Statuspassage
Prof. Dr. Stephan Otto
veröffentlicht am 30.04.2025
Der Begriff Statuspassage bezeichnet in der Soziologie und Bildungsforschung den Übergang von einem sozialen Status zu einem neuen. Im Bildungssystem meint dies z.B. Übergänge wie die Einschulung, den Wechsel auf eine weiterführende Schule, den Beginn einer Ausbildung/​eines Studiums oder den Eintritt in das Berufsleben. Solche Passagen sind oft mit Veränderungen in der sozialen Identität, neuen Rollenanforderungen und einer veränderten Position im sozialen und institutionellen Gefüge verbunden.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Vorläuferkonzepte
- 3 Merkmale von Statuspassagen
- 4 Das Konzept der Statuspassage in der Erziehungswissenschaft
- 5 Kritik am Konzept der Statuspassage
- 6 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Das Konzept der Statuspassage wurde von den Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss in den USA entwickelt (Glaser und Strauss 1971). Sie untersuchten die Abläufe und Mechanismen, die den Übergang innerhalb eines gesellschaftlichen Bereichs oder zwischen verschiedenen Bereichen bestimmen. Dabei stellten sie fest, dass nahezu jede individuelle oder kollektive Handlung einen Einfluss auf den gesellschaftlichen Status eines Individuums oder einer Gruppe hat. Eine Statuspassage ist dabei stets als Wechselbeziehung zu verstehen – zwischen der Person, die den Übergang durchläuft, und jenen, die den Prozess steuern, bewerten oder kontrollieren, um einen geregelten und reibungslosen Ablauf sicherzustellen. Solche Übergänge können über die gesamte Lebensspanne hinweg auftreten, etwa beim Eintritt in die Schule, dem Übergang in den Beruf, der Familiengründung oder dem Eintritt ins Rentenalter. Das Konzept erlaubt eine differenzierte Analyse von Übergängen im Bildungssystem, indem es diese als sozial strukturierte und normativ gerahmte Prozesse begreift – etwa beim Wechsel von einer Bildungsstufe zur nächsten oder beim Eintritt in Ausbildung und Beruf. Es macht sichtbar, wie institutionelle Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Erwartungen deren Verlauf und Gestaltung prägen. Allerdings stößt das Konzept an Grenzen, wenn es um die Erfassung individueller Deutungsmuster, nicht-linearer Bildungsbiografien oder atypischer Verlaufsformen geht, wie sie sich zunehmend in individualisierten Gesellschaften zeigen.
2 Vorläuferkonzepte
Die Idee von Statuspassagen basieren auf dem anthropologischen Konzept der Übergangs- bzw. Initiationsriten, das insbesondere im Rahmen der Forschung zu archaischen Gesellschaften entwickelt und maßgeblich geprägt wurde (Gennep 1964). Diese Riten stellen zentrale kulturelle Praktiken dar, die dazu dienen, bedeutsame Übergänge im Lebenslauf eines Individuums – etwa den Wechsel von der Kindheit ins Erwachsenenalter oder den Eintritt in eine neue soziale Gruppe – symbolisch und sozial zu markieren. Sie strukturieren nicht nur den individuellen Lebenslauf, sondern sichern zugleich die soziale Ordnung und Kontinuität innerhalb der Gemeinschaft. Ein wesentliches Ziel solcher Rituale ist es, Individuen auf ihre veränderte gesellschaftliche Rolle vorzubereiten und diesen Wandel auch kollektiv sichtbar zu machen. Ebensolche Rituale sind somit nicht nur persönliche Erfahrungen, sondern haben eine eminente soziale Dimension: Sie bestätigen den neuen Status vor der Gemeinschaft und verankern die betroffene Person symbolisch wie sozial in ihrer neuen Rolle (Meyer-Blank 2017, S. 1461).
Ein zentrales Merkmal dieser Riten ist das Vorhandensein von „deutlich nach Außen sichtbaren Zeichen“ (Otto 2018, S. 60). In vielen traditionellen Gesellschaften äußerte sich dies in Form schmerzhafter körperlicher Eingriffe, die von gezielten Verletzungen bis hin zu dauerhaften Verstümmelungen reichen konnten. Diese physischen Spuren fungierten nicht allein als sichtbarer Beweis für das Durchlaufen des Übergangsrituals, sondern erfüllten auch eine stark gemeinschaftsbildende Funktion. Sie manifestierten die Zugehörigkeit zu einer neuen sozialen Gruppe und stärkten das kollektive Bewusstsein sowie die soziale Kohäsion der Gemeinschaft.
Neben diesen drastischen Ausdrucksformen zeichneten sich Initiationsriten jedoch vor allem durch ihre formalisierte Struktur und ihren öffentlichen Charakter aus. Es handelte sich in der Regel um klar geregelte Zeremonien, die vor den Augen der gesamten Gemeinschaft stattfanden und deren zentrale Aufgabe darin bestand, den Übergang eines Individuums von einem sozialen Status in einen anderen symbolisch zu inszenieren und kollektiv zu bestätigen (Turner 1989, S. 108 f.). Der öffentliche Charakter von Initiationsriten ist auch bei heutigen Statuspassagen erkennbar. Dies zeigt sich bei mehr oder minder ritualisierten Einführungssettings wie dem ersten Schultag von Kindern, welche nicht nur den Kindern selbst die Bedeutung des Tages verdeutlichen, sondern auch ihren Eltern und der Schule (Rademacher 2009).
3 Merkmale von Statuspassagen
Statuspassagen in modernen Gesellschaften bezeichnen unterschiedliche Übergänge im Lebenslauf. Hierbei zeichnen sie sich insbesondere durch die folgenden Merkmale aus (zusammengefasst in Anlehnung an Friebertshäuser 1992; Glasser und Strauss 1971):
- Umkehrbarkeit: Man kann in eine neue Statusstufe übergehen bzw. aufsteigen, jedoch besteht gleichzeitig die Möglichkeit, wieder in den vorherigen Status zurückzukehren.
- Beteiligte: Statuspassagen können sowohl allein als auch in Gruppen durchlaufen werden.
- Zeitliche Dauer: Unterscheidet sich je nach Statuspassage: Es gibt abrupte, genau terminierte Statuspassagen (z.B. den Renteneintritt zu einem bestimmten Datum) und flexible, über einen längeren Zeitraum ablaufende Statuspassagen (z.B. der Berufseinstieg nach dem Studium).
- Institutionelle Vorgaben: Institutionell festgelegte Statuspassagen finden in einem regelmäßigen Turnus mit jeweils neuen Kohorten bzw. Individuen statt, dabei werden die zu Initiierenden üblicherweise von bereits erfahrenen Betreuenden unterstützt.
- Selbstinitiation & Mitgestaltung: In modernen Gesellschaften wird die Initiation einer Statuspassage, im Unterschied zu traditionellen Gesellschaften, weniger von außen angeleitet. Es besteht die Möglichkeit, die Statuspassage aktiv mitzugestalten und Ziele zu definieren.
- Spezialisierung: Anders als in traditionellen Gesellschaften erfolgt die Initiation nach gesellschaftlichen Positionen, d.h. sie ist etwa spezifisch bezogen auf bestimmte Berufe.
- Funktion: Gesellschaftliche Reproduktion – Das Ziel einer Statuspassage liegt letztlich darin, Nachkommen für bestimmte gesellschaftliche Positionen zu rekrutieren.
Aus diesen Merkmalen lässt sich ableiten, dass das Konzept der Statuspassage eine fundierte theoretische Rahmung für Übergänge im gesamten Lebenslauf darstellt. Es macht deutlich, dass Übergänge – etwa von der Schule in den Beruf oder vom Berufsleben in den Ruhestand – nicht bloß individuelle Entwicklungsschritte sind, sondern soziale Prozesse, die bestimmten Strukturen und Symboliken folgen. Selbst in modernen, hochdifferenzierten Gesellschaften sind solche Übergänge häufig von institutionell begleiteten und öffentlich sichtbaren Ritualen gekennzeichnet. Diese erfüllen die Funktion, den Statuswechsel sowohl für die betroffene Person als auch für das soziale Umfeld deutlich zu markieren. Sie tragen dazu bei, Orientierung zu geben, soziale Anerkennung zu ermöglichen und den Übergang in eine neue Rolle zu legitimieren.
4 Das Konzept der Statuspassage in der Erziehungswissenschaft
In der deutschen erziehungswissenschaftlichen Forschung wurde der Begriff der Statuspassage bereits frühzeitig zur Analyse der Anforderungen herangezogen, die mit dem Übergang von Kindheit zu Jugend und dann in das Erwachsenenalter einhergehen. Im Mittelpunkt standen dabei insbesondere Untersuchungen zu verlängerten Statuspassagen, wie die zunehmende Dauer des Verbleibs Jugendlicher im Elternhaus oder die individuell variierenden Bildungsverläufe vor dem Eintritt in das Erwerbsleben (Fuchs 1983). In der Folge wurde das Konzept der Statuspassage dann auch für Übergänge in der gesamten Bildungsbiografie bzw. insbesondere mit institutionellen Übergängen verbunden. Beispielsweise wurde der Wechsel von der Grundschule in die weiterführende Schule oder der Übergang ins Studium (Friebertshäuser 1992) und in den Beruf (Helling et al. 1995) untersucht, die sowohl individuell als auch kollektiv bewältigt werden müssen. Der öffentliche Charakter der archaischen Initiationsriten hat sich letztlich bis in die Moderne erhalten und ist auch bei heutigen Statuspassagen erkennbar. Dies zeigt sich bei mehr oder minder ritualisierten Settings wie Einschulungen, Abschlussfeiern oder auch Beförderungen, da hier nicht nur der den Status wechselnden Person die Bedeutung dieses Ereignisses vor Augen geführt wird, sondern auch weiteren Anwesenden (Rademacher 2009).
5 Kritik am Konzept der Statuspassage
Obwohl Statuspassagen in der Soziologie und Erziehungswissenschaft eine weitreichende Verbreitung gefunden haben und nach wie vor für die Beschreibung von Übergängen genutzt werden, gibt es durchaus Kritik und Forderungen nach Weiterentwicklung des Konzepts. So gibt es unterschiedliche Stimmen, die darauf hinweisen, dass das Konzept für die Beschreibung von Übergängen im Lebensverlauf nur bedingt geeignet ist und dass sich deshalb auch die Diskurse in der Forschung von der „Statuspassagendominanz“ (Felten und Schmid-Lauff 2015, S. 12) lösen müssten.
Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die statische Perspektive, die das Konzept einnimmt. Es betrachtet Übergänge primär aus der Sicht von Institutionen und Organisationen und deren formalisierten Regeln und Abläufen, während die individuellen Handlungsspielräume der betroffenen Personen und deren Rekontextualisierungen und Anpassungen oft unzureichend berücksichtigt werden. Dadurch wird die Eigenlogik des Individuums, also die Art und Weise, wie Menschen Übergänge subjektiv erleben und aktiv gestalten, in den Hintergrund gedrängt (Schäffter 2015). Welzer ersetzt deshalb den Begriff der Statuspassage durch den der Transition. Diese können verstanden werden als „sozial prozessierte, verdichtete und ak-zelerierte Phasen in einem im permanenten Wandel befindlichen Lebenslauf“ (Welzer 1993, S. 37). Ebenfalls zeichnen Transitionen im Gegensatz zu Statuspassagen aus, dass „Gewohnheiten, Handlungs- und Deutungsroutinen und Wissensbestände aller Beteiligter Modifikationen unterworfen [sein können]“ (ebd.) und dies somit nicht nur die Menschen betrifft, die die Statuspassage durchlaufen.
Darüber hinaus wird kritisiert, dass das Konzept der Statuspassage strukturelle Einflussfaktoren, wie beispielsweise die soziale Herkunft, nur unzureichend in den Blick nimmt. Individuelle Entscheidungen und biografische Gestaltungsmöglichkeiten sind jedoch maßgeblich von ebensolchen sozialen Rahmenbedingungen geprägt (Müller 2020). Um Übergänge aber allumfassend betrachten zu können, müssen den „interaktiven Anpassungs- und Aushandlungsprozessen“ (König 2020, S. 3) der Individuen Beachtung geschenkt werden, da nur so auch deutlich wird, wie Statuspassagen Ungleichheiten produzieren bzw. reproduzieren.
6 Quellenangaben
Felden, Heide von und Sabine Schmidt-Lauff, 2015. Transitionen in der Erwachsenenbildung: Übergänge im gesellschaftlichen Wandel, im Fokus von Forschung und aus Sicht pädagogischer Professionalität. In: Sabine Schmidt-Lauff, Heide von Felden und Henning Pätzold, Hrsg. Transitionen in der Erwachsenenbildung: Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Übergänge. Opladen: Verlag Barbara Budrich, S. 11–16. ISBN 978-3-8474-0753-9
Friebertshäuser, Barbara, 1992. Übergangsphase Studienbeginn: Eine Feldstudie über Riten der Initiation in eine studentische Fachkultur. Weinheim: Juventa Verlag. ISBN 978-3-7799-0837-1
Fuchs, Werner, 1983. Jugendliche Statuspassage oder individualisierte Jugendbiographie? In: Soziale Welt. 34(3), S. 341–371. ISSN 0038-6073
Gennep, Arnold van, 1964. Übergangsriten: Systematik der rituellen Zeremonien. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Glaser, Barney G. und Anselm L. Strauss, 1971. Status Passage: A Formal Theory. Chicago: Aldine-Atherton. ISBN 978-0-7100-8905-2
Helling, Vera, Ingo Mönnich und Andreas Witzel, 1995. Die Statuspassage in den Beruf als Sozialisationsprozeß. In: Heinz Sahner und Stefan Schwendtner, Hrsg. 27. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Soziologie – Gesellschaften im Umbruch: Sektionen und Arbeitsgruppen. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 25–30. ISBN 978-3-663-12794-9
König, Alexandra, 2020. Sozialisation als Selbstprojekt: Eine qualitative Längsschnittstudie zu Ausbildung und Studium. In: Gesellschaft – Individuum – Sozialisation. 1(1), S. 1–14. ISSN 2673-4664
Meyer-Blanck, Michael, 2017. Rituale. In: Ludger Kühnhardt und Tilman Mayer, Hrsg. Bonner Enzyklopädie der Globalität. Wiesbaden: Springer VS, S. 1461–1471. ISBN 978-3-658-13818-9
Müller, Reiner, 2020. Statuspassagen im Lebensverlauf: Eine autobiographische Annäherung. In: Michael Blohm, Heike Dickhäuser und Martina Weiß, Hrsg. Vom Arbeiterkind zur Professur. Bielefeld: transcript Verlag, S. 221–236. ISBN 978-3-8376-4778-5 [Rezension bei socialnet]
Otto, Stephan, 2018. Die Initiation in die schulische Praxis: Erstgespräche zwischen Studierenden und ihren Mentor_innen und ihre Bedeutung als Grenzstelle im Professionalisierungsprozess. Hamburg: Verlag Dr. Kovač. ISBN 978-3-8300-9916-1
Rademacher, Sandra, 2009. Der erste Schultag: Pädagogische Berufskulturen im deutsch-amerikanischen Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag. ISBN 978-3-531-16855-5
Schäffter, Ortfried, 2015. Übergangszeiten – „Transitionen“ und „Life Trajectories“: Navigieren durch Bildungslandschaften im Lebensverlauf. In: Sabine Schmidt-Lauff, Heike von Felden und Henning Pätzold, Hrsg. Transitionen in der Erwachsenenbildung: Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Übergänge. Opladen: Verlag Barbara Budrich, S. 19–34. ISBN 978-3-8474-0753-9
Welzer, Harald, 1993. Transitionen: Zur Sozialpsychologie biographischer Wandlungsprozesse. Tübingen: Edition Diskord. ISBN 978-3-89295-572-6
Verfasst von
Prof. Dr. Stephan Otto
Professor für Kindheitspädagogik
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