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Suchthilfe

Prof. Dr. Marion Laging

veröffentlicht am 10.10.2018

Synonym: Suchtkrankenhilfe

Veraltete Bezeichnung: Suchtkrankenfürsorge

Geltungsbereich: Dieser Beitrag bezieht sich auf die Situation in Deutschland.

Deutschland verfügt über ein gut ausgebautes System der gesundheitlichen und sozialen Sicherung in der Suchthilfe. Die Angebote und Leistungen richten sich an die Menschen in allen Stadien einer Suchtentwicklung und schließen zudem Maßnahmen und Projekte der Suchtprävention mit ein. Die Angebote der Suchthilfe bewegen sich – auch im internationalen Vergleich – auf einem fachlich hohen Niveau und werden zum großen Teil flächendeckend vorgehalten.

Überblick

  1. 1 Komplexität der Strukturen
  2. 2 Angebotsformen
  3. 3 Umsetzungsprobleme bei der Versorgung
  4. 4 Trägerstruktur
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Literaturhinweise

1 Komplexität der Strukturen

Charakteristisch für das Arbeitsfeld der Suchthilfe ist dessen Multidisziplinarität: Fachkräfte aus Medizin, Psychologie, Sozialer Arbeit und weitere Berufsgruppen engagieren sich in diesem Feld. Im ambulanten Bereich zählt die Soziale Arbeit zu der am stärksten vertretenen Berufsgruppe, im stationären Bereich sind es Medizin und Psychologie.

Das Suchthilfesystem zeigt sich ebenfalls in Hinblick auf seine Arbeitsbereiche und AdressatInnengruppen als sehr umfassend und vielfältig. Es schließt Angebote ein, die sich im Kontext von legalen Drogen (insbesondere Alkohol, aber auch Tabak) bewegen, umschließt den gesamten Bereich der Angebote im Kontext illegaler Drogen und entwickelt in zunehmendem Maße auch Angebote im Bereich des Glücksspiels. Durch die verschiedenen gesetzlichen Aufträge und Kostenträgerstrukturen gewinnt es weitere Komplexität.

2 Angebotsformen

Die Angebote der Suchthilfe lassen sich wie folgt systematisieren:

  • Niedrigschwellige Angebote verfolgen zwei Zielrichtungen: Sie verstehen sich zum einen als eigenständige, schadensminimierende, überlebenssichernde und gesundheitsstabilisierende Hilfeform, die Unterstützung nicht an Abstinenz oder Abstinenzmotivation koppelt, sondern aus den Bedarfen und Wünschen der AdressatInnen ableitet. Zum anderen verstehen sich die niedrigschwelligen Angebote als Brücke in das (abstinenzorientierte) Hilfesystem. Wichtige Angebote sind Streetwork, Spritzentausch, Konsumräume oder Kontaktläden, die meist kommunal finanziert sind.
    Bundesweit ca. 300 Angebote.
  • Suchtberatungs- und Behandlungsstellen sind die zentralen Anlaufstellen in den Kommunen mit einem breiten Angebotsspektrum: Eine zentrale Aufgabe besteht in der Beratung und Betreuung von Menschen mit problematischem und abhängigem Substanzkonsum. Angebote zum pathologischen Glücksspiel halten immer mehr Beratungsstellen vor. Die dort beschäftigten Fachkräfte unterstützen Betroffene beim Motivationsaufbau und führen selbst Angebote der ambulanten Rehabilitation durch. Darüber hinaus werden Hilfepläne erstellt und es wird in weiterführende Angebote (soziale, berufliche, medizinische Rehabilitation) vermittelt. Angehörige von suchtkranken Menschen zählen ebenfalls zur Zielgruppe für die ein eigenständiges Leistungsangebot entwickelt wurde. Suchtberatungs- und Behandlungsstellen übernehmen zudem vielfach die psycho-soziale Begleitung Substituierter, unterstützen Selbsthilfegruppen und -projekte und unterhalten Fachstellen für Prävention.
    Bundesweit ca. 1.300 Stellen mit ca. 500.000 KlientInnen.
  • Entgiftung oder qualifizierter Entzug sind in der Regel Voraussetzung für weiterführende abstinenzorientierte Hilfen bei einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen. Im qualifizierten Entzug werden die Entzugserscheinungen medikamentös aufgefangen und es findet zusätzlich eine psycho-soziale Begleitung statt. In der Regel sind Krankenkassen die zuständigen Kostenträger.
    Bundesweit ca. 7.500 Plätze in über 300 spezialisierten Einrichtungen, meist Krankenhäuser.
  • Ambulante und stationäre medizinische Rehabilitation erfolgt mit dem Ziel, Menschen wieder in das berufliche Leben zu integrieren. Dementsprechend ist die medizinische Rehabilitation eine Maßnahme in Verantwortung der gesetzlichen Rentenversicherung – soweit Ansprüche erworben wurden. Die Angebote haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend ausdifferenziert. Wie sich die Behandlung gestaltet, wird entsprechend der medizinischen und psychosozialen Behandlungserfordernisse individuell und zeitlich begrenzt festgelegt.
    Bundesweit etwa 720 anerkannte Einrichtungen und ca. 73.000 Maßnahmen jährlich.
  • Maßnahmen der sozialen Rehabilitation setzen da an, wo berufliche oder medizinische Rehabilitation nicht oder noch nicht sinnvoll sind. Sie sind oftmals bei mehrfachgeschädigten abhängigkeitskranken Menschen notwendig. Sie umfassen Hilfen zum Wohnen, zur Arbeit und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Bundesweit 268 stationäre Einrichtungen der Sozialtherapie mit mehr als 10.700 Plätzen; 112 teilstationäre Einrichtungen der Sozialtherapie mit mehr als 1.200 Plätzen; 460 Angebote des ambulanten betreuten Wohnens mit mehr als 12.000 Plätzen.
  • Selbsthilfe ist eine weitere wichtige Säule im System der Suchtkrankenhilfe. Selbsthilfe lebt vom Engagement abstinent lebender Betroffener und von der Freiwilligkeit ihrer Mitglieder. Zudem arbeitet die Selbsthilfe ohne Zuweisung oder Kontrolle und ergänzt so die professionellen Hilfen mit einem eigenständigen Profil. Der Kreuzbund, das Blaue Kreuz, die Anonymen Alkoholiker und die Freundeskreise zählen zu den bekanntesten Trägern der Selbsthilfe, die sowohl wohnortnahe Angebote in den Kommunen bereitstellen als auch überregionale Strukturen aufgebaut haben. Selbsthilfeangebote in den Kommunen sind für abhängigkeitskranke Menschen heute Standard. Bundesweit ca. 8.700 Gruppen (Laging 2018, S. 111–113).

3 Umsetzungsprobleme bei der Versorgung

Obgleich sich die Suchthilfe insgesamt als ein umfassendes und ausdifferenziertes System zeigt, werden Umsetzungsprobleme zu Lasten der AdressatInnen beobachtet: Sie zeigen sich u.a. in der Abwehr individueller Leistungsansprüche durch die Kostenträger. Leistungen werden viel zu oft in unzureichendem Umfang bzw. zu geringer Dauer gewährt. Darüber hinaus haben sich durch die kommunale Verankerung der ambulanten Suchthilfe entsprechend den jeweiligen politischen Verhältnissen auf Landes- oder Kreisebene und der lokalen/regionalen Voraussetzungen sehr heterogene Hilfesysteme entwickelt und etabliert, die von niedrigschwelligen Maßnahmen der Überlebenshilfe, Krisenintervention über unterschiedlichste Präventionsangebote bis zur betrieblichen Suchtkrankenhilfe reichen können. Viele dieser Leistungen werden als freiwillige Leistungen verstanden und unterliegen damit temporären politischen Schwankungen und Strömungen und sind von den aktuellen Finanzlagen abhängig. Dies gilt insbesondere für die Suchtberatungsstellen und niedrigschwelligen Angebote in den Kommunen, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Bundesland oftmals 20 bis 60 Prozent ihrer Kosten selbst erwirtschaften müssen (Leune 2013).

Weitere Umsetzungsprobleme liegen im Übergangsmanagement, das die Versorgungsqualität immer wieder in Frage stellt. Zwar steht eine Vielzahl an Leistungen für die Überwindung einer Abhängigkeit zur Verfügung. Durch die zersplitterte Kostenträgerstruktur entstehen aber an den Übergängen zwischen den Leistungsbereichen Brüche, die für abhängigkeitskranke Menschen oft unüberbrückbar sind und Rückfälle verursachen. Weiterentwicklung der Leistungen für suchtgefährdete und suchtkranke Menschen und Qualitätssteigerungen in der Versorgung sind von daher vor allem durch eine intensivere Abstimmung und Verbindung von Leistungen im Sinne der personenbezogenen Hilfe „wie aus einer Hand“ zu erreichen. Auf der Ebene der Träger und Einrichtungen wird der Auf- und Ausbau von Kooperationen zudem mit strategischen Optionen verbunden, z.B. der gegenseitigen Nutzung von fachlicher Expertise, der erweiterten Möglichkeit, neue Anforderungen gemeinsam aufzugreifen, der besseren Abdeckung von Versorgungsbereichen und der höheren Differenzierung und Individualisierung von Leistungen (Walter-Hamann 2016).

4 Trägerstruktur

Die Einrichtungen der Suchthilfe sind in der Regel in öffentlicher Trägerschaft oder in der Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege. Nur vereinzelt finden sich auch private Anbieter. Die Einrichtungen der Suchthilfe sind u.a. in der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) organisiert. DHS berichtet regelmäßig im „Jahrbuch Sucht“ über die aktuellen epidemiologischen Entwicklungen und über die Inanspruchnahme der Suchthilfe, sie fördert die fachwissenschaftliche Entwicklung u.a. durch regelmäßige Tagungen und Publikationen und sie beteiligt sich an gesundheits- und sozialpolitischen Meinungsbildungsprozessen mit entsprechenden Stellungnahmen und mehr.

5 Quellenangaben

Laging, Marion, 2018. Soziale Arbeit in der Suchthilfe. Grundlagen – Konzepte – Methoden. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-031707-9 [Rezension bei socialnet]

Leune, Jost, 2013. Versorgung abhängigkeitskranker Menschen in Deutschland. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., Hrsg. Jahrbuch Sucht. Geesthacht: Neuland, S. 181–196. ISBN 978-3-89967-855-0 [Rezension bei socialnet]

Walter-Hamann, Renate, 2016. Suchthilfe in Netzwerken. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., Hrsg. Neue Ansätze in der Suchthilfe. Freiburg im Breisgau: Lambertus (Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 01), S. 90–98. ISBN 978-3-7841-2872-6 [Rezension bei socialnet]

6 Literaturhinweise

DHS, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Hrsg., 2018. DHS Jahrbuch Sucht. Lengerich: Pabst Science Publishers. ISSN 2569-4782

Laging, Marion, 2018. Soziale Arbeit in der Suchthilfe. Grundlagen – Konzepte – Methoden. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-031707-9 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Prof. Dr. Marion Laging
Professorin für Theorien und Konzepte der Sozialen Arbeit mit psychisch kranken Menschen und mit Menschen mit riskantem/schädlichem Drogenkonsum
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