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Sozialrecht (Deutschland)

Prof. Dr. Corinna Grühn

veröffentlicht am 13.05.2024

Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Das Sozialrecht regelt in Deutschland die Absicherung der Bevölkerung gegen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit. Es soll Chancengleichheit und Teilhabe ermöglichen und für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit sorgen (§ 1 SGB I). Das Sozialrecht ist in diversen Einzelgesetzen geregelt und insbesondere in den Sozialgesetzbüchern I-XIV.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Grundsätzliches
  3. 3 Systematisierung des Sozialrechts
  4. 4 Verfassungsrechtliche Grundlagen des Sozialrechts
  5. 5 Besonderes Verfahrensrecht
  6. 6 Quellenangaben
  7. 7 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

Das Sozialrecht ist in Deutschland in den Sozialgesetzbüchern SGB I bis SGB XIV geregelt. Darüber hinaus finden sich in § 68 SGB I weitere, besondere Teile des Sozialgesetzbuches. Das Sozialrecht wird in der Regel in drei Bereiche unterteilt, dies sind die Vorsorge, die Entschädigung und die Hilfe und Förderung. Diese haben zum Teil unterschiedliche Zielsetzungen und Voraussetzungen. Das Sozialrecht findet seine (verfassungsrechtlichen) Grundlagen im Grundgesetz – im Sozialstaatsprinzip und diversen Grundgesetzartikeln. Ein besonderes Verfahrensrecht flankiert das materielle Sozialrecht.

2 Grundsätzliches

Das Sozialrecht ist öffentliches Recht und regelt daher grundsätzlich ein Verhältnis zwischen Bürger:in und Staat (Frings und Schweigler 2021, S. 15 f.). Durch das Sozialrecht sollen soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit hergestellt werden (§ 1 SGB I).

Es ist geregelt in den 13 Sozialgesetzbüchern (SGB I bis XII und XIV).

Tabelle 1: Übersicht zu den Sozialgesetzbüchern
SGB I Allgemeiner Teil In Kraft 1.1.1976
SGB II Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende In Kraft 1.1.2005
SGB III Arbeitsförderung In Kraft 1.1.1998
SGB IV Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung In Kraft 1.7.1977
SGB V Krankenversicherung In Kraft 1.1.1989
SGB VI Rentenversicherung In Kraft 1.1.1992
SGB VII Unfallversicherung In Kraft 1.1.1997
SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe In Kraft 1.1.1991
SGB IX Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen In Kraft 1.7.2001
SGB X Verwaltungsverfahren, Schutz der Sozialdaten In Kraft 1.1.1981 bzw. 1.7.1983
SGB XI Soziale Pflegeversicherung In Kraft 1.1.1995
SGB XII Sozialhilfe In Kraft 1.1.2005
SGB XIV Soziales Entschädigungsrecht in Kraft 1.1.2024

Dies ist aber nicht abschließend. § 68 SGB I bestimmt, dass das Sozialrecht weitere besondere Teile beinhaltet (sog. Besondere Teile des Sozialgesetzbuches).

Hierzu zählen:

  • das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
  • die Reichsversicherungsordnung (RVO)
  • das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG)
  • das Zweite Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989)
  • Gesetze, die eine entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften des Vierzehnten Buches vorsehen, insbesondere
  • § 59 Abs. 1 BGSG (Bundesgrenzschutzgesetz)
  • die §§ 4 und 5 HHG (Häftlingshilfegesetz)
  • die §§ 21 und 22 StrRehaG (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz) sowie
  • die §§ 3 und 4 VwRehaG (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz)
  • das Bundeskindergeldgesetz (BKGG)
  • das Wohngeldgesetz (WoGG)
  • das Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG)
  • das Unterhaltsvorschussgesetz (UhVorschG)
  • der Erste und Zweite Abschnitt des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG)
  • das Altersteilzeitgesetz (AltTZG)
  • der Fünfte Abschnitt des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG)
  • die §§ 80 bis 83a SVG (Soldatenversorgungsgesetz), soweit sie die entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung vorsehen.

Entsprechend den einzelnen Sozialgesetzbüchern, werden unterschiedliche Lebensrisiken abgesichert, im SGB V beispielsweise das Risiko „Krankheit“, in der Pflegeversicherung das Risiko „Pflegebedürftigkeit“ und in der Rentenversicherung die Risiken „Erwerbsunfähigkeit, Alter, Tod“. Drüber hinaus dient das Sozialrecht aber auch der Herstellung von Chancengleichheit und Teilhabe. So soll beispielsweise das BaföG die Möglichkeit schaffen, dass auch junge Menschen aus wirtschaftlich nicht privilegierten Verhältnissen ein Studium aufnehmen und finanzieren können. Das SGB IX soll u.a. dazu beitragen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen am Arbeitsleben, aber auch am Leben in der Gemeinschaft teilhaben können. Das SGB VIII betrifft die Kinder- und Jugendhilfe und soll Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder unterstützen, aber auch Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung. Das SGB XIV entschädigt u.a. Menschen, die Opfer einer Gewalttat geworden sind.

Die Realisierung dieser Ziele erfolgt häufig über finanzielle Leistungen. Z.B. werden im SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgezahlt, sog. Bürgergeld, insbesondere in Form des Regelbedarfs, nach dem SGB VI werden Renten wegen Alters ausgezahlt. Es gibt aber auch Sach- und Dienstleistungen, z.B. in der Pflegeversicherung, wenn ein Pflegedienst die pflegebedürftige Person zuhause pflegerisch versorgt oder wenn ein Arzneimittel benötigt wird, dann wird dies durch das SGB V zu Verfügung gestellt. Gleiches gilt auch für die Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII.

Zuständig für diese Leistungen sind die jeweiligen Sozialbehörden. Dies können beispielsweise Sozialämter für die Sozialhilfe sein oder gesetzliche Krankenkassen für die Krankenversicherung.

Neben diesem leistungsorientierten Bereich regelt das Sozialrecht zudem das sog. Leistungserbringerrecht. Leistungen können auch durch sog. Dritte erbracht werden. Ein prägnantes Beispiel ist hierfür die gesetzliche Krankenversicherung. Hier werden nach dem Sachleistungsprinzip häufig die Leistungen durch sog. Leistungserbringer erbracht. Dies ist beispielsweise im SGB V der niedergelassene und zugelassene Hausarzt oder das zugelassene Krankenhaus.

Teilweise wird auch zwischen dem Sozialrecht in einem weiteren Sinn und im engeren Sinn unterschieden (Frings und Schweigler 2021, S. 15 f.) Sozialrecht in weiterem Sinn umfasst z.B. auch das Miet- und Verbraucherschutzrecht (Frings und Schweigler 2021, S. 15 f.). Der vorliegende Artikel bezieht sich auf das Sozialrecht im engeren Sinne.

3 Systematisierung des Sozialrechts

Das Sozialrecht ist ein weitverzweigtes Rechtsgebiet, das am besten anhand einer Systematisierung erschlossen werden kann. Hierfür ist die Dreiteilung der Sozialen Sicherheit ein gutes Instrument (Grühn 2024, S. 22; Frings und Schweigler 2021, S. 24). Zum Teil findet man auch die Vierteilung der Sozialen Sicherheit, hier wird dann noch zwischen Hilfe und Förderung unterschieden (Schnitzler 2019, S. 218).

Tabelle 2: Dreiteilung der Sozialen Sicherheit
Vorsorge Entschädigung Hilfe und Förderung
Hierzu zählen:

Krankenversicherung (SGB V)
Rentenversicherung (SGB VI)
Unfallversicherung (SGB VII)
Arbeitslosenversicherung (SGB III)
Pflegeversicherung (SGB XI)
Hierzu zählen:

Soziale Entschädigung (SGB XIV)
Soldatenversorgungsgesetz (SVG)
Häftlingshilfegesetz (HHG) StrRehaG, VwRehaG

(Bundesversorgungsgesetz [BVG], Infektionsschutzgesetz [IfSG], Opferentschädigungsgesetz [OEG], Zivildienstgesetz [ZDG] – diese Leistungsfälle sind nunmehr im SGB XIV geregelt)


„Unechte Unfallversicherung“ (§ 2 SGB VII)
Hierzu zählen insbesondere:

Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (BAföG)
Wohngeldgesetz (WoGG)
Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII)
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
Bundeskindergeldgesetz (BKGG)
Unterhaltsvorschussgesetz (UhVG)
Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX)
Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
Sozialhilfe (SGB XII)
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG)

Diese drei Zweige lassen sich unterschiedlich charakterisieren. Der Bereich der Vorsorge gilt der Absicherung von Lebensrisiken. Er ist dem Versicherungs- und Solidarprinzip verpflichtet, selbstverwaltet und durch Beiträge finanziert. Demgegenüber gilt der Bereich der Entschädigung für den Nachteilsausgleich bei Schäden, für die die Allgemeinheit besondere Verantwortung trägt. Sie stellt einen Opferausgleich dar und ist steuerfinanziert. Die Hilfe und Förderung dient der Sicherung der Existenz und soll Teilhabe und Chancengleichheit ermöglichen. Sie ist häufig von wirtschaftlicher Bedürftigkeit abhängig und steuerfinanziert (zum Ganzen: Grühn 2024, S. 17 ff.).

4 Verfassungsrechtliche Grundlagen des Sozialrechts

Das Sozialrecht findet seine Grundlage bereits im Grundgesetz. Art. 20 Abs. 1 GG nennt die Bundesrepublik Deutschland einen sozialen Bundesstaat, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG fordert, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen u.a. eines sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss. Hieraus und sich auf diverse Grundrechtsartikel berufend (Art. 1 Abs. 1 GG – Sozialhilfe/SGB II, vgl. BVerfG, Entscheidung vom 29.5.1990, Az. 1 BvL 20/84; BVerfG, Entscheidung vom 9.2.2010, Az. 1 BvL 1/09; BVerfG, Entscheidung vom 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16; Art. 2 GG – Pflichtversicherung, Gesundheit, vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98; Art. 3 GG – Witwerrente vgl. BVerfG, Entscheidung vom 12.03.1975, Az. 1 BvL 15/71 uw.; Art. 12 GG – Berufsfreiheit Ärzte, vgl. BVerfG, Entscheidung vom 27.04.2001, Az. 1 BvR 1282/99; Art. 14 GG – Rentenansprüche, vgl. BVerfG, Entscheidung vom 13.06.2006, Az. 1 Bvl 9/00 u.w.), ist das Sozialrecht durch das Bundesverfassungsgericht immer wieder weiterentwickelt und geformt worden, obwohl dem Staat eine weitgehende Freiheit bei der Gestaltung des Sozialrechts zugesprochen wird. Auf soziale Rechte ist im Grundgesetz weitgehend verzichtet worden (Frings und Schweigler 2021, S. 17; grds. zum Sozialstaat und Sozialrecht als Themen der Verfassung: Rixen 200, S. 288 ff.; zur sozialpolitischen Dimension: Ruland 2012, S. 321 ff.)

5 Besonderes Verfahrensrecht

Das materielle Sozialrecht wird flankiert von besonderen formalen, sozialrechtlichen Regelungen, die sich im Wesentlichen in SGB X, SGB IV, SGG, der VwGO und dem VwVfG finden. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der geteilte Rechtsweg im Sozialrecht, denn einmal ist die Sozialgerichtbarkeit und einmal die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig.

Tabelle 3: Geteilter Rechtsweg im Sozialrecht
Sozialgerichte, § 51 SGG Verwaltungsgerichte, § 40 VwGO
  • Sozialversicherung (SGB V, VI, VII, XI)
  • Arbeitsförderung (SGB III)
  • Soz. Entschädigung
  • Schwerbehindertenrecht (soweit BA und Versorgungsämter) (SGB IX)
  • Erziehungsgeld
  • Kinder-/​Elterngeld nach BKGG/BEEG
  • Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in bes. Fällen
  • Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
  • Sozialhilfe (SGB XII)
  • Asylbewerberleistungsgesetz
  • Ausbildungsförderung
  • Wohngeld
  • Unterhaltsvorschuss
  • Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)
  • Schwerbehindertenrecht (Zuständigkeit der Integrationsämter) (SGB IX)

6 Quellenangaben

Frings, Dorothee und Daniela Schweigler, 2021. Sozialrecht für die Soziale Arbeit. 5. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-039814-6

Grühn, Corinna, 2024. Einführung in das Sozialrecht. 11. Auflage. Altenberge: Niederle Media. ISBN 978-3-86724-082-6

Rixen, Stephan, 2020. Sozialstaat und Sozialrecht als Thema der Verfassung. In: SRa. 24(6), S. 288–295. ISSN 1434-7261

Ruland, Franz, 2012. Sozialpolitik und Sozialrecht. In: NZS. 21(8), S. 321–326. ISSN 0941-7915

Schnitzler, Jörg, 2019. Sozialrecht – eine kurze Einführung mit kleinen Fällen. In: JUS. 59(3), S. 215–219. ISSN 0022-6939

7 Literaturhinweise

Grühn, Corinna, 2024. Einführung in das Sozialrecht. 11. Auflage. Altenberge: Niederle Media. ISBN 978-3-86724-082-6
Eine Einführung in das gesamte Sozialrecht insbesondere anhand von Fällen, mit besonderem Blick auf die sozialrechtlichen Grundlagen für Sozialarbeitende

Schnitzler, Jörg, 2019. Sozialrecht – eine kurze Einführung mit kleinen Fällen. In: JUS. 59(3), S. 215–219. ISSN 0022-6939
Einführender Zeitschriftenaufsatz, der kurz anhand der Gliederung des Sozialrecht, dieses beispielhaft darstellt und auch kurz auf das Sozialverfahrensrecht eingeht.

Verfasst von
Prof. Dr. Corinna Grühn
Hochschule Bremen, Studiengang Soziale Arbeit
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Corinna Grühn.

Zitiervorschlag
Grühn, Corinna, 2024. Sozialrecht (Deutschland) [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 13.05.2024 [Zugriff am: 09.10.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/999

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