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Sprachentwicklungstest

Prof. Dr. Tanja Jungmann

veröffentlicht am 24.05.2019

Sprachentwicklungstests gehören – wie die Sprachscreenings – zu den sog. Elizitationsverfahren (Kany und Schöler 2010). Der lateinische Begriff elicere bedeutet direkt übersetzt Auslösen oder Hervorlocken. Mit Elizitationsverfahren können demzufolge kindliche Kompetenzen im Bereich Sprache bzw. in den einzelnen Sprachkomponenten gezielt erfasst werden, die eine Indikatorfunktion für das Vorliegen einer Sprachentwicklungsstörung haben und somit von Kindern in der Spontansprache selten bis gar nicht gezeigt werden. Es wird zwischen sprachebenenübergreifenden (auch: allgemeinen) und sprachebenenspezifischen Sprachentwicklungstests unterschieden. Darüber hinaus liegen standardisierte und informelle Elizitationsverfahren vor. Während die standardisierten Verfahren an großen Stichproben von Kindern der entsprechenden Altersspanne normiert wurden sowie die Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität erfüllen, gilt dies für die informellen Verfahren nicht (Jungmann und Albers 2013).

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Funktionen von Sprachentwicklungstests
  3. 3 Anwendungsbereich
  4. 4 Diagnostische Merkmale von Sprachentwicklungstests
  5. 5 Ausgewählte Sprachentwicklungstests
  6. 6 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Sprachentwicklungstests sind diagnostische Verfahren, die auf wissenschaftlichen Konstruktionsprinzipien beruhen. Tests dienen generell der Erfassung individueller Ausprägungen bestimmter Merkmale oder Kompetenzen von Personen. Die Ergebnisse werden quantitativ erfasst, indem einem bestimmten Antwortverhalten ein definierter Punktwert zugewiesen wird. Sprachentwicklungstests dienen dazu, die Ausprägung sprachlicher Kompetenzen möglichst differenziert zu erfassen. Mit den meisten Sprachentwicklungstests kann jeweils nur ein Kind oder Jugendlicher zu einem Zeitpunkt untersucht werden (Individualverfahren oder Einzeltest).

  • Sprachebenenübergreifende Verfahren sollen einen Gesamtüberblick über die sprachlichen Kompetenzen eines Kindes ermöglichen. Sie erfassen zumeist mit einzelnen Untertests die Kompetenzen des Kindes auf verschiedenen Sprachebenen (z.B. Lautproduktion, Phonologie, Wortschatz, Morphologie und Syntax) (siehe Tabelle 1 für Beispielverfahren).
  • Sprachebenenspezifische Verfahren beziehen sich auf einzelne sprachliche Bereiche, z.B. die Aussprache, den produktiven und/oder rezeptiven Wortschatz, das Verständnis grammatischer Strukturen (siehe Tabelle 2 für Beispielverfahren).

Pragmatische Kompetenzen (Einsatz der sprachlichen Kompetenzen in Alltagssituationen), sind nicht gut auf standardisierte Weise zu erfassen. Hier sind systematische Beobachtungen des sprachlichen Verhaltens (z.B. im Rahmen von Spontansprachanalysen) oder Interviews von Bezugspersonen (z.B. Dohmen et al. 2009) die diagnostischen Mittel der Wahl.

Welche der einzelnen Sprachkomponenten bzw. sprachlichen Kompetenzen (prosodische Kompetenz, linguistische Kompetenz, pragmatische Kompetenz) auf welcher Altersstufe, in welcher Form diagnostisch relevant sind, hängt mit den sprachlichen Erwerbs- und Verarbeitungsmechanismen im Verlauf der Sprachentwicklung zusammen. Für ein professionelles diagnostisches Handeln sind ein Basiswissen über die kindliche Sprachentwicklung und Kenntnisse der Spracherwerbsmechanismen unerlässlich (Spreer 2018, S. 57).

2 Funktionen von Sprachentwicklungstests

Statusdiagnostik
Sprachentwicklungstests werden eingesetzt, um einen aktuellen Kompetenzstand zu erfassen oder um Bereiche aufzudecken, in denen ein Förderbedarf vorliegt. Sie ermöglichen die Unterscheidung zwischen einer therapiebedürftigen Sprachentwicklungsstörung, einer Sprachentwicklungsverzögerung und einer unauffälligen Sprachentwicklung. Bei mehrsprachigen Kindern besteht die diagnostische Herausforderung darin, sprachliche Besonderheiten von Sprachentwicklungsstörungen abzugrenzen. Hierzu liegen einige Verfahren speziell für Kinder mit Migrationshintergrund bzw. Deutsch als Zweitsprache vor, die die Kontaktzeit mit der Sprache bei der Ergebnisinterpretation berücksichtigen. Um zweifelsfrei eine Sprachentwicklungsstörung identifizieren zu können, müsste aber immer auch die sprachliche Kompetenz in der Erstsprache erfasst werden, da sich diese immer in beiden Sprachen manifestiert.

Prozessdiagnostik/Förderdiagnostik
Im Optimalfall kommen Sprachentwicklungstests im Rahmen des diagnostischen Prozesses im Kontext der Förder- und Therapieplanung wiederholt zum Einsatz, aus den Ergebnissen werden Empfehlungen für die anschließende Förderung abgeleitet (Förderdiagnostik). Eine Sprachentwicklungsstörung ist therapeutisch zu behandeln, allerdings bedarf es der Abstimmung aller Beteiligten (Therapeutinnen und -therapeuten, Eltern, Fachkraft), damit dem Kind auch in der Kindertageseinrichtung oder in der Schule ein angemessenes sprachförderliches Setting geboten wird. In diesem Rahmen können Sprachentwicklungstests als Monitoring-Instrumente eingesetzt werden, um zu überprüfen, ob die Sprachentwicklung von Kindern einer Gruppe oder Klasse altersgemäß fortschreitet oder um die Wirksamkeit einer sprachförderlichen Intervention zu beurteilen.

3 Anwendungsbereich

Die Durchführung von Sprachentwicklungstests muss in der Regel durch dafür qualifiziertes Personal erfolgen (z.B. Psychologinnen und Psychologen, Sonderpädagoginnen und -pädagogen, Logopädinnen und Logopäden, Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten, diagnostisch weitergebildete Personen), damit die Standardisierung der Durchführung und die Verwertbarkeit der Testergebnisse gewährleistet sind.

4 Diagnostische Merkmale von Sprachentwicklungstests

Eine indirekte Messung sprachlicher Leistungen gelingt nur, wenn ein Sprachentwicklungstest bestimmte Kriterien erfüllt. Man unterscheidet dabei zwischen Haupt- und Nebengütekriterien (Jungmann und Albers 2013).

Zu den Hauptgütekriterien zählen die Objektivität, Reliabilität und Validität.

  • Objektivität. Der Grad, in dem die Durchführung, Auswertung und die Interpretation eines diagnostischen Verfahrens von der Person, die das Verfahren durchführt, unabhängig ist. Objektivität kann durch genaue Beschreibungen im Manual sichergestellt werden. Die Übereinstimmung der Testleiter sollte in Durchführung und Auswertung möglichst nahe bei 100 Prozent liegen, in der Interpretation über 90 Prozent.
  • Reliabilität. Die Reliabilität oder Zuverlässigkeit eines diagnostischen Verfahrens ist gegeben, wenn es unabhängig von Situationseinflüssen zu zwei verschiedenen Testzeitpunkten (Test-Retest-Reliabilität) dieselbe Leistung misst. Eine Übereinstimmung der Ergebnisse von 80 bis 90 Prozent ist als gut zu bezeichnen. Bei Entwicklungstests, bei denen diese per definitionem gering ausfällt, wird häufig die innere Konsistenz (Cronbach’s Alpha) als Maß der Reliabilität angegeben. Diese bezeichnet das Ausmaß, in dem die Aufgaben einer Skala dasselbe messen. Alpha-Werte größer als 0,7 werden als akzeptabel betrachtet, ab 0,8 spricht man von guter innerer Konsistenz.
  • Validität. Die Validität gibt an, wie gut ein diagnostisches Verfahren das Merkmal misst, das es zu messen intendiert.
    Die Inhalts- oder Augenscheinvalidität ist z.B. gegeben, wenn ein Sprachverständnistest das Sprachverstehen und nicht das Weltwissen prüft.
    Konstruktvalidität liegt vor, wenn das Verfahren eng mit solchen Verfahren zusammenhängt, die die gleichen oder ähnliche Merkmale erfassen (z.B. Untertests von zwei Sprachtests), und keine Beziehung zu den Verfahren aufweist, die andere Merkmalsbereiche erfassen (z.B. Untertests eines Sprachtests mit denen eines mathematischen Tests).

Die Nebengütekriterien beziehen sich auf die Qualität und die Einsatzmöglichkeiten eines Testverfahrens. Zu den wichtigsten zählen die Normierung, die Testfairness, die Ökonomie und die Nützlichkeit (Spreer 2018).

  • Normierung. Die Normwerte (T-Werte, Prozentränge) die den erreichten Rohwerten (aufsummierte Punkte pro Untertest für richtige Antworten) alters- oder gruppenspezifisch zugeordnet werden, sollten auf der Untersuchung ausreichend großer und repräsentativer Stichproben basieren. Als Faustregel wird eine Stichprobengröße von 100 bis 150 Probandinnen und Probanden pro (Alters-)Gruppe angegeben.
  • Testfairness. Ein Test ist dann fair, wenn reflektiert wird, ob Kinder aus unterschiedlichen sozialen Milieus oder mit einem anderen kulturellen Hintergrund mit bestimmten Materialien oder Themen unterschiedlich stark vertraut sind und daher durch die Auswahl und Gestaltung der einzelnen Aufgaben (Items) möglicherweise benachteiligt werden.
  • Ökonomie. Der zeitliche und personelle Aufwand bei der Anwendung eines Testverfahrens sollte in einer angemessenen Relation zur Aussagekraft des Ergebnisses stehen.
  • Nützlichkeit. Gerade für die Praxis und Anwendung eines Sprachentwicklungstests ist dessen Nützlichkeit ein zentrales Kriterium. Ein Testverfahren ist dann nützlich, wenn es Anknüpfungspunkte zur Intervention liefert und aufzeigt, was bei welchem Testergebnis konkret zu tun ist (Förderdiagnostik).

5 Ausgewählte Sprachentwicklungstests

Die nachfolgende Tabelle 1 gibt einen Überblick der in Deutschland verfügbaren allgemeinen oder sprachebenenübergreifenden Sprachentwicklungstests, die an großen Stichproben normiert und standardisiert wurden und für die mindestens Aussagen zu den Hauptgütekriterien getroffen werden können (für eine vertiefte Auseinandersetzung und einen breiteren Überblick s. Spreer 2018).

Tabelle 1: Ausgewählte allgemeine Sprachentwicklungstests
Verfahren Zielgruppe Bereiche; Dauer Gütekriterien; Normen
Sprachentwicklungs-
test für zweijährige
Kinder
(SETK-2, Grimm 2016, 2. Aufl.)
Kinder im Altersbereich von 2; 0–2; 11 Jahre und Kinder mit bekannten Entwicklungs-schädigungen
(z.B. geistige Behinderung, Autismus, Sinnes-behinderungen) Einzeltest
Vier Untertests, jeweils zwei zur Erfassung der rezeptiven und der produktiven Sprachentwicklung

Verstehen I: Wörter
Verstehen II: Sätze
Produktion I: Wörter
Produktion II: Sätze

Dauer: ca. 15–20 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation
Reliabilität:
Interne Konsistenz: α = .83-.94 (produktive Untertests) α .61 (rezeptive Untertests) Validität:
Differenzierungs-
fähigkeit und prognostische Validität belegt.
Aktuelle Normen (T-Werte, Prozentränge) in Halbjahres-
schritten (2; 0–2; 11 Jahre; 2; 6–2; 11 Jahre), N = 374).
Sprachentwicklungs-
test für drei- bis
fünfjährige Kinder
(SETK 3–5, Grimm, 2015, 3. Aufl.)
Kinder im Altersbereich von 3; 0 bis 5; 11 Jahren und ältere Kinder mit bekannten Entwicklungs-schädigungen Einzeltest 4 Untertests für dreijährige Kinder (3; 0–3; 11 Jahre):
  • Verstehen von Sätzen (VS)
  • Enkodieren semantischer Relationen (ESR) (= Satzproduktion)
  • Morphologische Regelbildung (MR)
  • Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter (PGN)
5 Untertests für vier- und fünfjährige Kinder (4; 0–5; 11 Jahre)
  • Der Untertest ESR entfällt, ansonsten alle Untertests mit für die Altersgruppe angepasstem Material
    + Satzgedächtnis (SG)
    + Gedächtnis-
    spanne für Wortfolgen (GW)

    Dauer: ca. 25 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation
Reliabilität:
Innere Konsistenz: α = .65-.92
Validität:
Differenzierungs-
fähigkeit und prognostische Validität in zahlreichen Untersuchungen bestätigt.
Aktuelle Normen (T-Werte, Prozentränge) in Halbjahres-
schritten für die Drei- und Vierjährigen (3; 0–3; 5; 3; 6–3; 11 Jahre; 4; 0–4; 5; 4; 6–4; 11 Jahre) sowie für die 5; 0–5; 11 Jahre alten Kinder. N = 934.
Sprachstands-
erhebungstest für Kinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren (SET 3–5, Petermann 2016)
Kinder im Altersbereich von 3; 0 bis 5; 11 Jahren
Einzeltest
12 Untertests zur Erfassung der zentralen sprachlichen Bereiche (Wortschatz, Phonetik/Phonologie, Semantische Relationen, Grammatik) und von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs (Verarbeitungs-geschwindigkeit, auditive Merkfähigkeit) sowie Emotionserkennung
und Empathiefähigkeit
Eltern-Checkliste zur Einschätzung der pragmatischen Kompetenzen

Dauer je nach Alter und Störungsausprägung:
  • 15-20 Min. (Dreijährige)
  • 30-45 Min. (Vier- und Fünfjährige)
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation
Reliabilität:
Innere Konsistenz: α = .70-.93. Erste Analysen zur Test-Retest-Reliabilität geben Hinweise auf die Stabilität der Ergebnisse
Validität:
Kriteriumsvalidität gegeben, gute Differenzierungs-
fähigkeit
Aktuelle Normen (T-Werte, Prozentränge) für sechs Altersgruppen, N = 1.095.
Sprachstands-
erhebungstest für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren (Petermann, 2018, 3. Aufl.)
Kinder zwischen 5; 0 und 10; 11 Jahren mit Verzögerungen /Störungen der Sprachentwicklung, Lernbehinderungen, Hirnschädigung (z.B. Aphasien) sowie bei Kindern mit Migrationshintergrund
Einzeltest
10 Untertests zur Erfassung der zentralen sprachlichen Bereiche (Wortschatz, Semantische Relationen, Sprachverständnis, Sprachproduktion, Grammatik) sowie der Verarbeitungs-
geschwindigkeit und der auditiven Merkfähigkeit

Dauer: ca. 45 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation
Reliabilität:
Innere Konsistenz: α = .71-.91
Validität:
Kriteriumsvalidität bestätigt insgesamt
Normen (T-Werte, Prozentränge) für sieben Altersgruppen, die auf einer deutschlandweiten Erhebung basieren, N = 1.052.
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungs-
störungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2009, 2. Aufl.)
Kinder im Alter von 2; 0 bis 6; 11 Jahren, ältere Kinder mit Teilleistungs-
störungen im Bereich der Sprache
Einzeltest
23 rezeptive und produktive Untertests + Spontansprach-
analysen aus den Bereichen Phonetik, Lexikon/Semantik und Grammatik
Quantitative und qualitative Auswertung möglich,
Hinweise auf Förder- und Therapie-
bausteine nach dem patholinguistischen Ansatz (PLAN, Siegmüller und Kauschke 2013)

Dauer: 45–120 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation; PC-gestützte Auswertung möglich
Reliabilität:
keine genaueren Angaben
Validität:
Untersuchungen zur Alterssensibilität und dem Geschlechter-
verhältnis; Studien zur Spezifität und Sensitivität
Normen (T-Werte, Prozentränge) in Halbjahres- oder Jahresschritten
Linguistische Sprach-
standserhebung – Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ®, Schulz et al. 2011)
Kinder mit Deutsch als Zweitsprache im Alter von 3; 0–7; 11 Jahren; Kinder mit Deutsch als Muttersprache im Alter von 3; 0–6; 11 Jahren Einzeltest 7 Untertests zur Erfassung des sprachlichen Wissens von Kindern in zentralen morphologischen, syntaktischen und semantischen Bereichen der deutschen Sprache für die Regeln ausgebildet werden müssen (z.B. syntaktische Baupläne unterschiedlicher Satztypen, Subjekt-Verb-Kongruenz, Kasusmarkierung)
Ableitung konkreter Förder-entscheidungen aus den Testergebnissen und Monitoring der Entwicklungs-fortschritte möglich.

Dauer:
20–30 Min. (Durchführung),
ca. 30 Min. (Auswertung)
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation;
Reliabilität:
Interne Konsistenzen im zufriedenstellenden Bereich,
Validität:
Kriteriumsvalidität belegt
Testfairness:
gegeben durch Vermeidung außersprachlicher Anforderungen (Weltwissen, kulturspezifisches Wissen)
Berücksichtigung des Lebensalters und der Kontaktdauer mit der Zweitsprache
Normierung an einer Stichprobe von N = 912 Kinder (609 DaZ- und 303 DaM-Kinder), differenziert nach Alter in Jahresschritten und Kontaktdauer mit der dt. Sprache

Die Tabelle 2 gibt eine Übersicht der in Deutschland verfügbaren sprachebenenspezifischen Verfahren, die an großen Stichproben normiert und standardisiert wurden und für die mindestens Aussagen zu den Hauptgütekriterien getroffen werden können (für eine vertiefte Auseinandersetzung und einen breiteren Überblick s. Spreer 2018).

Tabelle 2: Ausgewählte sprachebenenspezifische Verfahren
(aktualisiert in Anlehnung an Jungmann und Albers 2013)
Verfahren Zielgruppe Bereiche; Dauer Gütekriterien; Normen
Sprachebene Phonetik/Phonologie
Psycho-
linguistische
Analyse kindlicher Aussprache-
störungen-II (PLAKSS-II, Fox-Boyer, 2014, 4. Aufl.)
Kinder im Altersbereich von 2; 6 bis 8 Jahre
Einzeltest zur
a) Diagnose von Aussprache-
störungen und der ursachenorientierten Therapieplanung
b) Früherkennung eines Risikos für Aussprachestörungen (Screening)
Bildbenennverfahren mit zwei verschiedenen Materialien:
PLAKSS-Hauptbefund Inkonsequenztest (= Screening) Interpretation des Befunds und Ableitung störungsspezifischer Interventionen nach dem Klassifikationsmodell von Dodd (1995)

Separate Versionen für Österreich und die Schweiz

Dauer:
ca. 15–20 Min. (Test)
ca. 5 Min. (Screening)
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation
Validität:
Zuverlässigkeit der Risikoermittlung bei 100 % Repräsentative
Normen einer Stichprobe von N = 646 für den Altersbereich 2; 6–6;0 Jahre.
Sprachebene Lexikon/Semantik
Aktiver Wortschatztest für 3- bis 5-jährige Kinder – Revision- (AWST-R, Kiese-Himmel 2005) Kinder im Altersbereich von 3; 0 bis 5; 11 Jahren zur (differenzial-) diagnostischen Abklärung von umschriebenen Entwicklungs-
störungen der Sprache
Einzeltest
Bildbenennungstest zur Beurteilung des expressiven Wortschatzes
  • 51 Substantive
  • 24 Verben
Quantitative und qualitative Auswertung, letztere erweist sich als nützlich zur Therapie-
planung

Dauer: ca. 15 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation
Reliabilität:
Testhalbierungs-
reliabilität: r = .86 Innere Konsistenz: α = .88 Test-Retest-Reliabilität: rtt = .87
Validität:
Kriteriumsvalidität empirisch bestätigt, verschiedene Beiträge zur Konstruktvalidität, zwei Studien an Extremgruppen
Normierung:
T-Werte und Prozentränge in Halbjahresschritten (N = 551 Kinder)
Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- bis 10-Jährige (WWT 6–10, Glück 2011, 2. Aufl.) Kinder im Altersbereich von 5; 6 bis 10; 11 Jahren
Erfassung semantisch-lexikalischer Fähigkeiten und (differenzial-) diagnostische Abklärung von Spracherwerbs-
störungen
Einzeltest
Expressiver Leitsubtest WWTexpressiv: Benenntest mit Farbfotos (Antwortgenauigkeit und -zeit)
Optionale Subtests zur Überprüfung der Abrufstabilität und der Wirksamkeit von Abrufhilfen (Differenzierung zw. generellen Wortschatzdefizit und Wortfindungsstörung)
Subtest WWTrezeptiv: Bildauswahlaufgabe für nicht korrekt erkannte Wörter Quantitative und qualitative Auswertung, letztere geben Hinweise auf die Therapiegestaltung
Langform: 95 Items 3 altersdifferenzierte Kurzformen: je 40 Items Türkisch-deutsche Testvariante PC-gestützt oder manuell auswertbar

Dauer Standarddurch-führung:
Langform: 45 Min.
Kurzform: 20 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation, PC-Version
Reliabilität:
Innere Konsistenz: α = .90-.92 (Langform); α = .84 (Kurzformen)
Validität:
Konstruktvalidität des Leitsubtests (u.a. mit Einbezug von IQ, Arbeitsgedächtnis, Alter) bestätigt Kriteriumsvalidität (u.a. Geschlecht, Bildungsstand der Eltern, Wohnortgröße, vorliegende Spracherwerbsstörung) empirisch belegt
Getrennte Normen (T-Werte, Prozentränge) für neun Altersgruppen für den Leitsubtest sowie klassenstufenbezogene Normen (Kindergarten, Schule) Prozentränge für den rezeptiven Subtest
Sprachebene Morphologie/Syntax
Test zur Überprüfung des Grammatik-
verständnisses (TROG-D, Fox 2016, 7. Aufl.)
Kinder zwischen 3; 0 und 10; 11 Jahren; Diagnostik von Erwachsenen, z.B. mit einer Aphasie oder Hörstörungen bei denen eine Beeinträchtigung des Sprachverständnis-
ses vermutet wird
Einzeltest
TROG-basierter Gruppentest erprobt (Lüke et al. 2016)
Erfassung des Verständnisses für die grammatischen Strukturen des Deutschen mit 21 Itemblöcken
  • Flexion
  • Funktionswörter
  • Satzstellung
Qualitative und quantitative Untersuchung und Auswertung Einsatzort: Logopädische und sprachtherapeutische Praxen

Dauer:
ca. 10–20 Min.
Objektivität:
Gegeben durch ausführliche Erläuterungen für die Durchführung, Auswertung und Interpretation; simples Zielverhalten (Zeigen auf eines von vier Bildern)
Reliabilität:
Innere Konsistenz: α = .90 Testhalbierungs-
reliabilität: r = .91 Eindimensionale Struktur des Verfahrens bestätigt (Korrelation von Skalenroh- und Faktorwert: r = .99)
Validität:
Konvergente Validität mit dem SETK 3–5 Subtest VS: r = .72 Einsatz des TROG-D zur konvergenten und diskriminanten Validierung anderer Entwicklungstests
Normendaten von N = 870 monolingual deutsch-sprachigen Kindern im Alter von 3; 0–10; 11 Jahren aus dem Jahr 2005
Grammatiktest für 4- bis 8-jährige Kinder (ESGRAF 4–8, Motsch und Rietz 2016) Kinder im Alter von 4; 0 bis 8; 11 Jahren
Einzeltest
Screening für die Durchführung im Klassen-verband
6 Untertest mit 212 Items
  • 1a Verbzweitstellungs-regel im Hauptsatz/ 1b Subjekt-Verb-Kontrollregel
  • Verbendstellung im subordinierten Nebensatz Genussicherheit
  • 4a Akkusativ in Nominal- und Präpositional-
    phrasen/
    4b Dativ in Nominal- und Präpositional-
    phrasen
  • Pluralmarkierung der 9 Pluralformen des Deutschen
  • Späte grammatische Fähigkeiten (Passiv- und Konjunktiv-konstruktionen, Genitiv)
Dauer: 45–120 Min.
Objektivität:
Vollstandardisierte Durchführung und Auswertung, CD mit Filmclips zur Durchführung aller Untertests
Reliabilität:
Innere Konsistenz: α = .38-.96 Testhalbierungs-
reliabilität: r = .39-.94
Validität:
Konstruktvalidität belegt, Altersensibilität gegeben
Aktuelle Normen (Prozentränge) an N = 113 Kindern ermittelt (Rietz und Motsch 2014)

6 Quellenangaben

Dohmen, Andrea, Susie Summers und Hazel Dewart, 2009. Das pragmatische Profil: Analyse kommunikativer Fähigkeiten von Kindern. München: Elsevier, Urban & Fischer. ISBN 978-3-437-48180-2

Fox-Boyer, Annette, 2014. PLAKSS-II: Psycholinguistische Analyse kindlicher Aussprachestörungen-II. Frankfurt am Main: Pearson

Fox-Boyer, Annette, Hrsg., 2016. TROG-D: Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses. 7. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner. ISBN 978-3-8248-0355-2

Glück, Christian Wolfgang, 2011. Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- bis 10-Jährige: WWT 6–10. 2., überarb. Auflage. München: Elsevier Urban & Fischer. ISBN 978-3-437-47481-1

Grimm, Hannelore, 2015. SETK 3–5: Diagnose von Sprachverarbeitungsfähigkeiten und auditiven Gedächtnisleistungen. 3., überarbeitete und neu normierte Auflage. Göttingen: Hogrefe

Grimm, Hannelore, 2016. Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder: SETK-2 : Diagnose rezeptiver und produktiver Sprachverarbeitungsfähigkeiten. 2., überarbeitete und neu normierte Auflage. Göttingen: Hogrefe

Jungmann, Tanja und Timm Albers, 2013. Frühe sprachliche Bildung und Förderung. München: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-497-02399-8 [Rezension bei socialnet]

Kany, Werner und Hermann Schöler, 2010. Fokus: Sprachdiagnostik: Leitfaden zur Sprachstandsbestimmung im Kindergarten. 2., erw. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor. ISBN 978-3-589-24703-5

Kauschke, Christina und Julia Siegmüller, 2009. Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen: PDSS. 2. Auflage. Stuttgart: Urban& Fischer. ISBN 978-3-437-47591-7

Kiese-Himmel, Christiane, 2005. Aktiver Wortschatztest für 3- bis 5-jährige Kinder – Revision: Manual. Göttingen: Beltz-Test-Gesellschaft. ISBN 978-3-8017-1977-7

Lüke, Timo, Ute Ritterfeld und Heinrich Tröster, 2016. Erprobung eines Gruppentests zur Überprüfung des Grammatikverständnisses auf der Basis des TROG-D. In: Diagnostica. 62(4), S. 242–254. ISSN 0012-1924

Motsch, Hans-Joachim und Christian Rietz, 2016. ESGRAF 4–8: Grammatiktest für 4- bis 8-jährige Kinder: Manual. München: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-497-02632-6

Petermann, Franz, 2016. SET 3–5: Sprachstandserhebungstest für Kinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren. Göttingen: Hogrefe

Petermann, Franz, 2018. Sprachstandserhebungstest für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren. 3., aktualisierte und teilwese neu normierte Auflage. Göttingen: Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG

Rietz, Christian und Hans-Joachim Motsch, 2014. Testtheoretische Absicherung der ESGRAF 4–9. In: Empirische Sonderpädagogik. 6(4), S. 300–312. ISSN 1869-4845

Schulz, Petra und Rosemarie Tracy, 2011. Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache: LiSe-DaZ. Göttingen: Hogrefe

Spreer, Markus, 2018. Diagnostik von Sprach- und Kommunikationsstörungen. München: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-8252-4946-5 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Prof. Dr. Tanja Jungmann
Universität Oldenburg, Professur für Sprache und Kommunikation und ihre sonderpädagogische Förderung unter besonderer Berücksichtigung inklusiver Bildungsprozesse
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