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Peer Education

Dr. Sarah Strauß

veröffentlicht am 27.09.2023

Weitere Schreibweise: Peer-Education

Synonyme: Peergroup-Education; Peer-Group-Education

Etymologie: engl. peer Gleichgestellte, Gleichaltrige; engl. education Bildung

Englisch: peer education

Der Begriff Peer Education dient als Sammelbegriff für einen pädagogischen Ansatz, bei dem Wissen und Handlungskompetenzen durch Gleichaltrige vermittelt werden sollen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Beteiligte
    1. 2.1 Peers
    2. 2.2 Adressat:innen
    3. 2.3 Professionelle Fachkräfte
    4. 2.4 Ort/Institution
  3. 3 Ziele
  4. 4 Einsatzbereiche
  5. 5 Differenzierung verschiedener Ansätze
  6. 6 Theoretische Ansätze
  7. 7 Kritik
  8. 8 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Der vereinfachte Grundgedanke von Peer Education ist, dass eine Gruppe von Personen (Peers), zu einem Thema, z.B. Gewaltprävention, geschult wird, um eine andere Gruppe (Adressat:innen; meist Gleichaltrige oder Personen in einer ähnlichen Lebenslage) über dieses Thema zu informieren. Der Begriff „Peer“ nimmt Bezug auf Gemeinsamkeiten zwischen den beiden beteiligen Gruppen, wie ein gleiches Alter, ein ähnlicher Entwicklungsstand oder vergleichbare Lebenssituationen. Theoretisch sind Peer-Ansätze für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen denkbar. In der Praxis dominieren Projekte, die sich auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene beziehen.

Neben dem Begriff Peer Education existiert eine Vielzahl weiterer Begriffe, die für diesen Ansatz zum Teil synonym verwendet werden. Darüber hinaus gibt es einige, die auf eine Spezialisierung des Ansatzes fokussieren. Im deutschsprachigen Bereich hat sich jedoch der Begriff Peer Education als Sammel- und Überbegriff etabliert, auch wenn damit zum Teil unterschiedliche Ansätze verbunden sind.

2 Beteiligte

Grundsätzlich können verschiedene Beteiligte im Rahmen von Peer Education unterschieden werden (siehe Abb.1).

2.1 Peers

Die Peers spielen für den Erfolg eines Projektes eine herausragende Rolle, da durch sie die spätere Zielgruppe erreicht werden soll und sie beispielsweise Präventionsbotschaften vermitteln oder beratende Tätigkeiten durchführen sollen. Sie werden hierfür meist von professionellen Fachkräften vorab ausgewählt und zu einem bestimmten Themenbereich geschult, bevor sie die Inhalte an die Adressat:innen vermitteln.

Dabei wird davon ausgegangen, dass Gleichaltrige Expert:innen ihrer eigenen Situation sind und die Informierung besonders glaubwürdig durchführen können. Es werden häufig solche Personen ausgewählt, die aus der adressierten Zielgruppe stammen und bereits selbst Erfahrungen im entsprechenden (Problem-)Bereich gesammelt und diese bewältigt haben (Kern-Scheffeldt 2005). Diese Vorerfahrungen machen sie im Sinne von Peer Education zu Expert:innen und effektiven, glaubwürdigen Vermittler:innen.

Die Peer Group, also die Gruppe von Gleichaltrigen oder gleich gesinnten Personen, stellt insbesondere für die Zielgruppe einen wesentlichen Bezugspunkt dar.

Abhängig vom zugrundeliegenden Ansatz werden die Peers zum Teil als Peer Educator, Peer Counselor, Peer Leader oder Multiplikator:in bezeichnet. Manchmal stellt auch diese Gruppe die eigentliche Zielgruppe von Peer Education dar.

2.2 Adressat:innen

Bei den Adressat:innen handelt es sich um die Zielgruppe, die in der Regel präventiv zu einem Thema durch die Peers informiert werden soll. Wichtig ist eine klare Definition dieser Gruppe, damit die Angebote passgenau für sie entwickelt werden können. Theoretisch ist jede Gruppe als Zielgruppe denkbar, im Sinne von Primärprävention auch alle Personen einer bestimmten Altersgruppe.

2.3 Professionelle Fachkräfte

Die erwachsenen, professionellen Fachkräfte sind in der Regel die ersten, die sich mit dem Gedanken an ein Peer-Projekt beschäftigen und dieses auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und der vorhanden Bedarfslage konzipieren. Ihre Aufgaben sind dabei vielfältig. Sie beinhalten unter anderem:

  • die Bereitstellung der notwendigen Rahmenbedingungen für die Umsetzung eines Projektes, wie die Finanzierung und Projektorganisation,
  • die professionelle Begleitung und inhaltliche Qualifizierung der Peers, beispielsweise durch die Konzeptionierung und Durchführung einer Schulung sowie
  • die ressourcenorientierten Unterstützung und Förderung der Eigenverantwortlichkeit der beteiligten Peers.

Eine besondere Herausforderung ist dabei einerseits die große Verantwortlichkeit z.B. auf organisatorischer Ebene und andererseits die Abgabe von Verantwortung an die beteiligten Jugendlichen auf Basis eines veränderten Rollenverständnisses.

2.4 Ort/Institution

Ebenfalls relevant ist der Ort der Durchführung bzw. die beteiligte Institution. Dies kann sich auf die institutionelle Zughörigkeit der beteiligten Fachkräfte beziehen oder den Ort, an dem ein Projekt durchgeführt werden soll (z.B. Schule oder Sozialraum), da hiermit bestimmte Bedingungen einhergehen.

Schematische Darstellung Peer Education
Abbildung 1: Schematische Darstellung Peer Education (eigene Darstellung)

Eine systematische Darstellung verschiedener Schritte zur Durchführung von Peer-Projekten findet sich in Form von zehn Stufen beispielsweise bei Deutsch und Swartz (2010) oder auch als Übersicht bei Strauß (2012).

3 Ziele

Prinzipiell zielt Peer Education auf die Veränderung von Wissen, Einstellungen und idealerweise auch Verhalten (Nörber 2003, Strauß 2012). Hierbei ist ein doppelter Effekt einerseits für die Gruppe der Peers und andererseits für die Gruppe der Adressat:innen erwünscht. Die Peers profitieren häufig in besonderem Maße, da sie sich in der Vorbereitung mit dem Thema, den anderen Peers und den beteiligten Erwachsenen sowie während der Durchführung zusammen mit den Adressat:innen intensiv mit dem Thema, den eigenen Erfahrungen und anderen Personen auseinandersetzen. Die Adressat:innen sollen eine qualifizierte Informierung, Aufklärung oder Hilfestellung mit niedriger Zugangsschwelle (zielgruppengerechte Präsentation) erhalten. Hierdurch sollen beispielsweise Ängste, Unwissen oder falsches Wissen abgebaut werden. Eine Erweiterung der allgemeinen Lebenskompetenz im Sinne des Empowerments wird anvisiert. Häufig sind Peer Education Ansätze im Bereich Prävention (vor allem Primär- und Sekundärprävention) verankert.

4 Einsatzbereiche

Historisch ist der Peer-Ansatz mit dem Ziel der Weitergabe und Vermittlung von Wissen durch Gleichaltrigen an Gleichaltrige bereits sehr lange zu finden (Kästner 2003; Appel 2001). In der pädagogischen Praxis findet Peer Education heutzutage zu einem großen Teil in Form von Projektarbeit statt. Es existieren jedoch auch institutionalisierte Angebote. Ein großer Vorteil des Ansatzes ist die Möglichkeit, diesen für fast jedes Thema einsetzen zu können. Folglich sind die behandelten Themen sehr vielfältig, wie z.B. Sucht- und Gewaltprävention, Sexualaufklärung, Streitschlichtung, gesundheitliche Aufklärung oder Mediation. Auch Tutor:innenprogramme im schulischen oder universitären Bereich finden häufig in Form eines Peer-Ansatzes statt (Strauß und Rohr 2019).

5 Differenzierung verschiedener Ansätze

Peer Education stellt im deutschsprachigen Bereich häufig den übergeordneten Begriff für verschiedene Peer-Ansätze dar: z.B. Peer-to-Peer, Peer-Learning, Peer Involvement oder Peer Work. Ein differenzierter Blick auf verschiedene Begriffe macht jedoch deutlich, dass sich hinter den Begriffen durchaus unterschiedliche Ansätze befinden können (Überblick bei Strauß 2012):

  • Peer Counseling (engl. Beratung): Der Schwerpunkt liegt in der beratenden Tätigkeit, meist durchgeführt im Einzelkontakt.
  • Peer Mediation (engl. Konfliktvermittlung): Die Vermittlung in Streitfällen durch eine unparteiische dritte Person steht im Fokus. Ein häufiges Beispiel hierfür sind Streitschlichtungsprogramme an Schulen.
  • Peer Support (engl. Unterstützung): Ein besonderes Merkmal hierbei ist, dass es sich ursprünglich um eine Methode bzw. einen Ansatz handelte, der nicht von außen initiiert wurde, sondern eigenständig z.B. aus einer Gruppe entstanden ist.
  • Peer Tutoring (engl. Lernbetreuung): Es wird insbesondere in der Schule und an Universitäten in Form von Tutor:innenprogrammen eingesetzt. Meist ältere Jugendliche oder Erwachsene begleiten andere bei der Aneignung oder Vertiefung von Wissen.

6 Theoretische Ansätze

Peer Education baut auf verschiedenen theoretischen Fundierungen auf. Grundlegend sind für die Arbeit mit Jugendlichen entwicklungspsychologische Aspekte, wie Besonderheiten der Entwicklungsphase Jugend (z.B. die Identitätsentwicklung oder das Sozialverhalten) sowie Merkmale und Funktionen der Gleichaltrigengruppe. Die symmetrische Beziehung von Gleichaltrigen, durch eine ähnliche Verteilung von Erfahrung, Ressourcen und Können sowie die durch Egalität und Kooperation geprägte Beziehung (Krappmann 1996) und das häufig gemeinsame Verständnis für bestimmte Themen oder Fragen spielen dabei eine zentrale Rolle (Piaget 1954, Youniss 1980).

Des Weiteren können Ansätze wie der Two step flow of communication (Lazarsfeld et al. 1948), die Diffusionstheorie (Rogers 2003), das Lernen am Modell (Bandura 1971) oder der Empowerment-Ansatz (Theunissen und Plaute, 2002; Kleiber und Zeitler 1999) genannt werden.

Für die erfolgreiche Vermittlung von Präventionsbotschaften unter Jugendlichen ist zudem der Verweis auf die Jugendsprache wichtig, da hierdurch u.a. ein gemeinsames Verständnis und der Zugang zu einem Thema, z.B. durch szenespezifische Begriffe oder Redewendungen, geschaffen werden, welche von Erwachsenen nicht glaubwürdig imitiert werden können.

7 Kritik

Bei der Entwicklung und Durchführung von Ansätzen im Bereich Peer Education sind einige Kritikpunkte zu beachten (Zusammenfassung bei Strauß 2012). Nach wie vor sind die fehlenden oder nur spärlich vorliegenden empirischen Ergebnisse zu den Effekten von Peer Education zu nennen. Zudem lassen sich die oft sehr unterschiedlichen Projekte nur schwer miteinander vergleichen, es fehlt beispielsweise an standardisierten Evaluationsinstrumenten. Kritisch betrachtet werden sollte auf jeden Fall das Spannungsfeld zwischen Partizipation versus Instrumentalisierung in Peer Projekten. Verbunden ist damit die Frage, ob durch die Vermittlung von Informationen durch Jugendliche tatsächlich ein größerer Nutzen bei den Adressat:innen entsteht, als wenn dies durch Erwachsene erfolgt. Durch Peer Education geschieht ein Eingriff in (jugendliche) Subkulturen bei gleichzeitiger Zuschreibung von Hilfsbedürftigkeit. Zu beachten ist ebenfalls, dass durch die Teilnahme an solchen Projekten negative Folgen entstehen könnten, beispielsweise durch Überforderung oder Ausgrenzungen aufgrund der Teilnahme.

8 Quellenangaben

Appel, Elke, 2001. Auswirkungen eines Peer-Education-Programms auf Multiplikatoren und Adressaten – eine Evaluationsstudie [Dissertation]. Berlin: Freie Universität

Bandura, Albert, 1971. Social learning theory. New York: General Learning Press

Deutsch, Charles und Sharlene Swartz, 2002. Ftutanang: Standards of Practice for Peer Education on HIV/AIDS in South Africa. Five Volumes. Pretoria: South Africa Department of Health

Kästner, Mandy, 2003. Peer-Education – ein sozialpädagogischer Arbeitsansatz. In: Martin Nörber, Hrsg. Peer Education: Bildung und Erziehung von Gleichaltrigen durch Gleichaltrige. Weinheim: Beltz, S. 50–64. ISBN 978-3-407-55891-6 [Rezension bei socialnet]

Kern-Scheffeldt, Walter, 2005. Peer-Education und Suchtprävention. In: SuchtMagazin. 2005(5), S. 3–10. ISSN 1864-4481

Kleiber, Dieter und C. Zeitler, 1999. Empowerment und Partizipation: Chancen von Peer-Education in der Präventionsarbeit. In: PRO Jugend. 1999(4), S. 4–8. ISSN 0941-5653

Krappmann, Lothar, 1996. Streit, Aushandlungen und Freundschaften unter Kindern: Überlegungen zum Verhältnis von universellen und soziokulturellen Bedingungen des Aufwachsens in der Kinderwelt. In: Michael-Sebastian Honig, Hrsg. Kinder und Kindheit: soziokulturelle Muster – sozialisationstheoretische Perspektiven. Weinheim: Juventa. ISBN 978-3-7799-0195-2

Lazarsfeld, Paul, Bernard Berelson und Hazel Gaudet, 1948. The people’s choice: How the voter makes up his mind in a presidential campaign. New York: Columbia Univ. Pr.

Piaget, Jean, 1954. Das moralische Urteil beim Kinde. Zürich: Rascher

Rogers, Everett M., 2003. Diffusion of innovations. 5. Auflage. New York: Free Press. ISBN 978-0-7432-2209-9

Rohr, Dirk, Sarah Strauß, Sabine Aschmann und Denise Ritter, 2016. Der Peer-Ansatz in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-2359-6 [Rezension bei socialnet]

Strauß, Sarah, 2012. Peer Education und Gewaltprävention: Theorie und Praxis dargestellt am Projekt Schlag.fertig. Freiburg: Centaurus. ISBN 978-3-86226-189-5 [Rezension bei socialnet]

Strauß, Sarah und Dirk Rohr, 2019. Peer-Learning in der Lehrer*innenbildung. In: Journal für LehrerInnenbildung. 2019(3), S. 106–116. ISSN 1681-7028

Theunissen, Georg und Wolfgang Plaute, 2002. Handbuch Empowerment und Heilpädagogik. Freiburg im Breisgau: Lambertus. ISBN 978-3-7841-1336-4

Youniss, James, 1980. Parents and peers in social development: A Sullivan-Piaget perspective. Chicago: University of Chicago Press. ISBN 978-0-226-96486-7

Verfasst von
Dr. Sarah Strauß
Universität zu Köln | University of Cologne
Humanwissenschaftliche Fakultät | Faculty of Human Sciences
Department Erziehungs- und Sozialwissenschaften | Department of Education and Social Sciences
Empirische Schulforschung, quantitative Methoden | Empirical School Research, quantitative Methods
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Es gibt 1 Lexikonartikel von Sarah Strauß.

Zitiervorschlag
Strauß, Sarah, 2023. Peer Education [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 27.09.2023 [Zugriff am: 08.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/28947

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Peer-Education

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