Soziologin, Soziologe
Prof. Dr. Oliver Dimbath
veröffentlicht am 20.01.2025
Als Soziologin oder Soziologe ist eine Person zu bezeichnen, die soziale und gesellschaftliche Ordnungen beobachtet und diese Beobachtungen – in welcher Form auch immer – dokumentiert.
Überblick
- 1 Begriffsbestimmung und Bezeichnungen
- 2 Geschichtlicher Hintergrund
- 3 Zugangsvoraussetzungen
- 4 Studium
- 5 Unterschiedliche Abschlüsse
- 6 Arbeitsmarkt
- 7 Berufsverbände
- 8 Quellenangaben
1 Begriffsbestimmung und Bezeichnungen
Die o.g. derart weite Bestimmung ist der Tatsache geschuldet, dass „Soziologin“ oder „Soziologe“ erstens als Berufsbezeichnung nicht geschützt ist; jede und jeder kann sich so bezeichnen.
Zweitens gibt es die Soziologie zwar als akademisches Fach, aber nicht alle, die es studiert haben, würden sich in ihrem weiteren Leben „Soziologin“ oder „Soziologe“ nennen. Das Studienfach ist ähnlich wie viele Geisteswissenschaften nur in geringem Maße berufsfeldprägnant, das heißt, dass Studieninhalte und beruflich abgerufene Tätigkeitsmuster nicht immer in Deckung zu bringen sind. Damit verbunden ist, dass der Arbeitsmarkt speziell für Absolventinnen und Absolventen eines Soziologiestudiums klein ist. Viele im Studium zu erwerbende (Teil-)Kompetenzen sind allerdings in vielen Bereichen der Arbeitswelt anschlussfähig und gesucht (Dimbath 2005; Jürgens 2021).
Aus diesen Punkten ergibt sich drittens, dass es sich bei der „Soziologin“ oder dem „Soziologen“ in der Regel nicht um einen Lebensberuf, sondern um eine zeitweilige Tätigkeit handelt. Gemäß eines vielleicht überkommenen Berufsverständnisses sind diejenigen, die sich zur Soziologie berufen fühlen auch dann Soziologinnen oder Soziologen, wenn sie sich nicht erwerbsmäßig mit der Beobachtung sozialer und gesellschaftlicher Ordnung befassen. Indem hier die Verbindung der Tätigkeiten des Beobachtens und Dokumentierens sozialer Beziehungsmuster in den Mittelpunkt gerückt wird, kommt für die Identifikation einer Person als Soziologin oder Soziologe noch hinzu, dass der Aufmerksamkeitsschwerpunkt der sozialen oder gesellschaftlichen Ordnung als Moment der Selbstbeschreibung auch nach außen erkennbar sein muss.
Soziologinnen und Soziologen im engeren Sinn sind also diejenigen, die auf dem fachspezifischen Arbeitsmarkt agieren und ihre Tätigkeit als „soziologisch“ beschreiben würden. Soziologinnen und Soziologen im weiteren Sinn sind demgegenüber all jene, die unabhängig von (akademischer) Ausbildung und wissenschaftlicher Orientierung über Fragen sozialer oder gesellschaftlicher Ordnung mit analytischem Interesse nachdenken, anderen ihre Einsichten mitteilen und dies in die je gegenwärtige Selbstbeschreibung ihres Tuns aufgenommen haben. Kurzum: Soziologinnen und Soziologen sind diejenigen, die sich als solche bezeichnen – und umgekehrt ist das Berufsprestige nicht hoch genug, als dass mit Hochstapelei viel zu gewinnen wäre.
Eine verwendungstypisch besser präsentable Berufsbezeichnung gibt es kaum beziehungsweise kann sie in Abhängigkeit ihres Kontextes bei der Präzisierung des beruflichen Tätigkeitsmusters helfen. Für Personen ohne jedes Vorwissen ist der Begriff der „Soziologin“ oder des „Soziologen“ genauso unzugänglich wie der der „Sozialwissenschaftlerin“ oder des „Sozialwissenschaftlers“ sowie der einer „empirischen Sozialforscherin“ oder eines „empirischen Sozialforschers“. Die Wahl von Alternativbezeichnungen, deren Liste sich noch verlängern ließe, mag auch mit Blick auf die wechselhafte Geschichte der Lehrgestalt der Soziologie verständlich sein.
2 Geschichtlicher Hintergrund
Nach der Akademisierung des Faches um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert ging mit der Bildungsexpansion in den 1950er- und 1960er-Jahren ein Boom einher, der vor dem Hintergrund politischer und ökonomischer Verwendungshoffnungen im Sinne einer Sozialtechnologie in einen massiven Ausbau des Studienangebots mündete. Die Enttäuschung vieler dieser Erwartungen in Verbindung mit einem Überangebot an Absolventinnen und Absolventen führte zu prekären Erwerbskarrieren und dem Klischee, dass parallel zum Soziologiestudium sicherheitshalber auch noch ein Taxi-Schein zu absolvieren wäre (Dimbath 2005).
Die Nähe mancher Fachvertreterinnen und Fachvertreter zur kritischen oder marxistischen Gesellschaftstheorie erzeugte in der Öffentlichkeit zudem den Eindruck, Soziologinnen und Soziologen seien von Berufswegen Aktivistinnen und Aktivisten oder linksgerichtete Revolutionärinnen und Revolutionäre. In kritischen Analysen des eigenen Faches kamen wissenschaftlich arbeitende Soziologinnen und Soziologen dann zeitweise zu Diagnosen wie der der Fehlqualifizierung oder der einer für die Arbeitsmarkteinmündung angezeigten Entsoziologisierung der Absolventinnen und Absolventen (Dimbath 2005). Nach einem partiellen Rückbau von Studienplätzen und einer fortschreitenden aber bis dato kaum abgeschlossenen Professionalisierung wurde die komplizierte Arbeitsmarktpassung weitgehend aufgehoben. Indem das Studium der Soziologie idealerweise die Fähigkeit zur Identifizierung sozialer Muster unter Berücksichtigung pluraler Perspektiven schult und dieses Wissen in spezifischen Vertiefungsgebieten, den sogenannten speziellen Soziologien zur Anwendung bringt, finden Soziologinnen und Soziologen je nach ihrer Spezialisierung oder als Generalistinnen und Generalisten gut in die Arbeitsmärkte (Jürgens 2021).
3 Zugangsvoraussetzungen
Die Zugangsvoraussetzungen zum Studium der Soziologie entsprechen in der Regel den für die Aufnahme eines Hochschulstudiums zu erbringenden Voraussetzungen. Dies ist, da das Fach Soziologie überwiegend an Universitäten angeboten wird, die Allgemeine Hochschulreife. Da aber die Bezeichnung „Soziologin“ oder „Soziologe“ professionell weitgehend ungeschützt ist, gibt es vonseiten der Fachverbände im Hinblick auf Zugangsvoraussetzungen kaum Festlegungen oder gar justiziable Ambitionen hierfür. Entsprechend teilen sich Soziologinnen und Soziologen manche Arbeitsmärkte mit anderen (akademischen) Berufen, die über ähnliche Kompetenzprofile verfügen. Die Erfolgschancen von Bewerbungen steigen dementsprechend durch den Nachweis eines abgeschlossenen Studiums und einschlägige Berufserfahrung im jeweiligen Tätigkeitsfeld.
4 Studium
Das Studium der Soziologie gliedert sich an vielen Standorten in drei Bereiche. Zu diesen zählt
- eine grundlegende Ausbildung und Spezialisierung in soziologischen (Grund-)Begriffen und Theorien sowie
- eine profunde Ausbildung in den Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung, wobei zwischen quantifizierenden (zum Beispiel Umfrageforschung oder Sozialstatistik) und qualitativen Zugängen (zum Beispiel Interviewführung oder Formen der Beobachtung) sowie entsprechenden Auswertungs- und Interpretationsperspektiven unterschieden wird.
- die Unterweisung in einem je nach Standort variierenden Angebot an Spezialsoziologien. Da soziale und gesellschaftliche Muster in allen Handlungsfeldern der Gesellschaft aufzufinden sind, bieten diese Soziologien je eigene Analyseperspektiven. Dazu gehören sogenannte Bindestrich-Soziologien wie beispielsweise die Arbeits-, Familien-, Gesundheits-, Jugend-, Medien-, Medizin-, Rechts-, Religions-, Umwelt-, Wirtschafts- oder Wissenschaftssoziologie. Zu ergänzen wäre dieses Spektrum durch Spezialgebiete wie die Sozialstrukturanalyse sowie die Sozialstaats- oder Arbeitsmarktforschung.
5 Unterschiedliche Abschlüsse
Soziologie wird als universitäres Haupt- oder als Teilfach im Bachelor- sowie im Masterstudium angeboten. Die Abschlüsse sind in der Regel der Bachelor of Arts und der Master of Arts. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zur Promotion, deren Ausrichtung von der jeweils zuständigen Fakultät und dem dort verfügbaren Angebot abhängt. Vergeben werden häufig der Doktorgrad der Philosophie (Dr. phil.) oder der Doktorgrad der Staatswissenschaften (Dr. rer. pol.).
6 Arbeitsmarkt
Die Berufsfelder und Tätigkeiten für akademisch ausgebildete Soziologinnen und Soziologen sind aufgrund der geringen Berufsfeldprägnanz vielfältig. Neben dem akademischen Arbeitsmarkt der Hochschulen und Forschungsinstitute stehen hier an erster Stelle Arbeitsgebiete, in denen die Fähigkeit zu systematischer Beobachtung unter Verwendung empirischer Forschungsmethoden gefragt ist. Hierzu gehören beispielsweise die Markt- und Meinungsforschung, die Stadtplanung und das Quartiermanagement, die (Sozial-)Verwaltung, Beratungseinrichtungen insbesondere Unternehmens- oder Politikberatung, die Massenmedien oder auch die Kriminologie. Konkrete Tätigkeitsbezeichnungen sind im akademischen Bereich Professuren oder wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im außerakademischen Feld enden sie oft mit „-forscherin“ oder „-forscher“ sowie „-referentin“ oder „-referent“.
7 Berufsverbände
Der Aufteilung der beruflichen Verwendungskorridore für Soziologinnen und Soziologen entsprechend, gibt es seit 1909 zur Vertretung der Interessen derjenigen, die Soziologie im engeren Sinne und in der Regel an Universitäten und Hochschulen betreiben, den Berufsverband der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS). Für Personen, die – in der Regel infolge eines Soziologiestudiums oder durch langjährige soziologische Tätigkeit – außerhalb der Universitäten beschäftigt sind, existiert seit 1976 die kleinere Berufsvereinigung des Berufsverbands deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS).
8 Quellenangaben
Dimbath, Oliver, 2005. Wie erschließen sich Schlüsselwissenschaftler(innen) den Arbeitsmarkt? In: Soziologie: Forum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 34(4). S. 404–423. ISSN 0340-918X
Jürgens, Kerstin, 2021. Mit der Soziologie in den Beruf: Eine Handreichung. Bielefeld: transcript. ISBN 978-3-8252-5738-5 [Rezension bei socialnet]
Verfasst von
Prof. Dr. Oliver Dimbath
Universität Koblenz
FB 1: Bildungswissenschaften
Institut für Soziologie
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Oliver Dimbath.
Zitiervorschlag
Dimbath, Oliver,
2025.
Soziologin, Soziologe [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 20.01.2025 [Zugriff am: 25.01.2025].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/28312
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Soziologin-Soziologe
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