Qualifikationsrahmen
Prof. Dr. Reinhold Weiß
veröffentlicht am 12.06.2019
Ein Qualifikationsrahmen systematisiert die formalen Qualifikationen bzw. Bildungsabschlüsse eines Landes anhand von Deskriptoren und bringt sie in eine hierarchische Ordnung. Einbezogen sind im Prinzip alle Bildungsbereiche von der Allgemeinbildung über die Berufsausbildung und Hochschulbildung bis zur Weiterbildung.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Element der europäischen Bildungspolitik
- 3 Unterschiedliche Typen
- 4 Weltweite Umsetzung
- 5 Wirkungen
- 6 Quellenangaben
- 7 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
Ursprünglich im angelsächsischen Bereich entstanden, haben sich mittlerweile 140 Staaten weltweit einen Qualifikationsrahmen zur Strukturierung ihres Bildungswesens gegeben. Die EU hat diese Entwicklung aufgegriffen und einen europäischen Qualifikationsrahmen als Grundlage für einen besseren Vergleich der Bildungsabschlüsse entwickelt. Auf dieser Grundlage haben die Mitgliedsstaaten seither nationale Qualifikationsrahmen erstellt. In ihrer Strukturierung und Ausgestaltung unterscheiden sie sich aber zum Teil erheblich voneinander. Der Nachweis, dass es mit diesem Instrument gelungen ist, mehr Transparenz und Durchlässigkeit herzustellen, steht noch aus.
2 Element der europäischen Bildungspolitik
Im Jahr 2005 legte die EU-Kommission eine Arbeitsunterlage mit dem programmatischen Titel „Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen“ vor (Kommission 2005). Damit wurde ein neuer Versuch zur Verbesserung der Transparenz und Vergleichbarkeit der Bildungssysteme in den Mitgliedstaaten der EU unternommen. Andere Systematisierungsansätze hatten zuvor nicht zum gewünschten Erfolg geführt oder nicht die erforderliche Akzeptanz gefunden.
Zusammen mit den Mitgliedsstaaten wurde die Arbeitsunterlage zu einem Vorschlag für einen gemeinsamen Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) weiterentwickelt. Er wurde am 23. April 2008 in einer gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rats sowie der Kommission angenommen und als Empfehlung verabschiedet.
Im Glossar der Empfehlung wird ein (nationaler) Qualifikationsrahmen als „ein Instrument zur Klassifizierung von Qualifikationen anhand eines Bündels von Kriterien zur Bestimmung des jeweils erreichten Lernniveaus“ beschrieben (Empfehlung 2008, S. 4). Basis sind die erworbenen und nachgewiesenen Lernergebnisse. Ihnen werden in einem zweiten Schritt, und zwar in nationaler Verantwortung, die jeweiligen Qualifikationen bzw. Abschlüsse zugeordnet. Damit soll „die Integration und Koordination nationaler Qualifikationsteilsysteme“ erreicht und die Transparenz, der Zugang, der fortschreitende Aufbau und die Qualität von Qualifikationen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt und die Zivilgesellschaft verbessert werden.
Das Besondere an Qualifikationsrahmen besteht darin, dass mit Hilfe der nachgewiesenen Lernergebnisse oder festgestellten Kompetenzen sehr heterogene Bildungsgänge und Bildungsabschlüsse in eine systematische und hierarchische Ordnung mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus gebracht werden. Jedes Niveau kann dabei über unterschiedliche Bildungswege und Abschlüsse erreicht werden. Die Zuordnung eines Abschlusses zu einem Niveau dient der Transparenz und der Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen. Allerdings können daraus nicht automatisch Berechtigungen für eine Zulassung oder einen Übergang zu anderen Bildungsgängen abgeleitet werden. Ebenso wenig sagen die Einstufungen im Qualifikationsrahmen etwas über die Wertigkeit der Abschlüsse am Arbeitsmarkt und ihre tarifliche Einordnung aus.
3 Unterschiedliche Typen
Ausgehend vom Europäischen Qualifikationsrahmen, der als Metarahmen und Übersetzungsinstrument für die nationalen Qualifikationsrahmen dient, gibt es höchst unterschiedliche Gestaltungsformen je nach regionalem Geltungsbereich, der fachlichen Reichweite sowie der Rechtswirksamkeit. Höchst unterschiedlich ist auch die Anzahl der Niveaus, denen Bildungsabschlüsse zugeordnet werden. Die Spanne reicht von fünf bis zu zwölf verschiedenen Niveaustufen (Bohlinger 2013). Ebenfalls unterschiedlich sind die Deskriptoren und ihre Definitionen, die für die Einstufungen auf den Niveaustufen maßgebend sind.
Nach dem regionalen Geltungsbereich kann zwischen regionalen, nationalen und länderübergreifenden Qualifikationsrahmen unterschieden werden.
- Regionale Qualifikationsrahmen beschreiben die Bildungsstruktur einer regionalen Einheit. So gibt es im Vereinigten Königreich jeweils spezifische Qualifikationsrahmen für England, Schottland, Wales und Nordirland. Auch für Deutschland könnten aufgrund der Kulturhoheit der Länder unterschiedliche Qualifikationsrahmen für die 16 Bundesländer erstellt werden. Darauf haben die Kultusminister indessen wohlweislich verzichtet, denn man hätte sich dazu bekennen müssen, dass einzelne Abschlüsse sehr unterschiedliche Niveaus repräsentieren.
- Nationale Qualifikationsrahmen gelten jeweils für einen Staat. Alle Mitglieder der Europäischen Union haben sich dazu verpflichtet, einen derartigen Qualifikationsrahmen zu entwickeln und in Beziehung zum Europäischen Qualifikationsrahmen zu setzen. Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) wurde unter Beteiligung von Fachleuten aus Bund und Ländern, aus Wissenschaft, Kammern, Gewerkschaften und Verbänden sowie der Bildungspraxis entwickelt.
- Einen länderübergreifenden Qualifikationsrahmen stellt der Europäische Qualifikationsrahmen dar. Er bildet einen Metarahmen, der die verschiedenen nationalen Qualifikationsrahmen zueinander ins Verhältnis setzt. Auf diese Weise ermöglicht er eine Einordnung und Vergleichbarkeit der unterschiedlichen nationalen Qualifikationen und Abschlüsse. Derartige Metarahmen gibt es auch in anderen Regionen der Welt. So gehörten dem Caribbean Vocational Qualifications Framework (CVQ) 18 Länder in der Karibik an.
Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die fachliche Reichweite von Qualifikationsrahmen.
- Sektorale, bildungsbereichspezifische Qualifikationsrahmen beziehen sich nur auf einen ausgewählten Bildungsbereich. Ein Beispiel dafür ist der Qualifikationsrahmen für den europäischen Hochschulraum (EHEA) sowie der darauf fußende Qualifikationsrahmen für Deutsche Hochschulabschlüsse (HQR).
- Bildungsbereichsübergreifende Qualifikationsrahmen hingegen bilden ein Bildungssystem und seine formalen Abschlüsse in seiner Gesamtheit ab. Dies gilt für die meisten nationalen Qualifikationsrahmen, ebenso für den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR).
Nach der Rechtswirksamkeit kann zwischen orientierenden und regulierenden Qualifikationsrahmen unterscheiden werden:
- Orientierende Qualifikationsrahmen dienen ausschließlich der Verbesserung der Transparenz der Qualifikationen bzw. Bildungsabschlüsse. Sie haben deshalb auch keine Rechtswirkung. Weder werden individuelle Ansprüche begründet noch wird die bestehende Systematik des Bildungssystems berührt. Durch derartige Qualifikationsrahmen sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Qualifikationen besser sichtbar werden. Lernende sollen so in die Lage versetzt werden, bewusster aus den bestehenden Bildungsmöglichkeiten auszuwählen. Der Deutsche Qualifikationsrahmen ist ein Beispiel für einen orientierenden Qualifikationsrahmen (Arbeitskreis 2011). Er basiert lediglich auf einem gemeinsamen Beschluss der Kultusministerkonferenz, der Wirtschaftsministerkonferenz sowie der Bundesministerien für Bildung und Forschung sowie Wirtschaft und Technologie.
- Regulierende Qualifikationsrahmen haben die Funktion, Bildungsgänge und -abschlüsse sowie ihr Verhältnis zueinander systematisch zu beschreiben und letztlich auch rechtsverbindlich zu regeln. Die Zuordnung von Abschlüssen zu einzelnen Niveaus begründet somit Berechtigungen für Zu- und Übergänge im Bildungssystem. Derartige Qualifikationsrahmen gibt es beispielsweise in England, Wales und Nordirland.
4 Weltweite Umsetzung
Auf der Grundlage der EU-Empfehlungen haben alle Mitgliedsstaaten damit begonnen, nationale Qualifikationsrahmen zu entwickeln und sie in Beziehung zum Europäischen Qualifikationsrahmen zu setzen. Diese Arbeit ist noch keineswegs abgeschlossen. Auch müssen die einmal getroffenen Zuordnungen im Laufe der Jahre auf ihre Validität und Akzeptanz überprüft werden. Mit der Einführung eines Qualifikationsrahmens ist die Arbeit somit nicht beendet. Sie bedarf vielmehr einer ständigen Evaluation und Weiterentwicklung. Das ist eine Aufgabe der Kommission sowie der Regierungen der Mitgliedsstaaten. Sie haben dazu entsprechende Gremien eingerichtet, die diesen Prozess begleiten und unterstützen.
Qualifikationsrahmen gibt es nicht nur in den Mitgliedstaaten der EU, sondern in vielen anderen Staaten. Darunter befinden sich entwickelte Industrieländer wie Australien und Neuseeland, Schwellenländer wie Südafrika sowie zahlreiche Entwicklungsländer. Insgesamt haben 140 Staaten ihr Bildungswesen im Laufe der Zeit durch einen Qualifikationsrahmen strukturiert (Bohlinger 2013).
Eine zunehmende Zahl von Ländern außerhalb der EU orientiert sich mit ihren nationalen Qualifikationsrahmen am EQR. Maßgebend ist dabei sowohl das Ziel, auf diesem Wege attraktiver für ausländische Investoren zu werden und eine künftige Mitgliedschaft zu flankieren. Vor allem aber sollen den einheimischen Absolventen des Bildungswesens auf diesem Wege leichtere Zugänge zu europäischen Bildungseinrichtungen und Arbeitsmärkten ermöglicht werden.
5 Wirkungen
Die Einführung von Qualifikationsrahmen ist Ausdruck bildungspolitischer Reformen. Über die Verbesserung von Transparenz und Durchlässigkeit hinaus geht es um eine Leistungssteigerung und Qualitätssicherung, eine bessere Verbindung von Bildung und Arbeitsmarkt sowie eine Aufwertung des non-formalen und informellen Lernens. Ob die intendierten Wirkungen erreicht worden sind, ist in vielen Fällen offen. Zum Teil ist die Einführung noch gar nicht abgeschlossen, sodass verlässliche Einschätzungen schwer möglich sind. In den Ländern, in denen Qualifikationsrahmen schon seit längerem bestehen, fehlt es regelmäßig an einer transparenten und wissenschaftlich fundierten Evaluierung der Entwicklung und Implementation. Schließlich sind die nationalen Qualifikationsrahmen so unterschiedlich und in ständiger Weiterentwicklung, dass es schwerfällt, allgemeine Urteile abzugeben.
Generell kann jedoch gesagt werden, dass sich die zum Teil hohen Erwartungen in zahlreichen Ländern nicht erfüllt haben. Das liegt zum Teil an einer Überbewertung des Instruments, aber auch an Mängeln und Fehlern in der Umsetzung. Allerdings war oftmals allein die Diskussion über die Ziele eines Qualifikationsrahmens, insbesondere die Lernergebnisorientierung, sowie die Wertigkeit der einzelnen Qualifikationen von Bedeutung und hat wichtige Impulse für die Bildungspolitik zur Folge gehabt. Die Erfahrungen weisen außerdem auf wichtige Erfolgsfaktoren hin. Dazu zählen eine wissenschaftliche Fundierung der Deskriptoren wie der Zuordnungen, die Beteiligung der relevanten Akteure an der Entwicklung und Implementation des Qualifikationsrahmens sowie eine Verbindung der Qualifikationsrahmen mit Qualitätssicherungssystemen. Wichtig ist schließlich auch ein langer Atem sowohl bei der Konsensfindung zwischen den Verantwortlichen als auch der Umsetzung und Weiterentwicklung der Qualifikationsrahmen.
6 Quellenangaben
Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR), Hrsg., 2011. Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen [online]. Verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR) am 22. März 2011. [Zugriff am: 27.04.2019]. Verfügbar unter: https://www.dqr.de/media/content/Der_Deutsche_Qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_Lernen.pdf
Bohlinger, Sandra, 2013. Eine Landkarte der Qualifikationsrahmen und eine kurze Geschichte ihrer globalen Entwicklung. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP). 42(2), S. 38–41. ISSN 0341-4515. Verfügbar unter: https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/download/7043
Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (Text von Bedeutung für den EWR). In: Amtsblatt der Europäischen Union 6.5.2008 (2008/C 111/01). [Zugriff am: 26.04.2019]. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/ploteus/sites/eac-eqf/files/journal_de.pdf
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2005. Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen [online]. Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen. Brüssel, 8.7.2005, SEK (2005)957. [Zugriff am: 27.04.2019]. Verfügbar unter: http://www.cedefop.europa.eu/files/606-att1-1-EQF-_DE-_final_version_-PDF.pdf
7 Literaturhinweise
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, KMK – Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, [ohne Jahr]. Der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen [online]. Internetseite zum Deutschen Qualifikationsrahmen. [Zugriff am: 26.4.2019]. Verfügbar unter: https://www.dqr.de
Büchter, Karin, Peter Dehnbostel und Georg Hanf, Hrsg., 2012. Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR): Ein Konzept zur Erhöhung von Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem? Bielefeld: Bertelsmann. Berichte zur beruflichen Bildung. ISBN 978-3-7639-1155-4
Europäische Kommission. GD Bildung und Kultur, 2008. Der europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen [online]. [Zugriff am: 30.4.2019]. Verfügbar unter: http://ec.europa.eu/ploteus/sites/eac-eqf/files/brochexp_de.pdf
Gemeinsamer Beschluss der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Wirtschaftsministerkonferenz und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zum Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR). [Zugriff am: 30.4.2019]. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/files/Gemeinsamer_Beschluss_final_ohne_Unterschriften.pdf
Verfasst von
Prof. Dr. Reinhold Weiß
ehemaliger Vize-Präsident und Forschungsdirektor im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
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