socialnet Logo

Schulische Rehabilitation

Prof. Dr. Gwendolin Bartz

veröffentlicht am 17.01.2023

Maßnahmen der schulischen Rehabilitation versuchen, Einschränkungen der Teilhabe an Bildung abzumildern, die infolge von von Behinderung, Krankheit und Beeinträchtigung entstehen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Verschiedene Aspekte von Rehabilitation
  3. 3 Rehabilitation, Schule und Bildung
  4. 4 Maßnahmen der schulischen Rehabilitation
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Literaturhinweise
  7. 7 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Schulische Rehabilitation ist eine von verschiedenen Rehabilitationsformen, die im Kontext des Sozialgesetzbuches unterschieden werden. Sie stellt eine Interventionsmöglichkeit im Kontext von Behinderung, Krankheit und Beeinträchtigung dar und ist mit der Zielsetzung der „(Wieder-)Herstellung“ verbunden.

Neben der schulischen Rehabilitation werden im Sozialgesetzbuch verschiedenen Rehabilitationsformen unterschieden. Die anderen sind die berufliche, die soziale und die medizinische Rehabilitation (Remschmidt 2011, S. 468). Müller ergänzt noch die technische Rehabilitation (Müller 2020, S. 518). Maßnahmen der Rehabilitation sind laut § 1 SGB IX eng an Teilhabe und Selbstbestimmung gekoppelt und sollen beides ermöglichen (Müller 2020, S. 518).

2 Verschiedene Aspekte von Rehabilitation

Die ursprüngliche Definition von Rehabilitation lautet im Original: „a set of interventions designed to optimize functioning and reduce disability in individuals with health conditions in interaction with their environment“ (WHO 2021, o.S.). In Anlehnung an diese WHO-Definition von 2001 übersetzt Watzke (2006) folgende Definition: „Rehabilitation umfasst alle Hilfen, die darauf gerichtet sind, behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen darin zu unterstützen, den höchsten individuell erreichbaren Grad ihrer Leistungsfähigkeit (wieder-)herzustellen, damit sie einen angemessenen Platz in der Gesellschaft finden“ (Watzke 2006, S. 265). Hier sind Aspekte angesprochen, die im Sozialgesetzbuch IX unter „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ aufgegriffen werden.

Es wird deutlich, dass Rehabilitationsmaßnahmen verschieden ausfallen können, die schulische Rehabilitation eine Interventionsmöglichkeit im Kontext von Behinderung, Krankheit und Beeinträchtigung darstellen kann und immer mit der Zielsetzung der „(Wieder-)Herstellung“ verbunden ist. Das SGB IX legt im § 4 SGB IX die Leistungen der Rehabilitation fest. Es regelt „die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

  1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
  2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
  3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
  4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.“

Hierzu zählen auch schulisch-pädagogische Maßnahmen, die unter § 112 SGB IX „Leistungen zur Teilhabe an Bildung“ gefasst werden. Dabei geht es um Hilfen zur schulischen Bildung, Ausbildung und Hochschulbildung. Die einzelnen Aspekte der schulisch-pädagogischen Rehabilitation umfassen Fragen der Beschulungsart, der (besonderen) pädagogischen Angebote, institutionelle Fragen sowie rechtliche Punkte.

3 Rehabilitation, Schule und Bildung

Der Begriff der Rehabilitation ist zunächst ein medizinischer. Im Kontext des SGB IX geht es jedoch nicht nur um medizinische Maßnahmen, die es Menschen (mit Behinderung) ermöglichen sollen, selbstbestimmt an allen Bereichen der Gesellschaft teilzuhaben, sondern um weitere Maßnahmen, die soziale Aspekte und Möglichkeiten der Bildung in den Blick nehmen. Der Begriff der schulischen Rehabilitation suggeriert hier allerdings eine Engführung auf schulische Maßnahmen. Man sollte diesen jedoch erweitern und entweder wie etwa Remschmidt (2011) von Maßnahmen der schulisch-pädagogischen Rehabilitation (Remschmidt 2011, S. 468) sprechen oder noch weitergehend Rehabilitation im Kontext von Bildung fokussieren. (Schulisch-)pädagogische Rehabilitation ließe sich dann auf Maßnahmen wie etwa Weiterbildungen, Umschulungen und Ähnliches beziehen und würde nicht eine Engführung bedeuten, im Sinne einer Rehabilitation, die rein in Schulen, insbesondere in Primar- und Sekundarstufe(n) lokalisiert ist. Dies wird auch durch § 4 des SGB IX so vorgesehen.

4 Maßnahmen der schulischen Rehabilitation

Maßnahmen der schulischen Rehabilitation versuchen, Einschränkungen der Teilhabe abzumildern, die z.B. infolge von Beeinträchtigungen entstehen, die das Lernen erschweren. So zielen nach Remschmidt rehabilitative Maßnahmen generell auf „Verbesserung der verbliebenen Funktionen“ […], „Entwicklung ausgleichender Funktionen und Fähigkeiten“ und „Ausgleich […] durch Versorgung und technische Hilfen“ (Remschmidt 2011, S. 468). Dies gilt auch für Maßnahmen der schulischen Rehabilitation. Dabei greifen Maßnahmen der schulischen Rehabilitation durchaus mit anderen Maßnahmen ineinander.

Die Tabelle zeigt die verschiedenen Rehabilitationsformen und deren Beziehungen zueinander. So erfolgt etwa die sogenannte soziale Rehabilitation im Anschluss an die anderen Maßnahmen. Alle Maßnahmen sind jedoch nicht als starre Abfolge zu sehen, sondern laufen mitunter parallel. So finden zum Beispiel schulisch-rehabilitative Maßnahmen bereits dann statt, wenn Kinder und Jugendliche etwa infolge einer schweren Erkrankung stationär aufgenommen und für die Dauer ihres Klinikaufenthaltes an einer angegliederten Schule (Schule für Kranke) unterrichtet werden. Auch bei psychischen Erkrankungen werden SchülerInnen, die in stationärer Behandlung sind, an Schulen für Kranke beschult.

Rehabilitationsformen nach Beske und Hallauer 1999
Abbildung 1: Rehabilitationsformen nach Beske und Hallauer 1999 (zitiert nach Watzke 2006, S. 267)

Mit der Schule für Kranke als einer Form der Förderschule rücken Beschulungsformen in den Vordergrund, die als sonderpädagogische Förderung im Kontext von Rehabilitation benannt werden. Auch wenn die UN-Behindertenrechtskonvention bereits seit 2009 für Deutschland gilt, sind Förderschulen nach wie vor zentraler Bestandteil des deutschen Bildungssystems und Maßnahmen der sogenannten schulischen Rehabilitation im Sinne einer spezialisierten Unterrichtung werden vorrangig ihnen zugeordnet. So schreibt Watzke 2006:

„Sie [die schulische Rehabilitation, GB] umfasst Angebote zur Erlangung eines Schulabschlusses für Kinder und Jugendliche, die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können“ (Watzke 2006, S. 268).

Auch wenn sonderpädagogische Unterstützung mittlerweile im Gegensatz zu 2006 nicht mehr einseitig an den Förderort Förderschule gekoppelt ist, sind Förderschulen weiterhin häufig der Ort, an dem Maßnahmen der schulischen Rehabilitation im Sinne einer sonderpädagogischen Förderung platziert sind. Diese sonderpädagogische Förderung ist an die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs gekoppelt (Bartz 2022a).

(Sonder-) oder (heil-)pädagogische Maßnahmen beziehen sich nicht ausschließlich auf die Schule und das Schulalter, sondern umfassen auch Maßnahmen der Frühförderung, der frühkindlichen Bildung und Bildung nach der Schule, z.B. in Form von Weiterbildungen. Sie sind daher auch in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung sowie der Berufsbildung und Erwachsenenbildung bedeutsam. Laut SGB IX dienen all diese pädagogischen Maßnahmen dazu, größtmögliche Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft zu erlangen. Schulische Rehabilitation kann im Sinne der durch die Tabelle dargestellten Beziehungen sowohl zwischen den Rehabilitationsformen auch als vorbereitend für Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation begriffen werden.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Begriff der Rehabilitation im Kontext von Schule und Bildung vor allem in Bezug auf Leistungen zur Teilhabe im Rahmen der Sozialgesetzgebung relevant ist. Zur Einordnung pädagogischer Maßnahmen sollte er vordergründig im Kontext einer Rehabilitationspädagogik (Bartz 2022b) begriffen werden. Rehabilitationspädagogik ist ein Begriff, der teilweise synonym zu Begriffen wie Sonderpädagogik oder Behindertenpädagogik verstanden wird und pädagogische Maßnahmen im Kontext von Behinderung und Beeinträchtigung umfasst und beschreibt.

5 Quellenangaben

Bartz, Gwendolin, 2022a. Sonderpädagogischer Förderbedarf [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 31.08.2022 [Zugriff am: 06.11.2022]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/5772

Bartz, Gwendolin, 2022b. Rehabilitationspädagogik [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 24.02.2022 [Zugriff am: 06.11.2022]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/​28501

Müller, Katharina, 2020. Rehabilitation psychisch kranker Kinder und Jugendlicher. In: Helmut Remschmidt, Hrsg. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme, S. 518–524. ISBN 978-3-13-241122-7

Remschmidt, Helmut, 2011. Rehabilitation. In: Helmut Remschmidt, Hrsg. Kinder- und Jugendpsychiatrie. 6. Auflage. Stuttgart: Thieme, S. 467–474. ISBN 978-3-13-241122-7

Watzke, Stefan, 2006. Rehabilitation. In: Babette Renneberg und Philipp Hammelstein, Hrsg. Gesundheitspsychologie. Heidelberg: Springer VS, S. 265–277. ISBN 978-3-540-25462-1

WHO, 2021. Rehabilitation [online]. WHO [Zugriff am: 12.10.2022]. Verfügbar unter: https://www.who.int/health-topics/​rehabilitation#tab=tab_1

6 Literaturhinweise

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR), 2022. Rehabilitation und Teilhabe [online]. Ein Wegweiser. Frankfurt am Main: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V., Juni 2022 [Zugriff am: 12.10.2022]. Verfügbar unter: https://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/​dateiliste/​_publikationen/​reha_grundlagen/pdfs/WegweiserHandbuch2020.RZweb.pdf

Romero, Barbara, 2011. Rehabilitatives Handeln bei Abbauprozessen. In: Markus Dederich, Wolfgang Jantzen und Renate Walthes, Hrsg. Sinne, Körper und Bewegung. Stuttgart: Kohlhammer, S. 325–329. ISBN 978-3-17-019638-4

7 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Gwendolin Bartz
IU Internationale Hochschule
Professorin für Heilpädagogik und Inklusionspädagogik
Lehrerin für Sonderpädagogik
Systemische Familientherapeutin (DGSF)
Website
Mailformular

Es gibt 6 Lexikonartikel von Gwendolin Bartz.

Zitiervorschlag anzeigen

Rezensionen

Buchcover

Claudia A. Reinicke: Mit ADHS und Freude durch den Schulalltag. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2023.
Rezension lesen   Buch bestellen

zu den socialnet Rezensionen

Urheberrecht
Dieser Lexikonartikel ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion des Lexikons für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.

Werden Sie Sponsor des socialnet Lexikons!

Profitieren Sie von hoher Sichtbarkeit in der Sozialwirtschaft, attraktiven Werberabatten und Imagegewinn durch CSR. Mit Ihrem Logo auf allen Lexikonseiten erreichen Sie monatlich rund 90.000 Fachkräfte und Entscheider:innen.
Mehr erfahren …