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Separation Anxiety Test

Dr. Marlen Eisfeld

veröffentlicht am 20.01.2021

Abkürzung: SAT

Synonym: Trennungsbildtest

Etymologie: separation engl. Trennung, anxiety Angst

Separation Anxiety Test (Kaplan 1987) bedeutet wörtlich übersetzt Trennungs-Angst-Test, auch Trennungsbildtest genannt. Dieses Verfahren dient der Erhebung der vier Bindungstypen bei Kindern im Grundschulalter.

Überblick

  1. 1 Ziel und Einsatzbereich
  2. 2 Aufbau und Durchführung
  3. 3 Auswertung
  4. 4 Gütekriterien und Normen
    1. 4.1 Objektivität
    2. 4.2 Reliabilität und Validität
  5. 5 Abschließende Bewertung
  6. 6 Kritische Reflexion
  7. 7 Quellenangaben

1 Ziel und Einsatzbereich

Der Separation Anxiety Test (SAT) dient in der Bindungsdiagnostik zur Feststellung von Bindungstypen basierend auf der Bindungstheorie nach John Bowlby (2006). Er wird bei Kindern im Grundschulalter eingesetzt. Derzeit liegt der SAT in der Version von Julius (2009) und Eisfeld (2014) vor. Sowohl in therapeutischen als auch pädagogischen Arbeitsfeldern werden die Erkenntnisse der Bindungsdiagnostik für die Planung von passenden bindungsgeleiteten Interventionsmaßnahmen genutzt. Auch in der Forschung kommt der SAT zum Einsatz.

2 Aufbau und Durchführung

Beim SAT handelt es sich um ein halbstandardisiertes, projektives Interviewverfahren mit acht Bildkarten zur Erfassung der Bindungsklassifikation in den Kategorien: sicher (Typ B), unsicher-vermeidend (Typ A), unsicher-ambivalent (TYP C) und unsicher-desorganisiert (Typ D). Durchschnittlich dauert das Interview 30 Minuten. Die auf den Bildkarten gezeigten Personen sind geschlechtsspezifisch und emotionsneutral, somit ist eine Identifikation mit den abgebildeten Kindern möglich ohne bereits Gefühlslagen vorzugeben. Jede Bildkarte zeigt alltägliche Situationen aus dem Leben von Kindern, wobei die Bildkarten zwei, vier und sechs besonders stark auf Trennungssituationen zwischen Kind und Bindungsfigur fokussieren. Alle weiteren Bildkarten zeigen Trennungssituationen, die andere Beziehungen thematisieren (beispielsweise im Schulkontext) oder alltäglich sind (z.B. am Abend ins Bett gehen). Standardisierte Fragen zu den Gedanken, Gefühlen und Handlungsstrategien leiten bildweise durch das Interview, dabei sind Nachfragen und kindgerechte Sprache möglich. Suggestivfragen sind zu vermeiden. Ein ruhiger Raum ohne Ablenkungen ist eine wesentliche Gelingensbedingung, denn das Interview wird möglichst ohne Unterbrechungen durchgeführt (Eisfeld 2014).

3 Auswertung

Das gesamte Interview wird videografiert, somit sind verbale und nonverbale Auswertungen möglich. Mit Hilfe einer Transkription des Interviews erfolgt die Auswertung. Entscheidend für die Diagnostik sind jene abgebildete Trennungssituationen, die im Interview bindungsrelevanten Stress beim Kind hervorrufen. Kinder im Grundschulalter sind entwicklungspsychologisch in der Lage, über Gedanken und Gefühle zu sprechen. Dies ist auch der Fall wenn diese losgelöst von der konkreten Realität sind und lediglich mit Hilfe von Bildkarten präsentiert werden. Anhand des Antwortverhaltens und der gezeigten Verhaltensweisen des Kindes wird auf die Zusammensetzung der inneren Arbeitsmodelle geschlossen, die die Beziehungen zu den Bindungsfiguren repräsentieren. Auf der Basis der Erzählung des Kindes kann Rückschluss auf ein verinnerlichtes Abbild der primären Bindungsperson (Repräsentation von Bindung) geschlossen werden. Diese Repräsentation von Bindung, auch als internales Arbeitsmodell von Bindung bezeichnet, unterscheidet sich durch die Qualität erlebter Fürsorgeerfahrungen der Bindungsperson in ein sicheres, unsicher-vermeidendes, unsicher-ambivalentes und unsicher-desorganisiertes Arbeitsmodell. Neben den vier Hauptkategorien können ebenso Subkategorien gebildet werden, die sich auf einem Kontinuum von vermeidender bis ambivalenter Bindung verorten lassen. Die Norm stellt dabei die sichere Bindung dar. Kinder mit einem sicheren Bindungstyp haben einen guten Zugang zu ihren Gefühlen, Gedanken und Handlungsstrategien. Beispielsweise wird auf dem zweiten Bild: „Die Mutter kommt ins Krankenhaus“ die Trennung von Kind und Mutter visualisiert. Antworten von Kindern mit dem sicheren Bindungstyp beinhalten, dass sie traurig, besorgt sind und die Nähe zur Mutter herstellen wollen, indem sie die Mutter besuchen oder mit dem Vater ins Krankenhaus fahren (Eisfeld 2014, Julius 2009).

4 Gütekriterien und Normen

4.1 Objektivität

Zur Durchführung des SAT liegt ein Manual vor, welches nach einem intensiven Training zur Durchführung und Auswertung zur Verfügung steht. In diesem Manual sind standardisierte räumliche Bedingungen, Instruktionen für den Interviewleitfaden und objektive Auswertungskriterien beschrieben. Klare standardisierte Anweisungen zur Durchführung und die Auswertung auf Videobasis weisen auf eine hohe Objektivität hin (Eisfeld 2014).

4.2 Reliabilität und Validität

Ein wichtiges Gütekriterium der Verhaltensbeobachtung ist die Inter-Rater-Reliabilität, welche anzeigt, in welchem Ausmaß unterschiedliche Auswertende unabhängig voneinander zu einem gleichen Ergebnis der Bindungsdiagnostik kommen. Diese Reliabilität kann mit einer Schulung und einem intensiven Selbststudium mit Supervision erlangt werden. Folgende Tabelle 1 gibt einen Studienüberblick zu den Gütekriterien. Insgesamt gilt der SAT als reliabel mit einer guten Konstruktvalidität (Julius 2009).

Tabelle 1: Reliabilität und Validität, ein Studienüberblick zur Bindungsdiagnostik mit dem SAT
Studien mit SAT Reliabilität Validität
Kaplan 1987 (N=38) PÜ: 76 68 %, Kappa=.55 mit FST (Konvergenzvalidität)
Main et al. 1985 (N=40) Prospektive Validität mit FST
Main und Cassidy 1988 (N=42) PÜ: 78 % Konvergenzvalidität mit FST und AAI
Jacobsen et al. 1994 (N=85) PÜ: 82 %, Kappa=.80-.87 Prädikative Validität in Hinblick auf Entwicklung
Shouldice und Stevenson-Hinde, 1992 (N=74) PÜ: 94–100 % Konvergenzvalidität mit Wiedervereinigung nach Cassidy und Marvin
Julius 2001 (N=47) PÜ: 91–93.5 % 93.5 % dissoziative Symptomatik, Validierung D (Konstruktvalidität)
Eisfeld 2014 (N=144) PÜ: 75–85.7 %, Kappa=.717

Somit kann der SAT als verlässliches Verfahren für die Erhebung von Bindungsrepräsentationen bezeichnet werden.

5 Abschließende Bewertung

In Anbetracht eines fehlenden äquivalenten und aktuelleren Erhebungsinstrumentes zur Bindungsdiagnostik in der mittleren Kindheit (Kirchmann und Strauß 2008, Solomon und George 2008), stellt der SAT ein akzeptiertes und gängiges Messinstrument dar. Besonders die Abbildungen auf den Bildkarten und die starke Orientierung an der Normfamilie bedürfen einer Überarbeitung. Derzeit befindet sich der SAT in der Aktualisierung und Validierung durch die Autorin Eisfeld. Insgesamt weist der SAT sowohl längsschnittliche als auch zeitgleiche Validität mit anderen Messinstrumenten der Bindungsforschung auf, wie u.a. mit dem Fremde-Situations-Test (FST). Ebenso ist nach einem intensiven Training die Kodierung der Haupt- als auch Subgruppen reliabel möglich (Gloger-Tippelt 2008).

6 Kritische Reflexion

Aus ethischen Gesichtspuntkten wirft der SAT einige Fragen auf. Da die Bindungsdiagnostik mit bindungsrelevanten Stresssituationen einhergeht, sind triftige Gründe für die Diagnostik erforderlich. Bei der Durchführung kann es zu unerwarteten Stressreaktionen (z.B. Nasenbluten, heftige Wutausbrüche) kommen, insbesondere bei Kindern mit einem hoch unsicheren Bindungstyp. Für diese Fälle sind derzeit keine Abbruchkritierien vorgesehen, die Durchführung obliegt dem Ermessen der*s Interviewenden. Auch für die Phase nach dem Interview benötigen Kinder eine entspannte Atmosphäre zur Stressregulation. Ein hoher Zeitaufwand in der Auswertung und dem Erlernen des SAT erschwert den praxisnahen Einsatz.

7 Quellenangaben

Bowlby, John, 2006. Bindung. München, Basel: E. Reinhardt. ISBN 978-3-497-01830-7

Eisfeld, Marlen, 2014. Bindung und IQ: Eine empirische Studie zum Bindungsverhalten von Kindern im Grundschulalter und der Zusammenhang zu ihren kognitiven Fähigkeiten [Dissertation]. Rostock: Univiversität, Philosophische Fakultät

Gloger-Tippel, Gabriele, 2008. Individuelle Unterschiede in der Bindung und Möglichkeiten ihrer Erhebung bei Kindern. In: Liselotte Ahnert, Hrsg. Frühe Bindung: Entstehung und Entwicklung. 2., aktualierte Auflage. München: Reinhardt Ernst, S. 82–108. ISBN 978-3-497-02047-8 [Rezension bei socialnet]

Jacobsen, Teresa, Wolfgang Edelstein und Volker Hofmann, 1994. A longitudinal study of the relation between representations of attachment in childhood and cognitive functioning in childhood and adolescence. In: Developmental Psychology [online]. 30(1), S. 112–124 [Zugriff am: 17.01.2021]. ISSN 1939-0599. Verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.1037/0012-1649.30.1.112

Julius, Henri, 2001. Die Bindungsorganisation von Kindern, die an Erziehungshilfeschulen unterrichtet werden. In: Sonderpädagogik. 31(2), S. 74–93. ISSN 0342-7366

Julius, Henri, 2009. Diagnostik der Bindungsqualität im Grundschulalter. Der Separation Anxiety Test (SAT). In: Henri Julius, Barbara Gasteiger-Klicpera und Rüdiger Kißgen, Hrsg. Bindung im Kindesalter: Diagnostik und Interventionen. Göttingen: Hogrefe, S. 121–137. ISBN 978-3-8017-1613-4 [Rezension bei socialnet]

Kaplan, Nancy R., 1987. Internal Representations of Attachment in Six-Year Olds. Paper presented at the biennial meetings of the Society for Research. Baltimore, Maryland

Kirchmann, Helmut und Bernhard Strauß, 2008. Methoden zur Erhebung von Bindungsmerkmalen. In: Klinische Diagnostik und Evaluation. 1, S. 293–327. ISSN 1864-6050

Main, Mary und Jude Cassidy, 1988. Categories of Response to Reunion With the Parent at Age 6: Predictable From Infant Attachment Classifications and Stable Over a 1-Month Period. In: Developmental Psychology. 24(3), S. 415–426. ISSN 1939-0599

Main, Mary, Nancy Kaplan und Jude Cassidy, 1985. Security in Infancy, Childhood, and Adulthood: A Move to the Level of Representation. In: Monographs of the Society for Research in Child Development [online]. 50(1/2), S. 66–104 [Zugriff am: 17.01.2021]. ISSN 1540-5834. Verfügbar unter: doi:10.2307/3333827

Shouldice, Anne und Joan Stevenson-Hinde, 1992. Coping with Security Distress: the Separation Anxiety Test and Attachment Classification at 4.5 Years. In: Child Psychology Psychiatry [online]. 3(2), S. 331–348 [Zugriff am: 17.01.2021]. ISSN 1469-7610. Verfügbar unter: doi:10.1111/j.1469-7610.1992.tb00870.x

Solomon, Judith und Carol George, 2008. The Measurement of Attachment Security and Related Constructs in Infancy and Early Childhood. In: Jude Cassidy und Phillip R. Shaver, Hrsg. Handbook of Attachment: Theory, Research, and Clinical Applications. 2. Auflage. New York: Guilford Press, S. 383–418. ISBN 978-1-59385-874-2

Verfasst von
Dr. Marlen Eisfeld
Universität Rostock
Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation
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Es gibt 3 Lexikonartikel von Marlen Eisfeld.

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Buchcover

Rebecca Adami: Childism, Intersectionality and the Rights of the Child. Routledge (New York) 2024.
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