Soziale Berufe
Prof. Dr. Nicolas Schöpf
veröffentlicht am 06.08.2024
Soziale Berufe sind Berufe, die durch helfende, beratende, pädagogische und andere Tätigkeiten für Menschen in hilfebedürftigen Lebensphasen (Kindheit, Jugend, Alter) oder in prekären Lebenslagen gekennzeichnet sind. Die beruflichen Tätigkeiten sind auf pädagogische und sozialarbeiterische Unterstützung und auf die Vermeidung (Prävention) oder Linderung (Kompensation) sozialer Notlagen ausgerichtet.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Entstehung und Entwicklung sozialer Berufe
- 3 Systematik
- 4 Ausbildungswege
- 5 Arbeitsmarkt und Fachkräftebedarf
- 6 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Die Gruppe der sozialen Berufe setzt sich aus zahlreichen Qualifikationsprofilen zusammen, die eine Vielfalt an sozialpädagogischen, sozialarbeiterischen und sozialpflegerischen Tätigkeiten abdecken. Bekannte soziale Berufe sind: Erzieher:in, Sozialpädagog:in oder Sozialarbeiter:in. Die Abgrenzung zu Gesundheitsberufen ist nicht immer eindeutig: Pflegeberufe bspw. sind sowohl bei den sozialen als auch in bei den Gesundheitsberufen zu finden.
Soziale Berufe haben zu Beginn des 21.Jahrhunderts eine große gesellschaftliche Bedeutung und sind insbesondere aus dem Segment den personenbezogenen sozialen Dienstleistungen nicht wegzudenken. Laut Auswertung des Mikrozensus durch das Statistische Bundesamt waren im Jahr 2019 insgesamt rund 1.617.000 abhängig Beschäftigte in den Berufen der „Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege“ (Bundesagentur für Arbeit 2020a) tätig.
Die Bedeutung der sozialen Berufe hat sich spätestens seit 2010 nochmals an mehreren Stellen prominent gezeigt: Beispielhaft sei hier an die demografischen Veränderungen, an der Ausbau der Kindertagesbetreuung (mit Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung seit 2013), die Bewältigung der Fluchtmigration seit den Jahren 2013/2014 und der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022 erinnert. Überall dort waren und sind soziale Berufe besonders gefragt.
2 Entstehung und Entwicklung sozialer Berufe
Die sozialen Berufe sind in der Summe eher jüngere Berufe – allerdings mit einigen Ausnahmen. Zwar kann Soziale Arbeit in ihren Grundideen der Erziehung und Bildung nachkommender Generationen und der Unterstützung und Versorgung hilfebedürftiger Menschen historisch noch weiter zurückverfolgt werden, dies allerdings weitestgehend noch ohne den Einsatz von berufstätigen Personen mit entsprechenden Ausbildungen.
Die ersten Anzeichen einer berufsförmig organisierten sozialen Arbeit sind ab Mitte des 19. Jahrhunderts erkennbar. Diese sich langsam professionell konstituierende und etablierende berufsmäßige soziale Arbeit ist v.a. mit der Industrialisierung und der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert einsetzenden Wohlfahrts- und Sozialpolitik verknüpft. Hier entwickeln sich erste Qualifikationsbilder und entsprechende Ausbildungsformen, bspw. die Kindergärtner:innenausbildung als Vorläuferin der heutigen Erzieher:in oder Ausbildungen im Bereich der Heimerziehung. Das Ganze erfolgt noch eher vereinzelt und räumlich begrenzt und wird vielfach durch private Initiativen angestoßen. Der Staat hält sich hier, zunächst noch die Entwicklung beobachtend, zurück (Rauschenbach und Züchner 2018, S. 132).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstehen weitere Ausbildungen wie etwa Fürsorger:in oder Jugendleiter:in. Damit setzt eine Phase der langsamen Etablierung sozialer Berufe ein. Einfluss darauf hat u.a. auch die Arbeit von Alice Salomon (1872-1948) in Berlin und ihr Aufbau von eigenständigen Ausbildungen für Fürsorge und Wohlfahrtspflege an den sogenannten sozialen Frauenschulen (Rauschenbach 1994, S. 469).
Ab ca. 1920 greift auch der Staat etwas steuernd mit ein: Bei einer zweijährigen Ausbildung in Verbindung mit einem weiteren Jahr beruflicher Bewährung – einem Vorläufer des Berufsanerkennungsjahres – kann nun die staatliche Anerkennung als Wohlfahrtspflegerin verliehen werden (ein Ausbildungsweg, der zu dieser Zeit fast ausschließlich von Frauen beschritten wurde). Zeitlich ungefähr parallel dazu etabliert sich die Ausbildung zur Jugendleiterin, die zu Beginn eine Weiterbildungsqualifikation war und zur Leitung von Kindergärten, Horten oder Kinderheimen befähigen sollte. Beide Ausbildungswege wurden in den 1950er Jahren dann grundlegend reformiert und bilden die Grundlage, auf denen moderne Berufsprofile aufsetzten (Rauschenbach und Züchner 2018, S. 133 f.).
Der Beginn der akademischen Ausbildungswege wird zwar ebenfalls im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gesehen, konkret haben die akademisch ausgebildeten sozialen Berufe wie bspw. der Sozialpädagoge:in oder Sozialarbeiter:in aber eine Tradition von gerade einmal knapp 60 Jahren. Ab 1970 entstehen durch mehrere Reformschritte im westdeutschen Bildungssystem die Fachhochschulstudiengänge der Sozialen Arbeit und der Sozialpädagogik. Ebenfalls in den Beginn der 1970er Jahre fällt die Einführung des universitären Studiengangs Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik (a.a.O., S. 135 f.).
3 Systematik
Soziale Berufe ist der Überbegriff für Berufe, bei denen in der Arbeit mit Menschen helfende, unterstützende, beratende und pädagogische Tätigkeiten zusammenfließen. Allerdings ist eine genaue Definition, was zu sozialen Berufen gehört, nicht einfach. Im Folgenden werden zur Einordnung der Bezeichnung soziale Berufe zwei grundlegende Systematiken herangezogen: die Klassifikation der Berufe (Bundesagentur für Arbeit 2020a), die u.a. für die statistische Erfassung berufsrelevanter Aspekte durch das Bundesamt für Statistik maßgebend ist, und das über die Website der Bundesagentur für Arbeit (BA) frei verfügbare Berufenet, das wohl das umfassendste lexikalische Werk für Berufe, ihre Inhalte, Tätigkeits- und Ausbildungsbeschreibungen ist.
3.1 Soziale Berufe: Klassifikation der Berufe
Eine in Deutschland wichtige Systematik zur Kategorisierung der Berufe liefert die Klassifikation der Berufe (KldB) der Bundesagentur für Arbeit. Eine eigenständige Kategorie soziale Berufe findet sich hier nicht, vielmehr werden mehrere Berufsfelder zusammengefasst.
Im Kapitel 8 fasst die KldB (Bundesagentur für Arbeit 2020a) die Berufe in „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ zusammen. Enthalten sind hier vier Bereiche:
- „Medizinische Gesundheitsberufe“ (a.a.O., S. 81) wie bspw. Ärzte:innen der Human- und Tiermedizin, Pflege, Rettungsdienst,
- „Nichtmedizinische Gesundheits-, Körperpflege- und Wellnessberufe und Berufe der Medizintechnik“ (a.a.O., S. 82),
- „Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie“ (a.a.O., S. 83),
- „Lehrende und ausbildende Berufe“ (a.a.O., S. 84) wie z.B. Lehrer:innen aller Fachrichtungen, Schularten, Sport- und Musik- und Tanzarten, Aus- und Weiterbildungspädagogen:innen, Fahrlehrer:innen u.a.
Damit wird bereits deutlich, dass die KldB Unterschiede bspw. zwischen pflegenden (z.B. Krankenpflege) und sozialen Berufen macht – zwischen Berufen also, die im alltäglichen Sprachgebrauch mitunter alle den sozialen Berufen zugerechnet werden.
Für die weitere inhaltliche Annäherung an die sozialen Berufe werden in Kapitel 83 „Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie“ drei Berufsgruppen unterschieden:
- „Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege“ (a.a.O., S. 831)
- „Hauswirtschaft und Verbraucherberatung“ (a.a.O., S. 832): z.B. Haushälter:in, Hauswirtschafter:in, Verbraucherberater:in, Techniker:in Ernährungs- und Versorgungsmanagement u.a.
- „Theologie und Gemeindearbeit“ (a.a.O., S. 833): z.B. Pfarrer:in, Diakon:in, Abt:issin, Gemeindehelfer:in u.a.
In der Berufsgruppe 831 „Erziehung, Sozialarbeit und Heilerziehungspflege“ sind schließlich folgende Berufe enthalten:
- Berufe in der Kinderbetreuung und -erziehung
- Berufe in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik
- Berufe der Heilerziehungspflege und Sonderpädagogik
- Berufe der Haus- und Familienpflege
- Berufe in der Sozial- und Erziehungs- und Suchtberatung
- Aufsichts- und Führungskräfte – Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege.
Bei den Berufen in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik bspw. geht es um Tätigkeiten wie Betreuungshelfer:in oder Genesungsbegleiter:in, um die Fachkraft Sozialarbeit und natürlich um Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagogen:innen (Bundesagentur für Arbeit 2020b, S. 1212 ff.).
Die Aufgaben dieser Berufe werden folgendermaßen zusammengefasst:
„Angehörige dieser Berufe übernehmen unterstützende, fördernde, beratende und helfende Aufgaben in Einrichtungen des Sozialwesens. Sie beraten und betreuen Einzelne, Familien oder Personengruppen in sozialen und persönlichen Problemsituationen und helfen ihnen diese zu bewältigen.“ (a.a.O., S. 1211).
Überraschend ist vielleicht, dass mit der Berufsgruppe Hauswirtschaft und Verbraucherberatung und der Untergruppe Haus- und Familienpflege Berufe aufgeführt werden, die bei der Diskussion um soziale Berufe nicht immer im Vordergrund stehen, aber mit gutem Grund zusammen mit medizinischen, erziehenden oder sozialarbeiterischen Berufen zusammengefasst werden.
Deutlich wird die enorme Breite, die Vielfalt und die Differenziertheit der sozialen Berufe in Deutschland. In enger Verwandtschaft zu Gesundheits-, zu pädagogischen oder sozialpädagogischen Berufen geht es bei der Haus- und Familienpflege bspw. um Berufe wie die Sozialassistentin oder die Fachkraft Pflegeassistenz. In diesen Berufen vermischen sich Elemente der medizinischen und sozialen Berufe mit hauswirtschaftlichen Aufgaben. Als Tätigkeiten werden hier u.a. beschrieben:
- Aufgaben der Hauswirtschaft,
- Assistenz bei der häuslichen Krankenpflege,
- Unterstützung bei der Grundpflege,
- Erstellung von Speiseplänen,
- Zubereitung von Speisen oder Einkäufe(a.a.O., S. 1218).
3.2 Soziale Berufe im Berufenet
Eine weitere wichtige Einteilung von Berufen bietet ebenfalls die Bundesagentur für Arbeit mit ihrem Berufenet (Bundesagentur für Arbeit 2023a). Hier gibt es das Berufsfeld Soziales, Pädagogik, das unterteilt wird in folgende Berufsgruppen:
- Berufe in Erziehung, Schule, Aus- und Weiterbildung
- Berufe mit Kindern und Jugendlichen
- Berufe mit älteren Menschen
- Berufe mit Menschen mit Behinderungen
- Berufe in der Sozialarbeit und Sozialpflege
- Berufe im Gesundheits- und Sozialmanagement
- Berufe rund um Religion und Kirche
Als das wesentliche Kennzeichen diese Berufsfeldes gilt, dass der Mensch im Zentrum der beruflichen Handlungen steht. Das Berufsfeld wird folgendermaßen beschrieben:
„Hier werden Personen in Krisen- und Konfliktsituationen beraten und unterstützt oder im Alltag betreut. Es gilt Bildungsangebote zu gestalten und durchzuführen oder zur medizinischen Rehabilitation beizutragen. Je nach Bereich arbeitet man z.B. mit Kindern, Senioren oder mit Menschen mit Behinderungen. Man organisiert das Sozialmanagement, entwickelt Gesundheitsförderprogramme, erteilt Unterricht, führt Beratungsgespräche oder übernimmt Sachbearbeitungsaufgaben im Sozialwesen.“ (Bundesagentur für Arbeit 2023a)
Auch der religiöse und seelsorgerische Beistand wird zu dem Feld „Soziales, Pädagogik“ gerechnet (ebd.).
An diesem kurzen Überblick über „offizielle“ Systematiken von sozialen Berufen wird deutlich, dass sich die Abgrenzung von Berufsfamilien sogar unterscheiden kann, wenn die beiden Systematiken aus einer Institution – hier der Bundesagentur für Arbeit – kommen. Insbesondere die Abgrenzung sozialer zu Gesundheitsberufen ist nicht immer trennscharf und in den Systematiken nicht immer konsistent. Die Frage, wo das Soziale endet und wo das Gesundheitliche beginnt, wird also nicht überall gleich beantwortet.
4 Ausbildungswege
Um einen Beruf zu ergreifen, ist es notwendig, festgelegte Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen zu erwerben und diese in einer Prüfung nachzuweisen. Berufe sind definiert als inhaltlich detailliert fest gelegte Bündel dieser Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt angeboten (Arbeitnehmer:in) und nachgefragt (Arbeitgeber:in) werden.
Unterscheiden lassen sich die Sozialen Berufe auch nach den Ausbildungswegen. Es gibt:
- Duale Ausbildungsberufe: z.B. Fachangestellte:r für Arbeitsmarktdienstleistungen, Orthopädietechnik-Mechaniker:in, Sozialversicherungsfachangestellte:r
- Schulische Ausbildungsberufe: Erzieher:in, Altenpfleger:in, Sozialassistent:in
- Studienberufe: Sozialarbeiter:in, Hebamme, Sozialwirt:in, Früh-, Kindheits- oder Sozialpädagoge:in (Bundesagentur für Arbeit 2023b).
Soziale Berufe gelten als überaus beliebte Ausbildungsberufe. Das gilt für duale und schulische Ausbildungen genauso wie für Studienberufe. Die Berufe, die in das Handlungsfeld der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern und in die Kinder- und Jugendhilfe führen, sind vielfach landesrechtlich geregelt und werden – wie bspw. für den Beruf Erzieher:in – an Berufsfachschulen oder Fachakademien für Sozialpädagogik ausgebildet.
Berufe wie Erzieher:in (im mittleren einstelligen Prozentbereich), Kinderpfleger:in oder Sozialassistenz (im unteren einstelligen Prozentbereich) weisen in den letzten zehn Jahren fast durchgehend leicht steigende Anfänger:innenzahlen auf (Berufsbildungsbericht 2023, Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023). Gleiches gilt auch noch für die Studienanfänger:innenzahlen in sozialen Studienberufen. So haben sich beispielsweise in der Sozialen Arbeit die Studienanfänger:innenzahlen zwischen dem Wintersemester 2002/2003 und dem Wintersemester 2022/2023 mehr als vervierfacht (CHE 2024).
Insbesondere für die Erzieher:innenausbildung wurden in den letzten Jahren in zahlreichen Bundesländern Reformen der Ausbildungen gestartet. Damit sollten die Rahmenbedingungen der Ausbildung attraktiver gestaltet und neue Zielgruppen angesprochen werden. Im Kern ging es dabei um neue Ausbildungsmodelle, die eine Vergütung der Ausbildung und die Integration von Praxis vorsehen (bspw. PIA Praxisintegrierte vergütete Ausbildung), und um berufsbegleitende Teilzeitausbildungen, bei denen bereits Arbeitsverträge mit den Trägern bestehen (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2023, S. 116).
5 Arbeitsmarkt und Fachkräftebedarf
Generell hat sich der Arbeitsmarkt für soziale Berufe laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit seit 2010 sehr positiv entwickelt. Die Erwerbstätigkeit hat genauso zugenommen wie die Zahl der gemeldeten Stellenangebote. Etwas relativiert wird diese Entwicklung dadurch, dass es sich in der Sozialwirtschaft in höherem Maße als in anderen Wirtschaftsbereichen um Stellen mit Befristung und in Teilzeit handelt (Bundesagentur für Arbeit 2023c).
Für das Jahr 2022 weist die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit 347.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit akademischer Ausbildung in der Sozialen Arbeit aus – mit einer Teilzeitquote von 54 %, die mit einem hohen Anteil weiblicher Beschäftigung korrespondiert (ebd.). Soziale Berufe werden in sehr hohem Maße in abhängiger Beschäftigung ausgeübt. Im Jahr 2022 lag bei den akademischen sozialen Berufen der Anteil der Selbstständigkeit nur bei 4 Prozent (ebd.).
Die steigenden Anfänger:innenzahlen verweisen einerseits auf die Beliebtheit sozialer Berufe bei jungen Menschen. Der Wunsch, unmittelbar mit Menschen zu arbeiten, wird hier als Motivation immer wieder geäußert. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Zeit der Corona-Pandemie auch die Kehrseite der sozialen Berufe in den Blick der Öffentlichkeit gerückt: Die Attraktivität der Berufe, der Bedarf an Fachkräfte und die Bedeutung sozialer Berufe für das individuelle und gesellschaftliche Zusammenleben, wie sie in den Corona-Jahren wie unter einem Brennglas deutlich wurden, korrespondieren noch nicht mit den Rahmenbedingungen, wie sie für die Beschäftigungsverhältnisse wünschenswert wären.
5.1 Fachkräftebedarf
Trotz der in der zurückliegenden Dekade tendenziell steigenden Anfänger:innenzahlen wird in vielen sozialen Berufen bereits seit Längerem ein großer Bedarf bzw. mittlerweile sogar an Mangel an Fachkräften festgestellt. Ein Fachkräftemangel besteht dann, wenn „[…] der Bedarf an ausgebildeten Fachkräften erkennbar und dauerhaft über dem Angebot an ausgebildeten Fachkräften liegt“ (Bundesinstitut für Berufsbildung 2024, o.S.; Burstedde 2020, S. 5).
Insgesamt betrachtet besteht bei den sozialen Berufen gegenwärtig sogar ein erheblicher Mangel. Das Institut der Deutschen Wirtschaft bilanziert 2022:
„Unter den zehn Berufen mit den größten Fachkräftelücken sind fünf dem sozialen beziehungsweise dem Gesundheitssektor zuzuordnen. Dazu zählt die Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik […]. Fast genauso groß war die Fachkräftelücke […] bei den Erzieherinnen und Erziehern. Auch hier erreichte der Fachkräftemangel einen Rekordwert.“ (Hickmann und Koneberg 2022, S. 1)
Die beiden genannten Berufsgruppen Sozialarbeiter:in und Erzieher:in nehmen sogar die beiden Spitzenpositionen ein. Sozialarbeiter:innen – und auch zahlreiches anderes Fachpersonal mit sozialen Berufen – fehlen damit in vielen sensiblen Bereichen, in denen Menschen professionelle Unterstützung für die Bewältigung sozialer Probleme benötigen. Dies betrifft beispielsweise:
- die Berufseinstiegsbegleitung,
- die Schulsozialarbeit,
- die Arbeit in Jugend-, Kinder- und Altenheimen,
- die Suchtberatung oder
- die ambulanten Dienste für Menschen mit Beeinträchtigungen.
Bei den erzieherischen Berufen hat insbesondere der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung im Jahr 2013 die Situation verschärft. Im Rahmen einer Studie gaben bereits im Jahr 2014 mit 60 % mehr als die Hälfte der befragten Kita-Leitungen an, Fachkräfte nur mit Schwierigkeiten finden zu können (Grgic et al. 2018, S. 8). Die Situation hat sich seither weiter verschärft.
Der Fachkräftemangel bei den Sozialen Berufen ist somit zwar deutlich erkennbar, gilt allerdings nicht pauschal: Bspw. gilt der Beruf Erzieher:in wie beschrieben als Engpassberuf, d.h. die Anzahl der gemeldeten offenen Stellen übersteigt das Berufskräfteangebot deutlich. Bei Berufen wie Sozialassistent:in oder Kinderpfleger:in wiederum werden im Vergleich deutlich weniger offene Stellen angeboten (Bundesagentur für Arbeit 2024).
5.2 Neue Zielgruppen und Quereinstieg
Die Professionalität und die Qualitätssicherung in sozialen Berufen gründen in Deutschland auf umfangreichen Ausbildungen – in der beruflichen genauso wie in der akademischen Bildung. Die an vielen Stellen anspruchsvolle, herausfordernde und sensible Arbeit mit Menschen in betreuungsnotwendigen Altersphasen, mit vulnerablen Personen oder mit Personen in schwierigen Lebenssituationen erfordert eine systematische und tragfähige Qualifizierung.
In den letzten Jahren wurden angesichts des Fachkräftemangels u.a. mit den Reformen der Erzieher:innenausbildung versucht, die Attraktivität der Ausbildung zu erhöhen. Zudem wurde versucht, den Quereinstieg in soziale Berufe zu erleichtern, dabei gleichzeitig aber sicher zu stellen, dass es zu keinem Qualitätsverlust bei den Fachkräften kommt. Hier geht es v.a. darum, wie vorausgegangene Bildungsabschlüsse stärker berücksichtigt werden könnten. Den Verlust von Qualität bei den Fachkräften zu vermeiden gilt dabei als entscheidendes Gebot: Einige Bekanntheit erreichte vor Jahren die Forderung, von Entlassung bedrohte Verkäufer:innen einer Drogeriekette kurzfristig zu Erzieher:innen umzuschulen – diese hätten ja große Lebenserfahrung und vielfach auch schon ihre eigenen Kinder groß gezogen (Süddeutsche Zeitung 2012).
6 Quellenangaben
Autorengruppe Fachkräftebarometer, 2023. Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2023 [online]. Bielefeld [Zugriff am: 17.06.2024]. PDF e-Book. ISBN 978-3-7639-7627-0. Verfügbar unter: https://www.weiterbildungsinitiative.de/fileadmin/​Redaktion/​Publikationen/​WiFF_FKB_2023_Web.pdf
Bundesagentur für Arbeit, Hrsg., 2020a. Klassifikation der Berufe 2020/1: Klassifikation der Berufe 2010 – überarbeitete Fassung 2020. Band 1: Systematischer und alphabetischer Teil mit Erläuterungen [online]. Nürnberg [Zugriff am: 17.06.2024]. Verfügbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/​Grundlagen/​Klassifikationen/​Klassifikation-der-Berufe/​KldB2010-Fassung2020/​Printausgabe-KldB-2010-Fassung2020/​Generische-Publikationen/​KldB2010-PDF-Version-Band1-Fassung2020.pdf?__blob=publicationFile&v=23
Bundesagentur für Arbeit, Hrsg., 2020b. Klassifikation der Berufe 2020/2: Klassifikation der Berufe 2010 – überarbeitete Fassung 2020. Band 2: Definitorischer und beschreibender Teil [online]. Nürnberg [Zugriff am: 17.06.2024]. Verfügbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/​Grundlagen/​Klassifikationen/​Klassifikation-der-Berufe/​KldB2010-Fassung2020/​Printausgabe-KldB-2010-Fassung2020/​Generische-Publikationen/​KldB2010-PDF-Version-Band2-Fassung2020.pdf?__blob=publicationFile
Bundesagentur für Arbeit, 2023a. Berufenet [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit [Zugriff am: 17.06.2024]. Verfügbar unter: https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/
Bundesagentur für Arbeit, 2023b. Berufe im Überblick. Soziales, Pädagogik. [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit [Zugriff am: 17.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/​soziales-paedagogik_ba147638.pdf
Bundesagentur für Arbeit, 2023c. Blickpunkt Arbeitsmarkt: Akademikerinnen und Akademiker. Sozialwesen [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit [Zugriff am: 17.06.2024]. Verfügbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/​Statistiken/​Themen-im-Fokus/​Berufe/​Akademikerinnen/​Berufsgruppen-Nav.html;jsessionid=461F7423E0D85D526100EF2966DE7D2C
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Verfasst von
Prof. Dr. Nicolas Schöpf
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften
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Zitiervorschlag
Schöpf, Nicolas,
2024.
Soziale Berufe [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 06.08.2024 [Zugriff am: 12.09.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/1184
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Soziale-Berufe
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