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Organisationsberatung

Prof. Dr. Alfred Janes

veröffentlicht am 14.08.2023

Englisch: organizational consulting

Unter Organisationsberatung versteht man die entgeltliche, auftragsbezogene, vertraglich vereinbarte, professionell gestaltete Mitwirkung von Externen an der Gestaltung und Entwicklung von und in einer Organisation in Zusammenarbeit mit ausgewählten Mitgliedern dieser Organisation.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Etappen der Ausdifferenzierung
    1. 2.1 Fachberatung
    2. 2.2 Prozessberatung
    3. 2.3 Systemische Organisationsberatung
    4. 2.4 Integrierte Systemische Organisationsberatung
    5. 2.5 Kontextuelle Organisationsberatung
  3. 3 Charakteristika der genannten Beratungsansätze
    1. 3.1 Fachberatung
    2. 3.2 Prozessberatung
    3. 3.3 Systemische Organisationsberatung
    4. 3.4 Integrierte Systemische Organisationsberatung
      1. 3.4.1 Transformationsmanagement
      2. 3.4.2 Komplementäre Beratung
      3. 3.4.3 Beratung im dritten Modus
    5. 3.5 Kontextuelle Organisationsberatung
  4. 4 Standardbildung in der Organisationsberatung
    1. 4.1 Zum Prozess der Standardbildung
    2. 4.2 Standardbildung und Standards in der Fachberatung
    3. 4.3 Standardbildung und Standards von der Prozessberatung bis hin zur Kontextuellen Organisationsberatung
  5. 5 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Das 1864 von Arthur D. Little in Boston eröffnete, privatwirtschaftlich geführte Büro wird zum „Startereignis“ für die Entwicklung eines weltumspannenden Netzes von Beratungsunternehmen, deren Geschäftsmodell darin besteht, Organisationen entgeltlich Know-how zur Verfügung zu stellen. Fokussiert auf Consulting-Gesellschaften entwickelt sich in den USA ein Markt für Organisationsberatung, der sich zunehmend internationalisiert und ab den 1960er-Jahren auch den deutschsprachigen Wirtschaftsraum erreicht.

Hier beginnt ab diesem Zeitpunkt eine tiefgreifende theoretische und praktische Ausdifferenzierung. Das führt dazu, dass am gegenwärtigen Organisationsberatungsmarkt äußerst unterschiedliche Beratungsdienstleistungen angeboten werden. Über alle diese Differenzierungen hinweg bleiben jedoch die üblichen Gegenstände der organisationsberaterischen Gestaltungs- und Entwicklungsarbeit identisch:

  • formaler Ordnungsrahmen (Aufbauorganisation, Prozesse und Personal)
  • einzelne Organisationseinheiten (z.B. Abteilungen, Teams)
  • einzelne Vorhaben (z.B. Projekte) sowie
  • einzelne Funktionen (Vorstände, Manager:innen, Führungskräfte, Projektleiter:innen etc.).

Nicht Gegenstand von Organisationsberatung ist die individuelle, persönliche Entwicklung einer Person, mit der im Rahmen eines Beratungsvorhabens zusammengearbeitet wird (Persönlichkeitsentwicklung).

In diesem Beitrag werden wichtige Ansätze der Organisationsberatung mit Blick auf ihr jeweiliges theoretisches und methodisches Selbstverständnis benannt und anhand ihrer theoretischen und praktischen professionellen Standards in ihrer Unterschiedlichkeit vorgestellt.

2 Etappen der Ausdifferenzierung

2.1 Fachberatung

1864: in Boston (USA) gründet Arthur D. Little mit seinem Partner Roger Griffin sein erstes Büro. Damit war der Grundstein gelegt für das Entstehen der „inhaltlich orientierten, klassischen Beratung (oder Fachberatung), einer neuen Form einer extern angesiedelten Dienstleistung für Industrieunternehmen“ (Handler 2007, S. 62).

Aus dieser Innovation entwickelte sich die weltweit florierende Beratungs„industrie“, wesentlich geprägt durch die in den USA gegründeten sogenannten „Big Five“:

  • Arthur D. Little (1864)
  • Booz Allen Hamilton (1914)
  • A.T. Kearney (1926)
  • McKinsey & Company (1926)
  • Boston Consulting Group (1963).

Erweitert wurde diese „Industrie“ – neben anderen Beratungsgesellschaften – durch die Roland Berger Strategy Consultants (1967) (Handler 2007, S. 61 ff.).

1987: Gründung des International Council of Management Cosulting Institutes (ICMCI) als Weltdachverband der nationalen, fachberatend fokussierten Unternehmensberaterverbände.

2.2 Prozessberatung

1969: Edgar Schein legt eine grundlegende Arbeit zum Stellenwert von Prozessberatung für die Entwicklung von Organisationen vor (Schein 1969).

1976: In Wien gründen die drei Gruppendynamiker Richard Lehrner, Herbert Schober und Richard Timel gemeinsam mit Hanni Jordis die Conecta GmbH, eine auf Prozessarbeit fokussierte Gesellschaft für Organisationsberatung. Die beraterische Identität dieser Gruppierung war geprägt durch das Selbstverständnis einer durch das Ideengut der deutschen Aufklärung beeinflussten österreichischen Gruppendynamik.

Die Gestaltung und Steuerung der innovativen Prozessarbeit in den am Bereitungsprozess beteiligten, aus Mitgliedern der auftraggebenden Organisationen rekrutierten Gruppierungen, orientierte sich an folgendem Ablauf-Paradigma:

Zuerst geht es um die Umwandlung des, die Eingangsphase eines Beratungsprozesses beherrschenden, hierarchischen Erwartungsmusters – „die Berater:innen sollen uns sagen, wo es lang geht“ – in eine heterarchisch strukturierte Kommunikation „auf Augenhöhe“, ohne dass es zu einem Verlust der professionellen Autorität der Berater:innen kommt. Erst wenn dies gelungen ist, kann in einem frei-reflektierenden, enttabuisierenden, aufeinander Bezug nehmenden Denken und Handeln Innovation entstehen (Janes 2023).

Aus demselben professionellen Kontext heraus gründeten sich in Wien zwei weitere Beratungsgesellschaften: die Beratergruppe Neuwaldegg (1980) und die OSB (1988).

2000: Edgar Schein veröffentlicht sein Buch zu „Prozessberatung für die Organisation der Zukunft“ (Schein 2000).

2.3 Systemische Organisationsberatung

1976 bis etwa 1998: Im Biotop der genannten Wiener Organisationsberatungsgesellschaften entstanden, in einem gemeinsam geführten Entwicklungsprozess, aus der Integration

  • der, der Neurobiologie von Humberto Maturana und Francisco Varela entlehnten, Konzeption der autopoietischen Organisation des Lebendigen (Maturana und Varela 1987) 
  • der soziologischen Systemtheorie nach Niklas Luhmann (insbes. Luhmann 1984)
  • der praktischen Konzepte und Modelle der systemischen Familientherapie der Mailänder Schule (Selvini Palazoli et al. 1984, 1985)
  • der KybernEthik von Heinz von Foerster (Foerster 1993)
  • dem Radikalen Konstruktivismus (Foerster und Glasersfeld 2004) sowie
  • der praktischen Konzepte der Heidelberger Schule (insbes. Simon und Conecta-Autorengruppe 1992)

die konzeptiven Grundlagen und Arbeitsmodelle der Systemischen Organisationsberatung (Mingers 1996; Königswieser und Exner 2008; Simon 2007; Königswieser und Hillebrand 2007).

Erstmals gelabelt wurde dieses Konzept auf der EXPO 2000 in Hannover als „Wiener Schule der Organisationsberatung“ (Janes und Prammer 2021, S. 21).

2.4 Integrierte Systemische Organisationsberatung

2001 bis 2020: Ein sowohl seitens der Fachberatungsgesellschaften (Handler 2007), insbesondere jedoch seitens der Systemischen Organisationsberatung, vorangetriebener Entwicklungsprozess führt zur Integration Systemischer Organisationsberatung und Fachberatung als Transformationsmanagement(Janes, Prammer und Schulte-Derne 2001; Prammer 2009), als Integrierte Beratung (Handler 2007), als Komplementäre Beratung (Königswieser, Sonuc und Gebhardt 2006), sowie als Beratung im Dritten Modus (Wimmer, Glatzel und Lieckweg 2014).

2.5 Kontextuelle Organisationsberatung

2021: In dem Titel „Kontextuelle Organisationsberatung“ (Janes und Prammer 2021) erfolgt eine umfassende Darstellung und Beschreibung der im gegenwärtigen professionellen Umfeld existierenden Ausdifferenzierung der Konzepte einer integrierten Organisationsberatung.

3 Charakteristika der genannten Beratungsansätze

3.1 Fachberatung

Kernfunktion ist der auftragsbezogene Transfer des verfügbaren Fach-Know-hows der externen Berater:innen (Beratersystem) in die nachfragende Organisation (Klientensystem).

In diesem Prozess „spiegelt“ die hierarchische Struktur des Beratersystems die hierarchische Struktur des Klientensystems:

  • Die Vertragsbildung (Definition und Erteilung des Beratungsauftrags) erfolgt auf einer übergeordneten Managementebene.
  • Die Analyse- und Diagnosearbeit sowie die Entwicklung der nachgefragten Lösungen erfolgt unter Beiziehung der im externen Beratungsunternehmen vorgehaltenen Know-how-Ressourcen weitestgehend auf den hierarchisch untergeordneten Ebenen.
  • Entscheidungsfindung über Brauchbarkeit und Implementierung der erarbeiteten Lösungen findet wiederum auf den hierarchisch jeweils übergeordneten Ebenen statt.

Hinsichtlich der Ziele und Interessenlagen, die dem Beratungsauftrag zu Grunde liegen, verhält sich das Beratersystem der Person/​Funktion des Auftraggebers gegenüber loyal/​parteiergreifend oder auch „einfachgerichtet parteinehmend (Boszormeny-Nagy 1981).

3.2 Prozessberatung

Hier besteht die Kernfunktion des externen Beratersystems im Einrichten und Gestalten von Kooperationsstrukturen sowie aus dem formalen Rahmen für die auftragsfokussierte Kommunikation und Entscheidungsfindung zwischen den am Vorhaben beteiligten Mitgliedern des Klientensystems und dem Beratersystem.

In der Folge fokussiert und steuert das Beratersystem die Entwicklungsarbeit in diesen Kooperationen bei der Herausarbeitung der für das Erreichen der im Auftrag vereinbarten Ziele notwendigen und innovativen Lösungen. Diese dabei entstehenden Lösungen – das ist das Paradigma der Prozessberatung – entstehen aus dem Klientensystem heraus, und zwar auch in der Wahrnehmung der am Entwicklungsvorhaben beteiligten Mitglieder des Klientensystems.

Zwischen einzelnen Funktionen und Personen des Klientensystems und des Beratersystems existieren – im Gegensatz zur Fachberatung – keine bipolaren Loyalitätserwartungen.

In der Prozessberatung besteht Loyalität der Berater:innen ausschließlich gegenüber dem übernommenen Auftrag. Das Beratersystem handelt hier allparteilich oder „mehrfachgerichtet parteinehmend“ (Boszormeny-Nagy 1981).

3.3 Systemische Organisationsberatung

Das sich aus der Prozessberatung heraus entwickelte Konzept der Systemischen Organisationsberatung „übernimmt“ die oben beschriebenen, charakteristischen Merkmale der Prozessberatung. Gleichzeitig wird dieser Ansatz angereichert durch die Integration der, ebenfalls oben genannten, publizierten systemtheoretischen Konzepte und Hinweise unterschiedlicher Autor:innen.

Mit Bezug auf die in der Praxis der Prozessberatung geleisteten Verknüpfungsarbeit änderten sich grundlegende Arbeitskonzepte, die das beraterische Beobachten, Wahrnehmen, Interpretieren und Handeln prägen:

  • Für systemische Organisationsberater:innen „bestehen“ Organisationen nicht mehr aus Personen. Organisationen sind jetzt soziale Systeme, die sich aus Kommunikationen (insbesondere Entscheidungen) zusammenfügen. Personen und auch formale Ordnungsrahmen (Organigramme, Prozessstandards, Programme, Personal-fokussierte, formal ausgearbeitete Kriterien und Prozesse; z.B. zu einer Stellenbesetzung) werden zu relevanten Umwelten/​Rahmungen, die auf dieses Kommunikations- und Entscheidungsgeschehen Einfluss nehmen (Luhmann 2004).
  • Berater:innen beobachten und „gestalten“ nicht Personen, sondern deren Kommunikationen und Entscheidungen.
  • Das operative Verhalten einer Organisation, die jetzt als soziales System verstanden wird, wird kausal nicht von außen, sondern durch deren aktuellen, eigenen (internen) Strukturen bestimmt. Organisationen reagieren in ihren internen Operationen direkt und immer nur auf eigene, interne Operationen oder Zustandsänderungen (und nicht auf äußere Ereignisse). Wie sie letztlich auf ihren operativen Ebenen auf solche „Schubser“ (Simon 2007, S. 25) reagieren, bleibt immer ungewiss. Organisationen funktionieren nicht wie „triviale Maschinen“ (Foerster 1994, S. 206–210). Sie führen ein mehr oder weniger autonomes Eigenleben und sind daher nicht direkt beeinflussbar und auch nicht gänzlich durchschaubar (Königswieser und Hillebrand 2007, S. 35).
  • Bewertungen, wie z.B. „richtig“ oder „falsch“ sind nun nicht mehr absolut, sondern nur kontextbezogen richtig oder brauchbar. Solche kontextbezogenen Relativierungen betreffen auch Wahrheiten, denn „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ (Foerster und Pörksen 2011, S. 29), und damit auch die Qualitäten der in den Beratungsprozessen erarbeiteten Lösungen. Konsequenterweise nehmen Systemische Organisationsberater:innen auch gegenüber den im Beratungsprozess entstehenden Lösungsvarianten und Lösungen eine allparteiliche Haltung ein.

3.4 Integrierte Systemische Organisationsberatung

In der Folge werden die oben genannten, integrierten Beratungskonzepte anhand wichtiger theoretischer, methodischer und instrumenteller Merkmale erläutert.

3.4.1 Transformationsmanagement

Transformationsmanagement ist ein Veränderungsmanagement-Ansatz, bei dem das Entwicklungsmodell „Organisationsentwicklung“ mit den theoretischen, methodischen und instrumentellen Konzepten der Systemischen Organisationsberatung der Wiener Schule strukturell verknüpft ist. Grundlage ist eine allparteiliche Beratungshaltung, sowie eine strukturell und operativ, für ein konkretes Vorhaben, funktionale Integration der relevanten organisationsinternen und organisationsexternen Umwelten.

Strukturell erfolgt diese Integration im Rahmen einer dafür auftragsspezifisch eingerichteten „Parallelorganisation“, in der mehrere Funktionen und kollektive Organisationselemente verbunden werden. Die in dieser Parallelorganisation, in einem Projektteam, erfolgende operative Entwicklungsarbeit, sowie der darauf bezogene Austausch und die Kooperation mit den beteiligten relevanten Umwelten, findet in einem heterarchisch gestalteten und gesteuerten Kommunikationssystem statt.

Die dort, in diesen Kommunikationssystemen, realisierten heterarchisch geprägten Kommunikationsmuster bleiben aus der umgebenden Hierarchie ausgegrenzt. Sie lassen sich gut als „exterritorial“ bestehende, „eingehegte Heterarchien“ (Janes und Prammer 2021, S. 72 ff.) charakterisieren. Für den Austausch mit der hierarchischen, organisatorischen Umwelt, sowie für die Handhabung der seitens des Beratersystems während der Entwicklungsarbeit eingebrachten fachlich-inhaltlichen Beiträge stellt der Transformationsmanagement-Ansatz einen speziell dafür entwickelten Instrumentenkoffer, sowie ein ausgearbeitetes Regelwerk bereit (Prammer 2009).

3.4.2 Komplementäre Beratung

Die Motivation der „Konstrukteure“ dieses Beratungsansatzes fußt auf Überzeugung und praktischer Erfahrung nach der ein (im Vergleich zur eigenen professionellen Vergangenheit, d. Verf.) stärkeres, effizienteres Ineinandergreifen des Was und des Wie in der Zusammenarbeit in Beratungssystemen, sowie in der Zusammenarbeit von Kund:innen und Berater:innen (im Berater-Klienten-System), die Handlungsoptionen eines Beratungssystems erweitert werden können, sowie deren operative Umsetzung optimiert wird. Der Beratungsansatz Komplementäre Beratung ist somit als Antwort auf folgende Frage zu verstehen: „Was kann Beratung zu einem ressourcenschonenderen, schnelleren, gezielteren, befriedigenderen und nachhaltigeren Ergebnis beitragen?“

Komplementarität will eine wechselseitige Ergänzung des unterschiedlichen Know-hows im Beratersystem bewirken. Und zwar so, dass sich Fachwissen und Prozesswissen bedingen und ergänzen. Realisiert wird dieses Paradigma durch anlass-, projektbezogen eingerichtete, komplementär rekrutierte Berater:innen-Teams (Staffs). Dazu werden aus dem Beraternetzwerk, je nach Bedarf, Spezialist:innen des jeweiligen Beratungsfeldes einbezogen. Zur Vermeidung von Konflikten zwischen den Know-how-bezogen unterschiedlich orientierten Staff-Mitgliedern, empfehlen Königswieser, Sonuc, Gebhardt (2006, s.o.) diesen das Schaffen einer „gemeinsamen Ökonomie“ (gemeinsam geführtes Verrechnungskonto, d. Verf), die sich gegenüber dem Kunden mittels einer gemeinsamen Verrechnungsadresse darstellt.

3.4.3 Beratung im dritten Modus

Dieser Ansatz folgt, in der Ausformulierung eines Beratungsverständnisses, der von Luhmann formulierten Definition von Sinn als einem „laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten“ (Luhmann 1984, S. 100, zit. nach Wimmer et al. 2014, S. 116) und damit als einem laufenden Selektionsprozess. Luhmann unterscheidet dabei, zum Verständnis dieses Selektionsprozesses, drei Sinndimensionen, die mit einer je eigenen Differenz operieren – sachlich, zeitlich und sozial – und die, wie von ihm betont wird, „nicht isoliert auftreten können“ (Luhmann 1984, S. 127; zitiert nach Wimmer et al. 2014, S. 16).

Mit Zunahme der Eigenkomplexität von Organisationen – so Wimmer et al. (2014) – lasse sich ein Auseinanderdriften der genannten drei Sinndimensionen beobachten. In der Folge bedeute dies zum Beispiel, dass in einer Organisation bestimmte Themen besonders hohe Aufmerksamkeit erfahren, es aber verabsäumt werde, einen angemessenen Prozess zu ihrer Verankerung zu etablieren und es nicht gelinge, die unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen zu berücksichtigen. Oder umgekehrt. Es bestünde in Organisationen eine hohe Aufmerksamkeit für Prozesse. Diese würden organisiert, dokumentiert, kontrolliert und gemessen.

Dabei gehe aber die Aufmerksamkeit für die unterschiedlichen Perspektiven und für die aktuellen Themen verloren (Wimmer et al. 2014, S. 18). Um eine bestimmte Problemlage angemessen in den Blick zu nehmen und beurteilen zu können, sei es wichtig, sie möglichst umfassend zu betrachten – also aus allen dreien der sich gegenseitig jeweils bedingenden, nur analytisch trennbaren (komplementären, d. Verf.) Dimensionen (a.a.O., S. 17).

Vor diesem Hintergrund würden sich die Anzeichen mehren, dass die Entscheidung für entweder eine reine Fach- oder eine reine Prozessberatung nicht mehr zeitgemäß sei. Der Markt für Beratungsleistungen befinde sich in einer Umbruchphase. Die veränderten Rahmenbedingungen und auch die Rückmeldungen der Kunden würden darauf hindeuten, dass es künftig um ein Sowohl-als-auch gehen werde (Wimmer et al. 2014, S. 15), um eine Beratung, die dieses Paradigma übernimmt, um einen Beratungsansatz der die Komplementarität der drei Sinndimensionen im Auge behält und im Beratungsprozess zugänglich und bearbeitbar macht: (um) eine Beratung „im dritten Modus“ eben (d. Verf.).

Wimmer, Glatzel und Lickweg (2014) stellen einen ausführlichen Leitfaden zur theoretischen und praktischen Handhabung dieses Paradigmas durch ihren Ansatz – einer Beratung im Dritten Modus – bereit.

3.5 Kontextuelle Organisationsberatung

Janes und Prammer (2021) setzen bei der theoretischen, methodischen und Entwicklung dieses Beratungskonzeptes – mit Blick auf die mehrfach erwähnten Entwicklungen am Beratungsmarkt einen weiterführenden, „logisch nächsten“ Differenzierungsschritt. Im Rahmen der Integrierten Systemischen Organisationsberatung konnten sich bislang drei (im vorliegenden Text beschriebene) unterschiedliche Beratungsansätze herausdifferenzieren, in denen die Integration von Prozess- und Fach-Know-how auf einem je unterschiedlichen „Weg“ gelingen kann. Die Kontextuelle Organisationsberatung geht weiter. Sie will Wege aufzeigen, um diese Integration kontextbezogen – d.h. auftragsspezifisch, entsprechend den prozess- und fachbezogenen Anforderungen der nachfragenden Organisation – zu gestalten, um dadurch die professionelle Differenzierung und „Antwortfähigkeit“ der Integrierten Systemischen Organisationsberatung anforderungsbezogen, theoretisch, methodisch und instrumentell „auszudehnen“.

4 Standardbildung in der Organisationsberatung

4.1 Zum Prozess der Standardbildung

Die weiter oben skizzierten, in den letzten beiden Jahrzehnten stattgefundenen Entwicklungen am Beratungsmarkt nahmen spürbaren Einfluss auf die Identität und damit auf die Theorie- und Methodenentwicklung der Systemischen Organisationsberatung und der systemisch orientierten, integrierten Beratungsansätze (Näheres unter Janes 2011, S. 309–328):

  • Nachfragegesteuerte zunehmende Professionalisierung der komplementären Beratungsansätze
  • Mit der Aufarbeitung von gesetzeswidrigen Kooperationen zwischen Unternehmen, Wirtschaftstreuhändern, Organisationsberatungsunternehmen und Politiker:innen, die in der Folge zu weltweiten krisenhaften Wirtschaftsentwicklungen führten (Platzen der Dotcomblase im Jahr 2000, Insolvenz von Lehman Brothers im Sept. 2008), beginnt ein bis heute andauernder Prozess der Erosion des Vertrauens in die Kompetenz der Organisationsberatung generell.
  • Das Hierarchie-Modell erlebt im Zusammenhang mit seiner „Monopolstellung“ bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen, sowie als Grundlage des Verständnisses von Führung, einen theoretisch und praktisch initiierten Relativierungsprozess. Auslöser sind zunehmend Bedeutung erlangende, nicht mehr ausschließlich hierarchisch strukturierte Konzepte: die eingehegten Heterarchien im Projektmanagement, das Konzept Scrum (Sutherland 2020), das VUCA-Konzept (Wilms und Größler 2018; Heitger und Serfass 2015), Teal Organizations (Laloux 2015), Holacracy (Robertson 2015), Soziokratie (Strauch und Reijmer 2018), etc., insbesondere jedoch das Konzept Agilität (Janes und Prammer 2021, S. 77–81). Einzelne Organisationen, insbesondere Unternehmen, beginnen sich mit der Integration von heterarchischen Elementen in ihre Aufbau- und Prozessstrukturen, sowie mit der Entwicklung von Führungssystemen zu beschäftigen bzw. solche Elemente zu implementieren. Durch die Einlagerung dieser Elemente erhalten die ursprünglich durchgängig hierarchisch konstruierten formalen Ordnungsrahmen patchworkartige Muster.
  • Anreicherung und Zunahme der in den Klienten-Organisationen intern bereitgestellten Ressourcen für eine professionelle Gestaltung und Steuerung von Entwicklungsvorhaben.
  • Die Unterstützung und Begleitung von Start-ups wird ein eigenes Beratungsfeld.

Die Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen führt in der Organisationsberatung zu erheblichen Auswirkungen:

  • Die am Beratungsmarkt stattfindenden organisatorischen Entwicklungen verlangen eine theoretische und beratungspraktische Revision und Anpassung des verfügbaren Fach-Know hows zu „Organisations-Theorie und Verständnis/​Verstehen von Organisation“.
  • Ein weiterer Anpassungsbedarf ergibt sich aus der abnehmenden Bereitschaft der Klientensysteme, die Verantwortung für die Planung, Gestaltung und Steuerung von Beratungsprozessen weitgehend in die „Autonomie der Beratersysteme“ zu übertragen. Die Klientensysteme beginnen zunehmend diesbezüglich erheblich und professionell qualifiziert „mitzumischen“.
  • Anpassungsbedarf ergibt sich auch als Folge der zunehmenden Nachfrage nach Bereitstellung integrierter Beratungsleistungen. Etwa hinsichtlich der Kompetenz einzelner Berater:innen oder Beratersysteme diese Integration auf unterschiedlich hohen Know-how-Levels wahrzunehmen. Solche Levels können – am Beispiel von Strategieentwicklungsarbeit – von der „Moderation der Arbeit eines internen Manager/​Experten-Teams bei der Definition, Planung und Umsetzung einer strategischen Neupositionierung“ bis hin zu: „einen solchen Prozess gestalten und steuern und als Berater im Rahmen dieses Prozesses selbst einen Vorschlag zu einer solchen Neupositionierung formulieren und einbringen“ (Janes und Prammer 2021, S. 212) – reichen.

Unter Bezugnahme auf solche Entwicklungen, die eine zunehmende Differenzierung des Beratungssegments Organisationsberatung vermuten lassen, wird die Frage nach der Herausbildung von professionellen Standards in der Organisationsberatung zunehmend schwerer zu beantworten.

Die Herausbildung von Standards für die Ausübung einer erwerbsmäßigen Tätigkeit als Organisationsberater:in ist nach wie vor hoch individualisiert. Üblicherweise entscheiden sich Absolvent:innen einer sekundären oder tertiären öffentlichen Ausbildung – entweder nach einer mehrjährigen Berufserfahrung in ihrem ausbildungsnahen Stammfach, oder auch unmittelbar nach Beendigung dieser Ausbildung – für den Einstieg in die professionelle Beratung. Der Weg von einer solchen Richtungsentscheidung bis hin zum:r ausgewiesenen, erfahrenen, mit einem ausweisbaren professionellen Selbstverständnis ausgestatteten Organisationsberater:in, ist weder vorgegeben noch „kanonisiert“. Vielfach eingeschlagene Entwicklungspfade sind etwa

  • ein unmittelbar darauf folgender – meist verlockend hoch bezahlter – Einstieg als Junior Consultant in eine der großen Fachberatungsgesellschaften, oder
  • Learning by doing als freiberuflich tätige:r, selbsternannte:r Berater:in (unter Rückgriff auf das in der vorangegangenen Berufsbildung/​Berufserfahrung angeeignete „Stammkapital“ an Fach- und Prozesswissen), oder
  • Absolvierung einer der vielen privat, halböffentlich, inzwischen auch öffentlich (z.B. ein, in das Bologna-System eingefügter Lehrgang an einer Fachhochschule mit MBA-Abschluss), mit einer weitgestreuten Fokussierung, angebotenen Berater:innen-Lehrgänge.

In den auf den Abschluss einer solchen Ausbildung folgenden Praxisjahren als beruflich tätige:r Berater:in entstehen die Muster einer individuellen, professionellen Prägung. Aber welche?

Neu einsteigende Berater:innen folgen üblicherweise einem – selbst gewählt, oder einfach in dem es sich ereignet, oder durch die Beratungsgesellschaft in der sie tätig sind, vorgegeben – Weg in Nachfragenischen in denen sie sich professionell „niederlassen“. Je länger die berufliche Aktivität in einer solchen Nische andauert, umso mehr entwickelt sich daraus die Qualität eines Habitats (Janes und Prammer 2021, S. 168–177).

Habitat bedeutet in diesem Zusammenhang ein hohes Ausmaß an Selbstverständlichkeit im beruflichen Umgang zwischen Berater:in und Klient:in bzw. zwischen Berater- und Klientensystem.

Die Spielregeln bei der Definition, Erteilung und Durchführen eines Beratungsvorhabens sind damit bekannt und akzeptiert. Und zwar für beide Seiten. Berater:innen wissen, was die Klient:innen von ihnen erwarten und umgekehrt wissen die Klient:innen, welche Beiträge die Berater:innen im Rahmen eines Beratungsvorhabens von ihnen erwarten. Eine längerdauernde Integration in solche Habitate „produziert“ individuell ausgeprägte professionelle Selbstverständlichkeit, eben individuelle, fachliche und prozessuale Standards.

In der Folge bilden sich Standards einer individuellen Verknüpfung von persönlich verfügbarem Fach- und Prozess-Know-how. Inwieweit lassen sich nun solche Standards – dem eigenen Beratungsansatz zugrunde liegenden Theorien, verfügbare Methodik, operativ einsetzbare Instrumente, Medien etc. auf „Berater-Kollektive“ übertragen? In ihrer selbstverständlichen, beraterisches Handeln leitenden Bedeutung sollte dies jedenfalls nur durch mehrjährige gemeinsame Praxis zwischen Personen oder Beratungsorganisationen erfolgen (Janes 2011).

4.2 Standardbildung und Standards in der Fachberatung

Dazu liegt – zumindest in der deutschsprachigen Literatur – wenig öffentlich zugängliches, publiziertes und damit zitierfähiges Material vor. Hinweise dazu liefert Handler (2007, s.o.). Er nennt (der Autor war zu dieser Zeit selbst Berater bei McKinsey in Deutschland, d. Verf.) mit Blick auf die Differenz zwischen Fachberatung („Klassische Beratung“, s.o) und Systemischer Organisationsberatung folgende Aspekte zur Charakterisierung klassischer Beratung (Fachberatung):

  • Kompetenz über fachliche Themen
  • Unterstützung (der Klientensysteme, d. Verf.) durch inhaltliche Beiträge
  • Geschwindigkeit der Konzepterarbeitung
  • Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse
  • (die verfügbaren, d. Verf.) Ressourcen der Beratungsunternehmen
  • Implikationen für das Management
  • Umgang mit Komplexität
    (Handler 2007, S. 343)

Mit Blick auf erkennbare Mängel werden von ihm folgende entwicklungsorientierten Hypothesen formuliert:

„Klassische Berater

  • setzen sich unzureichend mit den emotionalen Aspekten der Änderungsbereitschaft des Klienten auseinander und berücksichtigen in den erarbeiteten Konzepten die Arbeitsweise des Klienten zu wenig,
  • investieren zu wenig Zeit vor und zu Beginn des Beratungsprojektes, um das Anliegen des Klienten zu hinterfragen, die Sichtweise des Klienten zu verstehen und eine tragfähige Beziehung mit dem Klienten aufzubauen,
  • arbeiten fast ausschließlich mit dem Topmanagement und beziehen damit den Großteil der zu beratenden Organisation zu wenig oder gar nicht ein,
  • fokussieren sich in der Interaktion mit Klienten auf analytisch verwertbare Daten und Fakten und nehmen mit ihren Methoden die Möglichkeit andere wichtige Informationen kaum wahr“ (Handler 2007, S. 211).

Ennsfellner, Bodenstein und Herget formulieren in ihrer 2014 erschienen Arbeit (Ennsfellner, Bodenstein und Herget 2014), unter Bezugnahme auf die europäische Norm EN 16114:2011 Unternehmensberatungsdienstleistungen, systematisierte Hinweise zu den folgenden Clustern von Qualitätsstandards für die Praxis der Unternehmensberatung:

Qualifikation der Unternehmensberater:innen:
differenziert, nach

  • ICMCI-Kompetenzmodell für Unternehmensberater
  • Gesetzliche Regelungen

Berufskodizes der Unternehmensberatung:
differenziert, nach

  • Ethik- und Verhaltenskodizes
  • Berufsgrundsätze

Standards der Unternehmensberatung:
differenziert, nach

  • Begriffsdefinition Standards und Normen
  • Zertifizierung und Akkreditierung
  • Standards und Normen der Unternehmensberatung im Überblick: differenziert nach
  • Standards des Beratungsprozesses – EN 16114
  • Standards für Unternehmensberater:innen
  • Standards für Beratungsunternehmen
  • Standards für Trainingsprogramme der Unternehmensberatung
  • Standards für Zertifizierungsstellen

4.3 Standardbildung und Standards von der Prozessberatung bis hin zur Kontextuellen Organisationsberatung

In diesem Beratungssegment beziehen sich vorliegende „Standardangebote“ im Wesentlichen auf die theoriegeleitete Orientierung und Methodik.

Auch wenn die folgenden Methodikbausteine sich in ihrer Anwendung in den unterschiedlichen systemischen Beratersystemen unterscheiden, sind sie in jedem dieser Beratersysteme Bestandteile des dort angewandten Methodensets:

Auftragsklärung

Ein durch das Beratersystem gestalteter und gesteuerter „Kommunikationsraum“ in dem zwischen Beratersystem und potenziellem Klientensystem eine Entscheidung gefällt wird, ob eine Auftragserteilung erfolgt, eine Vereinbarung zu dem in Aussicht gestellten Vorhaben getroffen wird. Das Format dieser Vereinbarung ist ein angebotsfähiger Entwurf (Ziele; Inhalte; in einzelne Phasen gegliederter, zeitlicher Verlauf des Vorhabens; relevante, mitwirkende Mitglieder des Klientensystems; zum Einsatz kommende Berater:innen; bereit stehende räumliche Infrastruktur und Medien; einzusetzende interne und externe Ressourcen, inkl. bereitzustellende Kosten zur Abgeltung der Mitwirkung des Beratersystems).

Architektur

Schriftlich festgehaltenes Ergebnis des Auftragsklärungsgespräches als inhaltliche, zeitliche, soziale (beteiligte Funktionen/​Personen aus dem Klienten- und Beratersystem) und räumliche Gliederung (intern, extern, Raumgrößen etc.) des Beratungsvorhabens.

Design

Inhaltliche, zeitliche, soziale (wer arbeitet in welcher Form wann, mit wem, zusammen) und räumliche Gliederung eines der in der Architektur vorgesehenen Ereignisses/​Elementes.

Intervention

Vorgehen eines Beratersystems, wenn der Beratungsprozess droht nicht so zu laufen, wie er auftragsgemäß laufen sollte. Oder Anwendung von Methoden zur Irritation der im Vorhaben gespiegelten Kommunikationsmuster der Auftraggeberorganisation (Janes und Prammer 2021, S. 58–68), wenn diese Muster – aus Berater:innen-Sicht – nicht zielführend sind.

Setting

Gestaltung des Einsatzes und der Verknüpfung der bereitstehenden räumlichen und medialen Ressourcen bei der Realisierung eines Designs.

Systemische Schleife

Als grundlegendes – mehrfach publiziertes – Prozessmodell, als sich immer, schleifenartig wiederholende, Abfolge von: „Informationen sammeln – Hypothesen bilden – Interventionen planen – Intervenieren“ gehört sie – in dieser Allgemeinheit – ebenfalls zum methodischen Standardrepertoire der systemischen Organisationsberatung (Königswieser und Exner 2008).

Allparteilichkeit

Als Resultat der Transformation des familientherapeutischen Konzepts der Mehrfachgerichteten Parteinahme (Boszormeny-Nagy 1981) formulieren Simon und Stierlin: „Eine Haltung, die es dem Therapeuten ermöglicht, sich empathisch in jedes Familienmitglied, seine Position und insbesondere seine Notlage innerhalb der Familie einzufühlen, seine Verdienste zu erkennen und diesen entsprechend für ihn Partei zu ergreifen. Solche Haltung bedeutet, dass der Therapeut einen Sinn für Gerechtigkeitsausgleich innerhalb der Familie besitzt und jedem einzelnen Familienmitglied das Gefühl eines persönlichen Wertes vermitteln kann“ (Simon und Stierlin 1984, S. 19,20). In der Folge entwickelt sich dieses therapeutische Konzept, unterschiedlich konnotiert, zu einem fixen und immer wieder ausgewiesenen Bestandteil der paradigmatischen Grundlage der Systemischen Organisationsberatung.

Mit zunehmender Prägekraft der im Übergang von Prozessberatung in die Systemtheoretische Organisationsberatung vollzogenen „Systemtheoretischen Wende“ verlor das auf Personenmerkmale und Merkmale der Beziehung zwischen Personen hinweisende Allparteilichkeits-Konzept jedoch zunehmend seine Funktion als formuliertes, ausgewiesenes Paradigma beraterischer Arbeit.

Strukturelle Eigenständigkeit

Janes und Prammer (2021, S. 199 ff.) ergänzen für den Ansatz der Kontextuellen Organisationsberatung Allparteilichkeit durch die „Strukturelle Eigenständigkeit“ eines Beratersystems, verstanden als operative Verknüpfung von nachfolgenden Bestandteilen.

Auftragsfunktionale Distanz

Der Arbeits- und Loyalitätsfokus des Beratersystems bezieht sich ausschließlich auf die professionelle Erfüllung des übernommenen Auftrags; nicht jedoch auf eine Loyalität gegenüber individuellen Zielsetzungen, Interessenlagen und Erwartungen einzelner Mitglieder des Klientensystems (z.B. eines Auftraggebers) oder gegenüber den Zielsetzungen und Entwicklungen der relevanten internen und externen Umwelten.

Freie Reflexion

Das Beratersystem wird sich bemühen, alle relevanten, weil das Ergebnis des übernommenen Auftrags voraussichtlich beeinflussenden Interessenlagen, Sichtweisen, Erwartungen, Widersprüchen etc., der internen und externen Umwelten, in die Kommunikation im Beratungssystem einzubringen, bzw., soweit funktional ergiebig, dort auch reflexiv zugänglich zu machen.

Auftragsfunktionale Transparenz

Die Transparenz, die dem Beratersystem im Rahmen des Beratungsprozesses zur Verfügung gestellten Hinweise, Vorschläge etc. – generalisiert Informationen – werden im Beratersystem und gegenüber den Beteiligten und Betroffenen des Klientensystems als prinzipiell transparent erachtet und in der Folge dort auch, soweit ergebnisrelevant, zur Verfügung gestellt.

Systematisierte, zusammenfassende Darstellungen der theoretischen und methodischen Standards, sowie der in der Systemischen Organisationsberatung zum Einsatz gelangenden Instrumente, wurden von Mingers (1996), Königswieser und Exner (2008), Königswieser und Hillebrand (2007) sowie von Simon (2007) vorgelegt.

Zu Standardbildung und Standards in der Kontextuellen Organisationsberatung als ansatzübergreifende, systematische Darstellung der gegenwärtig am deutschsprachigen Markt angebotenen Integrativen Beratungs-Ansätze stellen Janes und Prammer (2021, S. 206 ff.) detaillierte, systematisch ausformulierte Hinweise zu sieben unterscheidbaren, operativen Parametern zur kontextuellen Gestaltung von Architekturen, Designs und Interventionen bereit:

  1. Gestaltung von Ordnungsrahmen – Beitrag der Beratung
    Differenziert nach Elementen eines Modells Formaler Ordnungsrahmen deren Gestaltung und Entwicklung prinzipiell für die Mitwirkung von Organisationsberater:innen offen steht.
  2. Positionierung eines Beratungssystems auf einer Beratungsfeldermatrix
    Differenziert entlang der, einem Beratersystem verfügbaren, unterschiedlichen Fach- und Prozess-Know-how-Standards.
  3. Kooperation von Beratungssystemen
    Differenziert nach unterschiedlichen Formen der Kooperation von Berater:innen in Entwicklungsvorhaben.
  4. Beratungshabitate und Marken
    Differenziert entlang unterschiedlicher, standardisierter Entwicklungsprozesse von Beratern auf dem Weg zu einer am Markt ausweisbaren beraterischen Identität.
  5. Inhärente kommunikative Dynamik
    Aufbau und Anwendungshinweise zu einem Standard-Tool mit dem es gelingen kann die in einem Klientensystem anzutreffenden, professionellen Kommunikationsmuster zu definieren und ggf. auftragsfokussiert zu gestalten.
  6. Beteiligung von Betroffenen
    Hinweise zu Standards einer funktionalen Beteiligung von Betroffenen an Entwicklungsvorhaben.
  7. Ausmaß der Freiheit zur Gestaltung und Führung eines Beratungsprozesses
    Differenziert nach unterschiedlichen Ebenen von „Designhoheit“, von „Architekturhoheit“ und den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Ebenen von „Prozesshoheit“.

5 Quellenangaben

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Verfasst von
Prof. Dr. Alfred Janes
Coaching von Mitgliedern universitärer Lehrkörper sowie von Organisationsberater:innen
Supervision von Organisationsberatungs-Projekten
Schreiben von Texten, Artikeln, Buchbeiträgen und Büchern zum Themenfeld Organisationsberatung
Vorträge und Referate zum Themenfeld Organisationsberatung
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Zitiervorschlag
Janes, Alfred, 2023. Organisationsberatung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 14.08.2023 [Zugriff am: 16.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/788

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Organisationsberatung

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