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Praxisforschung

Prof. Dr. Joachim König, Sebastian Ottmann

veröffentlicht am 20.10.2020

Praxisforschung ist empirische Forschung in der und für die Praxis der Sozialen Arbeit, die auf die Umsetzung ihrer Ergebnisse in der Praxis orientiert ist.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Bedeutung für die Soziale Arbeit
  3. 3 Praktische Umsetzung und Arbeitsschritte
  4. 4 Quellenangaben
  5. 5 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

Forschung wird allgemein und inzwischen sehr übereinstimmend definiert als die systematische, regelgeleitete, wissenschaftlich begründete Suche nach Erkenntnissen, Lösungen und Antworten auf Fragen in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens und deren anschließende Berichtlegung und Veröffentlichung. Dieser Beitrag bezieht sich auf Praxisforschung im Sinne einer Forschung in der und für die Praxis der Sozialen Arbeit. Demnach meint Praxisforschung den Versuch, die Realität der Praxis, etwa der Jugendhilfe, frühkindlichen Bildung, Beratung oder eines der anderen Felder der Sozialen Arbeit, genau zu erfassen und daraus Schlüsse und neue Erkenntnisse zu ziehen. Gemeint ist also das systematische Beschreiben und Bewerten solcher Wirklichkeiten, mit dem Ziel, mehr Wissen über sie zu erlangen und aus diesem Wissen Konsequenzen zu ziehen, die für diese Praxis oder auch über sie hinaus von Bedeutung sind. Praxisforschung in der Sozialen Arbeit ist also eine bestimmte Form der Forschung, bei der „in unterschiedlich intensiver Kooperation mit den PraktikerInnen sozialpädagogische Projekte [besser: Praxis, Anm. d. Verf.] dokumentiert, analysiert, evaluiert, beraten und weiterentwickelt werden“ (Munsch 2012, S. 1177) – letztlich also der ambitionierte Versuch, sowohl Theorie und Praxis als auch Forschen und Handeln in der Sozialen Arbeit systematisch und regelgeleitet miteinander zu verbinden.

2 Bedeutung für die Soziale Arbeit

Forschung gewinnt nicht nur in der Theoriebildung, sondern vor allem auch in der Praxis der Sozialen Arbeit zunehmend an Bedeutung: Dem Alltagsgeschäft der Fachkräfte und auch den verschiedenen Zielgruppen angemessene Designs und passgenaue Forschungsmethoden sind inzwischen in der Lage, belastbare Befunde zu generieren, die dann der Weiterentwicklung, der Kontrolle oder auch der Legitimierung der Praxis in den verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit dienen und darüber hinaus den Diskurs der Sozialarbeitswissenschaften unterstützen können. Praxisforschung kann demnach auf drei Ebenen einen Beitrag zur Klärung von Fragen leisten:

  1. Soziale Arbeit als gesellschaftliches Teilsystem sieht sich von anderen Bereichen, vor allem der Politik und der Ökonomie herausgefordert. Im Zeichen der Verknappung öffentlicher Haushalte gerät Soziale Arbeit zunehmend unter Legitimationsdruck. Differenzierte Praxisforschungskonzepte können PraktikerInnen in die Lage versetzen, sinnvolle Nachweise der Wirtschaftlichkeit Sozialer Arbeit zu führen.
  2. Soziale Arbeit als wissenschaftliche Disziplin benötigt zur Theoriebildung Wissen darüber, welche unterschiedlichen Funktionen, Wirkungen und Nutzen sie im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielgruppen hat. Praxisforschung kann hier zur Theoriebildung der Sozialarbeitswissenschaft beitragen.
  3. Soziale Arbeit als Profession kann Praxisforschung als ein hilfreiches Instrumentarium in das Alltagsgeschäft der Sozialen Arbeit integrieren und so basisnahe und gleichzeitig evidenzbasierte Erkenntnisse liefern, worin im Einzelfall oder auf Gruppen bezogen der Wert des beruflichen Handelns liegt. Im Rahmen der Professionalisierungsdebatte leistet praxis-, lebenswelt- und handlungsorientierte Forschung in den verschiedenen Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit gezielte Beiträge zur Steigerung ihrer Fachlichkeit und damit zur Entwicklung neuer Standards methodischen Handelns.

Der konkrete Nutzen, den Praxisforschung für das Alltagsgeschäft der Fachkräfte und Verantwortlichen in der Sozialen Arbeit haben kann, zeigt sich dabei in fünf Perspektiven und Herausforderungen:

  1. Kontrolle: Mithilfe von Praxisforschung sind soziale Dienste in der Lage, sich einer differenzierten Erwartungs-Erfolgs-Kontrolle zu unterziehen, sowohl mit Blick auf die Effektivität von Maßnahmen, Projekten und Angeboten (also bezogen auf die Frage nach der Zielerreichung) als auch auf deren Effizienz (also bezogen auf das Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung von Praxis).
  2. Aufklärung: Durch geeignete Ansätze der Praxisforschung ergeben sich für Einrichtungen und Fachkräfte Möglichkeiten, Beiträge zur Strukturierung, zu mehr Klarheit in der Unübersichtlichkeit und Komplexität alltäglicher Aufgabenstellungen zu leisten – etwa durch die Rekonstruktion von Interventionsverläufen oder von Ursache-Wirkungszusammenhänge.
  3. Qualifizierung: Kompetenzen im Bereich der Praxisforschung können dazu beitragen, die Fachlichkeit der Mitarbeitenden zu optimieren. Aus dieser Einsicht können zudem sinnvolle Beiträge zur Personalentwicklung oder für neue Weiterbildungskonzepte in sozialen Organisationen und Verbänden entstehen.
  4. Innovation: im Hinblick auf die Verbesserung struktureller Bedingungen alltäglicher Handlungsabläufe kann Praxisforschung nützlich sein und innovativ wirken, zur Erneuerung von Strukturen und Hilfeprozessen beitragen, konzeptionelle Weiterentwicklung initiieren oder auch bei der Entwicklung von Alleinstellungsmerkmalen hilfreich sein.
  5. Legitimierung: Auch hier ist Praxisforschung in der Lage, durch den Nachweis von Effekten und Wirkungen oder die Dokumentation der Effizienz von Maßnahmen belastbare Aussagen über die Qualität Sozialer Arbeit im Einzelnen zu generieren und so nach außen, etwa Kostenträgern oder der politischen Öffentlichkeit gegenüber, tragfähige Aussagen zur „Daseinsberechtigung Sozialer Arbeit“ in fachlicher Hinsicht, aber auch im betriebs- und volkswirtschaftlichen Sinne zu machen.

3 Praktische Umsetzung und Arbeitsschritte

In den Feldern der Sozialen Arbeit werden Praxisforschungsprojekte sowohl als extern beauftragte Forschung wie auch als interne selbst gesteuerte Forschung realisiert. In den meisten Fällen erfolgt die Umsetzung über sowohl interne als auch externe Steuerungs- und Umsetzungsanteile. Die Entscheidung über Anteil und Inhalt der jeweiligen Beiträge von außen und innen wird im Wesentlichen von den Antworten auf vier Fragen beeinflusst:

  1. In welchem Umfang steht ein Budget für eine externe Beauftragung zur Verfügung?
  2. Wie umfangreich sind die intern zur Verfügung stehenden Ressourcen und methodischen Kompetenzen für eine eigengesteuerte Umsetzung?
  3. Welche Bedeutung hat die Beteiligung der Fachkräfte und möglicherweise auch der Klient*innen für die Validität der Befunde?
  4. Welche Bedeutung hat eine externe Steuerung für die Objektivität des Prozesses und seiner Ergebnisse?

Unabhängig vom jeweils gewählten Praxisforschungsdesign empfiehlt sich allerdings bei Praxisforschungsprojekten, die durch externe Forschungspartner durchgeführt werden, ein umfassender Einbezug der Fachkräfte vor Ort, beispielsweise bei der Erstellung der Erhebungsinstrumente und der Interpretation der Ergebnisse.

Von König (2017) werden für die konkrete und praktische Umsetzung eines Praxisforschungsprojekts zwölf Arbeitsschritte vorgeschlagen, die im Sinne einer Heuristik und Systematik, verbunden mit Checklisten und Arbeitshilfen, die regelgeleitete Umsetzung unterstützen können:

  1. Ziele festlegen
  2. Klärung von Bedingungen und Schaffung von Voraussetzungen
  3. Bestimmung des Gegenstandes und der Fragestellung
  4. Klärung des Vorgehens und des Designs der Untersuchung
  5. Operationalisierung des Forschungsgegenstandes
  6. Messen: Kriterien, Maßstäbe und Skalen entwickeln
  7. Informations- und Datenquellen bestimmen,
  8. Methoden zur Datenerhebung entwickeln
  9. Datenerhebung
  10. Aufbereitung und Analyse der Daten
  11. Qualität des Prozesses beurteilen
  12. Verwertung der Ergebnisse

4 Quellenangaben

König, Joachim, Hrsg., 2017. Praxisforschung in der Sozialen Arbeit. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-024195-4 [Rezension bei socialnet]

Munsch, Chantal, 2012. Praxisforschung in der Sozialen Arbeit. In: Werner Thole, Hrsg. Grundriss Soziale Arbeit. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer, S. 1177 ff. ISBN 978-3-531-18616-0

5 Literaturhinweise

Alisch, Monika und Michael May, Hrsg., 2017. Methoden der Praxisforschung im Sozialraum. Opladen: Verlag Barbara Budrich. ISBN 978-3-8474-2079-8 [Rezension bei socialnet]

Häder, Michael, 2019. Empirische Sozialforschung. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-26985-2

Romppel, Joachim, 2015. Praxisforschung in der Sozialen Arbeit – methodische und methodologische Grundlegung eines Forschungsansatzes. Eine Sekundäranalyse von Forschungsprojekten zwischen 2000–2015. Unveröffentlichter Forschungsbericht. Hannover

Verfasst von
Prof. Dr. Joachim König
Evangelische Hochschule Nürnberg
Allgemeine Pädagogik & Empirische Sozialforschung
Leiter des Instituts für Praxisforschung und Evaluation
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Sebastian Ottmann
M.A.
Evangelische Hochschule Nürnberg
Referent für Forschung und Entwicklung
Wiss. Mitarbeiter am Institut für Praxisforschung und Evaluation

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Es gibt 2 Lexikonartikel von Joachim König.
Es gibt 1 Lexikonartikel von Sebastian Ottmann.

Zitiervorschlag
König, Joachim und Sebastian Ottmann, 2020. Praxisforschung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 20.10.2020 [Zugriff am: 11.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/4240

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Praxisforschung

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