Gesetz
  4. 4 Ablauf und Struktur
  5. 5 Praktische Hinweise für die Moderation
  6. 6 Open Space im virtuellen Raum
  7. 7 Quellenangaben
  8. 8 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Mit der Open Space Technology entstand die wohl „minimalistischste aller Konferenzformen: […] Bring Menschen in einem Kreis zusammen und lass sie an einem Thema arbeiten, das sie wirklich bewegt“ (Seliger 2015, S. 93). Der methodische Ansatz beruht auf der Frage: „Wie kann die Dynamik einer ungezwungenen und nicht organisierten Kaffeepause auf die gesamte Konferenz übertragen werden?“ (Maleh 2000, S. 15). Dabei eignet sich das Open Space-Format für komplexe Fragen der organisationalen Neuausrichtung genauso, wie für die Bearbeitung von Problemstellungen im gesellschaftlichen Kontext. Ziel ist es, für die/den Moderator*in, gemeinsam mit einem möglichst heterogenen Teilnehmerfeld (10 bis 1.000+ Personen), einen hierarchiefreien Diskussionsraum zu schaffen und zu halten (über 1 bis 3 Tage), in dem jede/r Expert*in, Zuhörer*in, Repräsentant*in und Mitgestalter*in des gemeinsamen Prozesses werden kann. So gelingt es, „das Ganze System in den Raum zu holen“, um das vorhandene Wissen, die Gedanken und Gefühle mit dem Geist von Open Space zu verbinden (Owen 1997, S. 124 f.).

2 Ursprung und Hintergrund

Der Ursprungsmoment von OST wird von Ihrem Begründer Harrison Owen rückblickend in einer internationalen Konferenz im Jahre 1983 gesehen. In der Nachbetrachtung zu dieser aufwendig geplanten Veranstaltung mit 250 Teilnehmenden stimmten alle Beteiligten im Feedback überein, dass – trotz eines professionellen und aufwendigen Gesamtkonzepts – der mit Abstand hilfreichste Teil der Veranstaltung die Kaffeepausen waren (Owen 1997, S. 3). Dort entstehen im zwanglosen Gespräch die besten Ideen. Jede/r kann sich einbringen, in Resonanz gehen oder spontan die Gesprächspartner*innen wechseln. Relevante Aspekte können erneut vertieft, bislang Übersehenes und Unerwähntes neu thematisiert und zugespitzt werden. All dies ist in der Dynamik einer Kaffeepause gleichzeitig möglich und wirkt dennoch wie von Geisterhand orchestriert. Das Setting ist dafür entscheidend (Groß 2018, S. 61 ff.). Die von Harrison Owen beobachteten Prinzipien der Selbstorganisation wurden mit der OST vom Kleinen ins Große übertragen und so von der Kaffeepause auf ein ganzes Konferenzdesign ausgeweitet. Aus den impliziten Wirkfaktoren wurde eine explizite Moderationsmethode. Die Leitfrage war lediglich, was es an minimalen Rahmenparametern und Vereinbarungen braucht, damit das Ganze funktioniert. Im Jahr 1985 folgte die erste richtige Open Space-Konferenz in den USA, 1996 die erste Veranstaltung dieser Art in Deutschland (Maleh 2000, S. 10).

3 Vier Prinzipien und ein Gesetz

Leidenschaft und Verantwortung wurden zum Kristallisationspunkt der Überlegungen, welche in der klassischen Variante schließlich in vier Grundprinzipien und einem Gesetz ihren Ausdruck fanden (Owen 1997, S. 72 ff.).

Die vier Prinzipien:

  1. Die, die kommen, sind die Richtigen! Die Grundhaltung dahinter: Alle sind kompetent und mit ihren Sichtweisen, ihren Erfahrungen, ihren Perspektiven und ihren Gefühlen, Expert*innen für die Fragestellung, zu der sie zusammenkommen. Statt zu fragen, wer noch alles dabei sein könnte, gilt es, das Thema mit jenen Mitstreiter*innen voranzutreiben, die da sind, und deren Motivation aktuell stark genug ist.
  2. Das, was geschieht, ist das Einzige, was geschehen kann. Damit ist die Einladung ausgesprochen, sich auf den entstehenden Prozess einzulassen. Gerade in überraschenden, ungeplanten Verläufen verbirgt sich eine Menge Innovationskraft, wenn es gelingt, dafür offen und aufmerksam zu sein. „Be prepared to be surprised“ (Owen 1997, S. 73).
  3. Es beginnt, wenn die Zeit reif ist. Themen sollen dann bearbeitet werden, wenn sie anstehen. Nichts kann erzwungen werden. Themen ohne Leidenschaft bei den Beteiligten würden ohnehin nur alibimäßig bearbeitet und im Anschluss wirkungslos verpuffen. Themen, auf denen Energie liegt, sollen demgegenüber unbedingt Raum bekommen. Über die Dauer der Konferenz öffnen sich, an unterschiedlichen Orten, Möglichkeitsräume, wo tiefgreifende Diskussionen entstehen können. Der richtige Augenblick kann nur ergriffen, aber nicht geplant werden.
  4. Vorbei ist vorbei (Nicht vorbei ist nicht vorbei). Wenn die Luft raus ist, darf aufgehört werden. Wo dagegen mehr Zeit benötigt wird, darf eine neue Runde starten.

Das einzige Gesetz, das für die Dauer einer Open Space-Konferenz gilt, ist das Gesetz der zwei Füße. Jede/r besitzt die Freiheit und steht in der Verantwortung dort hinzugehen und entsprechend beizutragen, wo ihre/seine Energie und Interessen liegen. Zugleich gilt die ausdrückliche Erlaubnis, eine Gruppe jederzeit und ohne Begründung auch wieder verlassen zu können. Mit Harrison Owen führt das metaphorisch zu zwei unterschiedlichen Spezies von Teilnehmenden, die auf einer Open Space-Konferenz klassischerweise beobachtet werden können:

  • Hummeln, die emsig von einer Gruppe zur anderen fliegen, Ideen und Stimmungen weitertragen und andere dadurch befruchten.
  • Schmetterlinge, die nie an einer Gruppe teilzunehmen scheinen, aber mit Leichtigkeit und Gelassenheit die Pausenräume bevölkern und sich dort in zahlreichen zwanglosen Gesprächen befinden.

Hinnen und Krummenacher ergänzen noch die Gattung der Ameisen, die in der Regel in der Mehrheit sind, und „sich den gesamten Workshop über einbringen, aktiv mitarbeiten, sich engagieren und sich auch darum kümmern, dass über die Workshoparbeit berichtet wird“ (Hinnen und Krummenacher 2012, S. 101). Open Space ist damit ein Biotyp für unterschiedliche Spezies, die sich gerade in ihrer Unterschiedlichkeit wirkungsvoll ergänzen. Damit wird OST sowohl auf individueller wie auch auf organisationaler Ebene wirksam (Znidar 2020, S. 149 ff.).

4 Ablauf und Struktur

Im Folgenden werden die klassischen Phasen einer Open Space-Konferenz skizziert. Ausführliche Ablaufbeschreibungen und Praxisbeispiele finden sich beispielsweise in Owen 1997, S. 67 ff.; Maleh 2000, S. 10 ff.; Dittrich-Brauner et al. 2008, S. 56 ff.; Königswieser und Keil 2008, S. 227 ff.; Hinnen und Krummenacher 2012, S. 101 ff.

  1. Planung und Vorbereitung. Mit den Entscheider*innen ein relevantes Thema identifizieren. Den Prozess und die Folgen (er-)klären. Einen passenden Veranstaltungsort wählen. Material für Plenum und Gruppen organisieren. Das Einladungsprozedere besprechen.
  2. Ankommen und Rahmen klären. Willkommen im Kreis. Das Thema durch Auftraggeber*in, Moderator*in oder ein Expert*innenteam vorstellen. Das Vorgehen mit den Prinzipien und dem Gesetz erklären. Die Chancen und Risiken des Vorgehens beschreiben. Das zentrale Anschlagbrett zur Sammlung der Themen mit der Raum-/​Zeit-Übersicht erläutern. Auf die Wichtigkeit der Dokumentation und die Abschlussrunde am Ende des Tages hinweisen.
  3. Themen sammeln. Teilnehmer*innen, die ein Thema besprechen wollen, schreiben den Titel und ihren Namen auf einen Zettel, stellen es mit Mikro im Plenum kurz vor und platzieren es anschließend auf dem Anschlagbrett.
  4. Marktplatz öffnen. Jede/r trägt sich bei dem Thema ein, wo er/sie mitmachen möchte. So entsteht die Agenda. Erste Gruppen finden sich und begeben sich in einen Arbeitsraum.
  5. Arbeitsphasen in Gruppen. 45–90 Min. je Zeitfenster. Große Gruppen ggf. noch einmal unterteilen. Änderungen jeweils am Anschlagsbrett aktualisieren. Thema, Initiator*in, Beteiligte, wichtige Diskussionspunkte und nächste Schritte in einem Kurzprotokoll festhalten und anschließend allen zur Verfügung stellen.
  6. Zusammenführung im Plenum. Kurzvorstellung der Ergebnisse auf Protokollbasis/am Anschlagbrett. Gemeinsames Filtern und Priorisieren der Themen. Hinweis auf Tag 2, der mit einer kurzen Morgenrunde startet, oder Vereinbarung der nächsten Schritte in einer Abschlussrunde.
  7. Abschlussritual. Gemeinsame Gestaltschließung von Prozess und Ergebnis im großen Kreis.
  8. Umsetzungsgruppe. Formierung einer Gruppe von Freiwilligen, die im Nachgang weiterarbeiten und Sorge für den Transfer tragen.

5 Praktische Hinweise für die Moderation

  • Testen Sie die Verständlichkeit und die Attraktivität ihrer Leitfrage mit unbeteiligten Dritten im Vorfeld. Bei welchen Aspekten würde bei dieser Fragestellung Energie liegen?
  • Bieten Sie anfangs allen Teilnehmenden ausreichend Zeit, im Kreis, im Thema, in der Gruppe und bei sich anzukommen.
  • Machen Sie in der Anmoderation zu Beginn Lust auf die Dynamik und die Energie, die in einem Open Space entstehen kann.
  • Prüfen Sie, ob die Akustik im Plenum mit oder ohne Mikrofon am besten ist.
  • Laden Sie zum Mitmachen, zur Verantwortungsübernahme und auch zum Gruppen- oder Raumwechsel ausdrücklich ein.
  • Visualisieren Sie die Leitfrage, die Prinzipien und das Gesetz gut sichtbar im Raum.
  • Arbeiten Sie mit großen Post-its auf dem Anschlagbrett. So sind schnelle Wechsel und Änderungen leicht möglich.
  • Sorgen Sie dafür, dass alle Änderungen auf dem Anschlagbrett jederzeit nachvollzogen werden.
  • Teilnehmerlisten und Protokollvorlagen für die Arbeitsgruppen helfen, schnell ins Tun zu kommen.
  • Ein digitaler Speicherort (auch bei Präsenzveranstaltungen) zum Up- und Download hilft allen Beteiligten, quasi in Echtzeit, auf alle relevanten Dokumente zugreifen zu können und Protokoll zu führen. Eine Druckerstation vor Ort kann die Verteilung der Ergebnisse erleichtern.
  • Organisieren Sie ausreichend viele und möglichst große Räume, die durch Nummerierung leicht auffindbar sind. Schaffen Sie außerdem attraktive Pausen- und Aufenthaltsräume, die zur Entspannung einladen.
  • Seien Sie, als Moderator*in, präsent, aber halten Sie sich mit Interventionen so weit wie möglich zurück! „Es gibt einen einzigen Weg, der den Misserfolg des Open Space Ereignisses garantiert, und das ist der Versuch, die Kontrolle zu behalten“ (Owen zit. nach Königswieser und Keil 2008, S. 156)
  • Stellen Sie Kaffeepausen und Essen in Buffetform über die ganze Veranstaltungsdauer hinweg bereit.

6 Open Space im virtuellen Raum

Einerseits scheint das Open Space-Format wie geschaffen, für eine Ausweitung der niederschwelligen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im virtuellen Raum. Anderseits besteht die Gefahr, sich auf digitalen Whiteboards, im Chat oder in Break-Out-Räumen schnell zu verlieren. Dann entsteht weder ein Gefühl der kollektiven Verbundenheit noch der persönlichen Wirksamkeit oder Nähe. Umso wichtiger ist es, dass ein funktionaler moderativer Rahmen entsteht, der die Teilhabe leicht ermöglicht und dazu beiträgt, gemeinsam „den Raum zu halten“ (Bonsen und Mathys 2020, S. 43). Mit einigen klaren Regeln bezüglich Technik und Verhalten kann der Prozess für die Teilnehmenden weitestgehend selbstorganisiert und eigeninitiativ bleiben, jedoch ziel- und ergebnisorientiert ablaufen. Neben einer/m Moderator*in (facilitator) bedarf es bei einer virtuellen Durchführung in jedem Fall eine/n oder mehrere Unterstützer*innen (tech-host), die sofort helfen können, wenn ein/e Teilnehmer*in technische Probleme hat. Wer, auch im virtuellen Raum, allen Betroffenen die Teilhabe ermöglichen will, muss sich dabei vor allem um die Langsamen und Abgehängten kümmern. Dafür müssen allerdings bereits vor einer Open Space Veranstaltung die (technischen) Voraussetzung geschaffen werden, damit die Technik unterstützt, aber nicht im Wege steht. Wo dies gelingt, bieten Formen der synchronen und asynchronen Zusammenarbeit im virtuellen Raum weitere, bislang wenig genutzte Potenziale, für die Ausweitung der Open Space Philosophie. „What counts is that people truly listen to people truly speaking“ (Owen 1997, S. 135).

Möglichkeiten und Grenzen

Während die Methodenexpert*innen und Promotor*innen des Formats v.a. die Vorteile maximaler Selbstorganisation – im Vergleich zu anderen klassischen Konferenzformaten – betonen, zeigt ein Blick auf die Fallstricke, dass diese einerseits in der Autonomiezumutung an die Teilnehmenden, andererseits aber auch bei den verantwortlichen Auftraggeber*innen liegen (Dittrich-Brauner et al. 2008, S. 66; Zindar 2020, S. 164 ff.). Nicht ratsam jedenfalls ist das Open Space Format, wenn

  • ausschließlich Wissen transportiert oder gewünschte Resultate erzielt werden sollen, die bereits im Vorfeld feststehen
  • nicht ausreichend Zeit für eine intensive Vorbereitung besteht
  • keine Bereitschaft zur Umsetzung der Ergebnisse im Nachgang vorhanden ist
  • die Fragestellung und der Beteiligungsspielraum zu eng gefasst sind
  • die Organisation Neues oder Ungewohntes schlecht akzeptieren und integrieren kann
  • hierarchieübergreifendes und vernetztes Arbeiten nicht möglich ist.

7 Quellenangaben

Bonsen, Matthias zur und Myriam Mathys, 2020. Open Space online. Virtuell mit Großgruppen arbeiten. In: Training aktuell. 31(10), S. 38–43. ISSN 0939-2688

Dittrich-Brauner, Karin, Eberhard Dittmann, Volker List und Carmen Windisch, 2008. Großgruppenverfahren: Lebendig lernen – Veränderung gestalten. Heidelberg: Springer Medizin Verlag. ISBN 978-3-540-76349-9

Groß, Stefan, 2018. Moderationskompetenzen: Kommunikationsprozesse in Gruppen zielführend begleiten. Wiesbaden: Springer Gabler. ISBN 978-3-658-16904-6 [Rezension bei socialnet]

Hinnen, Hannes und Paul Krummenacher, 2012. Großgruppen-Interventionen: Konflikte klären – Veränderungen anstoßen – Betroffene einbeziehen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. ISBN 978-3-7910-3162-0 [Rezension bei socialnet]

Königswieser, Roswita und Marion Keil, Hrsg., 2008. Das Feuer großer Gruppen: Konzepte, Designs, Praxisbeispiele für Großveranstaltungen. 2. Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. ISBN 978-3-7910-3043-2

Maleh, Carole, 2000. Open Space: Effektiv arbeiten mit großen Gruppen: Ein Handbuch für Anwender, Entscheider und Berater. Weinheim: Beltz. ISBN 978-3-407-36363-3

Owen, Harrison, 1997. Open Space Technology: A User’s Guide. San Francisco: Berrett-Koehler Publishers. 2. Auflage. ISBN 978-1-57675-024-7

Seliger, Ruth, 2015. Einführung in Großgruppen-Methoden. Heidelberg: Carl Auer Verlag. ISBN 978-3-89670-618-8

Znidar, Gernot, 2020. Großgruppen-Interventionen als innovative Settings für organisationales Lernen: Wirkungen und Nebenwirkungen. Heidelberg: Verlag für Systemische Forschung im Carl-Auer Verlag. ISBN 978-3-8497-9033-2 [Rezension bei socialnet]

8 Informationen im Internet

Verfasst von
Dr. Stefan Groß
Moderator, Begleiter und Berater von Individuen, Gruppen und Organisationen in Entscheidungs-, Lern- und Innovationsprozessen
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Stefan Groß.

Zitiervorschlag
Groß, Stefan, 2020. Open Space [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 22.12.2020 [Zugriff am: 28.11.2023]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/784

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Open-Space

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