Pflegeversicherung
Prof. Dr. Matthias Meißner
veröffentlicht am 24.05.2024
Das wirtschaftliche und auch soziale Risiko von Pflegebedürftigkeit kann durch eine Pflegeversicherung aufgefangen werden.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Hintergrund
- 3 Bedeutung
- 4 Grundprinzipien
- 5 Versicherter Personenkreis
- 6 Begriff der Pflegebedürftigkeit und Leistungen
- 7 Organisation und Verfahren
- 8 Finanzierung
- 9 Quellenangaben
- 10 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Die Pflegeversicherung ist im Sinne einer Risikoversicherung eine Absicherung des wirtschaftlichen und auch des sozialen Risikos der Pflegebedürftigkeit. Neben der sozialen Pflegeversicherung (ausführlich unter Sozialgesetzbuch XI) als eigenständiger Zweig der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherung gibt es auch Pflegeversicherungen privater (gewinnorientierter) Versicherungsunternehmen sowie Angebote von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, welche auf dem Genossenschaftsgedanken basieren (die Gewinnerzielung steht hier ebenso wie in der sozialen Pflegeversicherung nicht im Vordergrund). Zusätzlich existieren Pflegezusatzversicherungen privater Versicherungsunternehmen zur Versicherung der von der Gesetzlichen Pflegeversicherung nicht gedeckten Pflegekosten.
2 Hintergrund
Die Einführung der sozialen Pflegeversicherung als „fünfte Säule“ der Sozialversicherung zum 1.1.1995 war das Ergebnis einer rund zwanzigjährigen gesellschaftlichen Debatte. Hintergrund war die demografische Entwicklung und die damit einhergehende steigende Kostenlast für die Pflegebedürftigen, deren Familien sowie die für die Sozialhilfe zuständigen Kommunen (Krahmer und Meißner 2020, § 21a SGB I, Rn. 3). Zuvor waren Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finanziell weitgehend allein gestellt. Reichten die finanziellen Mittel nicht aus, waren sie – im Falle von Bedürftigkeit – auf die Sozialhilfe angewiesen, wobei das Sozialamt unterhaltspflichtige Angehörige in Regress nahm. In der sozialen Pflegeversicherung bestand Versicherungspflicht grundsätzlich für alle Personengruppen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung gegen das Risiko der Krankheit versichert waren.
Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert waren, wurden grundsätzlich verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten (§ 20 SGB XI a.F., nunmehr § 23 SGB XI). Der Vertrag musste Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gleichwertig sind. Dabei trat an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung. Personen, die versicherungspflichtig wurden und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen gegen Pflegebedürftigkeit versichert waren, konnten ihren Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an kündigen (§ 23 SGB XI a.F., nunmehr § 27 SGB XI). Weitere Vorgaben für die private Pflegeversicherung (PPV) regelt das Zehnte Kapitel des SGB XI (§§ 110–111 SGB XI, die im Wesentlichen auf die Vorschriften der sozialen Pflegeversicherung verweisen). Im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung nahm der Gesetzgeber damit auch weitgehende Eingriffe in die private Pflegeversicherung bzw. Privatautonomie vor.
3 Bedeutung
Die Bedeutung der als „Volksversicherung“ ausgestalteten sozialen Pflegeversicherung im SGB XI ist sehr groß. Insgesamt sind rd. 73,51 Millionen (Stand: 31.12.2021) Menschen in der sozialen Pflegeversicherung versichert, in der privaten Pflegeversicherung sind es nur rd. 9,17 Millionen (Stand: 31.12.2021; BMG 2023b).
4 Grundprinzipien
Wesentliches Grundprinzip der sozialen Pflegeversicherung ist der soziale Ausgleich: Die Beitragsbemessung erfolgt nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder und nicht etwa nach dem Alter oder dem Gesundheitszustand (Krahmer und Meißner 2020, § 21a Rn. 6). Versicherte Familienangehörige und eingetragene Lebenspartner:innen sind beitragsfrei mitversichert (§ 1 Abs. 6 S. 2 u. 3 SGB XI i.V.m. § 25 SGB XI). Bei der Prämienkalkulation unterscheidet sich die Privatversicherung grundsätzlich von der Beitragserhebung in der Sozialversicherung, weil in der Privatversicherung im Grundsatz die Kalkulation des individuellen Risikos den Maßstab bildet (Kuhn-Zuber 2023, § 110 SGB XI, Rn. 6 ff.). Der Gesetzgeber hat in der privaten Pflegeversicherung dennoch vielfältige Eingriffe und Höchstbeiträge vorgesehen, die sich an der gesetzlichen Pflegeversicherung orientieren (s.u. Leistungen und Finanzierung).
5 Versicherter Personenkreis
Alle gesetzlich Krankenversicherten sind kraft Gesetzes in die soziale Pflegeversicherung einbezogen (§ 1 Abs. 2 S. 1 SGB XI i.V.m. § 20 Abs. 1 SGB XI); zu den weiteren Versicherten vgl. §§ 21 ff. SGB XI. Wer gegen Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muss eine private Pflegeversicherung abschließen (§ 1 Abs. 2 S. 2 SGB XI i.V.m. § 23 SGB XI). Dies trifft z.B. zu auf Beamt:innen, Richter:innen, Soldat:innen sowie Arbeiter:innen und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 SGB V). Freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind ebenfalls versicherungspflichtig in der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 3 SGB XI), können sich aber auf Antrag von der Versicherungspflicht befreien lassen, wenn sie für sich und ihre Angehörigen oder Lebenspartner:innen einen gleichwertigen Versicherungsschutz gegen Pflegebedürftigkeit bei einem privaten Versicherungsunternehmen haben (§ 22 Abs. 1 SGB XI).
6 Begriff der Pflegebedürftigkeit und Leistungen
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit und die Leistungen sind in der sozialen und privaten Pflegeversicherung grundsätzlich gleich bzw. gleichwertig. Der Gesetzgeber sieht für die private Pflegeversicherung ausdrücklich Vertragsleistungen vor, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels des SGB XI gleichwertig sind (§ 23 Abs. 1 S. 2 SGB XI). Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die jeweiligen Ausführungen zum Begriff Sozialgesetzbuch XI verwiesen.
7 Organisation und Verfahren
Im Gegensatz zur sozialen Pflegeversicherung ist die private Pflegeversicherung nicht öffentlich-rechtlich, sondern privatrechtlich organisiert. Für letztere gelten die Vorgaben des Versicherungsvertragsgesetzes und des Versicherungsaufsichtsgesetzes.
In der sozialen Pflegeversicherung beauftragen die Pflegekassen den Medizinischen Dienst (frühere Bezeichnung: Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Die Versicherungsunternehmen, die die private Pflege-Pflichtversicherung betreiben, schalten den Medizinischen Dienst der privaten Krankenversicherungen (MEDICPROOF) ein, welcher prüft, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind bzw. welcher Pflegegrad vorliegt.
Die Unterschiede im Rechtsschutz sind erheblich: In der sozialen Pflegeversicherung entschiedet die Pflegekasse durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X). Der hiergegen gerichtete Widerspruch (§§ 77 ff. SGG [Sozialgerichtsgesetz]) bzw. die anschließende Klage vor dem Sozialgericht sind grds. gebühren- bzw. gerichtskostenfrei. Im Gegensatz dazu ist gegen die ablehnende Entscheidung der privaten Pflegekasse der Zivilrechtsweg zu beschreiten (mit vollem Kostenrisiko, wenn im Einzelfall keine Rechtsschutzversicherung greift).
8 Finanzierung
Die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung erfolgt grundsätzlich durch Beiträge der Mitglieder und der Arbeitgeber, die sich die Beiträge teilen (§ 1 Abs. 6 SGB XI). Der Beitragssatz der sozialen Pflegeversicherung liegt seit dem 1. Juli 2023 bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens, für Kinderlose bei 4 Prozent des Bruttoeinkommens.
Bei der privaten Pflegeversicherung sind die Beiträge grds. von den Versicherten allein zu tragen. Privat pflegeversicherte Arbeitnehmer:innen haben allerdings einen Anspruch auf einen Beitragszuschuss des Arbeitgebers, welcher in der Höhe dem Arbeitgeberanteil in der gesetzlichen Pflegeversicherung entspricht. Der Gesetzgeber hat in der privaten Pflegeversicherung zugunsten der Versicherten allen privaten Versicherungsunternehmen in erheblichem Umfang Rahmenbedingungen für eine sozialverträgliche Prämiengestaltung vorgegeben (BMG 2023a). So dürfen die Prämien zum Beispiel nicht nach dem Geschlecht gestaffelt, Vorerkrankungen nicht ausgeschlossen und bereits pflegebedürftige Personen nicht zurückgewiesen werden (§ 110 Abs. 1 SGB XI). Kinder werden ebenfalls beitragsfrei mitversichert.
9 Quellenangaben
Bundesministerium für Gesundheit (BMG), 2023a. Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung [online]. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit [Zugriff am: 04.11.2023]. Verfügbar unter:https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/​pflege/​online-ratgeber-pflege/​die-pflegeversicherung/​finanzierung
Bundesministerium für Gesundheit (BMG), 2023b. Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung [online]. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit [Zugriff am: 04.11.2023]. Verfügbar unter:https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/​pflege/​pflegeversicherung-zahlen-und-fakten
Krahmer, Utz und Matthieas Meißner, 2020. § 21a Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. In: Utz Krahmer und Peter Trenk-Hinterberger, Hrsg. Sozialgesetzbuch I Allgemeiner Teil, Lehr- und Praxiskommentar. 4. Auflage, Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-5457-1
Kuhn-Zuber, Gabriele, 2023. § 110 Regelungen für die private Pflegeversicherung. In: Utz Krahmer, Markus Plantholz und Gabriele Kuhn-Zuber, Hrsg. SGB XI Soziale Pflegeversicherung Lehr- und Praxiskommentar. 6. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-7184-4
10 Informationen im Internet
- Die Bundesregierung ist verpflichtet (vgl. § 10 SGB XI), regelmäßig über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung zu berichten. Die Berichte sind auf der Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) abgelegt.
- Die Leistungen der Pflegeversicherung im Überblick
Verfasst von
Prof. Dr. Matthias Meißner
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Es gibt 3 Lexikonartikel von Matthias Meißner.
Zitiervorschlag
Meißner, Matthias,
2024.
Pflegeversicherung [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 24.05.2024 [Zugriff am: 15.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/817
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