Sozialgesetzbuch
Prof. Dr. Corinna Grühn
veröffentlicht am 07.10.2024
Das Sozialgesetzbuch stellt die Kodifizierung des Sozialrechts in der Bundesrepublik Deutschland dar. Es enthält in seinen Büchern von I bis XII und XIV sozialrechtliche Regelungen zu den Bereichen der Sozialversicherung, der sozialen Fürsorge und Hilfe und dem sozialen Entschädigungsrecht. Es findet sich dort jedoch nicht das gesamte Sozialrecht (§ 68 SGB I).
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Grundsätzliches
- 3 Ziele und Aufgaben des Sozialgesetzbuchs
- 4 Das Sozialgesetzbuch in seinen einzelnen Teilen
- 5 Quellenangaben
- 6 Literaturhinweise
1 Zusammenfassung
Das Sozialgesetzbuch (Sozialgesetzbücher I bis XII und XIV) ist der Versuch des Gesetzgebers, das in vielen Einzelgesetzen geregelte Sozialrecht einheitlich zu kodifizieren und zu harmonisieren. Hierzu bindet er seit Mitte der 1970er-Jahre nach und nach diverse sozialrechtliche Regelungen in das Sozialgesetzbuch ein. Begonnen wurde 1976 mit dem SGB I – Allgemeiner Teil. Zuletzt trat 2024 das SGB XIV – Soziales Entschädigungsrecht in Kraft. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
2 Grundsätzliches
Das Sozialrecht wird seit Mitte der 1970er-Jahre sukzessive in ein einheitliches Gesetzbuch – das Sozialgesetzbuch – überführt.
Regelungen zur Sozialen Sicherung der Bevölkerung sind nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden. Die Sozialversicherung beispielsweise findet ihren Ursprung bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts. Mit Beginn der Industrialisierung zum Ende des 18. Jahrhunderts stellten sich neue Herausforderungen an die soziale Sicherung der Bevölkerung, die letztlich staatliches Eingreifen erforderlich machten. Durch die Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. vom 17.11.1881, initiiert von Bismarck, wurde die staatliche Absicherung der Arbeiter:innenschaft eingeleitet. Eine erste systematische Kodifizierung fand sich dann ab 1911 in der Reichsversicherungsordnung (zum Ganzen: Herborth 2014. S. 17).
Im Frühjahr 1970 berief die damalige Bundesregierung eine Sachverständigenkommission für das SGB ein, da ein zeitentsprechendes Sozialgesetzbuch geschaffen werden sollte (so Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 28.10.1969, zitiert nach: Muckel 2022), um das Sozialrecht übersichtlicher, einheitlicher und für die Bürger:innen zugänglicher zu machen (zur Entstehung des SGB auch: Waltermann 2023). Man entschied sich für ein gestuftes Verfahren (Muckel 2022) und so trat zum 1.1.1976 zunächst das SGB I – Allgemeiner Teil in Kraft.
Das Sozialgesetzbuch war ursprünglich auf 10 Bücher konzipiert, SGB I und X sollten dieses als allgemeine Bücher einrahmen (Spellbrink 2021). Dies ist schlussendlich nicht gelungen, weil beispielsweise der Versicherungsfall „Pflegebedürftigkeit“ bei der Konzeption des Sozialgesetzbuchs als Lebensrisiko noch nicht auf der (politischen) Agenda stand, dann aber in den 1990er-Jahren in das SGB eingefügt werden sollte (und sich heute im SGB XI findet).
Schaut man sich das Sozialgesetzbuch heute an, ist dies insbesondere mit Blick auf die Zugänglichkeit für den Laien bzw. die Laiin nur bedingt gelungen. Kaum jemand wird sich ohne Hilfe eines Fachmanns oder einer Fachfrau im Sozialrecht zurechtfinden können.
3 Ziele und Aufgaben des Sozialgesetzbuchs
Mit der Einführung eines Sozialgesetzbuchs sind vor allem folgende Ziele verbunden: Koordinierung, Harmonisierung, Vereinheitlichung und ein leichterer Zugang zu diesem weitverzweigten, unübersichtlichen und durchaus komplexen Rechtsgebiet.
§ 1 SGB I beschreibt die Ziele und Aufgaben des Sozialgesetzbuchs ebenfalls. Danach soll das Recht des Sozialgesetzbuchs zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Es soll dazu beitragen,
- ein menschenwürdiges Dasein zu sichern,
- gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen,
- die Familie zu schützen und zu fördern,
- den Erwerb des Lebensunterhaltes durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und
- besondere Belastungen des Lebens, durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SGB I).
Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll darüber hinaus dazu beitragen, dass die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen (§ 1 Abs. 2 SGB I).
Um diese Ziele zu erreichen und die entsprechenden Aufgaben zu erfüllen, sind nach und nach die weiteren Teile des Sozialgesetzbuchs geschaffen bzw. in das Sozialgesetzbuch integriert worden. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, vgl. insoweit auch § 68 SGB I, wonach weitere Gesetze zum Sozialrecht zählen, aber (noch) nicht in das Sozialgesetzbuch integriert sind.
4 Das Sozialgesetzbuch in seinen einzelnen Teilen
Derzeit besteht das Sozialgesetzbuch aus 13 Teilen: SGB I bis XII und SGB XIV.
SGB I | Allgemeiner Teil Das SGB I stellt den allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs dar. Es beinhaltet neben den Aufgaben des Sozialgesetzbuchs und den sozialen Rechten, allgemeine Regelungen, die für das gesamte Sozialgesetzbuch gelten, wie z.B. Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten der Leistungsträger (§§ 13–15 SGB I), Grundsätze des Leistungsrechts (§§ 38 ff. SGB I), Mitwirkungspflichten der Leistungsberechtigten (§§ 60 ff. SGB I). |
In Kraft 1.1.1976 |
SGB II | Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende Das SGB II beinhaltet das Bürgergeld/die Grundsicherung für Arbeitsuchende, d.h. Leistungen für Personen (§ 7 SGB II), die erwerbsfähig sind (§ 8 SGB II), aber ohne oder nicht ausreichende Erwerbstätigkeit und ihren Lebensunterhalt nicht selbstständig bestreiten können. Hierfür hält das SGB II Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff. SGB II) und zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§§ 19 ff. SGB II) bereit. |
In Kraft 1.1.2005 |
SGB III | Arbeitsförderung Das SGB III dient der Arbeitsförderung, d.h. u.a. soll durch das SGB III Arbeitslosigkeit entgegengewirkt bzw. sie verkürzt werden (§ 1 Abs. 1 S. 1 SGB III). Daher zählen zu den Leistungen des SGB III neben der Beratung (§§ 29 ff. SGB III) und Vermittlung (§§ 35 ff. SGB III), auch die Weiterbildung. Zudem gewährt das SGB III nach vorheriger Beitragszahlung auch Lohnersatzleistungen wie das Arbeitslosengeld (§§ 136 ff. SGB III) und das Kurzarbeitergeld (§§ 95 ff. SGB III). |
In Kraft 1.1.1998 |
SGB IV | Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Den vier bzw. fünf Zweigen der Sozialversicherung (SGB V, VI, VII, XI und als besonderer Zweig das SGB III) sind gemeinsame Vorschriften vorangestellt worden. Hierin sind z.B. Definitionen zu finden (z.B. § 7 SGB IV – Beschäftigung) und Regelungen zu den Leistungen (z.B. § 19 SGB IV – Leistungen auf Antrag oder von Amts wegen), sowie Regelungen zu den Beiträgen (§§ 20 ff. SGB IV) und dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag. |
In Kraft 1.7.1977 |
SGB V | Krankenversicherung Das SGB V dient der gesundheitlichen Absicherung der gesetzlich Krankenversicherten. Es betrifft die Gesetzliche Krankenversicherung in all ihren Facetten, u.a.: Versicherung (§§ 5 ff. SGB V), Leistungen (§§ 11 ff. SGB V), Leistungserbringerrecht (§§ 69 ff. SGB V), Organisation der Krankenkassen (§§ 143 ff. SGB V), Finanzierung (§§ 220 ff. SGB V). |
In Kraft 1.1.1989 |
SGB VI | Rentenversicherung Das SGB VI dient der Absicherung der gesetzlich Rentenversicherten bei Erwerbsminderung, Alter und Tod. U.a. werden im SGB VI der versicherte Personenkreis (§§ 1 ff. SGB VI), die Leistungen (§§ 13 ff. SGB VI), die Organisation, der Datenschutz und die Datensicherheit (§§ 125 SGB VI) festgelegt. |
In Kraft 1.1.1992 |
SGB VII | Unfallversicherung Das SGB VII enthält Leistungen bei Arbeitsunfällen, inklusive Wegeunfällen (§ 8 SGB VII) und Berufskrankheiten (§ 9 SGB VII). Die Leistungen sind vielfältig (u.a. von der Prävention, §§ 14 ff. SGB VII, über die Heilbehandlung, §§ 27 ff. SGB VII, bis zur Rentenleistung, §§ 56 ff. SGB VII). Auch Regelungen zur Beitragspflicht und -höhe der Unternehmen finden sich hier (§§ 150 ff. SGB VII). |
In Kraft 1.1.1997 |
SGB VIII | Kinder- und Jugendhilfe Das SGB VIII dient der Förderung junger Menschen. Neben dem Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte (§§ 22 ff. SGB VIII), enthält das SGB VIII auch zahlreiche Hilfen zur Erziehung (§ 27 ff. SGB VIII) und Verpflichtungen des Staats, Kinder und Jugendliche zu schützen (staatliches Wächteramt, § 1 Abs. 2 SGB VIII, § 8a SGB VIII, § 42 SGB VIII). |
In Kraft 1.1.1991 |
SGB IX | Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Das SGB IX besteht aus drei Teilen: ab § 1 SGB IX sind Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen zu finden, Teil 2 ab § 90 SGB IX enthält die Eingliederungshilfe und ab § 151 SGB IX (Teil 3) findet sich das Schwerbehindertenrecht. |
In Kraft 1.7.2001 |
SGB X | Verwaltungsverfahren, Schutz der Sozialdaten Das SGB X enthält allgemeine Regelungen zum Sozialverwaltungsverfahren (z.B. die Verfahrensgrundsätze ab § 8 SGB X, Amtssprache, Untersuchungsgrundsatz etc., Regelungen zum Verwaltungsakt, §§ 31 ff. SGB X) und Regelungen zum Sozialdatenschutz (§§ 67 ff. SGB X). |
In Kraft 1.1.1981 bzw. 1.7.1983 |
SGB XI | Soziale Pflegeversicherung Das SGB XI dient der Absicherung von Pflegebedürftigen. Es enthält neben der Festlegung des versicherten Personenkreises (§§ 20 ff. SGB XI), die Definition des Begriffs Pflegebedürftigkeit (§ 14 SGB XI), die Pflegegrade (§ 15 SGB XI) und die Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (siehe die Übersicht in § 28 SGB XI). Auch hier finden sich Regelungen zum Leistungserbringerrecht (§§ 69 ff. SGB XI). |
In Kraft 1.1.1995 |
SGB XII | Sozialhilfe Die Sozialhilfe dient dazu, Menschen zu unterstützen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbstständig bestreiten können. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sie dies nicht aus eigener Erwerbstätigkeit z.B. bei Erwerbsunfähigkeit, durch die Unterstützung Unterhaltsverpflichteter oder anderer Sozialleistungsträger können. Hierzu hält das SGB XII insbesondere die Hilfe zum Lebensunterhalt bereit (§§ 27 ff. SGB XII). Im SGB XII sind aber auch in §§ 41 ff. SGB XII eine Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, sowie Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, §§ 67 ff. SGB XII zu finden. |
In Kraft 1.1.2005 |
SGB XIV | Soziales Entschädigungsrecht Das soziale Entschädigungsrecht unterstützt Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis, für das die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, bei der Bewältigung der dadurch entstandenen Folgen (§ 1 Abs. 1 SGB XIV). Insbesondere gilt dies für Personen, die Opfer einer Gewalttat geworden sind oder einen Impfschaden erlitten haben (§ 1 Abs. 2 SGB XIV). Hierfür leistet das SGB XIV u.a. Krankenbehandlung, Leistungen zur Teilhabe und zur Pflege und Entschädigungszahlungen. |
in Kraft 1.1.2024 |
Das SGB XIII ist bewusst ausgelassen worden (hierzu Steinke 2023).
5 Quellenangaben
Herborth, Reinhard, 2014. Grundzüge des Sozialrechts für die Soziale Arbeit. Freiburg im Breisgau. Lambertus. ISBN 978-3-7841-2436-0 [Rezension bei socialnet]
Muckel, Stefan, 2022. Sozialgesetzbuch (SGB). Version 08.06.2022, 09:10 Uhr. In: Staatslexikon[online]. [Zugriff am: 01.08.2024]. Verfügbar unter: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/​Sozialgesetzbuch_(SGB)
Spellbrink, Wolfgang, 2021. § 1 SGB I, Rn. 10. In: BeckOGK. Stand: 01.05.2021. München: Verlag C.H.Beck, ISBN 978-3-406-44224-7
Steinke, Ronen, 2023. Abergläubische Juristen. In: Süddeutsche Zeitung [online]. 10.12.2023 [Zugriff am: 05.08.2024]. Verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/​mystik-aberglaube-richter-gesetze-1.6317077
Waltermann, Raimund, 2023. §§ 1–10 SGB I, Rn. 16 f. In: Sabine Knickrehm, Gundula Rossbach und Raimund Waltermann, Hrsg. Kommentar zum Sozialrecht. 8. Auflage. München: Verlag C.H. Beck. ISBN 978-3-406-79456-8 [Rezension bei socialnet]
6 Literaturhinweise
Eichenhofer, Eberhard, 2024. Sozialstaat, Sozialrecht und soziale Rechte. In: Miriam Meßling und Thomas Voelzke, Hrsg. Die Zukunft des Rechts- und Sozialstaats: Festschrift für Rainer Schlegel. München: Verlag C.H.Beck, S. 117–128. ISBN 978-3-406-81536-2
Hierin werden u.a. die Sozialen Recht im SGB erläutert.
Schlegel, Rainer, 2023. Zeitenwende auch im Sozialstaat? In: NJW. 76(29), S. 2093–2100. ISSN 0341-1915
Der Autor stellt aktuelle Problemlagen des Sozialrechts und Veränderungsnotwendigkeiten und -optionen dar.
Stolleis, Michael, 2004. Geschichte des Sozialrechts in Deutschland: Ein Grundriß. Stuttgart: UTB. ISBN 978-3-8252-2426-4 [Rezension bei socialnet]
Der Autor gibt einen Überblick über die Entwicklung des Sozialrechts in Deutschland.
Zacher, Hans F., 1973. Das Vorhaben des Sozialgesetzbuches. Percha: Verlag R. S. Schulz
Historische Informationsschrift zur Entstehung des Sozialgesetzbuches und eines kommentierten ersten Entwurfs des SGB I durch einen der „Urväter“ des Sozialgesetzbuches.
Verfasst von
Prof. Dr. Corinna Grühn
Hochschule Bremen, Studiengang Soziale Arbeit
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Corinna Grühn.
Zitiervorschlag
Grühn, Corinna,
2024.
Sozialgesetzbuch [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 07.10.2024 [Zugriff am: 23.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/972
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Sozialgesetzbuch
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