Rechtliche Betreuung
Prof. Dr. Annegret Lorenz
veröffentlicht am 29.11.2022
Ein rechtlicher Betreuer wird durch das Betreuungsgericht bestellt, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Tätigkeit des Betreuers – die Führung der rechtlichen Betreuung – ist auf die rechtliche Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten begrenzt.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Begriff „Rechtliche Betreuung“
- 3 Das Spannungsfeld zwischen rechtlicher Betreuung und tatsächlicher Hilfe
- 4 Aufgaben der Rechtsfürsorge
- 5 Nicht vom Betreuer zu erbringende tatsächliche Hilfen
- 6 Tatsächliche Maßnahmen im Rahmen der rechtlichen Betreuung …
- 7 Quellenangaben
- 8 Literaturhinweise
- 9 Informationen im Internet
1 Zusammenfassung
Unter der Überschrift „Rechtliche Betreuung“ regelt das BGB in den §§ 1814–1881 BGB (bis 31.12.2022: §§ 1896–1908i BGB) die Bestellung eines Betreuers, die Führung einer Betreuung durch den Betreuer sowie deren Aufhebung. Das Rechtsinstitut der rechtlichen Betreuung (BGBl. I 1992, S. 2002) löste 1992 die Entmündigung Volljähriger ab (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB Vor §§ 1896 ff. Rn. 1).
Mit dem Begriff der rechtlichen Betreuung soll der Tätigkeitsumfang des Betreuers innerhalb seines Aufgabenkreises auf die rechtliche Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten begrenzt werden und tatsächliche Hilfen ausgeschlossen sein. Nachdem die Betreuung allerdings als persönliche Betreuung konzipiert ist, gehören unabdingbar auch tatsächliche Handlungen zum Betreuerauftrag: die Unterstützung des Betreuten bei seinem eigenständigen Handeln, Maßnahmen zur Ermittlung der Wünsche des Betreuten und vertrauensbildende Maßnahmen.
Der in sich nicht ganz widerspruchsfreie Auftrag der „Rechtsbesorgung in Form persönlicher Betreuung“ (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3) macht die Tätigkeit des Betreuers zu einer Gratwanderung zwischen rechtlichem und tatsächlichem Handeln. Denn die theoretisch mögliche Abgrenzung zwischen Organisation der Hilfen (Gegenstand der Rechtsbetreuung) und tatsächlicher Hilfeerbringung lässt sich in der Praxis nicht sicher ziehen. Die Tätigkeit des Betreuers bewegt sich dadurch zum Teil in einer rechtlichen Grauzone.
2 Begriff „Rechtliche Betreuung“
Rechtliche Betreuung im Sinne des Betreuungsrechts ist das Handeln des Betreuers zur Erledigung rechtlicher Angelegenheiten des Betreuten (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1901 Rn. 2).
Der Begriff „Betreuung“ ist in Abgrenzung zur vor Inkrafttreten des Betreuungsrechts 1992 geltenden Vormundschaft für Erwachsene gewählt worden. Er sollte den mit dieser Reform intendierten Perspektivenwechsel betonen: weg von der mit der Einrichtung einer Vormundschaft verbundenen Entmündigung in allen Bereichen – hin zu einer unterstützenden gesetzlichen Vertretung in einzelnen, genau vorher festgelegten Aufgabenkreisen (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB Vor §§ 1896 Rn. 3, 11).
Der Zusatz „rechtliche“ Betreuung (vgl. etwa § 1821 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1901 Abs. 1 BGB]) wurde durch das 1. Betreuungsrechtsänderungsgesetz (BGBl. I 1998, S. 1580) eingefügt. Er dient der Klarstellung des Tätigkeitsauftrags des Betreuers (Müller-Engels 2022, BGB § 1901 Rn. 2). Dieser ist grundsätzlich als Rechtsfürsorge konzipiert, nicht als Betreuung im Sinne tatsächlicher Erbringung der notwendigen Hilfe (BT-Drs. 13/7158, S. 15 f., 33). Anlass zu Unklarheiten über den Auftrag gab die mehrfache Verwendung des Betreuungsbegriffs auch außerhalb des Betreuungsrechts – dort allerdings im Sinne der tatsächlichen Pflege und Unterstützung (vgl. § 1 Abs. 1 HeimG, § 4 Abs. 2 SGB IX; zur Kritik an dem Begriff Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB Vor §§ 1896 ff. Rn. 11). Letzteres – das wollte der Gesetzgeber verdeutlichen – solle nicht zum Auftrag des Betreuers gehören (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3).
3 Das Spannungsfeld zwischen rechtlicher Betreuung und tatsächlicher Hilfe
Die Differenzierung zwischen tatsächlichen Hilfen – die nicht Gegenstand des Betreuerhandelns sein sollen, sondern Gegenstand anderer Hilfen (§ 1814 Abs. 3 Nr. 2 BGB [bis 31.12.2022: § 1896 Abs. 2 BGB]) – und Maßnahmen der Rechtsfürsorge ist zentral für die Tätigkeit des Betreuers und bestimmt nicht zuletzt seinen Vergütungsanspruch.
Zur Abgrenzung wird üblicherweise auf folgende Formel zurückgegriffen: Als Rechtsbetreuung besteht die Aufgabe des Betreuers vor allem in der Organisation der notwendigen Hilfemaßnahmen für den Betreuten (Schneider 2020, § 1901 Rn. 6). Der Betreuer soll hingegen nicht für die umfassende Versorgung des Betreuten zuständig sein (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3). Aufgaben, für die eigentlich staatliche oder kommunale Stellen zuständig sind, fallen daher grundsätzlich nicht in seinen Tätigkeitsbereich.
Die theoretisch mögliche Differenzierung von rechtlicher Betreuung und tatsächlicher Hilfe erlaubt in der Praxis allerdings nicht immer eine trennscharfe Abgrenzung des Tätigkeitsumfangs des Betreuers.
Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass die rechtliche Betreuung grundsätzlich als persönliche Betreuung konzipiert ist (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1897 Rn. 1). So formuliert der bis zum 31.12.2022 geltende § 1897 Abs. 1 BGB noch ausdrücklich: „Zum Betreuer bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, […] die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umgang persönlich zu betreuen“. Das Prinzip der persönlichen Betreuung ist zentral für das Betreuungsrecht und darf nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht durch ein „falsches“ Verständnis der rechtlichen Betreuung gefährdet werden (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 8).
Auch wenn sich der Auftrag zur persönlichen Betreuung durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (BGBl. I 2021, S. 882) nicht mehr ausdrücklich im Gesetz wiederfindet, so ist damit keine Abkehr von dem Prinzip der persönlichen Betreuung verbunden. Vielmehr sollen auch nach der Reform des Betreuungsrechts sämtliche Tätigkeiten im Auftrag des Betreuers enthalten sein, die erforderlich sind, um im Vorfeld einer Entscheidung die Wünsche des Betreuten festzustellen (BT-Dr. 19/24445, S. 249). Insoweit hält der Gesetzgeber ausdrücklich an seiner ursprünglichen Haltung fest: Die Rechtsfürsorge darf sich nicht in einer verwaltenden Tätigkeit erschöpfen (BT-Dr. 19/24445, S. 249).
Besteht der nicht ganz widerspruchsfreie Auftrag des Betreuers mithin in der „rechtlichen Besorgung der Angelegenheiten des Betreuten in Form der persönlichen Betreuung“ (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3), so sind damit zwingend verschiedene faktische Maßnahmen inbegriffen (Lorenz 2022, S. Rn. 666). Was im Einzelnen dazu gehört, ist allerdings nicht immer eindeutig. Der Gesetzgeber hat sich insoweit grundsätzlich dafür ausgesprochen, einen großzügigen Maßstab anzulegen und bei der Prüfung der Erforderlichkeit von faktischen Maßnahmen zur Rechtsfürsorge insbesondere auf das Postulat persönlicher Betreuung Bedacht zu nehmen (BT-Dr. 13/7158, 33). Die diesbezügliche Rechtsprechung ist häufig einzelfallbezogen und nicht ohne weiteres verallgemeinerungsfähig (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3). Fröschle spricht sogar von einem „fortwährenden Kampf zwischen Betreuern und Heimen, Ärzten, Banken, ambulanten Pflegediensten und Angehörigen darum, welche Besorgung welcher Angelegenheit als ‚rechtlich‘ dem Betreuer obliegt und welche nicht“ (Fröschle 2018, S. 111).
Betreuerhandeln ist dadurch häufig von einer Gratwanderung zwischen rechtlicher Betreuung und tatsächlicher Hilfeleistung gekennzeichnet (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1901 Rn. 3, sprechen von einem Spannungsverhältnis).
4 Aufgaben der Rechtsfürsorge
Grundsätzlich gehören alle Tätigkeiten des Betreuers zu seinem Auftrag, die im Rahmen seines Aufgabenfeldes rechtliches Handeln erfordern. Dazu gehört insbesondere die Vertretung des Betreuten im Rahmen seines Aufgabenkreises (§ 1823 BGB [bis 31.12.2022: § 1902 BGB]). Vor allem die Beauftragung von Dienstleistern und Sozialleistungen für den Betreuten ist davon gedeckt. Bei der Beantragung von Sozialleistungen allerdings ist zu differenzieren: Ist ein Antrag für die Sozialleistung nicht erforderlich (etwa, weil sie antragsfrei sind, so etwa die Sozialhilfe), so ist ein Antrag des Betreuers nicht erforderlich. Es bedarf lediglich eines Hinweises an die Behörde, im Übrigen ist die Behörde selbst in der Pflicht (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 7).
Folgende weitere Felder hat die Rechtsprechung grundsätzlich dem Auftrag der Rechtsbetreuung zugeordnet:
- Geltendmachung von Ansprüchen des Betreuten: Das betrifft etwa Bereicherungsansprüche gegenüber Dritten (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3) oder den Herausgabenanspruch der im Eigentum des Betreuten stehenden Wohnung gegen den nichtehelichen Lebensgefährten (BGH, Urteil v. 30. 4. 2008, XII ZR 110/06, NJW [Neue Juristische Wochenschrift] 2008, 61 [32], S. 2333).
- Steuerangelegenheiten: Dazu zählt insbesondere die Abgabe einer Einkommensteuererklärung für den Betreuten (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3).
- Versicherungsschutz: Zu den unzweifelhaft vom Betreuerauftrag umfassten Maßnahmen gehört die Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes des Betreuten (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 17. 12. 2012, 4 U 2022/12, NJW-RR [Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs Report] 2013, 28 [14], S. 836).
- Sozialleistungen: Die Wahrnehmung der Mitteilungspflichten des Betreuten gem. §§ 60 ff. SGB I, etwa durch Mitteilung an den Sozialleistungsträger über die Überschreitung des Vermögensfreibetrags ist Aufgabe des Betreuers (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 4).
- Strafverfahren: Was das Engagement des Betreuers im Rahmen eines Strafverfahrens des Betreuten mit Bezug auf den Aufgabenkreis des Betreuers angeht, so ist zu differenzieren: Telefonische und schriftliche Kontakte mit Angehörigen, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts, Verteidigern und Gutachtern sind von seinem Auftrag umfasst, die Teilnahme an der Strafverhandlung hingegen nicht generell (BayObLG [Bayerisches Oberstes Landesgericht], Beschluss v. 16.12.1998, 3Z BR 241/98, BeckRS [Beck Rechtsprechung] 1998, 30921532), sondern allenfalls dann, wenn das Verfahren selbst einen unmittelbaren Bezug zum Aufgabenbereich des Betreuers aufweist. Der Zusammenhang kann darin bestehen, dass der Betreute wegen Vermögensdelikten angeklagt ist (LG Köln, Beschluss v. 15.10.1998, 2 T 590/98, LSK [Leitsatzkartei] 1999, 010931) oder das Strafgericht die Begleitung des Betreuten angeordnet hat (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3). Hingegen ist die Vertretung des Betreuten im Strafverfahren grundsätzlich nicht Aufgabe des Betreuers (BGH, Beschluss. v. 25.9.2012, 4 StR 354/12, BeckRS 2012, 21709).
- Asylverfahren: Im Verfahren über die Flüchtlingsanerkennung des Betreuten treffen den Betreuer umfangreiche Mitteilungspflichten gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In diesem Rahmen hat er das Amt etwa über die Einrichtung einer Betreuung, etwaige Wohnungswechsel und den Aufenthalt des Schutzsuchenden zu informieren (VG Aachen, Beschluss. v. 30.3.2017, 2 L 174/17, BeckRS 2017, 107235).
5 Nicht vom Betreuer zu erbringende tatsächliche Hilfen
Soziale oder tatsächliche Hilfen sollen grundsätzlich nicht Gegenstand des Betreuerhandelns sein (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3). Die Rechtsprechung hat etwa die folgenden Bereiche konkretisiert:
- Leistungen, insbesondere Sozialleistungen, die sich an Dritte delegieren lassen, sind vorrangig vor dem Betreuer in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem, wenn für die Tätigkeit eine Vergütung durch andere Kostenträger – etwa die Sozialhilfe – geregelt ist (BGH, Urteil v. 02.12.2010, III ZR 19/10, BeckRS 2010, 30541). Ein konkreter Anwendungsfall ist etwa die faktische Führung der Betreuung durch das Heimpersonal oder auch die Verwaltung der Barbeträge durch das Heim (BGH, Urteil v. 02.12.2010, III ZR 19/10, BeckRS 2010, 30541).
- Tatsächliche Hilfen: Der Betreuer hat die Aufgabe, die Hilfen zu organisieren. Nicht seine Aufgabe ist hingegen die Haushaltsführung, die Erbringung von Reinigungsdiensten (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 6), die Durchführung einer psycho-sozialen Therapie (BayObLG, Beschluss v. 17. 2. 1998, 3Z BR 333/97, BayObLGZ [Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen] 1998, 48 [48] S. 44) oder eine ärztliche Versorgung (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 6). Gleiches gilt für die persönliche Betreuung oder Pflege des Betreuten (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1901 Rn. 2).
- Freizeitaktivitäten: Aktivitäten der Freizeitgestaltung, Spaziergänge mit der betreuten Person oder gemeinsame Fahrradtouren zur Bank sind damit selbstredend nicht im Auftrag des Betreuers enthalten (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1901 Rn. 2).
- Alltagshandlungen: Gleiches gilt für die Begleitung des Betreuten bei Einkäufen (BayOblG, Beschluss v. 29. 7. 1998, 3Z BR 102/98, NJWE-FER [NJW Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht] 1999 4 [1], S. 9).
- Maßnahmen der elterlichen Sorge: Eine Vertretung des Betreuten im Bereich seiner Sorge gehört grundsätzlich nicht zu den Aufgaben des Betreuers. Er kann den Betreuten daher weder bei Elternabenden (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1901 Rn. 4), noch bei Terminen beim Jugendamt vertreten, bei denen es um die Wahrnehmung der elterlichen Sorge geht (LG Rostock, Beschluss v. 2. 4. 2003, 2 T 71/02, NJW-RR 2003, 1370, zu Elterngesprächen über die Erziehungsfähigkeit und den Umgang).
6 Tatsächliche Maßnahmen im Rahmen der rechtlichen Betreuung …
Tatsächliche Maßnahmen können hingegen dann Gegenstand der rechtlichen Besorgung sein, wenn sie sich als vor- oder nachbereitende Tätigkeit der Rechtsfürsorge darstellen (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 6).
6.1 … aus dem Grundsatz der Subsidiarität
Das Handeln des Betreuers ist grundsätzlich auf die erforderlichen Tätigkeiten beschränkt (§ 1821 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1902 Abs. 1 BGB]). Was an Handlungen erforderlich ist, bestimmt sich insoweit nicht zuletzt aus dem Zweck seiner Bestellung: Den weitestgehenden Erhalt der Handlungsfähigkeit des Betreuten (Loer 2019, Vorbemerkungen zu §§ 1896-1908i Rn. 3).
Dementsprechend hat der Betreuer den Betreuten vorrangig dabei zu unterstützen, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Ist der Betreute geschäftsfähig, so hat der Betreuer ihm vorrangig bei der eigenständigen Abgabe der erforderlichen Willenserklärungen zu helfen, bevor er von seinem Vertretungsrecht Gebrauch macht („Assistenz vor Vertretung“; Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 7). Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (BGBl. I 2021, S. 882) nennt diesen Auftrag explizit (§ 1821 Abs. 1 S. 2 BGB).
Im Gesundheitsbereich zählt zum Auftrag des Betreuers nicht nur der Hinweis auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung, sondern auch die Unterstützung des Betreuten bei der Erstellung einer solchen (§ 1827 Abs. 4 BGB [bis 31.12.2022: § 1901a Abs. 4 BGB]).
6.2 … aus dem Grundsatz der Autonomie
Ein weiteres Grundanliegen des Betreuungsrechts ist die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten (Heitmann und Füchtenkord 2021, BGB § 1897 Rn. 6).
Auch diesen Auftrag hat das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (BGBl. I 2021, S. 882) weiter geschärft (§ 1821 Abs. 1 S. 2 BGB). Soweit der Betreuer tätig wird, verpflichtet § 1821 Abs. 2 BGB ihn deutlich verbindlicher auf die Berücksichtigung der Wünsche des Betroffenen als die Vorgängernorm § 1901 Abs. 3 BGB, die noch eine Abwägung der Wünsche mit dem (wohlverstandenen) Wohl des Betreuten erlaubte: Auftrag des Betreuers ist es, die Angelegenheiten so zu besorgen, dass der Betreute sein Leben nach Möglichkeit nach seinen Wünschen gestalten kann (§ 1821 Abs. 2 S. 1 BGB). Diese Wünsche des Betreuten festzustellen, ist mithin explizit Aufgabe des Betreuers (§ 1821 Abs. 2 S. 2 BGB [bis 31.12.2022: § 1901 Abs. 3 S. 3 BGB]; für ärztliche Maßnahmen: § 1827 BGB [bis 31.12.2022: § 1901a BGB]).
Zu diesem Zweck ist der Betreuer verpflichtet, den erforderlichen persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten, sich regelmäßig einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen und dessen Angelegenheiten mit ihm zu besprechen (§ 1821 Abs. 5 BGB).
Um die Wünsche des Betreuten zu erfahren, darf der Betreuer auch sonstige Informationen von Dritten einholen (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 7). Dies schließt telefonische und schriftliche Kontakte zu Angehörigen, Pflegekräften oder sonstigen Dritten in seinen Auftrag ein (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 5).
6.3 … als Ausfluss des Grundsatzes der persönlichen Betreuung: Maßnahmen zum Vertrauensaufbau
Die Ermittlung von Willen und Wünschen des Betreuten wird dem Betreuer vielfach nur auf der Grundlage eines Vertrauensverhältnisses zum Betreuten gelingen (BT-Dr. 13/7158, S. 33). Der dafür unverzichtbare Aufbau eines persönlichen Verhältnisses zwischen Betreuer und Betreutem zählt dementsprechend zum Kernbestand der Betreuung (Schneider 2020, BGB Vor § 1896 Rn. 5). Maßnahmen, die zum Vertrauensaufbau erforderlich sind oder sich sogar als Ausdruck des besonderen Vertrauensverhältnisses darstellen, können daher vom Auftrag des Betreuers erfasst sein. Allerdings müssen sie sich als erforderlich und verhältnismäßig darstellen.
Der dahingehende Spielraum des Betreuers wird etwa überschritten, wenn die vertrauensbildenden Maßnahmen außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 8) oder jeglicher Bezug zur Rechtsfürsorge fehlt (OLG Zweibrücken, Beschluss v. 22. 10. 1999, 3 W 214/99, NJWE-FER 2000, 5 [2], S. 33). Ein umfassendes Sich-Kümmern etwa würde diesen Spielraum überschreiten (BT-Dr. 19/24445, S. 249), ebenso Tätigkeiten rein karitativer Art ohne Bezug zum rechtlichen Handeln (OLG Zweibrücken, Beschluss v. 22. 10. 1999, 3 W 214/99, NJWE-FER 2000, 5 [2], S. 33).
6.3.1 Vom Betreuungsauftrag erfasste faktische Maßnahmen
In folgenden – durchweg besonders gelagerten – Fällen, wurden faktische Maßnahmen als Betreuertätigkeit akzeptiert:
- Begleitung zu Arztterminen: Ist der Besuch eines Arztes oder Optikers nur dann möglich, wenn der Betreuer aufgrund des Vertrauensverhältnisses den Betreuten begleitet, dann ist es denkbar, dass die Begleitung Betreuertätigkeit darstellt (BayObLG, Urteil v. 9.10.2002, 3 Z BR 146/02, NJOZ [Neue Juristische Online-Zeitschrift] 2003, 13 [12], S. 634, 636). Anderes gälte, wenn der Betreute in der Vergangenheit anstandslos die Termine mit anderen Personen (etwa mit vom Heim organisiertem Begleitpersonal) wahrgenommen hat. Die Begleitung des Betroffenen zum Arzt kann auch dann zum Auftrag des Betreuers gehören, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass er sonst seine Aufgabe, für die Gesundheit des Betroffenen zu sorgen, nicht ordnungsgemäß erfüllen kann (BayObLG, Beschluss v. 29. 7. 1998, 3Z BR 102/98, NJWE-FER 1999 4 [1], S. 9). Das ist denkbar, wenn der Betroffene besondere Angst vor dem Arzttermin hat, der Arzt selbst die Präsenz des Betreuers wünscht oder ein Gespräch mit dem Arzt erforderlich ist (BayObLG, Beschluss v. 29. 7. 1998, 3Z BR 102/98, NJWE-FER 1999 4 [1], S. 9).
- Teilnahme an Festen: Die Teilnahme am Geburtstag des Betroffenen oder zu Weihnachten bzw. ähnlichen Festen ist denkbar, wenn der Betroffene – etwa aufgrund einer Depression und des Fehlens von Kontakten zu Angehörigen oder Bekannten – eine persönliche Zuwendung benötigt oder wünscht (LG Koblenz, Beschluss v. 24.07.1997 - 2 T 284/97, NJWE-FER 1998, 3 [1], S. 10). Insoweit muss der Betreuer dem Betreuten nicht irgendeine Gesellschaft organisieren.
- Umzugshilfe: Faktische Hilfen beim Umzug (Einpacken für den Umzug und Durchführung des Umzugs) durch den Betreuer für einen psychisch erkrankten Betreuten können eine zulässige Tätigkeit des Betreuers sein (OLG Zweibrücken, Beschluss v. 22. 10. 1999, 3 W 214/99, NJWE-FER 2000, 5 [2], S. 33). Der Sachverhalt war vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene ohne Hilfe nicht in der Lage war, den Wohnungswechsel zu bewerkstelligen und die Betreuung erst seit sehr kurzer Zeit bestand, sodass der faktischen Hilfe zugleich eine sehr wichtige vertrauensbildende Funktion zukam.
6.3.2 Vom Betreuungsauftrag nicht erfasste Maßnahmen
Abgelehnt hingegen wurde ein ausreichender Zusammenhang zur Rechtsbetreuung in folgenden Fällen:
- Strafverfahren: Die Teilnahme an der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens gegen den Betreuten soweit kein unmittelbarer Bezug der Tat zum Aufgabenkreis des Betreuers bestand (BayObLG, Beschluss v. 16.12.1998, 3Z BR 241/98, BeckRS 1998, 30921532).
- Begleitung: Die Begleitung zur Besichtigung eines Seniorenheims im Vorfeld durch den Betreuer (LG Potsdam, Urteil v. 17.04.1998, 5 T 625/97, BtPrax [Betreuungsrechtliche Praxis] 1999, 8 [4], S. 18, kritisch dazu Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 7). Gespräche im Vorfeld zu dieser Umstellung könnten jedoch noch vom Auftrag des Betreuers erfasst sein (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 7).
6.4 Notzuständigkeit
Daneben soll der Betreuer befugt sein, tatsächliche Handlungen vorzunehmen, wenn es nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist, die faktische Hilfe innerhalb des gebotenen Zeitraums zu organisieren (BT-Dr. 13/10331, 26). So kann es sein, dass die erforderlichen ambulanten Hilfsdienste gar nicht existieren oder aber der Zeitaufwand für ihre Organisation deutlich höher wäre, als wenn der Betreuer die Maßnahme selbst vornimmt (Loer 2019, BGB § 1901 Rn. 3). In diesem Rahmen soll der Betreuer etwa einen verwirrt umherlaufenden Betreuten in das Heim zurückbringen dürfen (Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 9).
6.5 Maßnahmen zur Erfüllung gesetzlicher Dokumentationspflichten
Zuletzt gehören diejenigen tatsächlichen Handlungen, die das Gesetz dem Betreuer zur Dokumentation seiner Tätigkeit auferlegt, zu seinem Auftrag. Dazu zählt etwa die Erstellung der erforderlichen Berichte (§ 1863 BGB [bis 31.12.2022: §§ 1908i Abs. 1 BGB iV mit § 1840 BGB]) und Informationen an das Betreuungsgericht (§ 1864 BGB [bis 31.12.2022: § 1908i Abs. 1 BGB iV mit § 1839 BGB]).
Ob die Anlage von Akten dazugehört (so Schneider 2020, BGB § 1901 Rn. 7), ist hingegen unklar. Das Fertigen von Vermerken jedenfalls, etwa über den Gesprächsinhalt mit dem Betreuten, hat die Rechtsprechung nicht als Tätigkeit für den Betreuten angesehen (LG Koblenz, Beschluss v. 24.07.1997 - 2 T 284/97, NJWE-FER 1998, 3 [1], S. 10, 11).
7 Quellenangaben
Fröschle, Tobias, 2018. Qualitätsanforderungen an die Betreuung. In: ZRP (Zeitschrift für Rechtspolitik). 51(4), S. 110–114. ISSN 0514-6496
Heitmann, Ernst und Niklas Füchtenkord, 2021, BGB Vor §§ 1896 ff., § 1897, § 1901. In: Barbara Dauner-Lieb, Thomas Heidel und Gerhard Ring, Hrsg. NomosKommentar BGB Familienrecht Band 4: §§ 1297–1921. 4. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-4990-4 [Rezension bei socialnet]
Loer, Annette, 2019, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 1896-1908i, § 1901. In: Andreas Jürgens, Hrsg. Betreuungsrecht. 6. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-73859-3 [Rezension bei socialnet]
Lorenz, Annegret, 2022. Zivil- und familienrechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit. 4. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-8692-3
Müller-Engels, Gabriele, 2022. BGB § 1901. In: Wolfgang Hau und Roman Poseck, Hrsg. Beck’scher Online-Kommentar BGB [online]. 60. Edition. München: C.H.Beck [Zugriff am: 02.03.2022]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2fkomm%2fBeckOKBGB_62%2fBGB%2fcont%2fBECKOKBGB%2eBGB%2eP1901%2eglII%2ehtm
Schneider, Angie, 2020. BGB Vor §§ 1896, § 1901. In: Franz Jürgen Säcker, Roland Rixecker, Hartmut Oetker und Bettina Limperg, Hrsg. Münchener Kommentar zum BGB. Band 10 Familienrecht II. §§ 1589–1921 – SGB VIII. 8. Auflage, München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-72610-1
8 Literaturhinweise
Andreas Jurgeleit, Hrsg., 2018. Betreuungsrecht: Handkommentar. 4. Auflage, Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-4165-6 [Rezension bei socialnet]
9 Informationen im Internet
- Betreuungsgerichtstag, Online-Lexikon Betreuungsrecht
- Bundesverband der Berufsbetreuer/​innen
- Institut für Betreuungsrecht
Verfasst von
Prof. Dr. Annegret Lorenz
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien-, Betreuungs- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein
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Zitiervorschlag
Lorenz, Annegret,
2022.
Rechtliche Betreuung [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 29.11.2022 [Zugriff am: 16.03.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/27877
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