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Sozialgesetzbuch VI

Jürgen Jabben

veröffentlicht am 06.02.2020

Weitere Schreibweisen: Sechstes Buch Sozialgesetzbuch; Sozialgesetzbuch 6

Abkürzungen: SGB VI; SGB 6

Amtlicher Name: Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337)

Geltungsbereich: Deutschland

Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Das SGB VI – Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – ist die für den gesamten Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung wichtigste bundesrechtliche Rechtsgrundlage.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Stand der aktuellen Fassung
  3. 3 Räumlicher Geltungsbereich
  4. 4 Regelungsinhalte des Gesetzes
  5. 5 Gliederung des SGB VI
  6. 6 Aufbau und Regelungen der einzelnen Kapitel
    1. 6.1 Erstes Kapitel des SGB VI
    2. 6.2 Zweites Kapitel des SGB VI
    3. 6.3 Drittes Kapitel des SGB VI
    4. 6.4 Viertes Kapitel des SGB VI
    5. 6.5 Fünftes Kapitel des SGB VI
    6. 6.6 Sechstes Kapitel des SGB VI
  7. 7 Entwicklungsgeschichte
    1. 7.1 Rentenversicherung im 20. Jahrhundert
    2. 7.2 Rentenreform seit 2001
  8. 8 Aktuelle politische Diskussionen
  9. 9 Quellenangaben
  10. 10 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

Das SGB VI ist Teil der Sozialgesetzbücher und als Sozialrecht dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Der Begriff „Recht der gesetzlichen Rentenversicherung“ verweist rechtlich einwandfrei auf das gesamte Leistungsspektrum, wird aber in der Wahrnehmung vieler Menschen damit auf das Leistungsrecht „Rente“ verkürzt und verstellt den Blick auf andere Leistungsgegenstände wie die Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitation).

2 Stand der aktuellen Fassung

Das SGB VI ist als Art. 1 des Gesetzes vom 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) entstanden und liegt heute (Stand 27.12.2019) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl. I. S. 754; Berichtigungen 1404, 3384), zuletzt durch Artikel 34 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I. S. 2652, 2711) geändert, vor.

3 Räumlicher Geltungsbereich

Der Geltungsbereich ist grundsätzlich auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt (Territorialitätsprinzip). Lediglich wenige Vorschriften entfalten eine Wirkung im Ausland. Sie sind abschließend in den §§ 110–114 SGB VI beschrieben (Leistungsexport). Die Regelungen der §§ 317–319 SGB VI enthalten auf die Grundregelung aufsetzende Vertrauensschutzregelungen.

Durch Verweisung auf andere gesetzliche Vorschriften (bspw. § 31 SGB IX – Leistungsort) können Leistungen im Ausland erbracht werden. Weitere Regelungen mit Auslandsbezug sind in bilateralen Sozialversicherungsabkommen festgelegt.

4 Regelungsinhalte des Gesetzes

Das SGB VI ist ein komplexes Gesetz, das die verschiedenen Aspekte des Versicherungs-, Beitrags- und Leistungsrechts sowie organisatorische Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung beinhaltet und diese mit verschiedensten Übergangsregelungen verbindet.

5 Gliederung des SGB VI

  • Erstes Kapitel: Versicherter Personenkreis (§§ 1–8 SGB VI)
    Grundsätze für Versicherungspflicht, Versicherungsfreiheit sowie Sondertatbestände (Versicherungspflicht auf Antrag; Befreiung von der Versicherungspflicht)
  • Zweites Kapitel: Leistungen (§§ 9–124 SGB VI)
    Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, ihre Voraussetzungen, ihre Berechnungen sowie Beginn und Ende derselben; Regelungen für einen Bezug der Leistungen im Ausland
  • Drittes Kapitel: Organisation, Datenschutz und Datensicherheit (§§ 125–152 SGB VI)
    Grundlagen der Organisation und Zuständigkeiten der gesetzlichen Rentenversicherung; Besonderheiten für knappschaftliche und seemännische Betriebe; Grundsätze des Datenschutzes und der Datensicherheit
  • Viertes Kapitel: Finanzierung (§§ 153–227 SGB VI)
    Grundsätze des Umlage- sowie des Beitragsverfahrens; Höhe der Beiträge; Zahlungs- und Berechnungsverfahren; Nachversicherung in der Rentenversicherung
  • Fünftes Kapitel: Sonderregelungen (§§ 228-319c SGB VI)
    Übergangsregelungen und Regelungen mit Bezug zum Beitrittsgebiet; Regelungen zur Rechtsanwendung
  • Sechstes Kapitel: Bußgeldvorschriften (§§ 320–321 SGB VI)
    spezialgesetzliche Regelungen, bei denen der Gesetzgeber einen Verstoß mit der Möglichkeit eines Bußgelds sanktioniert

6 Aufbau und Regelungen der einzelnen Kapitel

6.1 Erstes Kapitel des SGB VI

Anders als in anderen Gesetzen werden in Kapitel 1 des SGB VI nicht allgemeine Regeln für das gesamte Gesetzbuch fixiert, sondern es werden die Regelungen zur Versicherungspflicht (§§ 1–3 SGB VI) und zur Versicherungsfreiheit (§ 5 SGB VI) sowie Sonderregelungen der Versicherungspflicht (§§ 4, 6 SGB VI) festgelegt. Die aufgrund der Versicherungspflicht erfolgte Beitragszahlung ist die Voraussetzung für eine spätere Leistung.

6.2 Zweites Kapitel des SGB VI

Das Kapitel umfasst die Paragrafen (§§ 9–124 SGB VI), unterteilt in sechs Abschnitte. Hierin werden die Grundlagen des Leistungsrechts sowie verfahrensrechtliche Grundsätze beschrieben.

Der erste Abschnitt (§§ 9–32 SGB VI) enthält des Recht der Leistungen zur Teilhabe mit den Voraussetzungen, Ausschlussgründen, den Leistungsmöglichkeiten sowie ergänzenden und sonstigen Leistungen. Der Umstand, dass die §§ 18–19, 22–27, 29–30 SGB VI keinen Inhalt haben, liegt daran, dass diese Regelungen alle im SGB IX enthalten sind und daher im SGB VI weggefallen sind.

Der zweite Abschnitt (§§ 33-105a SGB VI) enthält alle grundsätzlichen Regelungen zum Leistungsrecht Rente sowie deren Zusatzleistungen. Die Rentenarten teilen sich folgendermaßen auf:

Danach werden definiert:

  • rentenrechtliche Zeiten
  • die Grundsätze der Rentenberechnung
  • Beginn und Ende von Renten
  • Anrechnung von Einkommen bei einem Zusammentreffen mit einer Rente.

Der dritte Abschnitt befasst sich mit Zusatzleitungen der Rentenversicherung (§§ 106–108 SGB VI) und der vierte Abschnitt mit Serviceleistungen (§§ 109-109a SGB VI). Leistungen mit Bezug zum Ausland werden im fünften Abschnitt (§§ 110–114 SGB VI) festgelegt.

Der sechste Abschnitt (§§ 115–124 SGB VI) ist mit der Bezeichnung „Durchführung“ überschrieben und enthält verfahrensrechtliche Grundsätze allgemeiner Art sowie Zahlungs- und Berechnungsgrundsätze von Renten. Außerdem sind hier Besonderheiten des Versorgungsausgleichs und das Rentensplitting fixiert.

6.3 Drittes Kapitel des SGB VI

Das Kapitel befasst sich mit „Organisation, Datenschutz und Datensicherheit“. In den §§ 125–146 SGB VI wird hierbei die Organisation der Rentenversicherung festgehalten. Die Veränderung der Organisation in der Rentenversicherung besteht seit 2005 durch die Aufgabe der Unterscheidung in Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung. Diese Unterscheidung machte bereits seit der Einführung des SGB VI im Jahr 1992 keinen Sinn mehr, da nunmehr für ArbeiterInnen und Angestellte dasselbe Recht galt. Die Bereiche Datenschutz und Datensicherheit werden in den §§ 147–152 SGB VI beschrieben. Sie nehmen aufgrund der riesigen Mengen an persönlichen Daten der Versicherten, die bei der Rentenversicherung geführt werden, einen besonders hohen Stellenwert ein.

6.4 Viertes Kapitel des SGB VI

Die Grundsätze der Finanzierung der Rentenversicherung wie

sind hier ebenso geregelt wie zahlreiche Sonderverfahren:

Darüber hinaus werden aber auch folgende Punkte fixiert:

Es wird hier die gesetzliche Grundlage für das Verwaltungsverfahren mit dem Umgang von Versichertengeldern beschrieben.

Der gesamte dritte Abschnitt (§§ 213–227 SGB VI) beschreibt die finanziellen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland (§ 213 SGB VI Zuschüsse) und Regelungen innerhalb der Rentenversicherung zwischen den einzelnen Trägern sowie außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung zu anderen Sozialleistungsträgern.

6.5 Fünftes Kapitel des SGB VI

Das Fünfte Kapitel (§§ 228-319c SGB VI) zu den „Sonderregelungen“ betrifft alle Regelungen, die Besonderheiten der neuen Bundesländer betreffen. Diese Regelungen waren bei der Konzeption des Gesetzes noch nicht absehbar. Es umfasst zudem Vertrauensschutz- und Übergangsregelungen, die aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen, notwendig waren. Für die tägliche Praxis sind diese Regelungen fast wichtiger als manche zuvor beschriebenen Grundregelungen, weil fast immer Übergangsvorschriften anzuwenden sind.

6.6 Sechstes Kapitel des SGB VI

Das sechste und kürzeste Kapitel (§§ 320, 321 SGB VI) des SGB VI umfasst Bußgeldvorschriften (§ 320 SGB VI) und eine Regelung zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (§ 321 SGB VI).

7 Entwicklungsgeschichte

Die Geschichte der Sozialversicherung und insbesondere der Rentenversicherung reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Erstmals wurden mit dem „Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung“ vom 22.6.1889 (Reichsgesetzblatt/RGBl. I S. 97 ff.) für einen bestimmten Personenkreis allgemein und verbindlich Regelungen für den Fall der Invalidität und zur Sicherung des Alters festgelegt.

7.1 Rentenversicherung im 20. Jahrhundert

Mit dem Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20.12.1911 (RGBl. I S. 989–1061) und dem Reichsknappschaftsgesetz vom 23.6.1923 (RGBl. I S. 431 f.) wurde dieser Personenkreis erweitert. In dem Versicherungsgesetz für Angestellte wurde erstmalig der Begriff der „Berufsunfähigkeit“ benutzt. Nach dem Reichsknappschaftsgesetz unterlagen ArbeitnehmerInnen in knappschaftlichen Betrieben der Versicherungspflicht.

Diese Gesetze waren zurzeit ihrer Entstehung große sozialpolitische Leistungen, aber mit den heutigen Regelungen des Rentenrechts in keiner Weise vergleichbar.

Nach dem 2. Weltkrieg wurden die gesetzlichen Regelungen in den sogenannten Westzonen fortgeführt. Erst 1957 wurde mit der damaligen Großen Rentenreform eine Anpassung an die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Erfordernisse vorgenommen. Dazu gehörten

  • das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23.2.1957 (Bundesgesetzblatt/BGBl. I S. 45–82)
  • das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23.2.1957 (BGBl. I S. 88–126)
  • das Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 21.5.1957 (BGBl. I S. 533–559).

Das bis dahin geltende Kapitaldeckungsverfahren wurde durch das Umlageverfahren ersetzt. Damals eingeführte Grundsätze wie das Umlageverfahren, der Lohn- und Beitragsbezug der Rente und die Dynamisierung der Rente sowie die Leistungen zur Rehabilitation (heute: Leistungen zur Teilhabe) gelten auch heute noch. Der Lohn-Beitragsbezug der Rente sollte dazu dienen, dass die Rente nicht mehr ein Zuschuss zum Lebensunterhalt im Alter ist, sondern eine Lohnersatzfunktion hat (Großer Senat des Bundessozialgerichts/BSG vom 11.12.1969, GS 2/68, Entscheidungen des BSG/BSGE 30,192 ff.) und damit zu einer Sicherung auf dem Niveau eines während des Arbeitslebens erreichten Lebensstandards führt (Bundesverfassungsgericht/​BVerfG vom 26.07.2007, 1 BvR 824/03; 1 BvR 1247/07).

Die nächste große Reform erfolgte mit dem „Gesetz zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherungen (RRG)“ vom 16.10.1972 (BGBl. I S. 1965–1997). Hierin wurden flexible Grenzen für den Bezug von Altersrenten festgelegt und die gesetzliche Rentenversicherung für Selbstständige und Hausfrauen geöffnet.

Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz/HEZG) vom 11.07.1985 (BGBl. I S. 1450–1471) wurden Forderungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 umgesetzt, indem die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Hinterbliebenenversorgung festgeschrieben wurde. Gleichzeitig wurde für die Hinterbliebenenrenten eine Anrechnung von gleichzeitig erzieltem Einkommen eingeführt. Außerdem wurde die Versicherungspflicht für die ersten zwölf Monate einer Kindererziehung eingeführt.

Mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261–2395) wurden die Regelungen der Reichversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes im SGB VI zusammengefasst und vereinheitlicht. Das SGB VI ist mit dem 01.01.1992 in Kraft getreten. Darin wurden folgende Punkte festgeschrieben:

  • die Leistungsbezogenheit der Rente, d.h. die gezahlten Beiträge finden sich im Rentenbetrag wieder (Lohnersatzfunktion der Rente)
  • das Umlageverfahren (Generationenvertrag)
  • das Solidarprinzip, wonach Leistungen, die erbracht werden sollen, aber nicht auf geleisteten Beiträgen beruhen, aus Steuermitteln (Bundeszuschuss) finanziert werden müssen.

Problematisch für den Beginn des SGB VI war, dass der Gesetzentwurf am 09.11.1989 verabschiedet wurde, dem Tag des Mauerfalls und daher Regelungen hinsichtlich der Einbeziehung des Rentensystems der DDR nicht enthalten sein konnten, innerhalb eines kurzen Zeitraumes aber geschaffen werden mussten.

7.2 Rentenreform seit 2001

Im Jahr 2001 erfolgte die nächste große Rentenreform, die aus mehreren Gesetzen bestand. Das Gesetz zur Reform der Erwerbsminderungsrenten vom 20.12.2000 (BGBl. I 1827–1845) ersetzte die Erwerbsunfähigkeit durch die volle Erwerbsminderung. Die Rente wegen Berufsunfähigkeit wird nur noch für Personen ab Jahrgang 1961 geleistet und der Zugangsfaktor wurde für die neuen Rentenarten eingefügt ebenso wie die Zurechnungszeit. Das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz/AVmG) vom 26.06.2001 (BGBl. I S. 1310–1343) führte die Renteninformation und die Rentenauskunft ein sowie Altersvorsorgebeiträge. Mit dem Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensergänzungsgesetz/​AVmEG) vom 21.03.2001 (BGBl. I S. 403–418) wurde das Rentensplitting und der Rentenartfaktor eingeführt sowie die Rentenformel neu gefasst.

Das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.06.2014 (BGBl. I S. 787–790) führte die Rente für besonders langjährig Versicherte (sog. abschlagsfreie Rente mit 63), die Mütterrente I und die Verlängerung der Zurechnungszeit ein und erhöhte zeitlich begrenzt das Budget für Leistungen zur Teilhabe.

Mit dem Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (sog. Flexirentengesetz) vom 08.12.2016 (BGBl. I S. 2838–2847) wurde die Möglichkeit einer stufenlosen Teilrente geschaffen und die Einkommensanrechnung bei Renten wegen Erwerbsminderung und bei Renten wegen Alters sowie die Zahlung von Beiträgen zum Ausgleich von Rentenabschlägen neu geregelt. Außerdem wurden Leistungen zur Prävention ausdrücklich in den Leistungskatalog aufgenommen.

Mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 28.11.2018 (BGBl. I S. 2016–2022) wurden die Zeiten für die Kindererziehung (bei Geburten vor 1992) ausgeweitet (sog. Mütterrente II), die Zurechnungszeit bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgestockt und die „doppelte Haltelinie“ eingeführt. Hiermit wird eine Obergrenze für die Beitragsleistung beschrieben bei einer gleichzeitigen Festlegung einer Untergrenze des Leistungsniveaus.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Entwicklungsgeschichte der Rentenversicherung durch die gesetzlichen Neuregelungen im Laufe der Zeit auch immer ein Zeichen der Sozialpolitik und der wirtschaftlichen Entwicklung gewesen ist. Hierin zeigt sich die Wandlungsfähigkeit und die große Bedeutung der gesetzlichen Rentenversicherung, aber kritisch ist auch zu konstatieren, dass einige gesetzliche Veränderungen mehr aus politischen Gründen als aus einer sozialpolitischen Notwendigkeit heraus durchgeführt wurden. Als Beispiel seien hier die sog. „Rente mit 63“ und die „Mütterrente I“ genannt, die nur durch die Zustimmung des jeweils anderen Teils der Großen Koalition beschlossen wurden.

8 Aktuelle politische Diskussionen

Das Thema Grundrente zieht sich unter den verschiedensten Namen seit Jahren durch das politische Geschehen, egal ob als „Lebensleistungsanerkennungsrente“ oder „Respektrente“ (Wort des Jahres 2019). Der Hintergrund ist ebenso einfach wie die Durchführung kompliziert ist. Wer sein Leben lang gearbeitet und hierfür Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt hat, soll in der Auszahlungsphase, dem RentnerInnendasein, eine solch auskömmliche Rentenhöhe beziehen, dass hiervon ein menschenwürdiges Leben möglich ist und der Staat nicht aufstockende Hilfen zahlen muss.

Doch welche Rentenhöhe reicht für ein menschenwürdiges Leben und welche Voraussetzungen sind notwendig, um einen Zuschuss zu der eigentlichen Rentenhöhe zu bekommen? Nach welchen Kriterien werden Unterscheidungen getroffen, ohne diese als willkürlich und damit verfassungswidrig erscheinen zu lassen? Dabei darf die Frage der Finanzierung nicht außer Acht gelassen werden, da diese im System des Umlageverfahrens und des Generationenvertrages im Jetzt auch eine Auswirkung auf die Zukunft hat.

Im Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2019 (Sozialbeirat 2019, Rn. 25) ist auch eine Stellungnahme zum Beschluss des Koalitionsausschusses zur Einführung der Grundrente enthalten (ebd. S. 119 ff.). Hierin wird das hauptsächliche Problem in treffender Weise beschrieben:

„Es gibt keinen Königsweg für eine Mindestsicherung: Alle bekannten Konzepte konfligieren entweder mit dem Prinzip der Beitragsäquivalenz in der Rentenversicherung, wonach sich die Höhe der Rente nach der Höhe der Beiträge richtet, oder mit dem Subsidiaritätsprinzip der Grundsicherung, nach welchem zunächst vorhandenes Einkommen einzusetzen ist, bevor (subsidiär) die Solidargemeinschaft Leistungen erbringt“ (Sozialbeirat 2019, Rn. 25).

Es ist allgemein unstrittig, dass der größte Teil der jetzigen und der in der nächsten Zeit kommenden RentnerInnen nicht armutsgefährdet oder auf den Bezug von Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein werden. Daneben gibt es aber auch Menschen, die aufgrund unterschiedlichster Lebensumstände nie eine auskömmliche Rente werden beziehen können, weil nicht genügend Beiträge eingezahlt wurden. Dieser Personenkreis wird von Leistungen der Grundsicherung abhängen. Für die möglichen Leistungen der Grundrente sind die Personen interessant, die zwischen den beiden vorher genannten Personengruppen anzusiedeln sind, also Menschen, die langjährig versicherungspflichtig gearbeitet haben und dennoch nur geringfügige Rentenanwartschaften erworben haben. Hier ist das Armutsrisiko wegen geringer Löhne, Teilzeitbeschäftigung oder nur zum Teil sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit tendenziell erhöht (Sozialbeirat 2019, Rn. 28).

Der Koalitionsbeschluss vom 10.11.2019 enthält wesentliche Festlegungen zur Ausgestaltung der Grundrente, diese reichen jedoch bei Weitem noch nicht aus, um den Personenkreis zu bestimmen, der voraussichtlich Leistungen der Grundrente beziehen könnte. Damit ist aber auch der Kostenfaktor und die Frage, ob die geplante Finanzierung ausreichen wird, unklar. Die zurzeit gute Konjunktur und die damit verbundene gute finanzielle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung kaschiert das Problem des Generationenvertrages, wenn sich das Verhältnis von BeitragszahlerInnen zu den LeistungsbezieherInnen weiter verschlechtert. Vorschläge zur Lösung dieser Problematik werden von der Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ erhofft.

9 Quellenangaben

Sozialbeirat, 2019. Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2019 [online]. Berlin: Geschäftsstelle des Sozialbeirats im Bundesministerium für Arbeit und Soziales [Zugriff am: 04.02.2020]. Verfügbar unter: https://sozialbeirat.de/media/​2019-11-29_gutachten_2019_mit_signatur.pdf

10 Literaturhinweise

Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht – SGB VI. Loseblattausgabe. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-44224-7

Kreikebohm, Ralf, Hrsg., 2017. Sozialgesetzbuch, gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI: Kommentar. 5. Auflage. München: C.H. Beck. ISBN 978-3-406-69508-7 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Jürgen Jabben
Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover

Es gibt 1 Lexikonartikel von Jürgen Jabben.

Zitiervorschlag
Jabben, Jürgen, 2020. Sozialgesetzbuch VI [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 06.02.2020 [Zugriff am: 26.01.2025]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/979

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