Schmaus, Margarete
Manfred Berger
veröffentlicht am 09.08.2019
Margarete Schmaus war eine psychoanalytisch orientierte Kindergärtnerin und Montessoripädagogin. Sie hatte zusammen mit Mater Margarete Schörl vor allem nach 1945 die vorschulische Erziehung in Deutschland sowie in weiteren deutschsprachigen Ländern maßgebend und innovativ beeinflusst. Die beiden Pädagoginnen entwickelten ein pädagogisches Handlungskonzept, an dem sich heute eine beachtliche Anzahl von Kindergärten bzw. Kitas unter der Bezeichnung „Schörlpädagogik“ (korrekter Schmaus-Schörl-Pädagogik) orientieren.
Überblick
- 1 Lebenslauf
- 2 Lebenswerk
- 3 Wirkungsgeschichte
- 4 Würdigung
- 5 Quellenangaben
- 6 Informationen im Internet
1 Lebenslauf
Margarethe (laut Geburtsurkunde mit h geschrieben), genannt Grete, war das zweite Kind des Arbeiters Karl Eduard Schmaus und dessen Ehefrau Katharina, geb. Trauer. Zusammen mit ihrem um zwei Jahre älteren Bruder, zu dem sie zeitlebens ein inniges Verhältnis hatte, wuchs sie in einer sehr ärmlichen Zwei-Zimmer-Wohnung in einem alten Wiener Haus ohne Elektrizität und ohne Gas auf. Das Trink- und Waschwasser musste mit Kannen und einer Pumpe aus dem Hof geholt werden. Nach Abschluss der Volksschule durfte Grete keine höhere Schule absolvieren – trotz vorhandener Begabung und dem Wunsch, Psychologie oder Kindermedizin zu studieren. Die Eltern konnten ihr nur die Ausbildung zur Kindergärtnerin finanzieren, die sie an der Privatbildungsanstalt des Vereins für Kindergärten und Kinderbewahranstalten (1921 von der Stadt Wien übernommen) absolvierte. Nachfolgend arbeitete die junge Kindergärtnerin in mehreren Vorschuleinrichtungen der Stadt Wien. Sie kam in Kontakt mit Lili Roubiczek, der Grand Dame der Wiener Montessori-Bewegung, unter deren Ägide 1922 das erste „Haus der Kinder“ im 10. Wiener-Gemeindebezirk Favoriten entstand. Dort wurden auch Montessori-Ausbildungskurse durchgeführt. Margarete Schmaus erwarb das Montessori-Diplom und unterstützte die Errichtung von Montessori-Abteilungen in den Kindergärten der Stadt Wien. In diesem Zusammenhang lernte sie Maria Montessori persönlich kennen, mit der sie bis zu deren Tod am 6. Mai 1952 in Verbindung stand.
Bedingt durch die räumliche Nähe zur Wiener Psychoanalytischen Vereinigung ergab sich schnell eine fruchtbare Zusammenarbeit der Montessorianer_innen mit Anna Freud, der Tochter von Sigmund Freud. Margarete Schmaus absolvierte bei der berühmten Kinderanalytikerin Kurse zur „Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen“. In den Seminaren diskutierten und analysierten Anna Freud und die Seminarteilnehmer_innen „schwierige Kinderfälle“ und suchten danach, unter Berücksichtigung der theoretischen Erkenntnisse der Montessori-Pädagogik und der Psychoanalytischen Pädagogik, das „kindliche Verhalten adäquat richtig zu deuten und dementsprechend zu handeln“ (Bayerknecht 2012, S. 110).
Anfang 1934 übernahm Margarete Schmaus die Leitung des Kindergartens in Wien Floridsdorf. Damit verbunden war die berufliche Titulierung „Kindergartendirektorin“. Da die Einrichtung „der einzige in einem ziemlich weiten Umkreis eines dünn besiedelten, kinderarmen Stadtrandes [war, wurden] in ihm Kinder aller Altersstufen zwischen zwei und zehn Jahren zusammengefaßt“ (Schmaus 1958, S. 6). Als 1938 die Nazis Österreich annektierten, wurde die überzeugte und bekennende Katholikin wegen ihrer „politischen Unzuverlässigkeit“ vom Kinderdienst abgezogen und zu Büroarbeiten in einer Lebensmittelkartenstelle zwangsverpflichtet. Hedy Hollitscher berichtete, dass ihre Kollegin Margarete Schmaus „absolut philosemitisch eingestellt [und] viele der jüdischen Kolleginnen ihre Freundinnen […] waren“ (zit. n. Berger 2019, S. 22).
Im Juni 1945 konnte die Kindergartendirektorin an ihren alten Wirkungskreis zurückkehren. Mitte/Ende der 1940er Jahre begegnete sie bei der Planung zu dem Fachbuch „Gegenwartsfragen der Kindergartenerziehung“ Mater Margarete Schörl, die dem Orden der Englischen Fräulein angehörte. In der folgenden Zeit verband die beiden Kindergärtnerinnen eine intensive Arbeitsgemeinschaft und lebenslange Freundschaft.
Margarete Schmaus war rege als Fortbildnerin tätig. Beispielsweise referierte sie 1949 in Klagenfurt und im Bistum Passau über „Raumgestaltung – Raumteilverfahren“ sowie „Der Gruppenraum – Werkzeug der Kindergärtnerin“, 1950 in Graz über „Montessori Pädagogik: Wer ist Maria Montessori und was will ihre Pädagogik?“, 1952 im Schloss Wernberg bei Villach über „Spruchgut für das Kleinkind“ und „Erzählen im Kindergarten“ sowie 1953 im Erzbistum München-Freising über „Das Raumteilverfahren, eine sozialpädagogische Methode der Spielführung und Spielpflege – Im begrenzten Raum viel Raum“ (Morgenstern 2019, S. 25 ff.).
Zusammen mit Maria Josepha Retter und Agnes Niegl organisierte die Kindergartendirektorin einen dreimonatigen „Kursus für Montessori-Pädagogik“, der 1951 in Innsbruck durgeführt wurde. Margarete Schmaus selbst führte in die praktische Handhabung der „Montessori-Materialien“ ein. Am ersten Internationalen Montessori-Kurs nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur nahmen auch deutsche Pädagog_innen teil, beispielsweise Paul Scheid, der 1952 zum ersten Präsident der „Deutschen-Montessori-Gesellschaft“ gewählt wurde.
Aus gesundheitlichen Gründen ging die Kindergartendirektorin 1959 in den Ruhestand. Fortan unterstützte sie Mater Margarete Schörl in ihrer regen Vortragstätigkeit durch den deutschsprachigen Raum.
Margarete Schmaus starb nach langer schwerer Krankheit, umsorgt und gepflegt von Mater Margarete Schörl, am 24. März 1988 im Wilhelminenspital in Wien-Ottakring. Ihre letzte Ruhestätte fand die Verstorbene auf dem Neuen Heiligenstädter Friedhof im Wiener Gemeindebezirk Döbling.
2 Lebenswerk
Margarete Schmaus beklagte sogleich nach 1945, dass während der Nazi-Diktatur die von Friedrich Fröbel eingeführte Wortschöpfung „Kindergarten“ abgelöst wurde durch „Kindertagesstätte“. Sie setzte sich für die „seit über 100 Jahren existierende Bezeichnung Kindergarten“ ein, da Kindertagesstätte „ein Begriff ohne jegliche pädagogische Bedeutung sei“ (zit. n. Morgenstern 2019, S. 4). Demgegenüber signalisiert der Begriff „Kindergarten“ eindeutig einen pädagogischen Auftrag, nämlich „einen Garten, in dem Kinder gehegt und gepflegt werden, in dem sich die Kindergärtnerinnen als Lern- und Bildungsbegleiterinnen verstehen“ (ebd.).
Die Kindergärtnerin und Montessori-Pädagogin entwickelte zusammen mit Margarete Schörl ein frühpädagogisches Handlungskonzept, das die vorschulische Erziehung nach 1945 wesentlich beeinflusste. Die beiden österreichischen Pädagoginnen betrachteten den Kindergarten als Bildungsinstitution, die die Familie ergänzt und nicht, wie seinerzeit üblich, nur sozialfürsorgerische Aufgaben zu erfüllen hat. Seine primäre Aufgabe ist in erster Linie, dem Kind „geistige Nahrung“ zu bieten und dementsprechend „notwendige Entwicklungsreize“ zu setzen (Schmaus 1958, S. 10).
Margarte Schmaus und Mater Schörl publizierten zwischen 1958 und 1978 vier wegweisenden Fachbücher, die inzwischen alle vergriffen sind: „Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin“ (1958), „Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin“ (1964), „Erneuerung der Glaubenserziehung“ (1968) und „Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten“. Vor allem das in allen vier Fachbüchern dargestellte Raumteilverfahren revolutionierte damals die Kindergartenpädagogik.
Das erste Fachbuch „Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin“ nennt als Verfasserin nur Margarte Schmaus. Mater Schörl wollte nicht als Mitautorin genannt werden, da sie befürchtete, „dass die Verbreitung des Buches darunter leiden könnte. Enge Freunde von ihr meinten, dass [die Ordensfrau] zu bescheiden war“ (Riedel 2003, S. 51). Im Vorwort zu dem Fachbuch, das seinerzeit in vielen deutschen und österreichischen Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnenseminaren für den Unterricht bestimmt war, „gibt die Autorin einige sehr wichtige Hinweise, die uns schon gleich aufhorchen lassen, da sie uns in die Überzeitlichkeit und auch in die Aktualität der Bildungsarbeit der Kindergärtnerin mitten hineinführen“ (Lenarz 1959, S. 44). Dort heißt es:
„An vielen fröhlichen, aber auch an vielen leidenden kleinen Menschen lernte ich erkennen, was notwendig ist, damit Kinder im Kindergarten gedeihen können. Ich glaube auch zu wissen, was Kindern nicht gut tut. Daraus leite ich für mich die Pflicht ab, auch zu anderen von diesen Erkenntnissen zu sprechen und schließlich dieses Buch zu schreiben“ (Schmaus 1958a, S. 4).
Margarete Schmaus kritisierte bereits schon damals, dass der Kindergarten seinen Bildungsauftrag nicht erfülle, er „nach wie vor nicht als pädagogische Institution aufgefasst wird. Als Ursache dafür sieht sie dessen sozialfürsorgerische Funktion sowohl in Zeiten der Not als auch in Zeiten des Wohlstandes“ (Lex-Nalis und Rösler 2019, S. 125). Die der vorschulischen Einrichtung zugeschriebene Bildungsarbeit ist eine zweifache: „a) die Bildungsarbeit über den Umgang des Kindes mit Material, und b) jene Bildungsarbeit, bei der die Kindergärtnerin selbst die Bildungswerte übermittelt“ (Schmaus 1958a, S. 9). Dazu führt Margarete Schmaus näher aus:
„Bei der Bildungsarbeit über den Umgang des Kindes mit Material, werden die Bildungsvorgänge eben durch diesen Umgang des Kindes mit den Dingen und gleichzeitig durch die in den Dingen steckenden Bildungswerte ausgelöst. Die Tätigkeit der Kindergärtnerin besteht dabei hauptsächlich im Ermöglichen des Bildungsvorganges durch Bereitstellen und Zugänglichmachen des geeigneten Materials und durch die Bereitstellung möglichst reicher Spielsituationen: äußerlich durch die Sorge für genügend Raum, Zeit und Ungestörtheit, und innerlich durch richtig dosierte Anregung und Pflege der Spielfähigkeit selbst. An diesem Punkt findet eine besonders starke Berührung der beiden Wege der Bildungsarbeit statt“ (ebd.).
Von genannter Bildungsarbeit unterscheidet sich jene Form, bei der die Bildungswerte von der Kindergärtnerin sprachlich übermittelt werden. Dies erfolgt u.a.:
- bei der Gestaltung von Ausgängen in die Umgebung der Kinder/des Kindergartens
- bei Hinweisen und Gesprächen,
- beim Mitbringen interessanter Dinge/Gegenstände (Mitbringsel),
- beim Betrachten von Bilderbüchern und Bildern,
- beim Singen und Musizieren,
- bei gebundenen Spielen mit und ohne Gesang
- bei Geschichten, Gedichten, Märchen, Reimen, Sprüchen, Rätsel, Sprechscherze und dergleichen mehr (ebd., S. 18 ff.).
Margarete Schmaus war nicht nur an der Veröffentlichung genannter Fachbücher mit beteiligt. Sie trat auch als alleinige Fachpublizistin an die Öffentlichkeit, vor allem für die damals und noch heute hochgeachteten Fachzeitschriften „Unsere Kinder“ und „Kinderheim“ (heute „Welt des Kindes“). Neben einer beachtlichen Anzahl von Fachartikel verfasste sie auch Kinderliteratur wie Geschichten, Märchen und Gedichte (Berger 2019, S. 23).
3 Wirkungsgeschichte
Margarete Schmaus setzte sich für die Verbreitung und Etablierung der Montessori-Methode ein. Das von Maria Montessori entwickelte didaktische Material, in dessen Besitz ihrer Auffassung nach jeder Kindergarten sein sollte, betrachtete sie als „Ausgangspunkt der intellektuellen Entwicklung“, als „geistige Gymnastik“. Es „ermöglicht dem Kinde die geistige Orientierung in dem Chaos seiner Eindrücke. Es schafft intensive Konzentration der gesamten Kräfte des Kindes und somit den Ansatz zu einer Konzentration seines ganzen Ichs, zu einer Ordnung seiner Persönlichkeit“ (Schmaus 1931, S. 360). Die ausgebildete Montessori-Pädagogin bemängelte, dass die montessorianischen Gedanken „sehr oft und sehr stark mißverstanden […] wurden, und dies nicht etwa nur von ihren Gegnern, sondern auch von vielen Anhängern“ (Schmaus 1952, S. 528). Dabei handelte es sich um folgende Fehlinterpretationen: „Naturgemäßheit der Erziehung, über Freiheit, Arbeit, Spiel und Phantasie; auch die Bedeutung des Sinnesentfaltungsmaterials wurde teils über-, teils unterschätzt“ (ebd.).
Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre versuchte Margarete Schmaus eine Synthese zwischen der Montessori-Pädagogik und der Psychoanalytischen Pädagogik herzustellen. In mehreren Beispielen aus der Praxis zeigte sie auf, wie die beiden pädagogischen Ansätze sich gegenseitig ergänzen können. In ihrem Beitrag „Bravheit und neurotische Hemmung“ berichtet sie von Rudi, der mit viereinhalb Jahren in die Montessori-Abteilung ihres Kindergartens kam. Der Junge war von „zarter Gesundheit“ und litt unter „überstarken Hemmungen“. Er beteiligte sich nicht an den gemeinsamen Spielen der Kinder, auch beschäftigte er sich nicht mit dem ihm angebotenen Montessori-Material. Rudi zeigte ferner – wie seine Mutter der Kindergartendirektorin berichtete – eine heftige Abneigung gegen Spinat, Linsen und Eier. Obwohl er diese Lebensmittel stets erbrach, bestanden die Eltern immer wieder darauf, „daß er das esse – er müsse sich doch schließlich diesen Unsinn abgewöhnen“ (Schmaus 1933, S. 133). Die psychoanalytische Erklärung von Margarte Schmaus ging dahin, „daß diese unveränderliche Abneigung davon herrührt, daß der Anblick gewisser Speisen einen unbewußten Zusammenhang mit solchen Dingen herstellt, die das Kind bei der Erziehung zur Reinlichkeit verabscheuen lernen mußte. Wird es nun immer wieder doch zum Essen gezwungen, so kann man sich die Widersprüche in dem seelischen Ablauf wohl vorstellen. Die Mutter, die zuerst nichts davon wissen wollte, daß ihr Bub jemals onaniert habe, erzählte mir in einer späteren Unterredung, daß er im dritten Lebensjahre sogar sehr gern ‚gespielt‘ habe. Man habe es ihm aber energisch und gründlich abgewöhnt“ (ebd.). Die Autorin äußert in ihrem Beitrag die Vermutung, dass die Eltern Rudi mit „dem Abschneiden“ gedroht haben, eine Drohung, die damals weit verbreitet war. Diese Hypothese leitete die psychoanalytisch geschulte Montessori-Kindergärtnerin von der Faszination des Jungen für Klosetts ab. Es könnte aber auch sein, „daß er im Klosett onanierte oder es auch tun wollte und – des Verbotes eingedenk – sich dann schuldig fühlte und Angst bekam, es könnte es jemand gesehen haben, vielleicht der liebe Gott, der ja ‚von oben‘ auf ihn schaut“ (ebd.). Das Milieu des Kindergartens wirkte sich für den gehemmten Jungen nur zum Vorteil aus, gerade die Erziehungsarbeit in der Montessori-Gruppe und das psychoanalytische Verständnis seiner Kindergärtnerin konnten seine „neurotischen Hemmungen“ auflösen:
„Von großer Bedeutung war die Möglichkeit der freien Beschäftigungswahl, sowie die Ausschaltung von persönlicher Kritik und Korrektur; überhaupt das Zurücktreten der direkten Beeinflußung durch den Erwachsenen zugunsten der Erziehung durch Dinge: durch das didaktische Material ebenso wie durch die übrige Umwelt, Montessoris Grundsätzen möglichst angeglichen“ (ebd., S. 132).
Der Beitrag „Bravheit und neurotische Hemmung“ findet sich in leicht veränderter Form in den von Schmaus und Schörl herausgegebenen Fachbüchern unter der Überschrift „Führung schwieriger Kinder im Kindergarten“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 167 ff.; 1978, S. 74 ff.) wieder. Außerdem wurde der Aufsatz erneut 1962 in dem Sammelband „Psychoanalytische Pädagogik des Kleinkindes“, herausgegeben von Heinrich Meng, aufgenommen. Die psychoanalytische bzw. tiefenpsychologische Sichtweise der Kindergartenpädagogin zeigt sich auch in den von ihr mitherausgegebenen Fachbüchern „Das Spiel im Kindergarten“ und „Bildschaffen und Gestalten im Kindergarten“ (Schmaus und Schörl, 1964, S. 93 ff.; S. 117 ff.; Schmaus und Schörl 1978; S. 145 ff.; S. 165 ff.). Das Spiel, das Bildschaffen und Gestalten (Zeichnen und Malen) sind der „Königsweg“ zur psychischen Stabilisierung des Kindes, das von „der Natur des Kindes selbst uns dargebotene Heilverfahren“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 75). In genannten „Aktivitäten können Kinder ihre Gefühle, Affekte und Konflikte erleben und sich mit ihnen auseinandersetzen… Für die Kindergärtnerin wird im Spiel und im Zeichen und Malen unmittelbar Unbewusstes zur Darstellung gebracht“ (zit. n. Morgenstern 2019, S. 67).
Zusammen mit Mater Margarete Schörl entwickelte sie das Raumteilverfahren. Diese Methode der sozialpädagogischen Spiel-bzw. Aktivitätsführung bezeichnet die Struktur der Kindergartengruppe mit ihren klar abgegrenzten Spiel- bzw. Aktivitätsbereichen. Sie arbeitet nach zwei Prinzipien: dem der Freiheit und dem der Führung:
- Freiheit liegt im Tun der Kinder, zu dem die Vorarbeit der Erziehenden hinführt: wenn möglich in der selbständigen Spielwahl und -weise durch die Kinder, in ihren spontanen Gesellungen zu kleineren Spielgruppen, deren Mitgliederzahl nicht von vornherein starr festgelegt wurde, sowie in der gelegentlichen Distanzierung zur Gesamtgruppe.
- Führung liegt in den gegebenen Voraussetzungen des Raumteilverfahrens, in Arbeiten, welche die Erziehenden leisten müssen, ehe das Raumteilverfahren einsetzen kann. Dazu gehören die Unterweisung bzw. Lektionen der Kinder, die Bereitstellung, Vorbereitung und Pflege der Dinge und Gegenstände, mit denen die Kinder umgehen sollen (Schmaus und Schörl 1964, S. 67 ff.).
Das Raumteilverfahren gliedert sich in immobile und mobile Raumteile. Erstgenannte werden von der Kindergärtnerin eingerichtet und sind von vornherein „fest geschützte Plätze“ (Berger 2012, S. 35), die mit einem bestimmten Spiel-, Lern- und Beschäftigungsmaterial ausgestattet sind. Solche festen Raumteile sind bspw. der Bauplatz, die Puppenwohnung, der Bilderbuchplatz oder die Haushaltsecke:
Da Kinder ein Recht auf eigene aktive Raumaneignung und – Gestaltung bzw. Umgestaltung haben, gehören zum Raumteilverfahren auch mobile Raumteile. Diese sind austauschbare und veränderbare Spiel- bzw. Aktivitätsbereiche, die von Erziehenden mit Kindern bzw. von Kindern allein eingerichtet und ausgebaut werden. Sie geben den Kindern die Möglichkeit zur Bildung kleinerer Spiel- bzw. Aktivitätsgruppen:
„Anlass für das Einrichten solcher beweglichen Plätze sind Situationen, die einem besonderen Interesse der Kinder oder aktuellen kindlichen Erlebnissen entspringen. Dazu bedarf es natürlich genügend freier Plätze und auch entsprechender Raumteiler, die jederzeit für die Kinder erreichbar sind: Tische, Stühle, Kisten, Tücher, Bretter etc.“ (Berger 2012, S. 37).
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Gruppenraum als Lebensraum des Kindes, als pädagogisch gelebter Raum, d.h. in echter persönlicher Begegnung des Kindes mit Kindern und der Kindergärtnerin, gliedert sich durch
- festgelegte Raumteile
- Raumteile, die durch bestimmte Spiel-/Aktivitätsvorhaben von Kindern selbst eingerichtet werden (Post, Kaufladen, Flugplatz, Eisenbahnspiel etc.)
- bestimmte Spiel- bzw. Aktivitätsräume, die sich durch das Alleinspiel, die Alleinaktivität oder aus Zusammenspiel oder Zusammenarbeit ergeben. Dazu bedarf es variabler Möbelteile, Vorhänge, Trennwände, Matten, Decken, Bretter, Staffelei etc., die immer wieder neu einsetzbar sind.
In den durch das Raumteilverfahren hervorgerufenen spontanen „Spielgesellungen – zu zweit oder zu dritt, wie es dem Kindergartenalter entspricht –, lernen die Kinder, miteinander zu sprechen und zu spielen, miteinander friedlich auszukommen, sich einander unterzuordnen, aufeinander einzugehen – kurz: sie lernen Koordination und Kooperation, grundlegende soziokulturelle Leistungen“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 17). Letztlich ist die sozialpädagogische Methode der Spielführung ein „Weg zur Führung kleiner Kinder zu Mitmenschlichkeit – in den Grenzen kleinkindlicher Formen und Ausmaße und in der Spontaneität der Gesellung und des Spielens“ (ebd.).
Das Raumteilverfahren hatte beispielsweise die Stadt Wien Anfang der 1950er Jahre für den neuerbauten „Friedrich Wilhelm Fröbel Kindergarten“ am Kapaunplatz im 20. Stadtbezirk, der zum Vorbild für weitere Kindergartenbauten avancierte und heute unter Denkmalschutz steht, auf eine architektonisch innovative Weise verwirklicht. Die Architektin des Kindergartens, Margarete (Grete) Schütte-Lihotzky, eine der ersten Frauen, die in Österreich Architektur studierte, arbeitete „hinsichtlich der Raumgestaltung eng mit ihrer Freundin, der Kindergartendirektorin Margarete Schmaus zusammen. Letztgenannte war in Wien und weit darüber hinaus als Reformerin des Kindergartenwesens bekannt […] Die Kindergartendirektorin plädierte für großzügige Fensterfronten, als Verbindung nach außen. So kann bspw. der Fensterplatz als ‚Raum‘ der Kommunikation dienen, wo Kinder sich treffen und gemeinsam die Vorgänge außerhalb des Gruppenraumes beobachten und besprechen“ (Morgenstern 2019, S. 27). Die einzelnen Gruppenräume bzw. Spielzimmer wurden mit drei festen und niedrig gehaltenen „Beschäftigungsnischen“ (Ruhe-, Hauswirtschafts- und Lesenischen) ausgestattet, „in denen sich auch einzelne Kinder absondern können, denn auch diese Kleinen haben zeitweise ungestörte Konzentration nötig“ (Schütte-Lihotzky 1952, S. 14). Ein weiterer Vorschlag von Margarete Schmaus war, dass die Zugehörigkeit zur Gruppe durch bestimmte Gruppenzeichen und -farben betont wurde:
„So gibt es eine ‚blaue Vogelgruppe‘ in der alles Holzwerk blau gestrichen ist; auf die Gruppenzugangstüre ist ein blauer Vogel gemalt, und in der Eingangshalle hat diese Gruppe lebende Vögel, für deren Pflege sie verantwortlich ist; das gleiche gilt für eine ‚grüne Fischgruppe‘ und für eine rote und eine gelbe Blumengruppe“ (ebd.).
4 Würdigung
Margarete Schörls rege Kurstätigkeit führte dazu, dass sich im Laufe der Zeit immer mehr die Wortschöpfung „Schörlpädagogik“ herauskristallisierte, die genau besehen nicht korrekt ist. Die von der Ordensfrau gehaltenen Referate wurden von ihrer Freundin Margarete Schmaus schriftlich ausgearbeitet, wie Martha Georgine van de Grooth bezeugt.
„Ihre Redegewandtheit prädestinierte Mater Schörl, die gemeinsamen Überzeugungen nach außen zu tragen. Margarete Schmaus hingegen trat als äußerst ruhige, introvertierte Frau verbal so gut wie nicht hervor. Ihre Stärke war die Schrift: Sie war es, die die Kurse und Vorträge von Mater Schörl penibel vorbereitete und ausformulierte“ (Grooth 2019, S. 7 f.).
Und Hedwig Hollitscher, die in Wien lebte und mit Margarete Schmaus wie auch mit Mater Schörl in enger Verbindung stand, schrieb bereits 1995 in einem Brief an den Verfasser vorliegenden Beitrags, dass „Frau Schörl jene Vorträge auf ihren Deutschlandreisen gehalten hatte, die jedoch von Frau Schmaus verfaßt worden waren“ (zit. n. Berger 2019, S. 77).
Martha Georgine van de Grooth meint treffend: „Es wäre also nur gerecht, die Wortschöpfung ‚Schörlpädagogik‘ in ‚Schmaus-/Schörlpädagogik‘ umzuwandeln!“ (Grooth 2019, S. 8).
Für die Bezeichnung „Schmaus-Schörl-Pädagogik“ oder auch „Schörl-Schmaus-Pädagogik“ spricht ferner, dass die von den Pädagoginnen veröffentlichten Fachbücher vor allem von Margarete Schmaus verschriftlicht wurden. Belege dafür sind, dass mehrere Abschnitte daraus vorab unter ihrem Namen veröffentlicht wurden. Beispielsweise erschien der in „Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin“ und in „Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten“ vorgestellte Fall „Rudi, ein verschüchtertes Kind“ bereits schon 1933 in der Fachzeitschrift für „Psychoanalytische Pädagogik“ unter dem Titel „Bravheit und neurotische Hemmung“ (1933, S. 129 ff.). Den Abschnitt „Gelenkte Gruppierung“ in „Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin“ veröffentlichte Margarete Schmaus bereits vorher in der katholischen Fachzeitschrift „Kinderheim“ (Schmaus 1964, S. 260 ff.), um ein weiteres Beispiel zu nennen. Auch wurde das Raumteilverfahren von beiden Pädagoginnen erprobt, von Mater Schörl im Klosterkindergarten in Krems und von Margarete Schmaus im Kindergarten im 21. Wiener Gemeindebezirk. Da Mater Schörl dazu nach 1960 ungezählte Fortbildungsmaßnahmen im deutschsprachigen Raum hielt, wurde ihr allein die „Erfindung“ des Raumteilverfahrens zugesprochen. Dabei hatte Margarete Schmaus, wie schon erwähnt, bereits Ende der 1949er, Anfang der 1950er Jahre über das Raumteilverfahren referiert.
Das von beiden Pädagoginnen entwickelte pädagogische Konzept wird heute vor allem in christlich orientierten Vorschuleinrichtungen umgesetzt, beispielsweise in den Kindergärten bzw. Kitas des Caritasverbandes Hannover e.V., für die „Gott Richtmaß allen Geschehens“ (Schörl 1956, S. 214) ist. Im Zentrum dieser auf christlichen Werten basierenden Konzeption steht das Kind „in seiner Ganzheit von Leib und Seele“ (ebd.), mit seiner gottgewollten Einmaligkeit und seinen nur ihm eigenen Bedürfnissen und Interessen. Leider wird als „gutes Konzept für kleine Menschen“, nur die „Pädagogik der Mater Margarete Schörl“ (Caritasverband Hannover e.V. o.J.) erwähnt, dabei vergessend, dass Margarte Schmaus wesentlich daran mitgewirkt hat.
5 Quellenangaben
Bayerknecht, Claudia, 2012. Psychoanalytische Pädagogik und Montessori-Pädagogik in der Wiener Zwischenkriegszeit: Das wechselseitige Zusammenspiel von Psychoanalytischer Pädagogik und Montessori-Pädagogik im Wien der Zwischenkriegszeit und deren Repräsentation in der Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik [Diplomarbeit]. Wien: Universität Wien
Berger, Manfred, 2012. Margarete Schörl. In: kindergarten heute. 41(9), S. 34–39. ISSN 0344-3949
Berger, Manfred, 2019. Schörlpädagogik: Einführung in ein klassisches Kindergartenkonzept. Göttingen: Cuvillier Verlag. ISBN 978-3-7369-9972-5
Caritasverband Hannover e.V., [ohne Jahr]. Kinder liebevoll fördern, stärken, bilden [online]. Hannover: Caritasverband Hannover e.V. [Zugriff am 06.08.2019]. Verfübar unter: http://www.caritas-hannover.de/kinder-und-jugendliche/kindertagesstaetten/kindertagesstaetten-caritas-hannover
Groot, Maertha Georgine van de, 2019. Vorwort. In: Manfred Berger. Schörlpädagogik: Einführung in ein klassisches Kindergartenkonzept. Göttingen: Cuvillier Verlag, S. 7–8. ISBN 978-3-7369-9972-5
Lenarz, Maria, 1959. Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin. In: Kinderheim. Zeitschrift für Kleinkindererziehung und Hortwesen. 41 (), S. 44–46. ISBN 978-3-89131-496-8
Lex-Nalis, Heidemarie und Katharina Rösler, 2019. Geschichte der Elementarpädagogik in Österreich. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3787-6
Morgenstern, Lisa, 2019. Die „Schörl-/Schmauspädagogik“ im Kindergarten der Vergangenheit und Gegenwart [Masterarbeit]. München: Katholische Stiftungshochschule München
Neuwirth, Wilma, 1972. Der Gruppenraum – Werkzeug der Kindergärtnerin: Arbeitsbehelf für Kindergärtnerinnen. Zusammenfassung von Beiträgen aus der Fachzeitschrift „Unsere Kinder“. Linz: Caritas der Diözese Linz
Riedel, Brigitta, 2003. Selber denken macht gescheit: Pädagogisch arbeiten im Kindergarten. Ein Fachbuch zur Schörlpädagogik. Bad Salzdetfurth: MS-Verlag. ISBN 978-3-9809231-0-1
Schmaus, Margarete, 1931. Kind und Umwelt. In: Die Quelle. 9(10), S. 359-360
Schmaus, Margarete, 1933. Bravheit und neurotische Hemmung. In: Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik. 9(4), S. 129-139
Schmaus, Margarete, 1952. Maria Montessori. In: Erziehung und Unterricht: österreichische pädagogische Zeitschrift. 6(10). S. 527–530. ISSN 0014-0325
Schmaus, Margarete, 1958a. Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin. München: Kösel
Schmaus, Margarete, 1958. Zur Förderung der Fünf- bis Siebenjährigen im Kindergarten. In: Unsere Kinder. 9(1), S. 6–8. ISSN 2518-3907
Schmaus, Margarete, 1964. Gelenkte Gruppierung. In: Kinderheim: Zeitschrift für Kleinkindererziehung und Hortwesen. 46(), S. 260–264. ISBN 978-3-89131-496-8
Schmaus, Margarete und Margarete Schörl, 1964. Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin. München: Kösel. ISBN 978-3-466-30077-8
Schmaus, Margarete und Margarete Schörl, 1968. Erneuerung der Glaubenserziehung im Kindergarten. München: Kösel
Schmaus, Margarete und Margarete Schörl, 1978. Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten. München: Kösel. ISBN 978-3-466-30190-4
Schörl, Margarete, 1956. Die Lehren Fröbels und Montessoris in der Erziehungssituation unserer Zeit. In: Kinderheim: Zeitschrift für Kleinkindererziehung und Hortwesen. 38(6), S. 214-223
Schütte-Lihotzky, Grete, 1952. Der Plan und der Bau. In: Stadtbauamt der Stadt Wien, Hrsg. Der 150. Kindergarten der Stadt Wien „Friedrich Wilhelm Fröbel“ XX., Kapaunplatz. Wien: Verlag für Jugend und Volk, S. 14-29
6 Informationen im Internet
- Niedersächsisches Institut für frühkindliche Entwicklung und Weiterbildung (nifbe) – Margarete Schmaus von Manfred Berger
- Das Kita-Handbuch – Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Margarete Schmaus von Manfred Berger
- Niedersächsisches Institut für frühkindliche Entwicklung und Weiterbildung (nifbe) – Schörl-/Schmauspädagogik von Manfred Berger
- Berger, Manfred. Schörlpädagogik. Ein pädagogischer Ansatz für den Kindergarten/die Kita in heutiger Zeit (?).
Verfasst von
Manfred Berger
Mitbegründer (1993) und Leiter des „Ida-Seele-Archivs zur Erforschung der Geschichte des Kindergartens“
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Es gibt 19 Lexikonartikel von Manfred Berger.
Zitiervorschlag
Berger, Manfred,
2019.
Schmaus, Margarete [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 09.08.2019 [Zugriff am: 16.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/5998
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Schmaus-Margarete
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