Sozialgesetzbuch II
Prof. Dr. Judith Dick
veröffentlicht am 09.01.2023
Das SGB II – Grundsicherung für Arbeitssuchende – soll Arbeitsuchenden ein Leben in Würde sichern. Es sieht dafür Leistungen für den Lebensunterhalt als Bürgergeld vor (bis Ende 2022 ALG II, umgangssprachlich Hartz-IV genannt), wenn anderes Einkommen nicht ausreicht, um das eigene Existenzminimum zu sichern. Ferner sind Angebote zur Ausbildung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt und Beratung vorgesehen (§ 1 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II).
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Inhaltsübersicht
- 3 Leistungen für den Lebensunterhalt: Bürgergeld u.a.
- 4 Eingliederung in Ausbildung und Arbeit
- 5 Behörden
- 6 Vom Antrag über Mitwirkungspflichten bis zur Zahlungseinstellung
- 7 Beratung
- 8 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Das SGB II trat am 1.1.2005 im Rahmen der Hartz-Reformen in Kraft, bei denen u.a. die Arbeitslosenhilfe abgeschafft worden war. Arbeitsuchende Erwerbsfähige und ihre Familien erhalten danach eine Grundsicherung. Auf Grund des SGB II gab es über Jahre hinweg Montagsdemos und eine Klagewelle (zu den Rechtsstreitigkeiten als Konservierung des Hartz-IV Protestes: Müller 2021) unter anderem, weil die Leistungen als nicht existenzsichernd kritisiert wurden. Der Grundsatz des Forderns, wonach erwerbsfähige Leistungsempfangende „alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit ausschöpfen“ sollen, § 2 Abs. 1 SGB II, ist besonders umstritten. Er macht das SGB II zu einem Workfare-Gesetz: unterstützt wird, wer bereit ist zu arbeiten. Inwieweit das Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG ausreichend gewährleistet wird und Arbeitsuchende selbstbestimmt einen Beruf ausüben können, wie es auch die Berufsfreiheit zusichert, ist weiterhin umstritten (Dick 2023, Kap. 14.2). Die Sanktionen, z.B. wenn Arbeit verweigert wird, hatte das Bundesverfassungsgericht 2019 auf 30 % Kürzung des Regelbedarfs begrenzt und eine Nachbesserung verlangt (BVerfG, 05.11.2019 – 1 BvL 7/16). Zum 1.1.2023 wird das SGB II durch das Bürgergeld-Gesetz (Bundestags-Drucksachen 20/3873 vom 10.10.2022 und 20/4600 vom 23.11.2022) reformiert und Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 SGB II sind in Bürgergeld umbenannt. Die bisherigen Sanktionen sind ab 2023 abgemilderte Leistungsminderungen. Bei Kündigung einer zumutbaren Arbeit als erster Pflichtverletzung wird z.B. nur noch 10 % des Regelbedarfs gekürzt für nur noch einen Monat, im Wiederholungsfall können bis zu 30 % gekürzt werden (§ 31 ff. SGB II, siehe unten 5.).
Weiterhin umstritten sind Versagungen der Leistungen aufgrund umfangreicher allgemeiner Mitwirkungspflichten, Bedarfsgemeinschaften, die Familiengründungen behindern können, häufige Wohnkostenlücken und Schonvermögen von bis zu 40.000 € für alleinstehende Personen (Bundesrechnungshof 2022; Tacheles e.V. 2022).
2 Inhaltsübersicht
- §§ 1 ff. SGB II Fördern und Fordern
Das Kapitel enthält Grundsätze, Verhältnis zu anderen Leistungen und zuständige Behörden. - §§ 7 ff. SGB II Anspruchsvoraussetzungen
Die Leistungsberechtigung samt Begriffsdefinitionen und Einkommen und Vermögen werden geregelt. - §§ 14 ff. SGB II Leistungen
Neben den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit regelt § 19 SGB II das Bürgergeld und es folgen Regelungen zu Bedarfen. Ferner sieht § 27 SGB II Leistungen für Auszubildende und § 28 SGB II für Bildung und Teilhabe vor. - §§ 31–32 SGB II regeln Leistungsminderungen (bis Ende 2022 Sanktionen).
- §§ 33 ff. SGB II Ersatz- und Erstattungsansprüche
- § 36 bis § 49 SGB II Zuständigkeit und Verfahren, Finanzierung und Aufsicht
- §§ 50–55 SGB II regeln Datenverarbeitung und -schutz, Statistik und Forschung.
- § 56 bis § 62 SGB II Mitwirkungspflichten
- § 63 SGB II Bußgeld
3 Leistungen für den Lebensunterhalt: Bürgergeld u.a.
Das Bürgergeld ist, wie das Arbeitslosengeld II vorher, eine bedarfsabhängige Notfallleistung zur Existenzsicherung für Erwerbsfähige und ihre Familien. Das Bundesverfassungsgericht forderte für ein menschenwürdiges Existenzminimum eine transparente nachvollziehbare Gestaltung, Bedarfserhebungen für Minderjährige und einen Mehrbedarf für Härtefälle, § 21 Abs. 6 SGB II und beurteilte die Leistungen 2014 als „derzeit noch verfassungsgemäß“ (BVerfG, 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, 23.07.2014 – 1 BvL 10/12). Siehe zu den Einzelheiten den Lexikonartikel Bürgergeld, dort werden die Bedarfsgemeinschaft, die Bedarfe einschließlich Bildungspaket und die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen erläutert.
Bürgergeld erhalten nach § 19 Abs. 1 SGB II, § 7 Abs. 1 SGB II Personen, die
- mindestens 15 Jahre alt sind und noch nicht im Rentenalter sind (15 bis Rentenalter)
- nicht 6 Monate lang nur bis zu 3 Stunden täglich arbeiten können (erwerbsfähig)
- sich gewöhnlich in Deutschland aufhalten und zusätzlich sich im orts- und zeitnahen Bereich aufhalten, um erreichbar zu sein
(§ 7 Abs. 4a SGB II gilt noch bis 30.06.2023. § 7b SGB II-neu gilt ab 01.07.2023).
Ferner darf kein Ausschlussgrund vorliegen, wie zum Beispiel bei Personen, die Anspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. Ausländer sind in vielen Fällen leistungsberechtigt, z.B. wenn sie als EU-Bürger in Deutschland arbeiten oder einen legalen Aufenthalt von 5 Jahren nachweisen können, § 7 Abs. 1 S. 2 ff. SGB II. Das Bürgergeld-Gesetz sieht hier keine Änderungen vor.
Außerdem erhalten Bürgergeld (früher Sozialgeld) Nichterwerbsfähige (wer keine 3 Stunden täglich arbeiten kann wegen Krankheit oder Behinderung und Kinder bis 14 Jahren), die mit Erwerbsfähigen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 23 SGB II, § 7 Abs. 3 SGB II. So können meist alle Bedarfsgemeinschaftsmitglieder Leistungen von einer Behörde erhalten.
Zudem sind Leistungen für Auszubildende und Studierende nach § 27 SGB II möglich.
Viele Personen werden in Deutschland über die Sozialversicherungen aufgefangen, z.B. wenn sie arbeitslos werden durch die gesetzliche Arbeitslosenversicherung, die Arbeitsförderung genannt wird und im SGB III geregelt ist. Im Gegensatz zum SGB II, dessen Leistungen aus allgemeinen Steuern finanziert werden, werden Leistungen nach dem SGB III aus den Beiträgen der Mitglieder bezahlt, z.B. das ALG I für ein Jahr, wenn mindestens 2 Jahre eingezahlt wurde. Die Bedürftigkeit spielt in der Versicherung keine Rolle. Ist die Versicherungsleistung nicht existenzsichernd, kann über das SGB II ergänzend Bürgergeld beansprucht werden.
Ferner ist das SGB II gegenüber der Sozialhilfe, die im SGB XII geregelt wird, abzugrenzen. Das SGB II wurde für die Erwerbsfähigen ab 15 Jahren bis zum Rentenalter geschaffen. Dagegen ist ab dem Rentenalter oder wenn ohne Besserungsaussicht keine 3 Stunden täglich gearbeitet werden kann, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aus dem SGB XII möglich. Die zweite Leistung aus dem SGB XII, Hilfe zum Lebensunterhalt, fängt alle auf, die nicht auf anderem Wege ihre Existenz sichern können und ist daher gekennzeichnet von dem Nachrang, auch gegenüber dem Bürgergeld aus dem SGB II, § 2 SGB XII, § 19 SGB XII, § 27 SGB XII. Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten z.B. Personen, die weder im Rentenalter sind noch über 6 Monate aber nicht für immer erwerbsunfähig sind und nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Erwerbsfähigen leben.
4 Eingliederung in Ausbildung und Arbeit
Bei der Berechnung der Leistungen ist gem. § 11 SGB II das Einkommen anzurechnen. Zum Einkommen zählen in der Regel alle regelmäßigen oder einmaligen Einnahmen in Geld oder geldwerten Vorteile. Um das Ziel der Eingliederung in Arbeit und Ausbildung zu unterstützen gibt es einen Anreiz zu Arbeiten über die Freibeträge vom Erwerbseinkommen, die ab dem 01.07.2023 steigen werden, § 11b Abs. 3 SGB II (siehe auch Bürgergeld).
§ 3 Abs. 1 S. 3 und 4 SGB II sieht seit 2023 einen Gleichrang von Ausbildung und Arbeit vor und konkretisiert damit den Grundsatz einer „dauerhaften“ Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Zusätzlich wurde ein Vorrang von Erstausbildungen eingeführt und für unter 25-Jähre ab 01.07.2023 eine Absetzmöglichkeit von 520 € während der Ausbildung, § 11b Abs. 2b SGB II.
Die Agenturen für Arbeit sollen nach einer Potenzialanalyse mit erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen Vereinbarungen über die für die Eingliederung erforderlichen Leistungen und ihre Kooperation schließen. Es können z.B. Weiterbildungen oder ein Bewerbungstraining als Eingliederungsleistung vereinbart werden. Die Eingliederungsvereinbarung wird ab dem 01.07.2023 durch den Kooperationsplan abgelöst, § 15 SGB II, § 16 SGB II teils iVm SGB III. Die Eingliederungsleistungen stehen weiterhin im zu begründenden Ermessen der Behörde, das jedoch auf Null reduziert sein kann. Wenn eine konkretisierte Leistung sinnvoll ist für den Arbeitsmarkteinstieg, Budget vorhanden ist, vor allem am Anfang eines Haushaltsjahres und die fehlenden anderen Arbeitsmarktchancen belegt werden, dann muss z.B. eine Weiterbildung bewilligt werden. Im Kooperationsplan vereinbarte Pflichten nicht zu erfüllen, kann zu Leistungsminderungen führen. Streiten Behörde und Arbeitsuchende über den Kooperationsplan, ist ab 2023 ein Schlichtungsverfahren möglich, § 15a SGB II.
Als kommunale Eingliederungsleistungen sind psychosoziale Betreuung, Schuldner- und Suchtberatung sowie Kinderbetreuung vorgesehen, § 16a SGB II. Die nur im SGB II vorgesehene Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (MAE), umgangssprachlich Ein-Euro-Job genannt, wird inzwischen eher mit bis zu 2 Euro pro Stunde entschädigt, § 16d SGB II. Es handelt sich nicht um ein reguläres Arbeitsverhältnis, weshalb u.a. der Mindestlohn nicht anwendbar ist. Seit 2023 ist es keine sanktionsbewehrte Pflicht mehr solche MAEs anzunehmen, § 31 SGB II. Anleitung und sozialpädagogische Betreuung kann zusätzlich bewilligt werden, § 16k SGB II ermöglicht eine ganzheitliche Betreuung und § 16f SGB II eine freie Förderung, über die z.B. auch ein Führerschein finanziert werden kann, wenn damit ein sicherer Job in Aussicht steht.
Arbeitgebende, die Menschen sozialversichert einstellen, die über 6 Jahre arbeitsuchend sind, werden über die Teilhabe am Arbeitsmarkt nach § 16i SGB II gefördert. Die Befristung dieser Zuschüsse fällt zukünftig weg. Es wurde ein Bürgergeldbonus von 75 € pro Monat eingeführt, der nach § 16j SGB II für die Teilnahme an Maßnahmen gezahlt wird, wie denen für schwer erreichbare junge Menschen nach § 16h SGB II. Insgesamt zeigt sich eine stärkere Ausrichtung auf schwer vermittelbare Personen nachdem die Arbeitlosenzahlen gesunken waren.
5 Behörden
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort, § 36 SGB II, in der Regel dem Wohnort. Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im SGB II nehmen ca. 300 Jobcenter wahr, § 6 SGB II, § 6d SGB II, § 44 SGB II. In ihnen arbeiten im Sinne von Art. 91e GG Kommunen und die Bundesagentur für Arbeit zusammen und können so beide ihre jeweiligen Gelder verwalten und sind gemeinsam verantwortlich für die rechtmäßige Leistungserbringung. Dazu gehört es, zeitgemäß und zügig die Sozialleistungen, die zustehen, zu gewähren, § 17 SGB I einschließlich des Onlinezugangs, der ab 2024 nach dem Onlinezugangsgesetz zu gewährleisten ist. Daneben nehmen über 100 Kommunen nach § 6a SGB II die Aufgaben der Eingliederung in Arbeit der Bundesagentur für Arbeit und die übrigen Aufgaben nach dem SGB II wahr (Bundesagentur für Arbeit 2022).
6 Vom Antrag über Mitwirkungspflichten bis zur Zahlungseinstellung
Ein Antrag ist erforderlich, aber formlos möglich, § 37 SGB II, § 9 SGB X. Mitwirkungspflicht ist es z.B. das Antragsformular auszufüllen und alles für die Leistungsprüfung Erforderliche anzugeben, z.B. Einkommen und Vermögen auch nachzumelden, falls sich etwas ändert, §§ 60–65 SGB I. Die Leistungen können versagt werden, bis zur Nachholung der Mitwirkung, § 66 SGB I.
Über diese allgemeine Mitwirkung hinaus verlangt das SGB II, weitere Mitwirkungen. Die Mitteilungspflichten von Vermietenden und Arbeitgebenden der Leistungsempfangenden greifen in deren informationelle Selbstbestimmung ein, § 58 SGB II, § 60 SGB II. Direktüberweisungen nach § 22 Abs. 7 SGB II an Vermietende können hilfreich sein, um Mietschulden zu vermeiden, aber auch die Fähigkeiten zur Selbstorganisation abtrainieren und entmündigen.
Hilfebedürftige sollen z.B. bestehende zumutbare Arbeitsverhältnisse nicht kündigen, bevor nicht ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Es kommt entscheidend darauf an, welche Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme zumutbar ist, § 10 SGB II. Wer seine Kinder unter 3 Jahren versorgt, dem ist Arbeit nicht zumutbar. Wegezeiten von über 3 Stunden pro Tag können nicht zumutbar sein. Vergleichbare nachgewiesene wichtige Gründe führen ebenfalls zur Unzumutbarkeit. Ob ein geringer Lohn ein wichtiger Grund ist, einen Job abzulehnen, hängt daran, ob er sitten- oder gesetzeswidrig niedrig ist: 1/3 unter dem üblichen Lohn, Verstoß gegen Mindestlohngesetz oder Landesmindestlohnregelungen (SG Berlin vom 19.09.2011 - Az. S 55 AS 24521/11 ER). Vom Mindestlohn ausgenommen sind u.a. Langzeitarbeitslose in den ersten 6 Monaten, § 22 MiLoG.
Bei den Sanktionen/​Leistungsminderungen handelt es sich um eine spezielle Folge der Mitwirkungspflicht im SGB II. Werden bestimmte zumutbare Pflichten verletzt, so wird in drei Stufen die Leistung gemindert:
- 10 % des Regelbedarfs wird gekürzt für einen Monat bei der ersten Pflichtverletzung,
- bei der zweiten Pflichtverletzung in einem Jahr 20 % für zwei Monate und
- bei der dritten wird 30 % für 3 Monate gekürzt, wie bis zum Sanktionsmoratorium 2021 bereits bei der ersten Pflichtverletzung,
Bei einer Nachholung der Pflicht wird die Dauer verkürzt, §§ 31–31b SGB II. Die Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung ist seit 1.1.2023 nicht mehr sanktionsbewehrt, § 16d SGB II, § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II. Wird aber ein bestehender Job gekündigt, ein Bewerbungsgespräch nicht wahrgenommen, ein Jobangebot nicht angenommen, so können die Leistungsminderungen nach §§ 31–31b SGB II greifen, wenn die Pflichten zumutbar waren.
Besonders häufig kommen Leistungsminderungen wegen Meldeversäumnissen vor. Wird ein Termin der Behörde nicht rechtzeitig ausreichend begründet abgesagt, ist eine Kürzung von 10 % des Regelbedarfes für einen Monat möglich, § 32 SGB II. Die erste Einladung zum Gespräch zur Potenzialanalyse und über den Kooperationsplan soll jedoch ab 01.07.2023 ohne Belehrung über die Rechtsfolgen bei Nichtteilnahme erfolgen und somit auch ohne Drohung mit einer Leistungsminderung, § 15a SGB II-neu.
Ähnliche Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung wie sie das Bundesverfassungsgericht bei den Sanktionen aufgestellt hat, sind bei Aufrechnungen zu beachten, die mit bis zu 30 % des Regelbedarfs und bis zu 3 Jahre möglich sind. Das gilt vor allem, wenn ihnen keine Überzahlung vorausging, sondern z.B. darüber ein Mietkautionsdarlehen zurückgezahlt wird. Die Darlehensaufrechnung wurde von 10 % auf 5 % gesenkt ab 1.7.2023, § 42a Abs. 2 SGB II.
Im prekären Alltag herausfordernd sind aber auch andere Umstände der Leistungsgewährung, z.B. unangekündigte Zahlungseinstellungen, denen ein Bescheid erst innerhalb von 2 Monaten folgen muss. Ein Grund dafür wäre z.B. zu erwartendes Einkommen aus einem neuen Job. Wenn ein neuer Job aufgenommen wurde, ist das erste Gehalt manchmal unsicherer oder wird erst im 2. Monat gezahlt. Bis ein Auffangdarlehen geprüft wurde, kann ein prekärer Monat die Arbeitsaufnahmebemühungen zunichtemachen, § 24 SGB II, § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II, § 331 SGB III (Dick 2023, Kap. 14.2).
7 Beratung
Alle Behörden sind zur Aufklärung der Bevölkerung und zur Beratung zu den eigenen Sozialleistungen, aber auch zu angrenzenden Sozialleistungen verpflichtet, § 13 SGB II, § 14 SGB I. Der spezielle Beratungsanspruch in § 14 SGB II für die SGB II-Behörden konkretisiert diese und wurde mit dem Bürgergeld-Gesetz explizit darauf bezogen „gemeinsam eine individuelle Strategie“ zu entwickeln […] „und deren schrittweise Umsetzung“ zu begleiten (§ 14 Abs. 2 S. 2 SGB II). Die behördliche Beratung erfolgt durch zu benennende, persönliche Ansprechpartner (pAp). Die Einführung eines Schlichtungsverfahrens und die Gleichrangigkeit von Eingliederung in Ausbildung verändert die strenge Ausrichtung der Vermittlungsleistungen auf den ersten Arbeitsmarkt. Eine auf Vertrauen ausgerichtete Beratung und ein faires Arbeitsbündnis zwischen Behörde und Leistungsempfangenden in diesem von fremdbestimmten Anforderungen und Mitwirkungspflichten geprägten Verhältnis zu schaffen, dürfte leichter geworden sein, aber immer noch wesentlich von den Beratungshaltungen der pAp abhängen (Dick 2023). Es handelt sich auf jeden Fall um eine anspruchsvolle Aufgabe trotz hoher Fallzahlen im Einzelfall Offenheit für die eigene nachhaltige berufliche Entwicklung zu fördern (Dern und Krehner 2018).
8 Quellenangaben
Bundesagentur für Arbeit, 2022. Gebietsstruktur der Grundsicherungsträger SGB II [online]. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit [Zugriff am: 27.11.2022]. Verfügbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/​Grundlagen/​Klassifikationen/​Regionale-Gliederungen/​Gebietsstruktur-Traeger-Grundsicherung-Nav.html?templateQueryString=Jobcenter+kommunale
Bundesrechnungshof, 2022. Bürgergeld-Gesetz: Risiken und Fehlwirkungen vermeiden [online]. Bonn: bundesrechnungshof, 09.11.2022 [Zugriff am: 27.11.2022]. Verfügbar unter: https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/​Kurzmeldungen/DE/-2022-Kurzmeldungen/​-11-2022-buergergeld/​11-2022-buergergeld.html
Dern, Susanne und Simone Krehner, 2018. Doppelt besser?! Behördliche und behördenunabhängige Beratung im SGB II. In: info also. 40(5), S. 195–201. ISSN 1862-0469
Dick, Judith, Hrsg. 2023. Praxishandbuch Recht für Soziale Beratung. Köln: Reguvis. ISBN 978-3-8462-1245-5
Müller, Ulrike A. C., 2021. Protest und Rechtsstreit: SGB-II-Mobilisierung als Konservierung des Hartz-IV-Konflikts. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-6722-9 [Rezension bei socialnet]
Tacheles e.V., 2022. Stellungnahme zum Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) [online]. Wuppertal: Tacheles e.V., 22.08.2022 [Zugriff am: 27.11.2022]. Verfügbar unter: https://tacheles-sozialhilfe.de/files/​Aktuelles/2022/Tacheles-Stellungnahme-zum-Buergergeldgesetz-Final-22-08-2022-E.pdf
Verfasst von
Prof. Dr. Judith Dick
Evangelische Hochschule Berlin, Professur für Sozialrecht
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Zitiervorschlag
Dick, Judith,
2023.
Sozialgesetzbuch II [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 09.01.2023 [Zugriff am: 26.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/973
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Sozialgesetzbuch-II
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