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Praxisanleitung

Christoph Kiefer

veröffentlicht am 11.03.2020

Unter dem Begriff Praxisanleitung versteht man die systematische Begleitung, Betreuung und Unterstützung einer/​eines Praktikanten/-in bei seinem/​ihrem Kompetenzerwerb am Lernort Praxis durch eine erfahrene, einschlägig ausgebildete Fachkraft.

Überblick

  1. 1 Rollen und Funktionen der Praxisanleitung
  2. 2 Fachkräftesicherung und Personalentwicklung
  3. 3 Quellenangaben
  4. 4 Literaturhinweise

1 Rollen und Funktionen der Praxisanleitung

Der/die Praktikant/-in stellt sich während der berufspraktischen Ausbildungsphasen exemplarisch der Bewältigung der Herausforderungen in der Einrichtung. Er/sie wird dabei durch den/die Praxisanleiter/-in initiiert, begleitet und die Bewältigung der Herausforderungen wird gemeinsam reflektiert. Somit ist ein kontinuierliches, situationsgerechtes Durchleben des Berufsalltags in einem mehr oder weniger geschützten Rahmen möglich. Einem oder einer Praxisanleiter/-in kommen damit verschiedene Rollen und Funktionen zu.

Er/sie sollte u.a.

  • Experte/-in in fachlichen, organisatorischen und pädagogischen Fragen,
  • Lehrer/-in,
  • Personalentwickler/-in (in Teilen also mitverantwortlich für Qualität und Quantität des Fachkräftenachwuchses),
  • Vertrauensperson/​Bezugsperson,
  • Anwältin/Anwalt der/des Praktikanten/-in,
  • Kollege/-in,
  • Vorbild,
  • Vorgesetzte/-r,
  • Erzieher/-in

sein.

Funktionen und Aufgaben der/des Praxisanleiters/-in sind insbesondere

  • Vorbereitung, Einrichtung und Sicherung günstiger Rahmenbedingungen am Lernort Praxis, sowohl personell (teambezogen), als auch aufseiten der Infrastruktur für eine qualitativ gute Kompetenzentwicklung (exempl. Kiefer 2019)
  • Aufnahme des/der Praktikantin und Aufbau einer (temporären) Bindung, Klärung gegenseitiger Erwartungen (Fischer und Speck-Giesler 2014, S. 107)
  • Ansprechpartner/-in für die (Hoch-)Schulen und betreuenden Lehrkräfte/Dozenten
  • Anpassung der curricularen Vorgaben des Lernorts (Hoch-)Schule an die Bedarfe und Bedürfnisse, sowie Spezifikationen der Praxiseinrichtung (bspw. in Bezug auf das pädagogische Handlungskonzept der Einrichtung oder spezielle Klientel/​Schwerpunkte), was sich in Form eines einrichtungsspezifischen Ausbildungsplans manifestieren lässt (Ellermann 2014; Kiefer 2017, S. 297 f.)
  • Sicherstellung regelmäßiger Aufgaben mit kontinuierlich steigenden Anforderungen an den/die Praktikantin, sodass eine bedarfs- und leistungsgerechte Kompetenzentwicklung möglich ist (Vermeidung der Über- oder Unterforderung)
  • Regelmäßige Reflexionsgespräche mit der/dem Praktikanten/-in, in denen deren/​dessen eigene Entwicklung im Arbeitsfeld (Persönlichkeit, Fachlichkeit usw.) thematisiert wird (exempl. Marona-Glock und Höhl-Spenceley 2012)
  • Netzwerkarbeit im Sinne des Austauschs bei sogenannten „Anleitertreffen“ oder „runden Tischen Lernort Praxis“, dabei Verdeutlichung der Bedürfnisse des Lernorts Praxis gegenüber der (Hoch-)Schule,

2 Fachkräftesicherung und Personalentwicklung

Aus diesen Darstellungen lässt sich schon unschwer erkennen, dass Praxisanleitung „nicht mal eben so nebenbei“ übernommen werden kann, sondern Ressourcen benötigt, die oft im Arbeitsalltag und aufgrund des Fachkräftemangels fehlen. Eine Kollegin aus der Pflege fasste die Aufgaben wie folgt zusammen: „Praxisanleiter sichern Lernen und Arbeiten im Spannungsfeld der praktischen Ausbildung, indem sie arbeitsorganisatorische Anforderungen analysieren und Ausbildungsanforderungen sowie -ziele mit den Rahmenbedingungen der Arbeitsbereiche in Einklang bringen“ (Mamerow 2016, S. 56). Praxisanleitung ist daher aus der Sicht der Träger im Sinne einer „hausgemachten“ Fachkräftesicherung und Personalentwicklung, aber auch aus Sicht der Praktikanten/​-innen und der Teams in den Praxiseinrichtungen eine Win-win-Situation. Praktikanten/​-innen bringen neue, aktuelle und auch andere Sichtweisen in die tägliche Arbeit ein und können somit der „Betriebsblindheit“ etwas entgegenwirken. Allerdings decken sie auch Schwächen und Missstände in Teams und Einrichtungen auf, sodass dies oftmals ein unausgesprochener Grund ist, keine oder kaum Praktikanten/​-innen aufzunehmen. Außerdem führen die hochgradig unterschiedlichen Anforderungen an den Lernort Praxis und die Gestaltung der fachpraktischen Ausbildung seitens der Studiengänge (Autonomie der Hochschule) und seitens der Bildungsgänge, bspw. Berufsfachschule Sozialpädagogische Assistenz und Fachschule Sozialpädagogik, an den Berufsbildenden Schulen (bspw. Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen), Berufskollegs (NRW), Beruflichen Schulzentren (Bremen, Sachsen) und Fachakademien (Bayern) zu einem enormen Koordinations- und Organisationsaufwand. So kann es sein, dass z.B. in einer niedersächsischen Kleinstadt mit einer staatlichen und einer kirchlichen (Berufs-)Fachschule und den unterschiedlichen Gestaltungen der Bildungsgänge (Praxisintegrierte Ausbildung PIA, quasi-duale Ausbildung, Blockpraktika) mindestens vier verschiedene Anforderungsprofile an die Gestaltung der Praxisphase in einer Kita zukommen können (Kiefer 2016).

Ohne einschlägige Fortbildung und damit Qualifizierung ist Praxisanleitung eigentlich eine sehr große Herausforderung für den/die Praxisanleiter/-in. Die Gefahr der Überforderung und damit der gesundheitlichen Beeinträchtigung (Burn-out) ist offensichtlich. Eine Kosten-Nutzen-Betrachtung schließlich zeigt eindeutig, dass zeitliche und personelle Ressourcen in Form von Anrechnungsstunden bzw. Anleitungsstunden schon bei einer sehr niedrig angesetzten Arbeitsleistung der/des Praktikanten/-in von 20 % bezogen auf die Arbeitsleistung einer pädagogischen Fachkraft dennoch einen Gewinn von 64,10 € pro Woche (fünf Tage zu fünf Stunden Arbeit d. Praktikanten/-in) erwirtschafteten (Kiefer 2018). Die beispielhafte Berechnung sieht dabei wie folgt aus: Eine ausgebildete Vollzeitkraft arbeitet 39,0 Std. pro Woche und erhält 2500,- € Arbeitslohn pro Monat. D.h. sie erhält einen Stundenlohn von 16,03 €. Der/Die Praktikant/-in leistet in diesem Beispiel (theoretisch) 20 % der Arbeitsleistung einer ausgebildeten Vollzeitkraft, was einem Wert von 3,21 € pro Stunde entspräche. Arbeitet diese/-r Praktikant/-in nun fünf Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche, so ergibt sich ein theoretischer Wert von 80,13 € pro Woche. Gehen wir also davon aus, dass der/die Praktikant/-in keine Vergütung erhält, so wäre das der theoretische Gewinn des Trägers, da er eine Leistung erhält, die er nicht vergüten muss. Gesteht man der/dem Praxisanleiter/-in nun eine Fachkraftstunde für die Praxisanleitung zu, also 16,03 €, so verbleiben trotzdem noch diese 64,10 € „Gewinn“ pro Woche. Folglich ist die Bereitstellung von Arbeitszeit bzw. die zusätzliche Vergütung der Anleitungszeit ökonomisch und pädagogisch betrachtet ein Gewinn (ebd.).

3 Quellenangaben

Ellermann, Walter, 2014. Das sozialpädagogische Praktikum. Sozialpädagogische Praxis Band 3. 4. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor. ISBN 978-3-589-24847-6 [Rezension bei socialnet]

Fischer, Sabine und Kristina Speck-Giesler, 2014. Praxisanleitung pädagogischer Fachkräfte: Der Weg zu mehr Qualität. Berlin: Cornelsen Scriptor. ISBN 978-3-589-24865-0 [Rezension bei socialnet]

Kiefer, Christoph, 2016. Praxisanleitung – ein vernachlässigtes Element der Personalentwicklung. In: KiTa aktuell. 25(09), S. 185–187. ISSN 0942-2463

Kiefer, Christoph, 2017. Praxisanleitung – ein Schlüsselelement der Personalentwicklung im sozialpädagogischen Arbeitsfeld. In: Sabine Skalla, Hrsg. Handbuch für die Kita-Leitung. 2. Auflage. Köln: Carl Link, S. 289–304. ISBN 978-3-556-07211-0 [Rezension bei socialnet]

Kiefer, Christoph, 2018. Praxisanleitung ist (mehr) Mehrwert. In: KiTa aktuell. 27(4), S. 87–88. ISSN 0942-2463

Kiefer, Christoph, 2019. Kompetent ausbilden in der Kita: Ein Lehr- und Methodenbuch für Praxisanleiter/​innen. Köln: Carl Link. ISBN 978-3-556-08158-7 [Rezension bei socialnet]

Mamerow, Ruth, 2016. Praxisanleitung in der Pflege. 5. Auflage. Berlin: Springer. ISBN 978-3-662-48027-4

Marona-Glock, Karin und Uta Höhl-Spenceley, 2012. Praxisanleitung: Anleiter/​-innen-Qualifikation in sozialpädagogischen Berufen. 2. Auflage. Berlin: Cornelsen. ISBN 978-3-06-450715-9 [Rezension bei socialnet]

4 Literaturhinweise

Kiefer, Christoph, 2019. Kompetent ausbilden in der Kita: Ein Lehr- und Methodenbuch für Praxisanleiter/​innen. Köln: Carl Link. ISBN 978-3-556-08158-7 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Christoph Kiefer
Dipl.-Berufspädagoge
Hauptberuflich Personalentwickler für Kindertagesstätten bei der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen. Nebenberuflich Hochschullehrender in Früh-/Kindheitspäd. Studiengängen an der FH Bad Sooden-Allendorf.
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Es gibt 1 Lexikonartikel von Christoph Kiefer.

Zitiervorschlag
Kiefer, Christoph, 2020. Praxisanleitung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 11.03.2020 [Zugriff am: 13.12.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/28218

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