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Salutogenese

Jan-Hendrik Ortloff

veröffentlicht am 07.04.2025

Gegenteil: Pathogenese

Etymologie: lat. salus Gesundheit; gr. genesis Geburt, Entstehung

Englisch: salutogenesis

Die Salutogenese ist ein Gesundheitsmodell mit einer ganzheitlichen Perspektive, bei dem physische, psychische sowie soziale Faktoren und Prozesse berücksichtigt werden, die zur Entstehung von Gesundheit beitragen. Kohärenz und Widerstandsressourcen sind zentrale Elemente im Konzept der Salutogenese.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Begriffsdefinition
  3. 3 Weiterentwicklung des Salutogenese-Modells
  4. 4 Unterschied zwischen Pathogenese und Salutogenese
  5. 5 Risikofaktoren, Schutzfaktoren und generalisierte Widerstandsressourcen
  6. 6 Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
  7. 7 Salutogenese und die bio-psycho-soziale Perspektive auf Gesundheit
  8. 8 Salutogenese, ICD und ICF
  9. 9 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Das Modell der Salutogenese wurde von Aaron Antonovsky (1923–1994) als komplementäre Sichtweise zur Pathogenese entwickelt. Basierend auf dem Kohärenzgefühl zählt es zu den bedeutendsten Konzepten in den Gesundheitswissenschaften, da es die Entstehung von Gesundheit und Resilienz erklärt. Gesundheit entsteht im Sinne der Salutogenese als Ergebnis einer dynamischen Wechselwirkung zwischen belastenden Risikofaktoren (Stressoren) und entlastenden Schutzfaktoren (bzw. generalisierten Widerstandressourcen), die zur Vorbeugung oder Bewältigung von Stressoren beitragen. Dabei erfolgt anhand von situationsspezifischen Risiko- und Schutzfaktoren eine Bewertung der eigenen Position innerhalb eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuums, die neben dem objektiven Befund zur Bewertung der Krankheit (im Sinne einer bio-medizinischen Perspektive) auch das subjektive Wohlbefinden, individuelle Komponenten und Kontextfaktoren (im Sinne einer bio-psycho-sozialen Perspektive) berücksichtigt.

2 Begriffsdefinition

Der Begriff Salutogenese wurde als Gegenentwurf zur Pathogenese entwickelt, um die bio-medizinische Sichtweise auf die Entstehung von Krankheiten durch eine bio-psycho-soziale Perspektive zu ergänzen. Während sich pathogenetische Ansätze hauptsächlich mit der Entstehung von Krankheiten befassen, konzentriert sich die Salutogenese auf Prozesse und Faktoren, welche die Gesundheit fördern oder erhalten (Antonovsky 1997). Das Modell der Salutogenese lässt sich anhand von vier Bausteinen und deren Wechselwirkungen beschreiben.

  1. Die Salutogenese betrachtet Gesundheit nicht als das Gegenteil von Krankheit, sondern als ein Kontinuum, bei dem der wahrgenommene Zustand zwischen Gesundheit und Krankheit liegt. Die Endpunkte dieses Kontinuums werden als Health-ease und Dis-ease bezeichnet, weshalb es in der Literatur auch als HEDE-Kontinuum zu finden ist.
  2. Stress und deren auslösende Faktoren (Stressoren) werden als einer der wichtigsten und nachweisbaren Einflussfaktoren auf Gesundheit und Krankheit angesehen, denen durch Stressbewältigung (Coping) begegnet werden kann.
  3. Ein entscheidendes Merkmal zur Bewältigung von Stressoren sind generalisierte Widerstandsressourcen (Generalized Resistance Resources).
  4. Wenn Menschen durch eine Vielzahl von Widerstandsressourcen positive Lebenserfahrungen sammeln, entwickeln sie eine Lebensorientierung, die als Kohärenzgefühl (Sense of Coherence) bezeichnet wird. Komponenten des Kohärenzgefühl sind Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit (Antonovsky 1979; Faltermaier 2023).

Der wahrgenommene Zustand bzw. die subjektive Bewertung von Gesundheit und Krankheit stehen entsprechend dem Modell der Salutogenese in einem direkten Zusammenhang mit den Stressoren, deren Bewältigungsmechanismen und dem Kohärenzgefühl einer Person.

3 Weiterentwicklung des Salutogenese-Modells

Das Modell der Salutogenese von Antonovsky stellt einen ersten Entwurf dar, welcher das Potenzial hat, die Entstehung von Gesundheit zu erklären. Die internationale Salutogenese-Forschung kritisiert daran jedoch, dass die Erfassung des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums in seinen positiven Ausprägungen sowie die Weiterentwicklung des Kohärenzgefühls von einer individuellen Ebene auf eine kollektive Ebene zu wenig beachtet werden (Bauer et al. 2020). Zudem ist die Komplexität des Salutogenese-Modells als kritisch zu betrachten, da die vielen Annahmen in ihrer Gänze wissenschaftlich schwer überprüfbar sind (Roch und Hampel 2022). Kritisiert wird zudem, dass die sozioökonomischen Faktoren sowie das subjektive Erleben nicht ausreichend berücksichtigt werden (Faltermaier 2023). Die sozialen Unterschiede in der Gesundheitsversorgung werden folglich nicht ausreichend erfasst, weshalb auch nicht detailliert dargelegt wird, wie und warum die Gesundheit in Abhängigkeit von beispielsweise Geschlecht, Alter, Kultur oder sozioökonomischem Status (Einkommen, vorhandene Infrastrukturen, Bildung etc.) variiert.

Aufbauend auf dem ursprünglichen Salutogenese-Modell entwickelte Faltermaier (2017) ein integratives Modell der Salutogenese, das auch handlungsorientierte Aspekte des Gesundheitshandelns sowie Vorstellungen über Gesundheit und Krankheit einbezieht. Das integrative Modell der Salutogenese berücksichtigt eine subjektbezogene Perspektive, die im Gegensatz zum professionellen Gesundheitsverhalten das Laienverständnis von Gesundheit in den Alltag integrieren kann (Ortloff und Becker 2024). Daraus kann sich der Vorteil ergeben, dass Betroffene auch psychische oder soziale Aspekte ihres Gesundheitsverhaltens in die Prävention, den Genesungsprozess oder die Stressbewältigung etc. einbeziehen.

4 Unterschied zwischen Pathogenese und Salutogenese

Während die Pathogenese zwischen gesund und krank unterscheidet und sich auf Risikofaktoren fokussiert, beschreibt das salutogenetische Modell einen fließenden Übergang zwischen eher krank und eher gesund auf einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Folgende Tabelle 1 veranschaulicht dazu die gegensätzlichen Paradigmen zwischen der Pathogenese und der Salutogenese:

Tabelle 1: Unterscheidung zwischen Pathogenese und Salutogenese
  Pathogenese Salutogenese
Paradigma Gesundheit ist der Normalzustand, Krankheit eine Abweichung davon (bio-medizinisches Verständnis). Gesundheit und Krankheit werden als zwei Pole eines multifaktoriellen Gesundheits-Krankheits-Kontinuums erfasst (bio-psycho-soziales Verständnis).
Inhaltliche Definition Entstehung und Verlauf einer Krankheit;
Krankheitskonzept, das sich mit den Faktoren und Prozessen befasst, die zu Krankheiten führen, sowie den Risikofaktoren, die deren Entstehung beeinflussen.
Entstehung und Erhalt von Gesundheit;
Gesundheitskonzept, das sich mit den Faktoren und Prozessen befasst, die Gesundheit erklären sollen, sowie den Schutzfaktoren, die deren Entstehung beeinflussen.
Beispiel Eine Person ist entweder gesund (symptom- und beschwerdefrei) oder krank (nachweisbarer Befund). Eine Person hat einen nachweisbaren Krankheitsbefund (z.B. chronische Erkrankung), kann sich aber dennoch gesund fühlen, wenn die Schutzfaktoren gegenüber den Stressoren überwiegen.

5 Risikofaktoren, Schutzfaktoren und generalisierte Widerstandsressourcen

Gesundheitliche Risikofaktoren lassen sich in biologisch-genetische, verhaltensbezogene und umweltbezogene Faktoren untergliedern (Sperlich und Franzkowiak 2022). Schutzfaktoren werden hingegen in personale und soziale Schutzfaktoren unterschieden (Rönnau-Böse et al. 2022). Sowohl die persönlichen als auch die sozialen Schutzfaktoren können sehr unterschiedlich ausfallen, da deren Gewichtung einer subjektiven Interpretation unterliegt.

Generalisierte Widerstandsressourcen beziehen sich indessen auf allgemeine, übertragbare Fähigkeiten oder Ressourcen, die eine Person dabei unterstützen, mit verschiedenen Stressoren und Herausforderungen umzugehen. Diese Ressourcen sind also nicht auf einen bestimmten Stressfaktor beschränkt, sondern in unterschiedlichen Lebensbereichen von Bedeutung und übertragbar. Bei generalisierten Widerstandsressourcen handelt es sich folglich um Schutzfaktoren, die nicht nur in spezifischen, individuellen Situationen auftreten, sondern breit und über verschiedene Lebensbereiche hinweg wirksam sind und universell vom Individuum zur Stressbewältigung genutzt werden (im Sinne von Copingstrategien), da diese bereits verinnerlicht wurden.

Generalisierte Widerstandsressourcen lassen sich im Individuum selbst, in dessen Umfeld als auch in der Gesellschaft finden. Nach Franke (2015) zählen zu den individuellen generalisierten Widerstandsressourcen:

  • gute körperliche Konstitution wie ausreichende Immunpotenziale
  • kognitive Ressourcen wie Wissen, Intelligenz und Problemlösefähigkeit
  • psychische Ressourcen wie Optimismus, Selbstvertrauen, Ich-Identität
  • Gesundheitswissen und Vertrautheit mit dem Versorgungssystem
  • interpersonale Ressourcen wie soziale Unterstützung, soziale Integration
  • Orientierung an Werten und Überzeugungen
  • materielle Sicherheit, sicherer Arbeitsplatz, Verfügbarkeit von Dienstleistungen
  • Frieden, intakte Sozialstrukturen und funktionierende gesellschaftliche Netze
  • Sicherheit der sozialen Systeme, z.B. der Kranken- und Rentenversicherung

Soziale Kontakte können beispielsweise einen Schutzfaktor darstellen. Werden diese von Betroffenen in einer akuten Krankheitsphase jedoch bewusst genutzt (Kohärenzgefühl), um Krankheitssymptome (Stressoren) zu bewältigen (Coping), handelt es sich um generalisierte Widerstandsressourcen. Folglich kann die Gesundheit von Menschen durch generalisierte Widerstandsressourcen erhalten bzw. gefördert werden, indem sie die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Krankheiten (inklusive rezidiven Krankheitsphasen), Gesundheitsstörungen oder problematischen Verhaltensweisen verringern. Ähnlich wie die Salutogenese als Gegensatz zur Pathogenese betrachtet werden kann, können Schutzfaktoren (bzw. generalisierte Widerstandsressourcen) als Gegensatz zu den Risikofaktoren betrachtet werden.

6 Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

Gesundheit und Krankheit stehen in vielfältigen Wechselwirkungen zueinander. Innerhalb des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums lassen sich auch teilweise oder vollständig beeinträchtigte Gesundheitszustände in ihrer jeweiligen Balance darstellen. Dabei gibt es fließende Übergänge zwischen Gesundheit und Krankheit, jedoch existiert kein striktes zeitliches Aufeinanderfolgen, sondern oft eine gleichzeitige Präsenz von eher gesunden und eher kranken Aspekten, die das Wohlbefinden und die Bewertung des Gesundheitszustandes beeinflussen können.

Grundsätzlich wird die dynamische Position innerhalb des Kontinuums sowohl durch objektive Befundparameter als auch das subjektive individuelle Befinden beeinflusst (Franzkowiak 2022). Abbildung 1 zeigt das HEDE-Kontinuum, auf dem der jeweils aktuelle Standpunkt stets von Risikofaktoren und Schutzfaktoren geprägt ist, deren Relevanz u.a. von der gesundheitlichen und sozialen Lage sowie der subjektiven Interpretation abhängig ist.

Das HEDE-Kontinuum
Abbildung 1: Das HEDE-Kontinuum (angelehnt an Franzkowiak 2022).

Laut dem Modell der Salutogenese verfügt jede Person über einen durchschnittlichen Gesundheitszustand, der subjektiv erlebt und bewertet wird (Antonovsky 1997; Franzkowiak 2022). Risikofaktoren und Schutzfaktoren (bzw. deren Gewichtung) können aufgrund ihrer Anzahl, ihrer Intensität als auch der Frequenz und Dauer ihres Auftretens das subjektive Wohlbefinden beeinflussen. Abhängig von der Bewertung kann das Wohlbefinden zunehmen oder abnehmen und so bei einem Gefühl (bzw. in einer Situationsbewertung) münden, welches bei völlig gesund oder völlig krank enden kann.

Im Sinne der Salutogenese können Risikofaktoren wie belastende Umweltfaktoren (z.B. Entfernung zur nächsten Gesundheitseinrichtung und Fachkräften in ländlichen Regionen) durch entlastende Schutzfaktoren (z.B. soziale Unterstützung, öffentliche Verkehrsmittel, Hausbesuche) relativiert werden. Befindet sich die Position einer Person innerhalb des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums aufgrund der subjektiven Bewertung der Risikofaktoren eher zu Krankheit/​abnehmendem Wohlbefinden geneigt, kann dies durch die bewusste Betrachtung von Schutzfaktoren bzw. die Aktivierung von generalisierten Widerstandsressourcen ausgeglichen werden und wieder zu einem zunehmenden Wohlbefinden führen.

7 Salutogenese und die bio-psycho-soziale Perspektive auf Gesundheit

Risiko und Schutzfaktoren können je nach individueller Bewertung unterschiedlich gewichtet und konkretisiert werden. Entscheidend für den Umgang mit der Situation sind die persönlichen Bewältigungsstrategien (Copingstrategien), mit denen die kognitiven und verhaltensbezogenen Anstrengungen einer Person bezeichnet werden, die darauf abzielen, die vom Stressor ausgehende Bedrohung zu reduzieren und das eigene Gleichgewicht wiederherzustellen (Ernst, Franke und Franzkowiak 2022). Risikofaktoren und Stressoren verursachen jedoch nicht zwangsläufig eine belastende Situation. Sie können auch als Hinweis auf psychische Prozesse dienen, die sowohl zu einem resilienten (also widerstandsfähigen) Umgang als auch zu einer belastenden Reaktion führen können. Der individuelle Gesundheitszustand von Menschen mit z.B. chronischen Erkrankungen ergibt sich aus den Wechselwirkungen zwischen Risiko- und Schutzfaktoren, deren Zusammenspiel sowie den Erfahrungen und der Sozialisation im Umgang mit den Risikofaktoren (Becker und Ortloff 2024).

Nach wie vor gilt die bio-medizinische Perspektive auch in der klinischen Praxis als Leitbild, bei dem Krankheiten als rein biologische Phänomene betrachtet werden, die mit den Methoden der Naturwissenschaften beschrieben, erklärt und behandelt werden können (Richter und Hurrelmann 2016). Dabei gelten vor allem die Beschreibung und Behandlung psychischer Erkrankungen als anfällig für den Einfluss festgelegter Normen einer bio-medizinischen Perspektive, da ihnen häufig ein organischer Befund fehlt (Romfeld 2015). Kritisiert wird am bio-medizinische Modell, dass es das individuelle Verhalten ebenso wie sozioökonomische Faktoren nur ungenügend berücksichtigt, obwohl diese Faktoren relevante Anteile an der Entstehung multifaktoriell bedingter Erkrankungen und Gesundheitsstörungen haben. Neben einem bio-medizinischen Befund können diverse sozioökonomische, kulturelle, physische und psychische Bedingungen den Gesundheits- und Krankheitsstatus beeinflussen. Ferner sind es insbesondere die Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit als gesundheitsrelevanter Lebensstil verstanden werden können (Abel et al. 2018). Beispiele für gesundheitsrelevante Verhaltensweisen lassen sich zahlreich benennen. Hierzu zählen u.a. körperliche Aktivitäten, eine adäquate Ernährung, ein maßvoller Konsum von Genussmitteln, Vermeidung schädlicher Umwelteinflüsse oder die Entwicklung von Resilienz (z.B. durch Stressmanagement).

8 Salutogenese, ICD und ICF

Die gesundheitsbezogenen Klassifikationen der World Health Organization finden sowohl in der International Classification of Diseases (ICD) als auch in der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) Anwendung. Während die ICD vorrangig bio-medizinische Krankheitsdefinitionen enthält, berücksichtigt die ICF zusätzlich bio-psycho-soziale Kontextfaktoren sowie deren wechselseitigen Einflüsse. Die ICF gliedert Gesundheitsfaktoren laut Rentsch (2006) in zwei Bereiche:

  1. Komponenten:
    • Körperfunktionen und -strukturen
    • Aktivität
    • Partizipation (und Teilhabe)
  2. Kontextfaktoren:
    • Umweltfaktoren
    • Personenbezogene Faktoren

Die Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund einer Person dar und vervollständigen damit die bio-psycho-soziale Perspektive, da auch die dynamischen Wechselwirkungen zwischen den Komponenten und Kontextfaktoren berücksichtigt werden. Damit stützt sich die ICF auf das Prinzip der Salutogenese und integriert zusätzlich zu den Defiziten eines Krankheitsbildes (Risikofaktoren) auch die Ressourcen (Schutzfaktoren, generalisierte Widerstandsressourcen), die sich aus den biologischen, psychischen und sozialen Komponenten und Kontextfaktoren einer Person ergeben können.

Laut der bio-medizinischen Perspektive können Krankheiten, deren Ursachen bekannt sind, in vielen Fällen ursächlich behandelt werden. Das Wissen über die Ursachen ermöglicht es zudem, präventiv einzugreifen. Eine kausale Therapie kann ebenso wie die Durchführung von Präventionsmaßnahmen oftmals nur das Drehen an einer oder mehreren Stellschrauben bedeuten, ohne dabei das Gesamtbild der Gesundheitsstörung vollständig zu erfassen (Habermann-Horstmeier und Lippke 2021). Jedoch weist das bio-medizinische Modell insbesondere bei chronischen Erkrankungen und psychischen Störungen deutliche Defizite auf, da die Beurteilung eines menschlichen Zustandes stets in einen bio-psycho-sozialen Kontext gebunden ist. Insbesondere chronische Erkrankungen stellen kein normiertes Konzept dar, da sie neben der medizinischen Diagnose (disease) auch ein subjektives Empfinden (illness) sowie gesellschaftliche Auswirkungen (sickness) umfassen (Ortloff 2024).

Nach einer rein bio-medizinischen Betrachtung wären Menschen mit chronischen Erkrankungen stets als krank einzustufen, da auch stets ein objektiver Befund vorliegt. Jedoch können Betroffene ihre Gesundheit auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum auch als positiv bewerten, wenn ihre Schutzfaktoren (z.B. Motivation, soziale Kontakte, ausreichendes Krankheitsverständnis und Compliance) überwiegen und sie diese als generalisierte Widerstandsressourcen nutzen. Durch eine bewusste Betrachtung der Kontextfaktoren werden deren Wechselwirkungen deutlich. Letzten Endes kann Gesundheit ebenso wie Krankheit durch diverse Kontextfaktoren positiv oder negativ beeinflusst werden. Die Salutogenese stellt dazu ein umfassendes bio-psycho-soziales Modell zur Gesundheit dar, das auch wissenschaftlich (u.a. im Zusammenhang mit Resilienz, Coping und Empowerment) erforscht wird und eine große Attraktivität für die Praxis im Gesundheitssystem (von der Prävention über die Rehabilitation bis hin zur Kuration) ausweist.

9 Quellenangaben

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Antonovsky, Aaron, 1979. Health, stress and coping. London: Jossey‑Bass. ISBN 978-0-87589-412-6

Antonovsky, Aaron, 1997. Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: Dgvt-Verlag. ISBN 978-3-87159-136-5

Bauer, Georg F., Mathieu Roy, Pauline Bakibinga, Paolo Contu, Soo Downe, Monica Eriksson, Geir Arild Espnes, B. B. Jensen, D. Juvinya Canal, Bengt Lindstrom, Adi Mana, Maurice Mittelmark, Antony Morgan, Jürgen M. Pelikan, Luis Saboga-Nunes, Shifra Sagy, Shefaly Shorey, Lenneke Vaandrager und Hege Forbech Vinje, 2020. Future directions for the concept of salutogenesis: a position article, In: Health Promotion International. 34(2), S. 187–195. ISSN 0957-4824

Becker, Heike und Jan-Hendrik Ortloff, 2024. Salutogenese, Resilienz, Coping, In: Daniela Schmitz, Manfred Fiedler, Heike Becker, Simone Hatebur und Jan-Hendrik Ortloff, Hrsg. Chronic Care – Wissenschaft und Praxis. Berlin: Springer Verlag, S. 149–154. ISBN 978-3-662-68414-6

Ernst, Gundula, Alexa Franke und Peter Franzkowiak, 2022. Stress und Stressbewältigung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden [online]. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 07.01.2022 [Zugriff am: 31.03.2025]. doi:10.17623/BZGA:Q4-i118-2.0

Faltermaier, Toni, 2017. Gesundheitspsychologie: Grundriss der Psychologie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. ISBN 978-3-17-026149-5 [Rezension bei socialnet]

Faltermaier, Toni, 2023. Salutogenese. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden [online]. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 24.05.2023 [Zugriff am: 31.03.2025]. doi:10.17623/BZGA:Q4-i104-3.0

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Franzkowiak, Peter, 2022. Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden [online]. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 19.05.2022 [Zugriff am: 31.03.2025]. doi:10.17623/BZGA:Q4-i026-1.0

Habermann-Horstmeier, Lotte und Sonia Lippke, 2021. Grundlagen, Strategien und Ansätze der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. In: Michael Tiemann und Melvin Mohokum, Hrsg. Prävention und Gesundheitsförderung [online]. Berlin: Springer [Zugriff am: 31.03.2025]. PDF e-Book. ISBN 978-3-662-62426-5. doi:10.1007/978-3-662-62426-5_6

Ortloff, Jan-Hendrik, 2024. Auswirkungen chronischer Erkrankungen. In: Daniela Schmitz, Manfred Fiedler, Heike Becker, Simone Hatebur und Jan-Hendrik Ortloff, Hrsg. Chronic Care – Wissenschaft und Praxis. Berlin: Springer Verlag, S. 87–96. ISBN 978-3-662-68414-6

Ortloff, Jan-Hendrik und Heike Becker, 2024. Salutogenese, Resilienz und Coping: Schutzfaktoren erkennen, aktivieren und belastende Situationen bewältigen. In: Forum [online]. 39(6) [Zugriff am: 31.03.2025]. ISSN 0947-0255. doi:10.1007/s12312-024-01397-8

Rentsch, Hans Peter, 2006. Grundlagen der „International Classification of Funcioning, Disability and Health“ (ICF). In: Jürgen Tesak, Hrsg. ICF in der Rehabilitation: Die praktische Anwendung der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit im Rehabilitationsalltag. 2. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag, S. 31. ISBN 978-3-8248-0448-1 [Rezension bei socialnet]

Richter, Matthias und Klaus Hurrelmann, 2016. Soziologie von Gesundheit und Krankheit. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-11009-3

Roch, Svenja und Petra Hampel, 2022. Modelle von Gesundheit und Krankheit. In: Robin Haring, Hrsg. Gesundheitswissenschaften [online]. Berlin: Springer, S. 263–272 [Zugriff am: 31.03.2025]. PDF e-Book. ISBN 978-3-662-65219-0. doi:10.1007/978-3-662-65219-0_23

Romfeld, Elsa, 2015. Fordert eine psychische Störung zum Heilen auf? In: Günter Feuerstein und Thomas Schramme, Hrsg. Ethik der Psyche: Normative Fragen im Umgang mit psychischer Abweichung. Frankfurt/M.: Campus, S. 125–142. ISBN 978-3-593-50190-1

Rönnau-Böse, Maike, Klaus Fröhlich-Gildhoff, Jürgen Bengel, und Lisa Lyssenko, 2022. Resilienz und Schutzfaktoren. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden [online]. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 30.05.2022 [Zugriff am: 31.03.2025]. doi:10.17623/BZGA:Q4-i101-2.0

Sperlich, Stefanie und Franzkowiak, Peter, 2022. Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Hrsg. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden [online]. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 01.12.2022 [Zugriff am: 31.03.2025]. doi:10.17623/BZGA:Q4-i102-3.0

Verfasst von
Jan-Hendrik Ortloff
Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Innovative und digitale Lehr- und Lernformen in der multiprofessionellen Gesundheitsversorgung, Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin
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