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Psychologie

Prof. Dr. Dietrun Lübeck

veröffentlicht am 01.06.2021

Etymologie: gr. psyche Seele, logos Lehre

Englisch: psychology

Psychologie ist definierbar als Wissenschaft vom Verhalten und von mentalen Prozessen. Sie fokussiert auf Individuen, befasst sich aber auch mit Paaren, Familien und anderen Gruppen sowie Organisationen, Gesellschaften und Kulturen, sofern der zu betrachtende Gegenstand deren intra- und interpsychisch angetriebenes Denken, Erleben und Verhalten ist.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Psychologie als primär empirische Wissenschaft
  3. 3 Analysebereiche der Psychologie
  4. 4 Theoretische Grundströmungen in der Psychologie
  5. 5 Praxis der Psychologie
  6. 6 Quellenangaben
  7. 7 Literaturhinweise
  8. 8 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Gegenstand der Psychologie sind mentale Prozesse und Verhalten. Mentale Prozesse sind subjektive Erfahrungen, beispielsweise Empfindungen, Wahrnehmungen, Denken, Überzeugungen, Erinnerungen und Gefühle. Verhalten umfasst alles, was ein Organismus macht, also jede Art von Handlung, die beobachtbar und registrierbar ist (Myers 2014). Somit sind mit Verhalten die äußeren, sichtbaren Prozesse (z.B. ein Mensch lacht) und mit Erleben die Vielfalt an inneren Prozessen gemeint (z.B. ein Mensch beurteilt sein Leben als erfüllt und fühlt sich glücklich). Sowohl das Verhalten als auch innere psychische Prozesse können unterschiedlich bewusst vonstattengehen.

Jeder Sachverhalt, der menschliche Erlebens- und Verhaltensaspekte beinhaltet, kann unter psychologischer Perspektive betrachtet werden, indem psychologische Begriffe, Theorien, Sichtweisen und Zugänge an ihn herangetragen werden (Nolting und Paulus 2018, S. 22). Zum Beispiel: Ein Kind wird eingeschult (Sachverhalt). Wie denkt und was fühlt das Kind in dieser Situation, wie verhält es sich? (psychologischer Zugang).

Die Allgemeine Psychologie als Teildisziplin befasst sich mit allgemeingültigen psychologischen Mechanismen (z.B. Wie lernen sechsjährige Kinder?), die Differentielle Psychologie hingegen fragt nach interindividuellen Unterschieden (z.B. Wie arrangieren sich Jungen und Mädchen mit lehrerzentriertem Unterricht? Wie lässt sich die Persönlichkeit eines Individuums in Abgrenzung zu anderen beschreiben?).

Historisch betrachtet existieren psychologische Fragestellungen seit Menschengedenken, als eigenständige Wissenschaft wird sie erst seit Ende des 19. Jahrhunderts betrachtet. Beeinflusst durch eine Vielzahl an Denkströmungen sieht die Psychologie ihre Aufgabe in der Beschreibung, Erklärung, Vorhersage, Beeinflussung und Bewertung mentaler Prozesse und Verhaltensweisen, indem sie unter Berücksichtigung einer biopsychosozialen Rahmung aktuelle psychische Prozesse unter die Lupe nimmt und dabei sowohl personenseitige (z.B. individuelle Persönlichkeit, aktueller Entwicklungsstand) als auch kontext- und situationsbezogene Einflussgrößen berücksichtigt. Als Profession teilt sie sich mit der Sozialen Arbeit und Pädagogik das Anliegen, Menschen in ihrem Lebensweg und ihrer Lebensbewältigung bedürfnis- und beziehungsorientiert zu unterstützen.

2 Psychologie als primär empirische Wissenschaft

Psychologische Fragestellungen beschäftigen Menschen seit mehr als 2.000 Jahren. Zunächst wurden psychologische Themen in der Philosophie, später auch in der Theologie, behandelt. Die Psychologie als eigenständige Wissenschaft hingegen ist keine 150 Jahre alt und hat spätestens seit Wilhelm Wundts Einrichtung des ersten psychologischen Labors in Leipzig (1879) eine beachtliche Karriere als wissenschaftliche Disziplin hingelegt sowie eine starke fachliche Ausdifferenzierung erfahren. In ihrer kurzen Geschichte als wissenschaftliche Disziplin hat sich offenbart, dass der Gegenstand der Psychologie durch ihre Vertreter*innen sowohl missbraucht (z.B. in der NS-Zeit durch Wehr- sowie sog. Rassepsychologen) als auch rasant weiterentwickelt wurde, beispielsweise um sich in ihrer Programmatik auf das Positive im und zwischen Menschen und in ihrer psychischen Entwicklung auszurichten (Seligman und Csikszentmihalyi 2000). Gerade mit der damit einhergehenden wertschätzenden Entwicklungs-, Stärken- und Ressourcenorientierung bietet die Positive Psychologie eine Programmatik, an die wesentliche Diskurse und aktuelle Handlungsmaxime auch in der Sozialen Arbeit und Pädagogik anknüpfbar sind.

Es zeigte sich schon früh, dass innerhalb der Psychologie wissenschaftstheoretisch und methodologisch von sehr unterschiedlichen Prämissen ausgegangen wurde, wie zu psychologischem Wissen gelangt werden kann (Walach 2013): empirisch, verstehend, experimentell. Entsprechend bewegt sich die Psychologie als wissenschaftliche Disziplin auch weiterhin zwischen den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften beziehungsweise ist alles zugleich. Dieser Umstand ist unter anderem den ihr zugrundeliegenden, sehr unterschiedlichen Erkenntnistheorien geschuldet: Dem Empirismus (Locke 1632–1704) zufolge basiert menschliche Erkenntnis ausschließlich auf sinnlichen Erfahrungen und deren Reflexion. Der Rationalismus hingegen (Descartes 1596–1649) postuliert die menschliche Vernunft und das analytisch Zweifelnde am Vorgefundenen als wesentlichste Erkenntnisquelle. Im Sinne der Hermeneutik (Dilthey 1833–1911) entsteht Erkenntnisgewinn durch die deutende und damit subjektive Auslegung vorliegenden Materials und ist somit als geistig-verstehendes, kulturell geprägtes Ergebnis zu betrachten. Die gegenwärtige akademische Psychologie versteht sich als empirische Wissenschaft, d.h. sie setzt auf beobachtbare Vorgänge im Erleben und Verhalten. Theorien und Hypothesen über menschliches Erleben und Verhalten müssen demzufolge empirisch überprüfbar sein.

Darüber hinaus wird insbesondere die Psychologie als Profession von der hermeneutischen Idee getragen, dass das „Verstehen“ des Erlebens und Handelns eines anderen Menschen insbesondere durch die erfahrene Begegnung beteiligter Subjekte entsteht – deutend und konstruierend.

Bereits in der Antike setzte sich die griechische Philosophie mit psychologischen Fragestellungen auseinander. Auch heute noch wird insbesondere auf Aristoteles (384–322 v.Chr.) Bezug genommen, der in seiner Schrift „Über die Seele“ verschiedene Seelenkräfte im Sinne psychischer Kräfte und Funktionen beschrieb. Er war der Ansicht, dass sich Leib und Seele nicht trennen ließen und dass Wissen nicht angeboren sei, sondern aus Erfahrung erwachse und im Gedächtnis gespeichert werde. Die Frage, inwieweit mentale (seelische) und körperliche (leibliche) Prozesse miteinander verbunden oder als voneinander unabhängig zu betrachten sind, beschäftigt seitdem als „Leib-Seele-Problem“ die Psychologie, wenngleich heutzutage nach gängiger Auffassung alle psychischen Vorgänge immer auch mit einer biologischen Abbildung desselben Vorgangs einhergehen.

Wenngleich Psychologie wortwörtlich die „Lehre von der Seele“ bedeutet, so ist der Begriff „Seele“ mit psychologischen Begriffen weder einfach zu definieren noch empirisch überprüfbar. Daher wird er in der wissenschaftlichen Psychologie mittlerweile kaum noch verwendet, findet sich jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch häufig wieder (z.B. ein „seelischer Zustand“). Er hat zudem historisch gesehen über mehr als zwei Jahrtausende hinweg die Beschäftigung mit psychologischen Themen, zunächst aus der Philosophie und später auch Theologie heraus, geprägt.

Ebenfalls bereits aus der Antike überliefert sind Vorstellungen von Typologien, wonach Menschen hinsichtlich ihrer äußeren als auch inneren Beschaffenheit unterscheidbar sind (z.B. Hippokrates, 460–370 v.Chr. sowie Galen, 2.Jhd. v.Chr.). Wenngleich typologische Lehren häufig eine begrenzte Aussagekraft haben, weil sie die individuelle Vielfalt des Menschen künstlich reduzieren, und in diesem Zusammenhang in höchst unmenschlicher Weise missbraucht wurden, so kann festgehalten werden, dass die zugrundeliegende Vorstellung, dass Menschen in ihrem Wesen (ihrem sog. Temperament) von Geburt an unterschiedlich sind, ebenfalls bis heute die Psychologie beschäftigt: Insbesondere die Anlage-Umwelt-Debatte fragt nach den „genetisch mitgebrachten“ und sozialisationsbedingten Anteilen, die den Menschen in seinem Erleben und Verhalten ausmachen. Heutzutage wird der Diskurs dahingehend geführt, wie sich im Prozess der lebenslangen Entwicklung (Baltes 1990) Anlagen und Umwelten wechselseitig beeinflussen, womit einseitige Erklärungsansätze aus wissenschaftlicher Sicht als überwunden zu betrachten sind und die gegenwärtige individuelle Entwicklung eines Menschen als Ergebnis des Zusammenspiels von Genen und Umwelten sowie als Prozess zwischen Anpassung, Aufgabenbewältigung und Selbstentwicklung zu sehen ist (Köckeritz 2004).

Die Psychologie hat sich im Zuge ihrer Entwicklung als wissenschaftliche Disziplin in verschiedene Grundlagen-, Methoden- und Anwendungsgebiete aufgegliedert, die auch Gegenstand der akademischen Ausbildung sind (DGPs o.J.). Zu den Grundlagengebieten werden neben der Geschichte der Psychologie insbesondere die Allgemeine, differentielle/Persönlichkeits-, Sozial-, Entwicklungs- sowie die Biologische Psychologie gezählt. Methodenfächer sind Statistik, Forschungsmethoden und psychologische Diagnostik. Zu den Anwendungsgebieten gehören als Teildisziplinen vor allem die Klinische Psychologie, Pädagogische Psychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie, aber auch die Gesundheitspsychologie, Medienpsychologie, Rechtspsychologie, Werbepsychologie, Verkehrspsychologie usw. Insbesondere in den Grundlagenfächern wird weitgehend verallgemeinerbares Wissen generiert, das das wissenschaftlich fundierte Beschreiben, Erklären und Verstehen menschlichen Erlebens und Verhaltens ermöglicht, wohingegen in den Anwendungsfächern der Fokus stärker (aber nicht ausschließlich) auf der psychologisch geprägten, praktischen Arbeit mit Menschen und Gruppen liegt und wie menschliches Erleben und Verhalten entwicklungs- und gesundheitsförderlich beeinflusst und bewertet werden kann.

Die 1904 als „Gesellschaft für experimentelle Psychologie“ gegründete und 1929 umbenannte „Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V.“ (DGPs) verfolgt als Ziel die Förderung und Verbreitung der wissenschaftlichen Psychologie und sieht sich als Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Psycholog*innen. Die beruflichen Interessen der niedergelassenen, selbstständigen und angestellten/​verbeamteten Psycholog*innen werden insbesondere durch den 1946 gegründeten „Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.“ (BDP) vertreten.

3 Analysebereiche der Psychologie

Menschliches Erleben und Verhalten äußert sich immer in konkreten Situationen und Kontexten durch Individuen, die durch die Kombination aus ihrer Persönlichkeit und ihrer aktuellen ontogenetischen Entwicklung einzigartig sind. Grundlegende Aspekte des psychischen Systems, die bei der Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und möglichen Beeinflussbarkeit von Erleben und Verhalten stets für eine adäquate Beurteilung einzubeziehen sind, sind demzufolge (Nolting und Paulus 2018):

  • die aktuellen inneren Prozesse und Verhalten (z.B. Wut, Zittern)
  • der Kontext und die Situation (z.B. ein Behördenbesuch, langes Warten müssen)
  • die Person (z.B. ein extrovertierter Mensch) und
  • die Entwicklung der Person (z.B. Entwicklungsstand eines jungen Erwachsenen).
  • Zusätzlich sind immer interpersonale Bezüge zu berücksichtigen, d.h. die Interaktions- und Kommunikationsprozesse und Beziehungen mit und zu jeweils beteiligten anderen Menschen (z.B. mit einer Sachbearbeiterin und/oder dem begleitenden Sozialarbeiter).

Die genannten fünf Aspekte sind letztlich theorieneutral, allerdings variieren ihre Gewichtung und inhaltliche Ausfüllung erheblich (beispielsweise aufgrund der Schwerpunktesetzung einer Teildisziplin der Psychologie, wie der Persönlichkeits-, Entwicklungs-, Sozial- oder Kulturpsychologie und/oder einer präferierten Grundströmung, s.u. sowie Lübeck 2020, S. 24).

Dies spiegelt sich in biopsychosozialen Rahmungen nieder, die postulieren, dass aktuelles menschliches Erleben und Verhalten sowohl

  • biologischen (z.B. genetischen Prädispositionen, epigenetische Vorgänge, physische Verfassung) als auch
  • soziokulturellen (z.B. die Anwesenheit anderer, kulturelle und/oder familiäre Erwartungen, Rollenmodelle) als auch
  • psychologischen Einflüssen (z.B. erlernte Ängste, kognitive Verarbeitung von Situationen)

unterliegt und vielfältige Wechselwirkungen dazwischen anzunehmen sind (vgl. Leib-Seele-Problem und Anlage-Umwelt-Debatte). Konkretes menschliches Erleben und Verhalten ist demzufolge stets Ausdruck sowohl biologischer (genetischer, neurologischer, physiologischer) als auch sozialer, kultureller, gesellschaftlicher sowie psychologischer Prozesse. Worauf die psychologischen Prozesse zurückgeführt werden, wird unterschiedlich vertreten (s.u.), wenngleich sich aufgrund mannigfaltiger theoretischer Weiterentwicklungen und Verknüpfungen sowie integrativer Konzeptionen (v.a. in der Psychotherapie) eine Aufweichung der ursprünglichen „Fronten“ zwischen den Grundströmungen feststellen lässt.

4 Theoretische Grundströmungen in der Psychologie

Ursprünglich war die Psychologie von drei Grundströmungen (Paradigmen) geprägt, die auf unterschiedliche Weise menschliches Erleben und Verhalten zu beschreiben, erklären, vorhersagen, bewerten und beeinflussen versuchen:

  1. Im Sinne des Behaviorismus (v.a. Edward Thorndike, John Watson, Burrhus Skinner; beeinflusst durch Forschungen von Iwan Pawlow), wird menschliches Erleben und Verhalten auf das beobachtbare Verhalten reduziert, das durch Lernerfahrungen in Form von klassischer und operanter Konditionierung zustande kommt und auf gleiche Weise wieder veränderbar ist. Dass auch innere Prozesse und die sozialen Bedingungen Lernerfahrungen initiieren, wurde erst später im Zuge der „kognitiven Wende“ anerkannt und als Lernen am Modell (einflussreichster Vertreter: Albert Bandura) in der Psychologie etabliert.
  2. Die psychodynamische bzw. tiefenpsychologische Grundströmung geht im Gegensatz dazu davon aus, dass gerade die inneren (vor allem unbewussten) Prozesse menschliches Denken und Verhalten begründen und für das Verstehen psychischer Prozesse die Beschäftigung mit frühkindlichen und ungelösten inneren Konflikten essenziell ist. Sie geht auf Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse zurück.
  3. Als dritte Grundströmung ist der Kognitivismus zu nennen, der den Schwerpunkt der Betrachtung menschlichen Erlebens und Verhaltens auf die geistigen Prozesse im Sinne aktiver Informationsverarbeitung, Erkenntnis, Bewusstsein und Denkstrukturen legt (einflussreichster Vertreter: Jean Piaget). Eine einflussreiche Strömung unter dem Dach der kognitivistischen Grundströmung stellt der Konstruktivismus dar, der davon ausgeht, dass die Sicht auf menschliches Erleben und Verhalten Ergebnis individueller Wirklichkeitskonstruktionen und subjektiver Be- und Zuschreibung ist.

Die Psychologie ist ebenso wie die Soziale Arbeit und Pädagogik beeinflusst vom Humanistischen Paradigma, das eine Vielzahl von Unterströmungen unter sich vereint. Humanistisch geprägten Autor*innen in der Psychologie (z.B. Charlotte Bühler, Abraham Maslow, Carl Rogers, Fritz Perls, Viktor Frankl) ist dennoch gemeinsam, dass sie menschliches Erleben und Verhalten im Lichte menschlicher Grundbedürfnisse sowie der dem Menschen innewohnenden Tendenz nach Selbstverwirklichung und Selbstaktualisierung betrachten. Dabei werden die Ganzheit von Kognitionen, Emotionen und Motivation als Zugang zu bewusstem Erleben sowie die grundsätzlich gute Natur des Menschen betont, die es zu fördern und ermuntern gilt.

Ebenso weitreichend sind die Psychologie, Soziale Arbeit und Pädagogik beeinflusst vom Systemischen Paradigma, innerhalb dessen die Beziehungen bzw. Beziehungskonstruktionen zwischen Menschen in den Mittelpunkt gerückt werden, um menschliches Erleben und Verhalten zu beschreiben, erklären und beeinflussen zu können. Demzufolge werden Menschen nicht als isolierte Individuen betrachtet, sondern als Bestandteil komplexer, sich wechselseitig beeinflussender Systeme, die letztlich Ausdruck subjektiver Konstruktionen von Beziehungsgeflechten sind. Dass nicht nur die zwischenmenschlichen Systeme psychologisch aufschlussreiche Analyseeinheiten sind, sondern auch umfassendere und vielfältige Ökosysteme und individuelle Übergänge zwischen verschiedenen Systemen, hat Urie Bronfenbrenner (1981) mit weitreichenden Implikationen für die Psychologie sowie Soziale Arbeit und Pädagogik herausgearbeitet.

Verdienst explizit der Kritischen Psychologie ist, dass sie verdeutlicht hat, dass und wie die menschliche Erlebnis- und Handlungsfähigkeit eines Individuums letztlich die praktische Verfügung dieses Menschen über seine Lebensbedingungen darstellt (Holzkamp 1985).

5 Praxis der Psychologie

Grundlegende Tätigkeiten der Psychologie (Nolting und Paulus 2018) sind, menschliches Erleben und Verhalten möglichst differenziert

  • zu beschreiben (z.B. Wie bewältigen Menschen Trauersituationen? Wie reagieren Kleinkinder auf fremde Personen? Wie äußern sich situative Angst und Ängstlichkeit als persönliches Merkmal?)
  • zu erklären (z.B. Welchen Einfluss auf Einstellungen und Motivationsprozesse hat ein Alkoholverbot in bestimmten Einrichtungen auf Jugendliche oder auf suchterkrankte Menschen?)
  • zu verstehen und vorherzusagen (Wird dieser Mensch zukünftig ein straffreies Leben führen können? Wird diese neue Mitarbeiterin ihren Job „gut machen“?)
  • zu beeinflussen (Wie lässt sich durch diese psychotherapeutischen Techniken eine Depression behandeln? Wie können Jugendliche darin unterstützt werden, nicht gemobbt zu werden?)
  • zu bewerten (Ist das Verhalten dieses Jugendlichen für sein Alter und dieses Setting angemessen? Sollte diesem Menschen der Führerschein weiterhin entzogen bleiben?)

Psycholog*innen begegnen in der Praxis häufig Sozialarbeiter*innen, Pädagog*innen, Mediziner*innen und Mitgliedern weiterer Professionen oder arbeiten in multiprofessionellen Teams gemeinsam, wenn es um die professionelle Begleitung von Menschen geht, deren Erleben und Verhalten Anlass zur Begleitung gegeben hat oder gibt. Sie sind dabei vorrangig damit betraut, psychische Probleme zu verhindern oder zu lösen und Gesundheit zu befördern. Sozialarbeiter*innen begleiten demgegenüber vorrangig Menschen mit sozialen Problemen und unterstützen eine verbesserte Alltags- und Lebenslagenbewältigung. Gemeinsam ist ihnen als „Beziehungsprofessionen“, dass sie wirksame Arbeit leisten, wenn in der Praxis folgende Mechanismen beachtet werden (Grawe 2000):

  • die Bildung und Aufrechterhaltung einer professionellen Beziehung,
  • die sorgfältige Analyse und Klärung der Problemlage sowie die Vereinbarung von Zielen der professionellen Begleitung,
  • die beständige Klärung der Motivation zur Veränderung,
  • die Aktivierung von Ressourcen als Fokussierung auf positive Möglichkeiten, Eigenschaften, Fähigkeiten;
  • eine stetige Problemaktualisierung als Arbeit mit unmittelbaren, realen Erfahrungen und
  • die aktive Hilfe zur Problembewältigung durch die Auswahl wissenschaftlich begründeter Interventionen, Maßnahmen, Angebote.

Die Wirksamkeit dieser Mechanismen ist zurückführbar auf die Befriedigung psychischer bzw. psychosozialer Grundbedürfnisse, die jedem Menschen innewohnen (Grawe 2000): Bindung, Orientierung und Kontrolle, Lustgewinn und Unlustvermeidung sowie Selbstschutz und Selbstwerterhöhung. Dementsprechend wird angenommen, dass die Nichtbefriedigung dieser psychischen Grundbedürfnisse zu psychischen und psychosozialen Krisen im individuellen und interindividuellen Erleben und Handeln führt und eine angemessene psychologische Praxis die Befriedigung und Entfaltung ebendieser Grundbedürfnisse zum Ziel haben sollte, wohlwissend dass menschliches Erleben und Verhalten stets eingebunden ist in die sozialen Verhältnisse, in denen Menschen leben (person-in-environment).

6 Quellenangaben

Baltes, Paul, 1990. Entwicklungspsychologie der Lebensspanne: Theoretische Leitsätze. In: Psychologische Rundschau. 41, S. 1–24. ISSN 0033-3042

Bronfenbrenner, Urie, 1981. Ökologie der menschlichen Entwicklung: natürliche und geplante Experimente. Stuttgart: Klett-Cotta. ISBN 978-3-12-930620-8

Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V. (DGPs) [ohne Jahr]. Übersicht der Fachgruppen [online]. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V. [Zugriff am: 26.05.2021]. Verfügbar unter: https://www.dgps.de/index.php?id=48

Grawe, Klaus, 2000. Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe. 2., korrigierte Auflage. ISBN 978-3-8017-1369-0

Holzkamp, Klaus, 1985. Grundlegung der Psychologie. Frankfurt a.M.: Campus. ISBN 978-3-593-33572-8

Köckeritz, Christine, 2004. Entwicklungspsychologie für die Jugendhilfe: Eine Einführung in Entwicklungsprozesse, Risikofaktoren und Umsetzung in Praxisfeldern. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-1945-2

Lübeck, Dietrun, 2020. Psychologie in der Sozialen Arbeit. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3801-9 [Rezension bei socialnet]

Myers, David G., 2014. Psychologie. 3. Auflage. Berlin: Springer. ISBN 978-3-642-40781-9

Nolting, Hans-Peter und Peter Paulus, 2018. Psychologie lernen – eine Einführung und Anleitung. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz. ISBN 978-3-621-28626-8

Seligman, Martin und Mihaly Csikszentmihalyi, 2000. Positive psychology: An introduction. In: American psychologist. 55(1), 2000, S. 5–14. ISSN 0003-066X

Walach, Harald, 2013. Psychologie: Wissenschaftstheorie, philosophische Grundlagen und Geschichte: ein Lehrbuch. 3., überarb. und erw. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-022937-2 [Rezension bei socialnet]

7 Literaturhinweise

Bräutigam, Barbara, 2018. Grundkurs Psychologie für die Soziale Arbeit. München: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-8252-4947-2 [Rezension bei socialnet]

Dörfler, Tobias, Jeanette Roos und Richard J. Gerrig, Hrsg., 2018. Psychologie. 21. Auflage. Hallbergmoos: Pearson. ISBN 978-3-86894-323-8

Jürgens, Barbara, 2015. Psychologie für die Soziale Arbeit. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-1281-6 [Rezension bei socialnet]

Langfeldt, Hans-Peter und Werner Pfab, 2015. Psychologie: Grundlagen und Perspektiven für die Soziale Arbeit. 5. Auflage. München: Reinhardt. ISBN 978-3-8252-8625-5 [Rezension bei socialnet]

Wälte, Dieter, Michael Borg-Laufs und Burkhart Brückner, Hrsg., 2019. Psychologische Grundlagen der Sozialen Arbeit. 2. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-031643-0

8 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Dietrun Lübeck
Professur für Psychologie
Studiengangsleitung für den Masterstudiengang Beratung in der Sozialen Arbeit
Evangelische Hochschule Berlin
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Dietrun Lübeck.

Zitiervorschlag
Lübeck, Dietrun, 2021. Psychologie [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 01.06.2021 [Zugriff am: 04.10.2023]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/856

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