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Schörlpädagogik

Manfred Berger

veröffentlicht am 09.08.2019

Weitere Schreibweise: Schörl-Pädagogik

Synonyme: Schörl-Schmaus-Pädagogik, Schmaus-Schörl-Pädagogik

Anmerkung: Da die Pädagoginnen den Begriff „Kita“ noch nicht kannten und sie überwiegend die Titulierung Kindergärtnerin wählten, werden im vorliegenden Beitrag die Bezeichnungen Kindergarten bzw. Kindergärtner*in stellvertretend für Erzieher*in verwendet.

Bei der Schörlpädagogik handelt es sich um einen frühpädagogischen, christlich orientierten Handlungsansatz. Dieser wurde in den 1950er und folgenden Jahren gemeinsam von Mater Margarete Schörl und Margarete Schmaus entwickelt und müsste daher korrekter Schörl-Schmaus-Pädagogik heißen. Beide waren ausgebildete Kindergärtnerinnen und Montessoripädagoginnen. Sie leiteten viele Jahre Vorschuleinrichtungen: Margarete Schörl in Krems einen „Versuchskindergarten zur Erziehungsreform“ und Margarete Schmaus einen Kindergarten im 21. Wiener Gemeindebezirk, mit einer Fröbel- sowie Montessori-Gruppe. Somit basiert die Schörl-Schmaus-Pädagogik in erster Linie auf Erfahrungen aus der „gelebten Praxis“, sowohl in Auseinandersetzung mit den Klassikern der Frühpädagogik, Friedrich Fröbel und Maria Montessori, als auch mit den damaligen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Entwicklungs-, Lern- und Tiefenpsychologie, Gruppenpädagogik, Verhaltensforschung etc. (Schörl und Schmaus 1964, S. 25 ff.).

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Ausgewählte konzeptionelle Grundsätze
    1. 2.1 Mitmenschlichkeit und Vorbild
    2. 2.2 Gruppenstruktur und Gruppenstärke
    3. 2.3 Nachgehende Führung
    4. 2.4 Raumteilverfahren
    5. 2.5 Unterteilter Tagesablauf
    6. 2.6 Bildungsarbeit in Form von Unterweisung
    7. 2.7 Das Kinderspiel
    8. 2.8 Bildschaffen bzw. bildnerisches Gestalten
    9. 2.9 Religiöse Erziehung und Bildung
  3. 3 Kritik an der Schörl-Schmaus-Pädagogik
  4. 4 Verbreitung und Gegenwart
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Informationen aus dem Internet

1 Zusammenfassung

Margarete Schmaus und Margarete Schörl betrachteten den Kindergarten als Bildungsinstitution, dessen Aufgabe es ist, dem Kind „geistige Nahrung“ (Schmaus 1958, S. 10) zu bieten und dementsprechend „notwendige Entwicklungsreize“ (ebd.) zu setzen. Mit Unterstützung seiner erwachsenen Bezugspersonen eignet sich das Kind aktiv die Welt sowie deren Regeln an und erlangt dadurch grundlegende Fähigkeiten auf dem Weg zur Selbständigkeit. Doch der Kindergarten ist nicht nur ein Erziehungs- bzw. Bildungsort, er ist auch ein Ort der „funktionalen Erziehungshilfe für die Eltern“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 7):

„Sicher ist: Was immer wir für unsere Kinder tun, das kommt auch den Eltern zugute; was immer wir an den Kindern unterlassen, das versäumen wir auch an den Eltern“ (Schmaus und Schörl 1968, S. 66).

Da Margarete Schörl von den 1960er bis Anfang der 1980er Jahre zahlreiche Fortbildungskurse im deutschsprachigen Raum zur „Führung- und Bildungsarbeit im Kindergarten“ hielt, kristallisierte sich im Laufe der Zeit die Wortschöpfung „Schörlpädagogik“ heraus. Diese ist genau besehen nicht korrekt, denn das frühpädagogische Handlungskonzept wurde von beiden Pädagoginnen gleichermaßen erprobt und in Wort und Schrift verbreitet. Dies rechtfertigt es, die herkömmliche Bezeichnung „Schörlpädagogik“ in Schörl-Schmaus-Pädagogik umzuwandeln (Berger 2019, S. 7 ff.).

2 Ausgewählte konzeptionelle Grundsätze

2.1 Mitmenschlichkeit und Vorbild

Eines der wichtigsten Erziehungsziele der Schörl-Schmaus-Pädagogik ist die „Entfaltung von Mitmenschlichkeit“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 10). Insofern hat der Kindergarten bzw. die Kita das Bedürfnis des Kindes nach Führung und Freiheit, nach Geborgenheit und Schutz zu erfüllen – die Fundamente der Mitmenschlichkeit schlechthin:

  • „Das Kind braucht Geborgenheit und Schutz, also Freisein von Angst und Gewalt, um selber Vertrauen und Liebe […] entwickeln zu können.
  • Es braucht Führung, die es ohne Gewalt weist und lehrt.
  • Es braucht Freiheit, um lernen und in die offene Welt ausgreifen zu können“ (ebd.).

Des Weiteren kann Erziehung zur Mitmenschlichkeit nur gelingen, wenn das Bedürfnis des Kindergartenkindes nach Beziehung und Bindung erfüllt wird und es in seiner unmittelbaren Umgebung stabile tragfähige Verhaltensmodelle Erwachsener vorfindet, an denen es sich orientieren und seine eigene Einstellung zum Leben aufbauen kann (Schmaus und Schörl 1964, S. 27 f.). Heute wird dies unter dem Begriff „Bindung“ diskutiert.

Positive Beziehungs- und Bindungserfahrungen sind sowohl für die soziale, geistige, emotionale und kreative Entwicklung, als auch für das körperliche und seelische Wohlbefinden des Kindes lebensnotwendig. Weitere evidente Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben kommen hinzu:

  • das Kind entsprechend seinen Begabungen und Kompetenzen, seinem seelischen, geistigen und körperlichen Wachstum optimal zu fördern, zu begleiten und zu unterstützen sowie
  • seine Wahrnehmungsebenen zu erschließen und zu entwickeln.

Dabei geht die Schörl-Schmaus-Pädagogik davon aus, dass Kinder eigenständiger und in ihrem Verhalten planvoller, strukturierter, normorientierter und selbstaktiver sind, als Erwachsene oft annehmen. Für den Erziehungsprozess im Kindergarten bedeutet dies:

  • den Kindern Anregungen bieten,
  • ihre Eigenaktivität zulassen und
  • nur wo nötig seitens des Kindergärtners bzw. der Kindergärtnerin einzugreifen.

Am Anfang jeder Erziehungsarbeit steht das vorbehaltlose Annehmen des Kindes mit all seinen Stärken und Schwächen. Dies bedeutet, dass der Kindergarten jedem einzelnen Kind den ihm individuell entsprechenden Entfaltungsraum bieten muss. In diesem Zusammenhang sind die bisherige Entwicklung des Kindes sowie seine besondere Lern- und Bildungsfähigkeit zu berücksichtigen.

Diesbezüglich weist die Schörl-Schmaus-Pädagogik ausdrücklich auf die Vorbildfunktion der Erziehenden hin. Ihr Verhalten bestimmt das imitatorisch-identifikatorische Lernen der ihnen anvertrauten Kinder. Dazu äußern sich Schmaus und Schörl folgendermaßen:

„[Das Kind] erwirbt ja sein Welt- und sein Menschenbild noch ohne Reflexion, eben nur aufgrund des identifikatorischen Lernens. Noch wirkt der Erzieher beispielhaft, sei dieses Beispiel gut oder schlecht […] Das Kleinkind ist in seiner Beziehung zu Mitmenschen, aber auch Tieren und Pflanzen und nicht zuletzt zu den Dingen, mit denen es umgeht, ungemein stark vom Vorbild seiner Erzieher abhängig“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 69 ff.).

2.2 Gruppenstruktur und Gruppenstärke

Die Kindergärten der 1950er und 1960er Jahre waren in der Regel Masseneinrichtungen mit 60 und mehr Kindern. Sie glichen eher „einem Schafpferch“ (ebd., S. 22) als einer Einrichtung in der die „Kindheit wachse ‚in Freiheit und vernünftiger Pflege‘!“ (ebd., S. 24). Durch die Massenlenkung und die damit verbundene Anwendung von Massendisziplinierungsmitteln wurde das Aktivitätsbedürfnis der Kinder in „falsche Bahnen abgedrängt, das spontane Spielen unterdrückt […] und damit auch geistiges Wachsen“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 21).

Hinzu kam, dass die damalige Kindergartenpädagogik die altersgleiche Gruppenform, die Teilung der Kinder nach Altersklassen in sogenannte „Unter-, Mittel- und Obergruppen“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 20) bevorzugte. Schmaus und Schörl plädierten für die altersgemischte Gruppenbildung mit den unterschiedlichsten Persönlichkeits-, Entwicklungs- und Leistungsunterschieden (Heterogenität), da diese Gruppenform u.a. weniger Kollektivdruck zulasse. Entwicklungsverzögerte Kinder „kommen in altersgleichen Gruppen immer zu kurz, ebenso jene, deren Charakter einer tiefergehenden Anpassung widerstrebt“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 84). Außerdem erhöht die altersgleiche Gruppe den Leistungsdruck der Kinder untereinander:

„Diese Ansicht scheint gerechtfertigt durch etwas, das viele als Zug der Zeit bejahen: Ein Streben, immer schneller und wendiger zu sein, immer größer, stärker, klüger und mehr zu sein und zu haben als andere. Dieser Zug unserer Zeit, der vor den Erwachsenen […] auf die Kleinen übertragen wird, verstärkt den in der altersgleichen Gruppe unvermeidbaren Leistungsdruck der Kinder untereinander auf ein sehr ungesundes Maß“ (ebd.).

Die beiden Kindergärtnerinnen beriefen sich demgegenüber auf die Erkenntnisse der sozialen Gruppenpädagogik, die aufgezeigte, dass in altersverschiedenen Gruppen „die jeweiligen Entwicklungsschritte unbehindert von Wetteifer, Anpassungszwang und Überforderung getan werden [können]“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 22).

Anknüpfend an die Erkenntnisse der sozialen Gruppenpädagogik ist für die Schörl-Schmaus-Pädagogik die Anzahl von 20 bis höchstens 26 Kindern die pädagogisch adäquate Gruppenstärke. Dadurch sind die Beziehungen der Kinder zueinander noch von Angesicht zu Angesicht (face to face) möglich. Eine viel niedrigere Zahl erscheint „deshalb nicht richtig zu sein, weil schon bei weniger als 20 Kindern das sozialpädagogische Element in Frage gestellt wird, das Zusammenspiel des Neben-, Mit- und Füreinanders dann nicht in ausreichendem Maße gegeben ist“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 89).

2.3 Nachgehende Führung

Bedingt durch die vorherrschende Massensituation in den damaligen Vorschuleinrichtungen herrschte dort absolute Disziplin und Strenge. Eine „gesunde Ohrfeige“, Stillsitzen mit dem Finger auf dem Mund, begleitet von den Worten der Kindergärtnerin „Still, still, weil die Schwester (oder Tante) es so haben will!“, oder in der Ecke stehen waren alltäglich angewandte Erziehungsmittel. Demgegenüber legten Schörl und Schmaus besonderes Augenmerk auf gewaltfreie Erziehung, was in der Nachkriegszeit geradezu revolutionär war. Sie waren der Ansicht, dass eine verantwortungsbewusste Erziehung von Kindern ohne „Führung in Freiheit“ nicht denkbar sei. Dabei handelt es sich um die gewissenhafte Anwendung von Freiheit und Führung, um ein authentisches Verständnis beider als Erziehungsmittel:

„Freiheit und Führung sind beide notwendig und schließen einander nicht aus. Beide sollen als Fluidum verstanden werden, welches das Kind zum Leben braucht. Das Kind gedeiht, wenn Freiheit und Führung gut gegeben werden. Freilich kann alles mißverstanden werden; so wurde Freiheit schon oft von einer Seite als Richtungslosigkeit, Unordnung und Enthemmung verstanden, von einer anderen Seite aber tatsächlich so praktiziert; Führung hingegen als Zwang, Drill und Druck. Um solchen Mißbrauch zu verhindern, müßte erkannt werden, daß das kleine Kind selber nicht frei sein kann. Es kann dies nicht sein, weil es dazu noch nicht reif ist. Äußerliche wie innerliche Freiheit als Zustand setzen Reife voraus, gereifte Kräfte, die voll eingesetzt werden können […] Trotzdem muß das Kind zur Freiheit geführt werden. Bliebe es ohne diese Führung, so gelangte es nur zu Unsicherheit und in Ungeborgenheit, niemals zur Freiheit […] Darum muß die Kindergärtnerin die Freiheit ihrer Kinder in ihre Verantwortung aufnehmen und bewahren“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 68 f.).

Bezüglich der Definition von „Führung in Freiheit“ greifen Margarete Schörl und Margarte Schmaus die von Friedrich Fröbel stammenden Worte „Nachgehen“ und „beachtendes Nachgehen“ auf. Nachgehende Führung, Maria Groh spricht in diesem Zusammenhang von einem „freundlich-lenkenden Erziehungsstil(Groh 2002, S. 8), der ebenso „schwierigen Kindern“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 74 ff.) aus ihrer Problematik helfen kann. Nachgehende Führung ist ein „besonders sorgfältig fundiertes pädagogisches Handeln“ (ebd., S. 64), das bewusst durch systematische Beobachtung der Kinder „notwendige Wegweisung gibt, natürlich auch aufgrund allgemeiner Entwicklungsgesetzlichkeiten, jedoch immer bereit ist, zurückzutreten zugunsten der Aktivität des Kindes“ (ebd., S. 63). Der freundlich-lenkende Erziehungsstil schreibt den Kindern nicht vor, was sie zu tun und zu unterlassen haben:

„Nachgehende Führung hilft, wo Hilfe nötig ist, denn das Nachgehen lässt erkennen, welches Kind Hilfe braucht und welcher Art diese Hilfe sein soll. Nachgehende Führung lässt kein Chaos aufkommen; durch die Aktivität der Kinder und die Aufmerksamkeit des Erziehers entsteht eine geordnete Situation, in der Lehr- und Lernprozesse in allen Bereichen, besonders aber im Sozialbereich, vor sich gehen können“ (ebd., S. 63 f.).

Dieser Erziehungsstil formt vor allem „die Qualität der sozialen Interaktion; nachgehende Führung macht die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen, aber auch zwischen den Kindern untereinander humaner – menschlicher“ (Schörl 1976, S. 29). Ferner entwickelt sich eine gute und emotionale stabile Beziehung zwischen Kind und Erzieher*in, gleichzeitig wird die Beziehung der Kinder untereinander gefördert und somit die Entwicklung zum sozialen, verantwortlichen Handeln (ebd.).

2.4 Raumteilverfahren

Schörl und Schmaus beobachteten in den von ihnen geleiteten Kindergärten, dass sich die große Kindergruppe wie von selbst in kleine Interessen-, Aktivitäts- und Spielgruppen auflockert. Die Kinder suchten im Trubel des Alltags nach Rückzugmöglichkeiten bzw. Orten für ihre Betriebsamkeit. Schörl berichtet:

„Gestützt auf diese Beobachtungen bot ich nun den Kindern planmäßig Möglichkeiten, sich lebensnahe Spielsituationen selbst zu schaffen und auszubauen. So frage ich etwa schon vor dem Frühstück, damit zum Planen genügend Zeit gegeben ist: ‚Wer möchte heute Baumeister sein?‘ Oder: ‚Ihr könnt euch heute eine Waschküche, einen Marktstand und ein Puppenzimmer einrichten.‘ Ein anderes Mal gibt es eine Küche, eine Werkstätte und eine Nähstube“ (Schörl 1950, S. 81 ff.).

Von ihren Praxiserfahrungen und den ungünstigen räumlichen Bedingungen ausgehend, entwickelten und erprobten die beiden Pädagoginnen in ihren Kindergärten das Raumteilverfahren als indirekte sozialpädagogische Methode der Führungsarbeit sowie der Spiel- und Aktivitätsführung. Es teilt bzw. gliedert den Gruppenraum in einzelne kleine Spiel- bzw. Aktivitätsbereiche, „äußerlich gesehen, zu Raumteilen“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 30). Wesentlich am Raumteilverfahren ist, dass „dadurch eher […] kognitive und kreative, emotionale und soziale Bildungsprozeße zustande […] kommen […], daß es vorwiegend das soziale Leben der Kinder beeinflußt: Es bedient sich ‚sozialpädagogischer Lehrprozesse‘ und fördert vorwiegend ‚soziales Lernen‘ der Kinder – und das innerhalb des Spielens; insbesondere fördert es die altersgemäße Gesellung der Kinder zu kleinen spontan sich bildenden Spielgruppen“ (ebd., S. 17).

Abbildung 1: Raumteil Bauplatz
Abbildung 1: Raumteil Bauplatz (Ida-Seele-Archiv)
Abbildung 2: Raumteil Marktstand
Abbildung 2: Raumteil Marktstand (Ida-Seele-Archiv)

Es gibt immobile und mobile Raumteile. Erstgenannte werden vom Kindergärtner bzw. von der Kindergärtnerin eingerichtet und sind von vornherein „fest geschützte Plätze“ (Berger 2012, S. 53), die mit einem bestimmten Spiel-, Lern- und Beschäftigungsmaterial ausgestattet sind. Solche festen Raumteile sind der Bauplatz, die Puppenwohnung, der Bilderbuchplatz, die Haushaltsecke u.a.:

„Damit unterstützt nun auch die Kindergärtnerin die Neigung des Kindes, bestimmte Tätigkeiten an bestimmten Orten bevorzugt auszuführen, sie konkretisiert diese Neigung zudem aber auch noch bis zu einem gewissen Grade inhaltlich. Dadurch, daß sie den Aufforderungscharakter solcher Teilbereiche und des Spiel- und Beschäftigungsmaterials im jeweiligen Raumteil voll zur Geltung kommen läßt, legt sie dem Kinde Themen für das Tätigsein nahe, ohne es jedoch in der weiteren Ausgestaltung seiner Spielideen zu bestimmen“ (Neuwirth 1972, S. 2).

Die immobilen Raumteile vermitteln dem Kind Sicherheit in der Raumorientierung, vor allem am Anfang eines Kindergartenjahres, wo den Neulingen noch vieles unbekannt ist. Entsprechend der einzelnen Bereiche wird das dazugehörende überschaubare Spiel- und Beschäftigungsmaterial nach Bedarf ausgetauscht, ergänzt und erweitert, um neue Impulse und Anregungen zu initiieren, denn Bildungsarbeit erfolgt im Wesentlichen „über den Umgang des Kindes mit Material“ (Schmaus 1964, S. 9).

Da Kinder ein Recht auf eigene aktive Raumaneignung und -gestaltung bzw. -umgestaltung haben, gehören zum Raumteilverfahren auch mobile Raumteile. Diese sind austauschbare und veränderbare Spiel- bzw. Aktivitätsbereiche, die von den Erziehenden mit ihren Kindern bzw. von Kindern allein eingerichtet und ausgebaut werden. Sie geben den Kindern die Möglichkeit zur Bildung kleinerer Spiel- bzw. Aktivitätsgruppen.

Zusammenfassend: Der Gruppenraum als Lebensraum des Kindes, als pädagogisch gelebter Raum, gliedert sich durch

  • festgelegte Raumteile
  • Raumteile, die durch bestimmte Spiel- bzw. Aktivitätsvorhaben von Kindern selbst eingerichtet werden (Post, Kaufladen, Flugplatz, Eisenbahnspiel etc.)
  • bestimmte Spiel- bzw. Aktivitätsräume, die sich durch das Alleinspiel und die Alleinaktivität oder aus dem Zusammenspiel und der Zusammenarbeit ergeben. Dazu bedarf es variabler Möbelteile (Tische, Stühle, Bänke), Vorhänge, Trennwände, Matten, Decken, Bretter etc., die immer wieder neu einsetzbar sind.

In neueren Publikationen werden unterschiedliche historische Raum- und Raumteiltheorien vorgestellt, z.B. von Friedrich Fröbel, Maria Montessori oder Emmi Pikler. Bedauerlicherweise wird das Raumteilverfahren der Schörl-Schmaus-Pädagogik darin nicht erwähnt (Erndt-Doll und Lipowski 2014; Günther, Fritsch und Trömer 2016; Wilk und Jasmund 2015; Wilk 2016).

Innerhalb der Schörl-Schmaus-Pädagogik umfasst der Raum mehr als nur den Gruppenraum. Zum pädagogischen Raum gehört auch das von den Kindern erschließbare Kindergartenumfeld: Straßen, Plätze, öffentliche Gebäude, Gärten, Parks, der nahe gelegene Wald usw. Demnach ist eine wesentliche Aufgabe des Kindergärtners bzw. der Kindergärtnerin, gewisse Anlässe zu schaffen, z.B. durch „Ausgänge“ mit den Kindern in die nähere Umgebung (Schmaus und Schörl 1964, S. 149). Dazu gehören neben Stadt und Natur auch „Baustellen aller Art“ (Schmaus 1964, S. 13 ff.) sowie Betriebe wie Autowerkstätten, Bäckereien, Gärtnereien usw. (ebd., S. 15 f.).

Die Forderung, mit den Kindergärten auch einen Garten für Kinder zu verbinden, war schon für Friedrich Fröbel die „vollständig ausgebildete Idee eines Kindergartens“ (zit. n. Berger 1990, S. 10 f.). Darauf zurückgreifend ist für die Schörl-Schmaus-Pädagogik die kleine Gärtnereianlage, bestehend aus mehreren unter Mithilfe der Kinder angelegten Gartenbeeten ein bedeutsamer Raumteil innerhalb des Kindergartens, neben den weiteren dort befindlichen Spiel- bzw. Beschäftigungsnischen u.a.m. Mit ihrer Bestellung sind für die Kinder Erfahrungen bzw. Lernprozesse verbunden, die sich vorwiegend am Jahreskreislauf orientieren.

2.5 Unterteilter Tagesablauf

Der Tagesablauf folgt einer bestimmten, jedoch nicht dogmatischen Reihenfolge. Die Strukturierung gibt den Kindern Sicherheit und erleichtert die im Tagesablauf stattfindenden Übergänge. So gliedert sich der Vormittag in zwei große Bestandteile, d.h. in zwei Spielzeiten. Der Tag beginnt mit dem Ankommen der Kinder und der persönlichen Begrüßung des einzelnen Kindes durch seine/n Erzieher*in. Dieser Situation zollt die Schörl-Schmaus-Pädagogik hohe Aufmerksamkeit. Der/Die Erzieher*in wendet sich dem Kind in individueller Weise zu und nimmt dabei seine jeweilige Befindlichkeit und Gestimmtheit wahr (Hilbers und Jostock 1989, S. 57).

Nach der morgendlichen Begrüßung bestehen Möglichkeiten für Rollenspiele, ungebundene Bewegungsaktivitäten drinnen oder draußen, aber auch Rückzugsmöglichkeiten in Kleinspielräumen. Die sogenannte erste Spielzeit wird nicht durch angeordnetes Aufräumen aufgelöst, sondern durch eine im Spiel integrierte Aktivität. Dies kann bspw. das Verzaubern des Gruppenraumes durch die Kinder sein. Der weiche Übergang zur zweiten Spielzeit „soll die Kinder von der ungeordneten und lauten Bewegung des Rollenspiels zur geordneten und ruhigen Aktivität […] führen“ (Caritasverband 1994, S. 75). Er findet durch ein musikalisches Signal und ein damit verbundenes Spiel statt: Zusammenfinden zu Kreisspielen, Liedern, Geschichten etc. In der zweiten Spielzeit erhalten die Kinder Gelegenheit, „in Ruhe und konzentriert ihrer Arbeit nachzugehen, den Anweisungen beim Angebot der Erzieherin zu folgen und mitzumachen“ (ebd.) und an freiwilligen Aktivitätsangeboten teilzunehmen (Schmaus und Schörl 1978, S. 192). Letztere werden nur sehr dosiert eingebracht, da die Kinder durch zu viele Präsentationen abhängig werden und zu wenig Selbstverantwortung übernehmen.

So wie die Ankunftssituation emotionale Auswirkungen auf den Verlauf des Vormittags haben kann, so wirkt auch die Verabschiedung des Kindes auf seine Gefühlssituation: „Wenn es mit der Erfahrung nach Hause geht, etwas Schönes erlebt zu haben und am nächsten Tag erwartet zu werden, schafft das eine freudige Grundstimmung. Es ist sinnvoll, wenn sich die Kinder zu einem Abschlußkreis zusammenfinden. Die Erzieherin greift positive Erlebnisse des Vormittags noch einmal in einem Gespräch auf und vermittelt dadurch den Kindern ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Selbstbetätigung […]. Wenn das Gebet als Zeichen der Verbundenheit untereinander und mit Gott in den bisherigen Situationen des Vormittags nicht möglich gewesen ist, kann es auch im Abschlußkreis den Tag abrunden“ (Hilbers und Jostock 1989, S. 68 f.).

2.6 Bildungsarbeit in Form von Unterweisung

Unmittelbar nach dem Ende der Nazi-Diktatur hatten Schörl und Schmaus die Bildungsthematik zu einem zentralen Thema der Frühpädagogik erhoben. Sie folgten damit der Zuschreibung eines eigenständigen Bildungsauftrags des Kindergartens durch Fröbels Kindergartenkonzeption (Reyer 2015, S. 45). Die Pädagoginnen plädierten dafür, dass der Kindergarten in erster Linie eine Bildungseinrichtung für Kinder im Alter von ca. drei bis sechs Jahren sein soll und somit einen Bildungsauftrag habe, der auf zwei Wegen erfolgen soll:

  1. über den Umgang des Kindes mit Material und
  2. über „die Bildungswerte [die] von der Kindergärtnerin selbst übermittelt werden“ (Schmaus 1964, S. 9).

Die beiden Wege der Bildungsarbeit finden nicht isoliert curricular statt, sondern sind eingeflochten in das alltägliche kindliche Leben und Handeln. Jedes einzelne Kind hat die Freiheit zu entscheiden, ob es an einem Bildungsangebot des/ der Erzieher*in direkt teilnehmen möchte oder nicht. So sollte für ein Kind die beobachtende Teilnahme aus dem „Hintergrund heraus“ jederzeit möglich sein.

Eine differenzierte Form des erklärend-hinweisenden Wortes sowie der nachgehenden Führung ist die „Unterweisung der Kinder“. Darunter versteht die Schörl-Schmaus-Pädagogik, „jene der Kindergärtnerin zustehende Lehrform, mittels welcher den Kindern ein sinnvoller Umgang mit Gegenständen ihres täglichen Lebens vermittelt wird“ (Schmaus und Schörl 1968, S. 76). Die Unterweisung trägt dazu bei, dass das Kind sicherer und selbstständiger wird. Dieses wichtige Ziel fasste Maria Montessori in dem bekannten und einprägsamen Ausruf zusammen: „Hilf mir, es allein zu tun!“.

2.7 Das Kinderspiel

Das Spiel des Kindes bedarf seitens der Erwachsenen einer besonderen Wertschätzung, denn es ist „eine höchst wertvolle Zeit, eine Zeit des Wohlbefindens, des Erlebens und Erkennens, die Entwicklungschancen schafft, individuelle Begabungen und Potentiale freisetzt“ (Mogel 2008, S. 119). Darum ist das Spiel das „Herzstück der Schörl-Schmaus-Pädagogik“, das nicht durch Beschäftigung und Animation verdrängt werden darf.

Kinder erfahren durch das Spiel u.a. eine psychische Entlastung, da sie ihre Probleme und bedrückenden Situationen herausspielen: Das Spiel ist „das von der Natur des Kindes selbst uns dargebotene Heilverfahren“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 75). Demzufolge ist der Kindergarten ein Ort, an dem sich psychisch belastete, verhaltensschwierige Kinder „gesund spielen können“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 168), ein Ort zur seelischen Entlastung von bedrückenden Erlebnissen und Situationen, ein Ort für eine gesunde seelische Entwicklung: „Immer suchen die kleinen Kinder unbewußt Rettung im Spiel; darum ist Spiel unentbehrlich. Das Kind wächst und gedeiht durch das Spiel“ (Schmaus und Schörl 1978, S. 146).

Dies gilt für das „gesunde unversehrte Kind“ gleichermaßen wie für das „versehrte geschädigte Kind“: „Das gesunde unversehrte Kind wächst und gedeiht durch das Spiel; das versehrte Kind hat – von sich aus – keine andere Möglichkeit, Hilfe und Erleichterung zu finden, als nur im Spiel […]. Ohne Spiel kann ein gesundes Kind nicht gesund bleiben, ein geschädigtes nicht heil werden“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 94 ff.).

Die beiden Pädagoginnen entwickelten, bedingt durch ihre Erfahrungen mit schwierigen Kindergartenkindern (ebd., S. 167 ff.), zwei „Aufstell-Miniaturspielzeuge“, genannt „Kleine Welt“ und „Kleine Familie“. Das Spielmaterial kann von den Kindern jederzeit auch als immobile Raumteiler benutzt werden. Die Kinder spielen per Miniatur (Häuser, Tiere, junge und erwachsene Menschen, Bäume, Fahrzeuge u.dgl.m.), entweder stumm oder mit den Spielfiguren,-gegenständen und -partner*innen über ihre Eindrücke und Probleme redend. Das spielende Kind „soll seine Bedrängnis herausspielen können, wie Erwachsene sich aussprechen können, wenn sie Kummer haben“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 109 ff.). Dem Kind wird ermöglicht, „Spannungen wie Angst, Aggressivität, Eifersucht usw. auf spielerische Weise abzureagieren, solche Gefühle realitätsgerecht zu verarbeiten und dadurch eine gesunde Lebenshaltung zu gewinnen“ (Holler und Niederle 2002, S. 138). Die Miniaturspielzeuge dürfen aber ausdrücklich nicht für psychodiagnostische oder auch psychotherapeutische Zwecke missbraucht werden (Schmaus und Schörl 1964, S. 109).

2.8 Bildschaffen bzw. bildnerisches Gestalten

Das Bildschaffen und Gestalten des Kindes soll nach Schörl und Schmaus „nicht als ein intellektueller Akt allein, aber doch sicherlich als ein geistiger Akt, als die Fähigkeit, Eindrücke und Empfindungen darzustellen, d.h. aus sich herausstellen zu können [aufgefasst werden]. Vor allem das ‚Aus sich heraus‘ sei betont, denn es weist auf den Vorgang näher hin“ (Schmaus und Schörl 1964, S. 119). Das heißt: Bildschaffen und Gestalten ist Ausdruck der Kinderseele. Die beiden Pädagoginnen weisen eindringlich darauf hin, dass das Kleinkind nicht erscheinungsgetreu abbildet, „es kann nicht naturalistische Bilder schaffen, weil es dazu noch nicht fähig ist“ (ebd., S. 120). Es ist vielmehr die „Intensität des Erlebens und die Fülle der inneren Bilder, die verarbeitet werden müssen […]. Es will ausdrücken, was es erfüllt, bedrängend oder beglückend“ (ebd., S. 126). Mit anderen Worten: Das Kind zeichnet sich sozusagen bildlich frei. Es vollzieht also aufgrund seiner Emotionen eine Auslese des Darzustellenden. Dies erfolgt alles „unbewußt, und darum sollte man mit [dem Kind] nicht viel über sein Schaffen reden: weder fragen, was es denn ‚machen‘ wolle, noch was es gemalt oder gezeichnet habe […]. Ein Kind antwortet auf solche Fragen auch sehr oft nicht oder nur mangelhaft, oder es gerät in Verlegenheit, es schämt sich, es hört zu arbeiten auf, weil die Frage des Erwachsenen es aus der Sphäre seines unbewußten Schaffens herausreißt, und weil dem Kinde durchaus das Vermögen fehlt, über sich und sein Tun zu sprechen – in Worten zu sprechen“ (ebd., S. 126 f.).

2.9 Religiöse Erziehung und Bildung

Schörl und Schmaus waren davon überzeugt, dass das Vorenthalten der Religion Kindern die Chance nimmt, die Welt zu erschließen. Die Schörl-Schmaus-Pädagogik hält eine frühkindliche religiöse Erziehung für unverzichtbar, weil „die Zahl der Kinder, die im Kindergarten zum ersten Mal von Gott hören und dort ihr erstes Gebet lernen“ (Schmaus und Schörl 1968, S. 9) immer mehr zunimmt. Zudem sollte religiöse Bildung bzw. Erziehung im Kindergarten ein Muss sein, da schon den kleinen Kindern eine natürliche Gottbezogenheit, ein „erstes Ahnen der Übernatur“ (Schmaus und Schörl 1968, S. 48) innewohne. Von Anfang an verfügten Kinder über eine „Einfachheit und Unmittelbarkeit des Glaubens, von keiner Reflexion getrieben oder bedrängt“ (ebd., S. 57). Diesbezüglich beriefen sie sich auf ihr Vorbild Maria Montessori, die neben der Sprache die Religion als integralen Bestandteil des Menschen betrachtete.

Der/die Kindergärtner*in setzt die entsprechenden Impulse, u.a. durch eine vorbereitete Umgebung. Die Bedeutung eines religiösen Bildwerkes wird für Kinder erst durch eine besondere Ehrung erkennbar, wie z.B. das Aufstellen von Blumen und Kerzen, kurze Erklärungen und Gebete. „Dies ist ja der Sinn eines religiösen Bildes: es zu benützen als Zeichen unseres Glaubens, das unser Beten veranlaßt. Die Bilder stellen etwas dar, woran wir glauben, was wir lieben“ (Schmaus und Schörl 1968, S. 112). Der dadurch vermittelte „Eindruckskomplex“ „von Gesehenem und Gehörten, von Bild, Licht, Blume und Gebet, von Farben, Duft und Klang senkt sich den Kindern tief ins Gemüt“ (ebd., S. 113) und schafft die Voraussetzungen für eine religiöse Entwicklung. Die Rolle der/des Kindergärtners/in im erzieherischen Glaubensprozess ist die eines/r authentischen Begleiters/in.

3 Kritik an der Schörl-Schmaus-Pädagogik

Vor allem das der Schörl-Schmaus-Pädagogik zugrunde liegende Raumteilverfahren rief sowohl positive als auch negative Kritik hervor. Hundertmarck betont in ihrer 1969 veröffentlichten Dissertation die soziale Komponente, die über die Aufgliederung und Differenzierung des Gruppenraumes bewirkt wird: „Die Kinder haben viel bessere Möglichkeiten, soziale Beziehungen anzuknüpfen und zu pflegen. Sie können sich zu kleineren und größeren Spielgruppen zusammenfinden, die weitgehend ungestört bleiben, und sie können sich ihrem Spiel mit größerer Intensität widmen“ (Hundertmarck 1969, S. 71).

Die Fröbelexpertin Elfriede Diel würdigt das Raumteilverfahren als „echte Möglichkeit einer pädagogischen Spielführung […] Durch das Raumteilverfahren wird Spielen zu einem intensiven kindgerechten Bildungsprozeß“ (Diel 1981, S. 16).

Becker-Textor bemängelt das starr aufgegliederte Raumteilverfahren, das letztlich zu einer gewissen Einheitlichkeit in den Kindergärten führte: „Bauplatz, Puppenecke, Bilderbuchecke, Eßplatz, Maltisch, Bastelecke u.ä. Die Bereiche wurden durch Schränke voneinander abgetrennt, es wurden rechteckige Räume in rechteckige Kleinräume aufgeteilt, es entstand eine Einheitlichkeit gepaart mit ‚Festlegungen‘ für bestimmte Aktivitäten an bestimmten Plätzen, ausgestattet mit den jeweils notwendigen Materialien“ (Becker-Textor o.J., S. 19). Solch eine starres Einrichtungssystem führe dazu, dass die „Kindergärten alle gleich aussahen, bzw. wenn sie einmal eingerichtet waren, kaum mehr verändert wurden“ (ebd.). Auch Rudow beklagt die „Uniformität vieler Kitas in Deutschland“, die auf das Raumteilverfahren zurückzuführen sei. Dabei ist das „charakteristische Merkmal nicht die Gliederung des Raumes, sondern die Gliederung der Fläche zum Zwecke der Teilung in Gruppenräume“ (Rudow 2017, S. 197).

Mahlke kritisiert das nur auf horizontaler Ebene ausgerichtete Raumteilverfahren (Mahlke 1985, S. 33 ff.), welches „zwar durch Abteilung der Bereiche verschiedene Spielzonen und Spielräume schafft, aber durch die halbhohen Möbel und Raumteiler“ den Erziehenden „einen Überblick über das Geschehen im Gruppenraum“ erlaube und das Kind sich somit nicht ihren Blicken „entziehen kann“ (Krieg und Krieg 2008, S. 90) und immer unter Kontrolle bleibe.

Für Franz ist der „Offene Kindergarten“ die logische Fortführung „des Schmaus-Schörlschen Raumteilverfahrens […] im 21. Jahrhundert“, das dort seit „mehr als fünfundzwanzig Jahren erfolgreich gelebt […] wird“ (Franz 2016, S. 93).

4 Verbreitung und Gegenwart

Während und nach den 1950er Jahren führten viele vorschulische Einrichtungen das Raumteilverfahren ein, „das bis heute in Kindergärten vorhanden ist“ (Gary 2000, S. 221). Die Stadt Wien hatte für den ersten nach 1945 erbauten Kindergarten, „Friedrich Wilhelm Fröbel Kindergarten“, XX. Stadtbezirk, Kapaunplatz, der zum Vorbild für weitere Kindergartenbauten avancierte und heute unter Denkmalschutz steht, das Raumteilverfahren auf eine architektonisch innovative Weise verwirklicht. Die Architektin des Kindergartens, Margarete (Grete) Schütte-Lihotzky, hatte auf Anregung von Margarete Schmaus die einzelnen Gruppenräume bzw. Spielzimmer mit drei festen und niedrig gehaltenen „Beschäftigungsnischen“ (Ruhe-, Hauswirtschafts- und Lesenischen) ausgestattet, damit sich „einzelne Kinder absondern können“ (Schütte-Lihotzky 1952, S. 14).

Abbildung 3: Gruppenraum des „Friedrich Wilhelm Fröbel“ Kindergartens mit den drei Beschäftigungsnischen
Abbildung 3: Gruppenraum des „Friedrich Wilhelm Fröbel“ Kindergartens mit den drei Beschäftigungsnischen (Lucca Chmel; Stadtbauamt der Stadt Wien)

Gegenwärtig orientieren sich zahlreiche, vor allem katholische Vorschuleinrichtungen, Kindergärten und Kitas an der Schörl-Schmaus-Pädagogik. Ein weiteres Indiz für die Aktualität der Schörl-Schmaus-Pädagogik ist die Durchführung von Zertifikatskursen durch die Katholische Erwachsenenbildung in der Diözese Hildesheim Hannover (Berger 2019, S. 78 ff.).

Es ist in erster Linie das Verdienst der Sozialarbeiterinnen Huberta von Gumppenberg und Anna Hagenbusch, der Sozialpädagogin Brigitta Riedel, der Kindergärtnerinnen Elfriede Hilbers und Sr. M. Virginis Jostock, dass die Schörl-Schmaus-Pädagogik in Deutschland und darüber hinaus nicht der Vergessenheit anheimfiel (Berger 2019, S. 13 f.).

Inzwischen liegen vier Fachbücher zur Schörl-Schmaus-Pädagogik vor (Hilbers und Jostock 1989; Caritasverband Hannover 1994; Riedel 2003; Berger 2019). Die Monografien zeigen auf, dass die Schörl-Schmaus-Pädagogik nicht allein auf das Raumteilverfahren reduziert werden kann, da sie wichtige Themen wie die ganzheitliche Sichtweise auf das Kind und seine Familie sowie die Bildungsinstitution Kindergarten in den Mittelpunkt stellt.

Anlässlich des 105. Geburtstages von Mater Margarete Schörl wurde diese mit einem Denkmal in St. Pölten geehrt. Es ist zu wünschen, dass der einseitigen Würdigung durch einen Gedenkstein bald eine zweite für Margarete Schmaus erfolgt, denn ohne sie gäbe es die „Schörlpädagogik“ nicht.

5 Quellenangaben

Becker-Textor, Ingeborg, o.J. Andere Zeiten, andere Ideen, andere Möbel. Bad Rodach: Wehrfritz

Berger, Manfred, 1990. 150 Jahre Kindergarten: Ein Brief an Friedrich Fröbel. Frankfurt/Main: Brandes & Apsel. ISBN 978-3-925798-47-4

Berger, Manfred, 2012b. „Die Arbeit der Kindergärtnerin ist ein Wagnis ins Unbekannte“. Zum 100. Geburtstag von Margarete Schörl. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS). 40(7), S. 52–53 ISSN 0342-7145

Berger, Manfred, 2019. Schörlpädagogik: Einführung in ein klassisches Kindergartenkonzept. Göttingen: Cuvillier Verlag. ISBN 978-3-7369-9972-5

Caritasverband Hannover e.V., Hrsg., 1994. Freiraum Kindergarten: gemeinsam spielen, gemeinsam lernen, gemeinsam leben. Hannover: Caritasverband. ISBN 978-3-89384-009-0

Diel, Elfriede, 1981. Unverlierbare Werte der Fröbel-Pädagogik. München: Don Bosco. ISBN 978-3-7698-0397-6

Erndt-Doll, Elisabeth und Hilke Lipowski, 2014. 55 Fragen & 55 Antworten: Gestaltung von Räumen in der Kita. Berlin: Cornelsen. ISBN 978-3-589-24808-7 [Rezension bei socialnet]

Franz, Margit, 2016. „Heute wieder nur gespielt“ – und dabei viel gelernt: Den Stellenwert des kindlichen Spiels überzeugend darstellen. München: Don Bosco. ISBN 978-3-7698-2208-3

Groh, Maria, 2002. Entwicklung eines Raumkonzepts. In: Charlotte Niederle, Hrsg. Methoden des Kindergartens. Band 1. Linz: Unsere Kinder, S. 7–13. ISBN 978-3-9500307-0-9

Günther, Herbert, Susanne Fritsch und Werner Trömer, 2016. Kita von A bis Z. Weineim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3355-7 [Rezension bei socialnet]

Hilbers, Elfriede und M. Virginis Jostock, 1989. Alltag im Kindergarten pädagogisch gestalten: Erfahrungen aus der Praxis für die Praxis. Lingen: R. van Acken

Holler, Lina und Charlotte Niederle, 2002. Klein-Welt-Spiele. In: Charlotte Niederle, Hrsg. Methoden des Kindergartens. Band 1. Linz: Unsere Kinder S. 137–144. ISBN 978-3-9500307-0-9

Kirchner, Constanze, 2010. Malen und Zeichnen. In: Ludwig Duncker, Gabriele Lieber, Norbert Neuss und Bettina Uhlig, Hrsg. Bildung in der Kindheit: Das Handbuch zum Lernen in Kindergarten und Grundschule. Seelze: Kallmeyer, S. 174–179. ISBN 978-3-7800-1048-3

Knauf, Tassilo, 2013. Moderne Ansätze der Pädagogik der frühen Kindheit. In: Lilian Fried und Susanne Roux, Hrsg. Handbuch Pädagogik der frühen Kindheit. Berlin: Cornelsen, S. 119–129. ISBN 978-3-589-24765-3 [Rezension bei socialnet]

Krieg, Elsbeth und Helmuth Krieg, 2008. Bilden, fördern und gestalten in der Kita: Ergebnisse des STEP-Projekts. Münster: ​Lit.​ ISBN 978-3-8258-1820-3

Mahlke, Wolfgang, 1985. Raumgliederung im Kindergarten. In: Claudia Hontschick, Hrsg. Raumgestaltung und pädagogisches Konzept im Kindergarten. Frankfurt/Main: Deutscher Verein für Öffentliche und Private Fürsorge, S. 33–36. ISBN 978-3-17-006550-5

Mogel, Hans, 2008. Psychologie des Kinderspiels: Von den frühesten Spielen bis zum Computerspiel. Heidelberg: Springer, S. 119. ISBN 978-3-540-46623-9

Neuwirth, Wilma, 1972. Der Gruppenraum – Werkzeug der Kindergärtnerin: Arbeitsbehelf für Kindergärtnerinnen. Zusammenfassung von Beiträgen aus der Fachzeitschrift „Unsere Kinder“. Linz: Caritas der Diözese Linz

Peez, Georg, 2011. Kinder kritzeln, zeichnen und malen – Warum eigentlich? Von der Welt- und Selbsterkundung. In: Forschung Frankfurt. Heft 2, S. 45–48. ISSN 0175-0992

Reyer, Jürgen, 2015. Die Bildungsaufträge des Kindergartens: Geschichte und aktueller Status. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-3287-1 [Rezension bei socialnet]

Riedel, Brigitta, 2003. Selber denken macht gescheit! Pädagogisch arbeiten im Kindergarten. Ein Fachbuch zur Schörlpädagogik. Bad Salzdetfurth: MS-Verlag. ISBN 978-3-9809231-0-1

Rudow, Bernd, 2017. Beruf Erzieherin/Erzieher – mehr als Spielen und Basteln: Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte: ein Fach- und Lehrbuch. Münster: Waxmann. ISBN 978-3-8309-3703-6 [Rezension bei socialnet]

Schäfer, Gerd E., 2005. Der Raum als erster Erzieher. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. 113(1), S. 6–9. ISSN 0342-7145

Schmaus, Margarete, 1958. Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin. München: Kösel

Schmaus, Margarete und Margarete Schörl, 1964. Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin. München: Kösel. ISBN 978-3-466-30077-8

Schmaus, Margarete und Margarete Schörl, 1968. Erneuerung der Glaubenserziehung im Kindergarten. München: Kösel

Schmaus, Margarete und Margarete Schörl, 1978. Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten. München: Kösel. ISBN 978-3-466-30190-4

Schörl, Margarete, 1950. Aus meinem Kindergarten. In: Agnes Niegl, Hrsg. Gegenwartsfragen der Kindergartenerziehung. Wien: Österreichischer Bundesverlag, S. 81–92

Schörl, Margarte, 1976. Einige Aspekte der Kindergartenpädagogik. In: Institut B.M.V. der Englischen Fräulein, Hrsg. Jahresbericht 1975/76. 250 Jahre. Krems: Eigenverlag, S. 26–30

Schütte-Lihotzky, Grete, 1952. Der Plan und der Bau. In: Stadtbauamt der Stadt Wien, Hrsg. Der 150. Kindergarten der Stadt Wien „Friedrich Wilhelm Fröbel“ XX., Kapaunplatz. Wien: Verlag für Jugend und Volk, S. 14-29

Wilk, Matthias und Christina Jasmund, 2015. Kita-Räume pädagogisch gestalten: Den Raum als Erzieher nutzen. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-407-25705-5 [Rezension bei socialnet]

Wilk, Matthias, 2016. Der Raum als Erzieher: Die Bedeutung des Raumes für die kindliche Bildung und Entwicklung. Marburg: Tectum. ISBN 978-3-8288-3860-4 [Rezension bei socialnet]

6 Informationen aus dem Internet

Verfasst von
Manfred Berger
Mitbegründer (1993) und Leiter des „Ida-Seele-Archivs zur Erforschung der Geschichte des Kindergartens“
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