Sozialamt
Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster
veröffentlicht am 04.04.2024
Das Sozialamt ist die kommunale Organisationseinheit zur Bearbeitung von Fürsorgeleistungen finanzieller Art und bei der Bereitstellung von sozialen Diensten. Dabei wird es teilweise auf Antrag Betroffener tätig, teilweise aber ist es auch gesetzlich verpflichtet, aus eigener Initiative tätig zu werden.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Geschichtliche Entwicklung
- 3 Träger und Aufgabenstellung kommunaler Fürsorge
- 4 Neugliederung kommunaler Sozialpolitik
- 5 Wechselnde Herausforderungen und Finanzierung
- 6 Überörtliche Träger
- 7 Zielsetzung, Ergebnisse und Erfordernisse
- 8 Quellenangaben
- 9 Literaturhinweise:
1 Zusammenfassung
Im Rahmen des kommunalen Rechts auf Selbstverwaltung hat die Kommune Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben. Zu den kommunalen Pflichtaufgaben zählen die Fürsorgeleistungen etwa nach dem Sozialgesetzbuch XII in Gestalt von Geld-, Sach- und sozialen Dienstleistungen. Diese beinhalten zugleich breite Ermessensspielräume. Den Kommunen werden diese Aufgaben übertragen, weil sie der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürgern näherstehen als etwa bundesweit agierende Sicherungssysteme, für diesen Personenkreis direkt erreichbar sind und über die notwendigen Informationen verfügen bzw. sich diese beschaffen können, die für den sachgemäßen Gebrauch des pflichtgemäßen Ermessens notwendig sind.
2 Geschichtliche Entwicklung
Das Sozialamt hat sich mit der kommunalen Armenfürsorge entwickelt. Den Kommunen war bereits mit dem kaiserlichen Edikt von 1523 die Armenpflege als Aufgabe übertragen worden, organisatorisch war es allerdings jeder Kommune freigestellt, wie sie dieser Aufgabe nachging. Letztlich war die Armenpolizei für die vermeintliche „Gefahrenabwehr“ verantwortlich, die mit Armut kontextuell verbunden wurde. Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 präzisierte die Zuständigkeit der kommunalen Armenpflege, zunächst die der Heimatgemeinde, ab 1842 in Etappen dann die der Gemeinde, die als gewöhnlicher Aufenthalt diente. Doch blieb auch hier die Organisationsstruktur Sache der einzelnen Gemeinden. Es entwickelten sich erste systematische Bearbeitungsstrukturen (Armenamt), so etwa im „Elberfelder Modell“, bei dem die Kommune die Stadt in Quartiere aufteilte und ehrenamtliche Besuchsdienste einrichtete (Sachße und Tennstedt 1980, S. 286 ff.). Daneben haben sich andere Organisationsformen der Armenfürsorge entwickelt, abhängig von der jeweiligen Haushaltsgestaltung und der Binnenorganisation der städtischen Verwaltungsstrukturen. Parallel zu kommunalen Einrichtungen haben sich zivilgesellschaftliche Strukturen zur Armutsbekämpfung gebildet, zunächst vor allem seitens der beiden christlichen Kirchen und der jüdischen Glaubensgemeinschaft.
Mit der Rechtsetzung der Armenfürsorge 1924 verfestigten sich die Strukturen der kommunalen Armenfürsorge (Sachße und Tennstedt 1988, S. 142 ff.). Es entstanden unter Bezeichnungen wie „Fürsorgeamt“ oder „Wohlfahrtsamt“ kommunale Ämter, die sich über monetäre Hilfen hinaus auch sozialen Dienstleistungen zuwendeten (a.a.O., S. 184 ff.). Zugleich differenzierte sich die kommunale Fürsorge auch institutionell aus (Jugendfürsorge, Wohnungshilfe, Gesundheitsversorgung u.a.m.). Gleichzeitig verfestigte sich die institutionelle Trennung von kommunaler Fürsorge und freier Wohlfahrtspflege. Während erstere sich vorwiegend auf finanzielle Leistungen beschränkte, wurden Dienstleistungen, die mit einer Kostenerstattung rechnen konnten, in hohem Maße an die freie Wohlfahrtspflege abgetreten.
Das mit den Stein-Hardenberg’schen Reformen (1807–1815) in Preußen eingeführte Recht auf kommunale Selbstverwaltung erhält nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz mit Art 28 GG Verfassungsrang. Die Fürsorge selbst ist verfassungsmäßig Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung, das bedeutet, dass die Länder vorrangig berufen sind, Recht zu setzen, es sei denn, der Bund wird gesetzgeberisch tätig. Mit dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) aus den Jahren 1961/62 und nunmehr mit dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) Sozialhilfe aus dem Jahr 2003 wurden bundeseinheitliche Regelungen verankert, die von den Bundesländern weiter ausgestaltet werden können und werden und insgesamt von den Kommunen und ihrer Organisationseinheit Sozialamt umgesetzt werden müssen. Der Begriff Sozialamt löste nach Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) im Jahr 1961/62 vorherige Bezeichnungen ab (Aner und Hammerschmidt 2018, S. 84; Boeckh et al. 2022, S. 9 ff.).
3 Träger und Aufgabenstellung kommunaler Fürsorge
Örtliche Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Kreise. Die Bundesländer bestimmen nach eigenem Recht die überörtlichen Träger (§ 3 SGB XII). Wichtigste Aufgabe des Sozialamtes ist die Gewährung gesetzlich vorgegebener Mindestsicherungsleistungen nach dem SGB XII im Rahmen der Sozialhilfe. Dazu zählen vor allem Hilfen zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII), die Förderung von Bildung und Teilhabe (§§ 34, 34a und 34b SGB XII) und Hilfen in besonderen Lebenslagen (§§ 47 ff. SGB XII). Die Länder entscheiden des Weiteren, wer die Leistungsansprüche von geflüchteten Menschen, deren Anträge auf Asyl noch nicht beschieden sind, im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes bearbeitet. Auch hiermit werden vorrangig die Kreise und kreisfreien Städte und damit die Sozialämter beauftragt. Die Kommunen sind auch für die Umsetzung des Wohngeldgesetzes und bei Ausfall des Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des Unterhaltsvorschussgesetzes zuständig. Die vorliegenden gesetzlichen Regelungen eröffnen neben klaren Festlegungen ein hohes Maß an Ermessensspielräumen (Boeckh et al. 2022, S. 164 ff.).
3.1 Hilfen zum Lebensunterhalt
Wichtigste Aufgabe des Sozialamtes ist zunächst die Feststellung und Gewährleistung von Hilfen für Personen, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten (Hilfen zum Lebensunterhalt). Diese „Hilfe zum Lebensunterhalt“ ist die einzige Sozialleistung, die nicht beantragt werden muss: Das Sozialamt hat tätig zu werden, sobald ihr der Hilfebedarf bekannt wird (§ 18 Abs. 1 SGB XII). Überdies richtet sich die Sozialhilfe „nach der Besonderheit des Einzelfalls“ (§ 9 SGB XII). Da Fürsorgeleistungen allerdings nachrangig – subsidiär – gewährt werden, muss das Sozialamt prüfen, ob persönliches Einkommen, Vermögenswerte oberhalb bestimmter Freigrenzen, Unterhaltsansprüche gegenüber anderen Familienmitgliedern (in gerader Linie), Rechtsansprüche, sei es gegenüber Privatpersonen, Arbeitgebern oder im Rahmen der sozialen Sicherung (z.B. Arbeitslosengeld I) bestehen. Erst wenn dieses verneint wird, muss das Sozialamt eintreten. Dabei gibt es Ausnahmen für den Personenkreis, der sich in besonderen sozialen Schwierigkeiten befindet. Dazu zählen etwa alleinstehende Wohnungslose und Personen, die nicht fähig sind, ihren Alltag zu organisieren. Hier hat die Hilfe unmittelbar und ohne einen Rückgriff auf andere Rechtsansprüche zu erfolgen (§§ 67–69 SGB XII).
Die nach Altersstufen differenzierten Regelsätze sind standardisierte Geldleistungen, die nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren ermittelt und jeweils angepasst werden. Sie umfassen die Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie (ohne Heizung und Warmwasser) sowie Bedarfe zur Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben. Entgegen Regelungen des vormaligen BSHG sind einmalige Leistungen nunmehr pauschaliert in diese so ermittelten Regelsätze eingerechnet. Das bedeutet faktisch, dass Hilfeempfänger:innen etwa für die Ersatzanschaffung von Haushaltsgeräten aus dem Regelsatz Rücklagen ansparen müssen. Nicht standarisiert sind „angemessene“ Kosten für Unterkunft und Heizung; sie werden gesondert und entsprechend dem lokalen Umfeld ermittelt. Nur bei besonderen Anlässen werden darüber hinaus Beihilfen für zusätzliche Bedarfe gewährt, etwa bei Wohnungsneugründung, Schwangerschaft, Geburt, Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung und zur Altersvorsorge sowie ein angemessenes Sterbegeld (§§ 30 ff. SGB XII). Zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit können auch Mietschulden darlehensweise übernommen werden.
Neben diesen existenzsichernden Leistungen ist das Sozialamt für alle im SGB XII verankerten Tätigkeitsbereiche zuständig. Im Rahmen der finanziellen Unterstützung ist die Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit zu nennen. Sie umfasst vom Personenkreis und vom finanziellen Volumen her nunmehr den mit Abstand größten Teil der Empfänger:innen von Hilfen zum Lebensunterhalt (§§ 41 ff. SGB XII). Diese Leistungen müssen beantragt werden (§ 44 SGB XII); der finanzielle Rückgriff auf Verwandte ersten Grades in direkter Linie ist aber stark eingeschränkt und greift erst bei Jahreseinkünften von 100.000 EUR und mehr im Sinne des Einkommenssteuerrechts („Familiensubsidiarität“; § 94 SGB XII).
3.2 Bildung und Teilhabe
Kindern und Jugendlichen wird das Recht auf eine „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ zugesprochen (§ 34 SGB XII). Dieses soll für Kinder und Jugendliche bis 25 Jahren, die ihre Bildungs- und Teilhabebedarfe nicht aus eigenen Mitteln decken können, über die finanzielle Förderung etwa von Schulausflügen, mehrtägigen Klassenfahrten, die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf, Kosten der Schülerbeförderung, eine ergänzende angemessene Lernförderung, Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung sowie für Aktivitäten beim Sport, künstlerische Aktivitäten wie insgesamt im Freizeitbereich sichergestellt werden. Diese Unterstützung muss im Rahmen der Beantragung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltend gemacht werden. Neben Sach- und Dienstleistungen und direkten Geldleistungen können auch Zahlungen an Anbieter von Leistungen zur Deckung dieser Bedarfe erfolgen. Beim Kinderzuschlag, Wohngeld und bei der Sozialhilfe sind dafür die kreisfreien Städte bzw. die Landkreise als Sozialhilfeträger zuständig.
3.3 Hilfen in besonderen Lebenslagen
Neben Hilfen zum Lebensunterhalt gibt es Hilfen in besonderen Lebenslagen, insbesondere im Rahmen von Eingliederungshilfen, Hilfen für Menschen mit Behinderungen, Hilfen zur Pflege und im Krankheitsfalle. Insgesamt gibt es hier zunächst eigenständige rechtliche Regelungen (etwa SGB IX bei Behinderung und SGB XI bei Pflege). Doch wenn diese Leistungen nicht ausreichen, kann eine zusätzliche Unterstützung beim Sozialamt beantragt werden. Auch hier gibt es Zugriffsmöglichkeiten auf Verwandte ersten Grades in direkter Linie, die vom Sozialamt geprüft werden müssen. Allerdings greifen auch hier Regressansprüche erst, wenn die jährlichen Einkünfte pro Unterhaltsverpflichteten über 100.000 EUR liegen.
3.4 Kooperation mit der Agentur für Arbeit: Das Bürgergeld
Mit dem SGB II Grundsicherung für Arbeitsuchende/Bürgergeld ist eine neue Fürsorgeleistung geschaffen worden, die einerseits die ursprüngliche Arbeitslosenhilfe ersetzt hat. Andererseits fielen bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes im Jahr 2003 immer mehr Personen in die Sozialhilfe, die entweder keine Anwartschaften im Rahmen der Arbeitslosenversicherung erworben hatten bzw. deren erworbene Ansprüche zeitlich abgelaufen waren. Diese Personengruppen unterliegen nunmehr gemeinsam dem neu geschaffenen Rechtsbereich. Das damals eingeführte Arbeitslosengeld II wurde zum 1.1.2023 durch das Bürgergeld ersetzt. Dieses kann von der Agentur für Arbeit bzw. ihren regionalen und lokalen Dienststellen verwaltet werden. Doch sollen über die Gewährleistung monetärer Leistungen auch Sach- und Dienstleistungen vorgehalten werden, die für eine (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt wichtig bzw. dienlich sind, wie eine Beratung bei persönlichen Schwierigkeiten (bspw. Schuldnerberatung) bzw. das Zurverfügungstellen von Betreuungsplätzen für (Klein-)Kinder. Dieses wird über verschiedene Kooperationsformen mit den lokalen Sozialbehörden herbeigeführt, sei es in Gestalt der sog. gemeinsamen Einrichtungen (gE) von Arbeits- und Sozialamt (Jobcenter), sei es durch die direkte Übernahme aller Leistungen incl. der monetären durch die kommunale Sozialverwaltung (zugelassene kommunale Träger). Deren Ausgaben werden dann von der Agentur für Arbeit ersetzt.
3.5 Asylbewerberleistungsgesetz
Personen, deren Antrag auf Asyl noch nicht beschieden ist, unterliegen in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Dieses umfasst neben monetären Leistungen Ansprüche auf Unterbringung, Behandlung akuter Erkrankungen und Integrationskurse. Die Leistungen liegen unterhalb des Niveaus der Sozialhilfe und bilden damit kein vergleichbares soziokulturelles Existenzminimum ab. Auch können Leistungsberechtigte verpflichtet werden, Arbeitsgelegenheiten wahrzunehmen, etwa im Rahmen der Aufrechterhaltung und Betreibung von Einrichtungen zur Flüchtlingsunterbringung u.a.m. Daneben sind Möglichkeiten für sonstige, einzelfallbezogene Leistungen vorgesehen. Die dabei entstehenden Kosten sind den Kommunen zu erstatten.
3.6 Kommune als Träger sozialer Dienstleistungen
Die Sozialverwaltung bietet daneben auch direkte Dienstleistungen an, am bekanntesten etwa im Bereich der Tagesbetreuung von Kindern im Vorschulalter (zuständig: Jugendamt). Daneben gibt es zahlreiche Beratungsstellen und soziale Dienste. Viele Kommunen organisieren bzw. koordinieren Formen ehrenamtlichen Engagements etwa im Bereich der Altenhilfe. Hoheitliche Maßnahmen müssen von den Kommunen selbst wahrgenommen werden, etwa bei Personen, die für sich selbst oder andere eine Gefährdung darstellen (Sozialpsychiatrischer Dienst).
In § 5 SGB XII wird ausdrücklich festgeschrieben, dass die Träger der Sozialhilfe mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie mit den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege „zum Wohle der Leistungsberechtigten“ zusammenarbeiten sollen. Dieses wird in jeder Kommune bzw. in jedem Kreis über Vereinbarungen konkretisiert, wodurch es zu sehr unterschiedlichen Ausgestaltungen kommt. Die freien Träger haben einen Anspruch auf Kostenersatz (Evers et al. 2011).
4 Neugliederung kommunaler Sozialpolitik
Die komplexer werdenden Dienstleistungen des Sozialamtes haben dazu geführt, dass der Begriff Sozialamt immer öfter durch Begrifflichkeiten ersetzt wird, die nicht nur die Breite der Aufgaben widerspiegeln, sondern insgesamt deutlich machen, dass über die Gewährleistung von Fürsorgeleistungen hinausgehend ein Ansatz der sozialen Gestaltung des Gemeinwesens deutlich wird. Begriffe wie „Fachbereich Soziales und Gesundheit“ oder „Geschäftsbereich Soziales und Integration“ können exemplarisch angeführt werden (Grajcar 2017, S. 765).
Dabei kommt es teils zu institutionellen Ausgliederungen, teils zu institutionellen Neuformierungen von sozialen Diensten der Kommunen. So ist bereits 1922/24 die Jugendhilfe einem eigenständigen Amt zugewiesen worden, dem Jugendamt. Kommunal gibt es Wohnungsämter und Gesundheitsämter u.a.m. Zugleich nimmt die Verrechtlichung zu. Diese Spezialisierung folgt einerseits den zunehmend komplexer werdenden sozialen Bedarfen. Andererseits führt sie zu einer wachsenden Unübersichtlichkeit und Schwierigkeiten bei der Verknüpfung unterschiedlicher Leistungsansprüche. Wer ist für was zuständig? Welche Leistung muss zunächst beantragt werden, um eine andere auch bekommen zu können? Um dieses „Verwaltungsdickicht“ (Stölner 2024, S. 5) zu überwinden oder zumindest einzuschränken, haben zahlreiche Kommunen stadtteilbezogene Stellen geschaffen, in denen Beratung und Antragstellung bei allen Problemlagen zusammengefasst werden können (sozialräumliches Quartiersmanagement).
Die kommunalen Ämter im Sozialbereich betreiben Sozialplanung, beteiligen sich an Maßnahmen der Dokumentation sozialer Dienste und leisten einen Beitrag zu Selbst- oder Fremdevaluation. Zu nennen ist hier auch besonders die Befassung mit Fragen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (Rohrmann 2024). Insgesamt sollen über diese Maßnahmen Bedarfe und Leistungsangebote besser aufeinander bezogen werden.
5 Wechselnde Herausforderungen und Finanzierung
Das Sozialamt, wie alle anderen im sozialen Bereich tätigen kommunalen Dienststellen, steht vor sich ständig ändernden Herausforderungen. Dieses zeigte bzw. zeigt sich etwa beim Ausbruch der Coronaepidemie ebenso wie beim vermehrten Aufkommen von geflüchteten bzw. Asyl suchenden Menschen, aber auch angesichts der älter werdenden Gesellschaft mit einem vermehrten Bedarf an Betreuung und Pflege. Die Zahl der Empfänger:innen etwa von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat inzwischen die Millionengrenze weit überschritten (2022: 1,189 Mio.; Destatis 2023).
Die Alltagsanforderungen und die Herausforderungen schlagen bei den Ausgaben der Kommunen zu Buche. Seit Jahren klagen die Kommunen über ihre Unterfinanzierung, zumal die Möglichkeiten der eigenständigen Mittelakquise begrenzt sind. Sie fordern höhere Finanzzuweisungen des Bundes bzw. der Länder etwa im Kontext der Betreuung Arbeitssuchender oder von Asylbewerber:innen. Das Konnexitätsprinzip schreibt vor, dass der Bund für den Fall, dass er per Gesetz den Ländern neue Aufgaben zuweist, diese finanziell abgelten muss. Da aber die Kommunen einen Teil dieser Aufgaben umsetzen müssen, selbst aber nur durch die Länder vertreten werden, haben sie keinen direkten Einfluss auf die Mittelzuteilung. Die Kommunen beklagen sich regelmäßig, dass ihnen zumindest Teile der ihnen eigentlich zu erstattenden Mittel, sei es durch den Bund, sei es durch die Länder, vorenthalten werden. Sie fordern eine höhere Kostenerstattung etwa im Kontext der Flüchtlingsbetreuung ein. So müssen die Kommunen die Kosten für Unterkunft und Heizung der Empfänger:innen von Grundsicherungsleistungen übernehmen, für die sie einen Ausgleich des Bundes erhalten, abhängig von der Beteiligung des jeweiligen Bundeslandes. Hier häufen sich Klagen der Kommunen, dass dieses nicht im vollen Umfange geschieht (Stölner 2023, S. 5).
Die Kosten für Hilfen in besonderen Lebenslagen steigen exorbitant, insbesondere im Bereich der Eingliederungshilfen für behinderte Menschen und Pflege. Die Politik, Anforderungen an kommunale Fürsorgeleistungen dadurch zu verringern, dass bundeseinheitliche Versicherungs- oder Versorgungssysteme eingerichtet werden (SGB IX: Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen von 2016 und SGB XI: Soziale Pflegeversicherung von 1994), hat die Kommunen in der Tat zunächst finanziell stark entlastet. Angesichts steigender Kosten insbesondere bei Eingliederungsmaßnahmen und im Bereich Pflege haben die finanziellen Belastungen der Kommunen wieder stark zugenommen (Aner und Hammerschmidt 2018, S. 86 ff.).
6 Überörtliche Träger
Im Bereich kommunaler Sozialpolitik gibt es Bereiche, die die Möglichkeiten einer örtlichen Regelung überfordern würden und deshalb in den Bundesländern zu überörtlichen Trägern geführt haben. Deren Bezeichnung variiert von Bundesland zu Bundesland (etwa Hessen: Landeswohlfahrtsverband; NRW: Landschaftsverband oder schlicht Landessozialamt in Niedersachsen). Den überörtlichen Trägern kommen einerseits besonders kostenintensive Aufgaben zu, etwa langfristige Unterstützungsleistungen bei Pflege und Behinderung. Sie unterhalten teilweise selbst Einrichtungen für die zeitweise oder auch dauerhafte Unterbringung und Versorgung der durch sie betreuten Personen. Auch bieten sie Bildungsmaßnahmen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozialer Dienste an. Andererseits übernehmen die überörtlichen Träger auch Aufgaben, die spezielle Rechtskenntnisse voraussetzen, so etwa im Zusammenhang von Adoptionen ausländischer Staatsangehöriger. Sie finanzieren sich teils aus direkten Zuweisungen der Bundesländer, teils durch Abgaben der Kommunen.
7 Zielsetzung, Ergebnisse und Erfordernisse
7.1 Teilhabe oder soziale Ausgrenzung?
§ 1 SGB XII legt unter Bezug auf Art 1 GG als Aufgabe der Sozialhilfe fest, „den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.“ Dabei setzt das Gesetz auf eine verpflichtende Eigenbeteiligung des bzw. der Betroffenen, um im Rahmen ihrer bzw. seiner Möglichkeiten den Zustand der Hilfeabhängigkeit zu überwinden bzw. abzumildern (Mitwirkungsverpflichtung). Neben beratende Hilfestellungen zur Stärkung der Selbsthilfe treten auch Sanktionen etwa in Gestalt von Leistungskürzungen (§ 26 SGB XII). Dieses betrifft besonders Personen im erwerbsfähigen Alter, während Hilfebedürftige, die dem Arbeitsmarkt strukturell nicht mehr zur Verfügung stehen, weniger mit Sanktionen belegt werden (Dimmel 2021).
Hinzu kommt, dass Hilfebedürftige oftmals aus Unkenntnis über ihre Rechte oder die Regelungen zum Unterhaltsrückgriff etwa auf ihre Kinder darauf verzichten, ihre Ansprüche beim Sozialamt überhaupt anzumelden. Diese „Dunkelziffer der Armut“ fällt je nach Leistungsbereich unterschiedlich hoch aus. Hinzu kommen zahlreiche Fälle, wo Betroffene aufgrund schlechter Erfahrungen mit dem Sozialamt bewusst darauf verzichten, Ansprüche weiter geltend zu machen (Eckhardt 2023).
Angesichts der hohen Quote von Personen in Deutschland im Bezug von Mindestsicherungsleistungen (knapp 10 Prozent) sind Pauschalaussagen über die tatsächlichen Erfolge bzw. Misserfolge bei der Sicherung sozialer Teilhabe oder bei der Beteiligung an sozialer Ausgrenzung durch Aktivitäten der daran beteiligten Ämter, so auch des Sozialamtes, nicht möglich. Auch ist in Rechnung zu stellen, dass viele Hilfebedürftige oftmals schon eine lange „Karriere“ des behördlichen Umgangs hinter sich und keine Kraft mehr haben, ihnen gemachten Auflagen zu folgen. Hier stoßen dann unterschiedliche „Logiken“ zwischen Sachbearbeitung und Hilfebedürftigkeit aufeinander, die nur durch eine besondere Beratung und Betreuung beiderseits auflösbar sind. Doch daran mangelt es nicht selten. Hinzu kommt die Engführung des Verständnisses von Teilhabe bei Berufsfähigen auf die Integration in den Erwerbsarbeitsmarkt, obwohl das Gesetz auch andere Formen des sozialen Engagements für sinnvoll erachtet (§ 11 Abs. 2 SGB XII). Und schließlich ist die chronische personelle Unterbesetzung in den Sozialämtern ebenso in den Blick zu nehmen. Dieses alles führt zu Reibungsverlusten und endet nicht selten in „verdeckter Armut“. Aber gerade dieses soll durch das SGB XII verhindert werden.
7.2 Optimierung durch bessere Mittelausstattung und Vernetzung
In den 1990er-Jahren kam es zu Ansätzen, die kommunale Verwaltung, auch die der Sozialbehörden, effizienter zu gestalten (Neue Steuerungsmodelle). Die Bürger:innen sollten als Kund:innen wahrgenommen werden, an die Stelle eines bürokratischen Managements sollten Formen der gegenseitigen Abmachung (Kontraktmanagement) treten, die gegenseitig Leistung und Gegenleistung festlegen. Allerdings haben sich die hohen Erwartungen an die Effizienz der Verwaltung durch diesen neuen Ansatz nicht erfüllt, nicht zuletzt, weil „soziale Probleme auch durch eine noch so effiziente Verwaltung nicht grundlegend zu lösen sind“ (Bogumil und Jann 2008, S. 50). Hinzu kommt, dass sich die tatsächliche Wirkung von sozialen Dienstleistungen auf die diese in Anspruch Nehmenden nur schwer feststellen lässt, was allerdings bestimmte Formen ihrer Evaluation nicht ausschließt. Letztlich kommt es darauf an, wie das Zusammenspiel von monetären und sozialen Leistungen, von kommunalen Diensten und solchen freier Träger wie insgesamt auch zivilgesellschaftlicher Kreise gestaltet und optimiert wird. Entscheidend kann sein, auf kommunaler Ebene tragfähige Netzwerke von Professionellen und bürgerschaftlich Engagierten aufzubauen. Ein Rückzug der Kommune bzw. eine strikte Ökonomisierung, wie es einige Steuerungskonzepte forderten, kann die bestehenden Probleme hingegen nicht lösen (Burmester 2018. S. 732 ff.; Dahme und Wohlfahrt 2013). Nicht nur deshalb bedarf es einer angemesseneren finanziellen Mittelausstattung der Kommunen als dieses bislang der Fall ist (Stölner 2023, S. 16).
8 Quellenangaben
Aner, Kirsten und Peter Hammerschmidt, 2018. Arbeitsfelder und Organisationen der Sozialen Arbeit: Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-20563-8
Boeckh, Jürgen, Ernst-Ulrich Huster, Benjamin Benz und Johannes D. Schütte, 2022. Sozialpolitik in Deutschland. 5. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-36013-9
Bogumil, Jörg und Werner Jann, 2008. Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland: Einführung in die Verwaltungswissenschaft. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. ISBN 978-3-531-16172-3
Burmester, Monika, 2018. Kommunale Armutsverwaltung – zwischen gesetzlichem Auftrag und kommunalem Gestaltungswillen. In: Ernst-Ulrich Huster, Jürgen Boeckh und Hildegard Mogge-Grotjahn, Hrsg. Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 717–740. ISBN 978-3-658-19076-7 [Rezension bei socialnet]
Dahme, Heinz-Jürgen und Norbert Wohlfahrt, 2013. Lehrbuch Kommunale Sozialverwaltung und Soziale Dienste: Grundlagen, aktuelle Praxis und Entwicklungsperspektiven. 2., völlig überarb. Auflage. Weinheim: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-2217-9 [Rezension bei socialnet]
Destatis, 2023. 6,0 % mehr Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Ende 2022, Pressemitteilung Nr. 138 vom 5. April 2023 [online]. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 05.04.2023 [Zugriff am: 26.03.2024]. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/​Pressemitteilungen/2023/04/PD23_138_228.html
Dimmel, Nikolaus, 2021. Sozialbürokratie und soziale Ausschließung. In: Roland Anhorn und Johannes Stehr, Hrsg. Handbuch Soziale Ausschließung und Soziale Arbeit. Wiesbaden: Springer VS, S. 1005–1023. ISBN 978-3-531-18531-6 [Rezension bei socialnet]
Eckhardt, Jennifer, 2023. Spannungsfeld Nichtinanspruchnahme: Wenn Bedürftige auf den Sozialstaat verzichten. Weinheim Basel: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-7208-2 [Rezension bei socialnet]
Evers, Adalbert, Rolf G. Heinze und Thomas Olk, Hrsg., 2011. Handbuch Soziale Dienste. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-531-15504-3 [Rezension bei socialnet]
Grajcar, Dietmar, 2017. Sozialamt. In: Deutschen Verein für öffentliche und Private Fürsorge e.V. Fachlexikon der Sozialen Arbeit. 8. Auflage. Baden-Baden: Nomos, S. 765 f. ISBN 978-3-8487-2374-4 [Rezension bei socialnet]
Rohrmann, Eckhard, 2024. Zwischen selbstbestimmter sozialer Teilhabe und fürsorglicher Ausgrenzung und Bevormundung – Ausgewählte Lebenslagen von Menschen, die wir behindert nennen, im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention. In: Ernst-Ulrich Huster und Jürgen Boeckh, Hrsg. Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-37805-9
Sachße, Christoph und Florian Tennstedt, 1980. Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland: Vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-005412-7
Sachße, Christoph und Florian Tennstedt, 1988. Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland: Band 2: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871 bis 1929. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-010083-1
Stölner, Robert, 2024. Das Management von Armut auf kommunaler Ebene. In: Ernst-Ulrich Huster und Jürgen Boeckh, Hrsg. Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer VS. ISBN 978-3-658-37805-9
9 Literaturhinweise:
Aner, Kirsten und Peter Hammerschmidt 2018: Arbeitsfelder und Organisationen der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS
Bogumil, Jörg und Werner Jann 2013: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung
Stölner, Robert 2023: Das Management von Armut auf kommunaler Ebene, in: Ernst-Ulrich Huster und Jürgen Boeckh (Hrsg.): Handbuch Armut und soziale Ausgrenzung. 4. Aufl. Wiesbaden: Springer VS
Verfasst von
Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster
Evangelische Hochschule RWL Bochum und Justus Liebig-Universität Gießen
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