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Selbstwert

Prof. Dr. rer. nat. Annette van Randenborgh

veröffentlicht am 30.06.2022

Ähnlicher Begriff: Selbstwertgefühl

Englisch: self-worth; self-esteem; self esteem

Unter dem Selbstwert eines Menschen wird seine subjektive Beurteilung des Werts der eigenen Person verstanden. Der Selbstwert umfasst sowohl bewertende Kognitionen als auch Gefühle der Zuneigung oder Abneigung sich selbst gegenüber.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Bedeutung des Selbstwerts
  3. 3 Einflüsse auf den Selbstwert
  4. 4 Entwicklung des Selbstwerts über die Lebensspanne
  5. 5 Selbstwertorientierte Interventionen
  6. 6 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Der Selbstwert ist verknüpft mit dem Wissen über eigene Talente und Fähigkeiten, dem sogenannten Selbstkonzept. Je mehr gesellschaftlich positiv bewertete Eigenschaften eine Person an sich wahrnimmt, desto leichter fällt es, einen positiven Selbstwert aufzubauen und zu erhalten. Jedoch sind die beiden Konzepte „Selbstwert“ und „Selbstkonzept“ nicht gleichzusetzen. Einige Menschen haben trotz verschiedenster Fähigkeiten einen geringen Selbstwert und umgekehrt. Ebenfalls hat der Selbstwert eine relative Unabhängigkeit vom Wert, den andere Menschen einer Person beimessen.

Mit einem positiv ausgeprägten Selbstwert sind jedoch nicht Gefühle der Überlegenheit im Vergleich zu anderen Menschen oder gar Überheblichkeit gemeint (Rosenberg 1965, S. 31). Vielmehr ist ein positiver Selbstwert die stabile Überzeugung, ein wertvoller Mensch und „gut genug“ zu sein.

2 Bedeutung des Selbstwerts

Die wissenschaftliche Untersuchung der Konsequenzen von Selbstwert muss die erkenntnistheoretische Herausforderung meistern, dass ein hoher Selbstwert entweder Ursache oder Folge von positiven Zuständen und Ereignissen (z.B. psychische Gesundheit, beruflicher Erfolg) sein kann. Nur groß angelegte Langzeitstudien können diese Differenzierung in Ursache oder Folge leisten, also die Klärung der Richtung der kausalen Wirkung. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind einige Studien mit einem solchen anspruchsvollen Design durchgeführt worden.

Es gilt als gut belegtes Ergebnis, dass ein hoher Selbstwert zu subjektivem Wohlbefinden beiträgt. Menschen mit einem hohen Selbstwert geben an, glücklicher und zufriedener zu sein als Menschen mit einem geringen Selbstwert (z.B. Kuster et al. 2013). Ebenfalls starke Evidenz gibt es für die Kehrseite dieses Effekts: Ein niedriger Selbstwert ist ein Risikofaktor für die Entwicklung von verschiedenen psychischen Problemen, insbesondere von Depression (Orth und Robins 2013).

Weiterhin wurden in aufwendigen Langzeitstudien unterschiedliche sozioökonomische Variablen erfasst. Dadurch konnte eine positive Wirkung eines hohen Selbstwerts auf diese Lebensaspekte nachgewiesen werden: Partnerschaftszufriedenheit, Größe des sozialen Netzwerks, physische Gesundheit, Ausbildungs- und Berufserfolg, berufliche Zufriedenheit und geringe Kriminalitätsraten. 

3 Einflüsse auf den Selbstwert

Ein früher und stark prägender Einfluss auf den Selbstwert eines Menschen ist die Art und Weise, wie Eltern mit ihm umgehen. In der Interaktion mit den Eltern formt sich ein erster und sehr stabiler Eindruck darüber, ob man eine liebenswerte Person ist. Interaktionsmuster, die einen hohen Selbstwert bei Säuglingen und Kleinkindern fördern, sind die gleichen, die zu einer sicheren Bindung führen (Siegler et al. 2021, S. 469). In der späteren Kindheit ist es ein Erziehungsstil, der Anerkennung (durch Lob ohne Übertreibung), Unterstützung (Zuwendung bei emotionaler Not) und Interesse (z.B. durch Nachfragen, Aufmerksamkeit, aber auch dem Achten auf Regeleinhaltung) ausdrückt.

Ab der mittleren Kindheit speist sich der Selbstwert zudem durch sogenannte „soziale Vergleiche“. Menschen haben die Tendenz, Vergleiche mit anderen zum Zweck der Orientierung anzustellen. Beispielsweise wird versucht abzuschätzen, welche Klassenkamerad*innen besser oder schlechter bezüglich Sportlichkeit, Fähigkeit in Mathematik oder Körperkraft abschneiden. Soziale Vergleiche haben häufig emotionale Konsequenzen, die je nach Ergebnis des Vergleichs positiv oder negativ ausfallen. Das Ergebnis wirkt kurzfristig auf die Stimmung und wird langfristig in die Sicht auf sich selbst und damit in den Selbstwert integriert.

Besonders in der Jugend wird der Selbstwert stark von der Akzeptanz anderer bestimmt. Diese Quelle des Selbstwerts ist in anderen Lebensphasen weniger ausgeprägt, aber weiterhin präsent. Körperliche Attraktivität, sportliche Leistungsfähigkeit sowie Liebenswürdigkeit (soziale Verträglichkeit) sind Dimensionen, die Außenstehenden ins Auge fallen und an denen sie ihre Akzeptanz und Zuneigung festmachen (Siegler et al. 2021).

4 Entwicklung des Selbstwerts über die Lebensspanne

Um der eigenen Person einen Wert beizumessen, muss ein Mensch einige kognitive Voraussetzungen erfüllen, sodass dieses Konzept erst ab der Vorschulzeit sinnvoll zu betrachten und zu untersuchen ist. Im Vorschulalter ist der Selbstwert von den meisten Kindern unrealistisch positiv, weil die Integration von sowohl positiven als auch negativen Aspekten schwerfällt (sog. „Alles-oder-Nichts-Denken“). Durch das vermehrte Einsetzen von sozialen Vergleichen im Grundschulalter, relativiert sich diese positive Verzerrung. Ab der späteren Kindheit finden sich moderate Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen im Selbstwert zugunsten des männlichen Geschlechts (Lohaus und Vierhuas 2019, S. 218). In der Adoleszenz weist der Selbstwert über die Bevölkerung hinweg betrachtet einen Tiefpunkt auf, bevor er über Jahrzehnte tendenziell steigt und erst im höheren Alter dann rapide sinkt (Orth und Robins 2014).

Insgesamt handelt es sich beim Selbstwert um ein Persönlichkeitsmerkmal mit deutlicher Stabilität: Personen mit einem relativ hohen (oder niedrigen) Selbstwert zu einem Untersuchungszeitpunkt einer Langzeitstudie haben häufig auch Jahrzehnte später einen relativ hohen (bzw. niedrigen) Wert. Eine Ausnahmephase von der beschriebenen Stabilität ist die Jugend. Über 50 % der Jugendlichen erfahren gravierende Veränderungen des Selbstwerts in dieser Zeit (Zimmermann et al. 1997). Besonders Jugendliche mit vormals hohem Selbstwert, die in der Jugend eine Abnahme des Werts erfahren, werden häufig auffällig bezüglich hohem Alkoholkonsum und deviantem Verhalten. Die späte Kindheit oder die frühe Jugend scheinen deshalb sensible Phasen für Selbstwert erhöhende und stabilisierende Interventionen zu sein.

5 Selbstwertorientierte Interventionen

Die späte Kindheit und frühe Jugend ist eine Lebensphase, in der sich eine Verbesserung des Selbstwerts lebensperspektivisch vermutlich besonders auszahlt (Lohaus und Vierhaus 2019, S. 218). Anders als viele Menschen zunächst vermuten, geht es in einer nachhaltigen Arbeit am Selbstwert nicht darum, dass sich eine Person von ihren Talenten und Fähigkeiten überzeugt. Vielmehr wird versucht, Respekt und Achtung für die eigene Person aufzubauen. Das Gefühl, „gut genug“ und „grundsätzlich wertvoll“ zu sein, wird in einer Weise gefördert, dass es auch bei Misserfolg und niedergeschlagener Stimmung stabil bleibt. Oft wird im Rahmen solcher Interventionen der Begriff „Selbstwert“ durch den Begriff der „Selbstachtung“ ersetzt, weil dieser die grundsätzliche und stabile Akzeptanz für die eigene Person besser ausdrückt. Bei Klient*innen mit starkem Selbsthass ist auch die Metapher, einen „Friedensvertrag mit sich selbst zu schließen“, hilfreich (Wolf-Arehult und Bohus 2018, S. 338).

Es gibt eine kaum überschaubare Zahl an Interventionen zur Erhöhung des Selbstwerts aus der Sozialen Arbeit, den Erziehungswissenschaften und der Psychologie. Hier kann nur eine grobe Beschreibung der wichtigsten Gruppen erfolgen.

  1. Gruppenkonzepte: Viele pädagogische und psychotherapeutische Gruppenkonzepte führen die Erhöhung des Selbstwerts der teilnehmenden Personen als eines unter mehreren Wirkungszielen auf. Relativ selten findet man Programme, die eine Erhöhung des Selbstwerts als primäres oder sogar ausschließliches Wirkungsziel proklamieren. Gruppeninterventionen zur Selbstwertsteigerung richten sich vor allem an Kinder und Jugendliche. Die Programme für Erwachsene behandeln zumeist zusätzlich eine psychische Störung. Die wichtigsten Methoden dieser Programme sind die Wahrnehmung eigener Ressourcen, Erfahrung von Validierung und Akzeptanz durch die Gruppe, Selbstexploration, Selbstfürsorge und Steigerung der Akzeptanz für eigene Fehler und Schwächen. Die empirische Evidenz für die Wirksamkeit von Gruppeninterventionen fällt angesichts der hohen Zahl an Konzepten mit dem Ziel der Selbstwertsteigerung überraschend gering aus. Aus dem Bereich der Gruppenpsychotherapie gibt es jedoch Belege für eine stabile Wirksamkeit (Haney und Durlak 1998; Kolubinski et al. 2018).
  2. Autonome Selbsthilfe: Menschen scheinen auch motiviert, mit relativ geringer Hilfe an ihrem Selbstwert arbeiten zu wollen, wie eine hohe Zahl an Selbsthilfebüchern, Apps und Internetseiten zu diesem Thema belegt. Einige der Publikationen aus diesem Bereich sind wissenschaftlich gut fundiert und zum Teil von Wissenschaftler*innen mit Expertise zum Thema Selbstwert verfasst worden (Fennell 2016). In diesem Bereich wären deutlich mehr Wirksamkeitsnachweise wünschenswert.
  3. Arbeit am Selbstwert in Beratung und Psychotherapie: Die Erhöhung des Selbstwerts ist – angesichts des belegten Einflusses von geringem Selbstwert auf Depression, Ängste und andere unvorteilhafte Zustände – ein häufig gesetztes Ziel in Beratung und Psychotherapie. Der Vorteil des dyadischen Gesprächskontexts ist, dass ein hoch individualisiertes Arbeiten an spezifischen Selbstwertproblemen und deren Hintergründen bei dem/der Klient*in möglich ist. Es können biografische Hintergründe beleuchtet werden und Glaubenssätze der Person (z.B. „Ich mache alles kaputt, was ich anfasse“) herausgearbeitet und modifiziert werden. 

6 Quellenangaben

Fennell, Melanie, 2016. Overcoming low self-esteem: A self-help guide using cognitive behavioural techniques. Hachette UK: Robins. ISBN 978-1-4721-4536-9

Haney, Penny und Joseph A. Durlak, 1998. Changing self-esteem in children and adolescents: A meta-analytical review. In: Journal of Clinical Child Psychology. 27(4), S. 423–433. ISSN 0047-228X. doi:10.1207/s15374424jccp2704_6

Kolubinski, Daniel. C., Frings, Daniel, Nikčević, Ana. V., Lawrence, Jacqueline A. und Marcantonio M. Spada, 2018. A systematic review and meta-analysis of CBT interventions based on the Fennell model of low self-esteem. In: Psychiatry Research. 267, S. 296–305. ISSN 1872-7123. doi:10.1016/j.psychres.2018.06.025

Kuster, Farah, Orth, Ulrich und Laurenz L. Meier, 2013. High self-esteem prospectively predicts better work conditions and out-comes. In: Social Psychological and Personality Science. 4, S. 668–675. ISSN 1948-5506. doi:10.1177/1948550613479806

Lohaus, Arnold und Marc Vierhaus, 2019. Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für Bachelor. 4. Auflage. Berlin: Springer. ISBN 978-3-662-59192-5

Orth, Ulrich und Richard W. Robins, 2013. Understanding the link between low self-esteem and depression. In: Current Directions in Psychological Science. 22(6), S. 455–460. ISSN 0963-7214. doi:10.1177/0963721413492763

Orth, Ulrich und Richard W. Robins, 2014. The development of self-esteem. In: Current Directions in Psychological Science. 23(5), S. 381–387. ISSN 0963-7214. doi:10.1177/0963721414547414

Rosenberg, Morris, 1965. Society and the adolescent self-image. Princeton: Princeton University Press. ISBN 978-1-4008-7613-6

Siegler, Robert, Saffran, Jenny R., Gershoff, Elizabeth T., Eisenberg, Nancy, Leaper, Campbell und Sabina Pauen, 2021. Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. 6. Auflage. Berlin: Springer. ISBN 978-3-662-62771-6

Wolf-Arehult, Martina und Martin Bohus, 2018. Interaktives Skillstraining für Borderline-Patienten. Stuttgart: Schattauer Verlag. ISBN 978-3-608-26779-2

Zimmerman, Marc. A., Copeland, Llaurel. A., Shope, Jean. T. und Terry E. Dielman, 1997. A longitudinal study of self-esteem: Implications for adolescent development. In: Journal of Youth and Adolescence. 26, S. 117–141. ISSN 0047-2891

Verfasst von
Prof. Dr. rer. nat. Annette van Randenborgh
Psychologische Psychotherapeutin
Fachhochschule Münster
Fachbereich 10, Sozialwesen
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Es gibt 4 Lexikonartikel von Annette van Randenborgh.

Zitiervorschlag
van Randenborgh, Annette, 2022. Selbstwert [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 30.06.2022 [Zugriff am: 16.03.2025]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/926

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