socialnet Logo

Vaterschaftsanfechtung

Prof. Dr. Annegret Lorenz

veröffentlicht am 12.10.2023

Geltungsbereich: Deutschland

Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Die Vaterschaftsanfechtung ist ein gerichtliches Verfahren mit dem Ziel, die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu einem Mann als dessen Erzeuger aufzuheben.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Die Bedeutung einer Vaterschaftsanfechtung
  3. 3 Die Voraussetzungen einer Vaterschaftsanfechtung
    1. 3.1 Anfechtungsrecht: Wer das Verfahren betreiben kann …
    2. 3.2 Anfangsverdacht: Wann man das Verfahren betreiben kann …
    3. 3.3 Anfechtungsfrist: Wie lange man das Verfahren betreiben kann …
      1. 3.3.1 Zweijahresfrist
      2. 3.3.2 Fristberechnung
      3. 3.3.3 Hemmung der Anfechtungsfrist
  4. 4 Vaterschaftsanfechtung durch die rechtlichen Eltern
    1. 4.1 Anfechtungsrecht
      1. 4.1.1 Grundsatz
      2. 4.1.2 Sonderfall: Künstliche Befruchtung
    2. 4.2 Anfangsverdacht und Anfechtungsfrist
    3. 4.3 Verfahrensrechtliche Aspekte
  5. 5 Vaterschaftsanfechtung durch den mutmaßlichen leiblichen Vater
    1. 5.1 Anfechtungsrecht
      1. 5.1.1 Grundsatz
      2. 5.1.2 Sonderfall: Künstliche Befruchtung
    2. 5.2 Anfangsverdacht und Anfechtungsfrist
    3. 5.3 Verfahrensrechtliche Aspekte
  6. 6 Vaterschaftsanfechtung durch das Kind
    1. 6.1 Anfechtungsrecht
      1. 6.1.1 Grundsatz
      2. 6.1.2 Sonderfall: Künstliche Befruchtung
      3. 6.1.3 Anfechtung während der Minderjährigkeit des Kindes
    2. 6.2 Anfangsverdacht und Anfechtungsfrist
    3. 6.3 Verfahrensrechtliche Aspekte
  7. 7 Erfolg und Wirkungen einer Vaterschaftsanfechtung
    1. 7.1 Erfolg der Anfechtung
    2. 7.2 Allgemeine Wirkungen der erfolgreichen Anfechtung
    3. 7.3 Besondere Wirkungen bei Anfechtung durch den leiblichen Vater
  8. 8 Vaterschaftsanfechtungsverfahren
  9. 9 Mutterschaftsanfechtung
  10. 10 Quellenangaben
  11. 11 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

Eine Vaterschaftsanfechtung zielt auf die Aufhebung der rechtlichen Zuordnung eines Kindes zu seinem rechtlichen Vater. Sie wird gerichtlich geltend gemacht. Der Anfechtungsantrag muss innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach einem entsprechenden Verdacht, dass die Zuordnung des Kindes unrichtig ist, erhoben werden. Anfechtungsberechtigt sind die rechtlichen Eltern, das Kind und – unter bestimmten Voraussetzungen – auch der biologische Erzeuger des Kindes.

2 Die Bedeutung einer Vaterschaftsanfechtung

Die Anfechtung der Vaterschaft ermöglicht eine Überprüfung der Abstammungsverhältnisse und führt – so das Kind nicht von seinem rechtlichen Vater abstammt – zu einer Aufhebung der Zuordnung des Kindes zu diesem Mann (§ 1599 Abs. 1 BGB). Dieser Korrekturmechanismus ist notwendig, weil die in der Praxis häufigsten Zuordnungsmechanismen eines Kindes zu einem Mann ohne Überprüfung der Abstammungsverhältnisse erfolgen und daher eine Zuordnung zu einem Mann erlauben, der nicht Erzeuger des Kindes ist:

  1. Die Vaterschaft des Ehemannes der Mutter des Kindes (§ 1592 Nr. 1 BGB) und
  2. Die Vaterschaft des Mannes, der eine Vaterschaftsanerkennung abgegeben hat (§ 1592 Nr. 2 BGB).

Die Anfechtung der Vaterschaft wird gerichtlich geltend gemacht.

Das Anfechtungsrecht ist grundsätzlich unverzichtbar (BGH, Beschluss v. 18.3.2020, XII ZB 321/19, NJW [Neue Juristische Wochenschrift] 2020, 73 [40], S. 2956 [S. 2957 Rn. 20]). Ein etwaiger rechtsgeschäftlich vereinbarter Ausschluss des Anfechtungsrechts ist daher wirkungslos (BGH, Beschluss v. 18.3.2020, XII ZB 321/19, NJW 2020, 73 [40], S. 2956 [S. 2957 Rn. 14]). Derartige Vereinbarungen kommen u.a. in sog. „Regenbogenkonstellationen“ vor, etwa wenn der Samenspender mit der Mutter und deren gleichgeschlechtlicher Partnerin vereinbart, dass er auf sämtliche Rechte hinsichtlich des Kindes verzichtet (grundlegend dazu Grziwotz 2022, S. 3255 ff.).

3 Die Voraussetzungen einer Vaterschaftsanfechtung

Die Erhebung eines Antrags auf Anfechtung der Vaterschaft ist an verschiedene Erfordernisse geknüpft, insbesondere:

3.1 Anfechtungsrecht: Wer das Verfahren betreiben kann …

Berechtigt zur Anfechtung der Vaterschaft sind folgende Personen:

3.2 Anfangsverdacht: Wann man das Verfahren betreiben kann …

Als – gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte (ungeschriebene) – Voraussetzung fordert die Rechtsprechung einen sog. Anfangsverdacht (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 23). Der oder die Anfechtende muss dafür Umstände vortragen, aus denen sich ein „begründeter Anfangsverdacht“ einer anderen Abstammung des Kindes ergibt (§ 171 Abs. 2 FamFG [Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit]). Die vorgebrachten Umstände müssen bei objektiver Betrachtung geeignet sein, Zweifel an der Vaterschaft des rechtlichen Vaters zu wecken und die nicht ganz fernliegende Möglichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes zu begründen (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 23).

Für einen Anfangsverdacht bedarf es mithin zweierlei:

  • Die sichere Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich die nicht ganz fernliegende Möglichkeit einer anderweitigen Abstammung ergibt (BGH, Urteil v. 7. 5. 1953, IV ZR 240/52, NJW 1953, 6 [27], S. 980). Vage Zweifel an der Vaterschaft (Eckebrecht 2022, Rn. 96e), Andeutungen Dritter oder bloße Gerüchte reichen dafür allerdings nicht aus (Gutzeit 2021, BGB § 1600b Rn. 5), ebenso wenig der allgemeine Verdacht des Mehrverkehrs der Mutter (OLG Koblenz, Beschluss v. 9.8.2022, 9 WF 287/22, NJW-RR [Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report] 2023, 38 [4], S. 219), die mangelnde Ähnlichkeit zwischen Kind und Vater oder ein heimlich eingeholtes DNA-Gutachten (Gutzeit 2021, BGB § 1600b Rn. 5). Ausreichend ist hingegen das sichere Wissen um einen anderweitigen Geschlechtsverkehr der Mutter, die Unfruchtbarkeit des rechtlichen Vaters oder dessen Abwesenheit im Empfängniszeitraum (Gutzeit 2021, BGB § 1600b Rn. 5). Relevant ist weiterhin die Kenntnis davon, dass das Kind mit den Merkmalen voller Reife sieben Monate nach dem sicher feststehenden ersten ehelichen Verkehr zur Welt kam (Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 14 m.w. Nachw.).

    Sind dem Anfechtenden derartige Tatsachen nicht verfügbar, ist eine Anfechtung im Grundsatz ausgeschlossen. Der rechtlichen Familie steht allerdings ein verdachtsunabhängiger Anspruch auf „Klärung“ der leiblichen Abstammung zu (sog. Vaterschaftstest, § 1598a BGB). Dies erlaubt es dem rechtlichen Vater, der Mutter und dem Kind ohne weitere Voraussetzungen, eine genetische Abstammungsuntersuchung zu verlangen und sich auf diese Weise den erforderlichen Anfangsverdacht zu schaffen. Nicht zugänglich ist dieser Weg dem mutmaßlichen leiblichen Vater.

Und

  • Das Bestehen ernsthafter Zweifel an der Vaterschaft: Maßstab ist die objektive Perspektive eines verständigen, naturwissenschaftlich nicht vorgebildeten Laien (BGH, Urteil v. 11.12.2013, XII ZR 58/12, NJW 2014, 67 [9], S. 629 Rn. 10). Hingegen kommt es nicht darauf an, ob und welche Schlüsse der Anfechtungsberechtigte aus den ihm bekannten Umständen zieht. Unerheblich ist daher, wenn der Mann gar keine oder falsche Schlüsse aus den ihm bekannten Tatsachen zieht und z.B. – trotz der ihm bekannten Umstände – nicht an der Vaterschaft zweifelt oder gar die Augen vor den Hinweisen, die gegen die Vaterschaft sprechen, verschließt (Eckebrecht 2022, Rn. 96e).

3.3 Anfechtungsfrist: Wie lange man das Verfahren betreiben kann …

3.3.1 Zweijahresfrist

Eine Anfechtung der Vaterschaft ist zeitlich nur begrenzt innerhalb von 2 Jahren möglich. Die Zweijahresfrist wird durch den Anfangsverdacht in Gang gesetzt (§ 1600b Abs. 1 BGB). Sie beginnt jedoch nicht vor der Geburt des Kindes zu laufen (§ 1600b Abs. 2 BGB) und auch – falls die Vaterschaft durch eine Vaterschaftsanerkennung begründet wird – nicht vor Wirksamkeit der Anerkennung (§ 1600b Abs. 2 BGB).

Ausschlaggebend für den Fristenlauf ist die Existenz eines Anfangsverdachts, also die sichere Kenntnis von Tatsachen, die objektiv geeignet sind, Zweifel an der Vaterschaft des Mannes zu begründen.

Da die möglichen Anfechtungsberechtigten unterschiedliches Wissen hinsichtlich der Zeugungsumstände besitzen, kann sich der Fristenlauf bei den jeweiligen Anfechtungsberechtigten unterschiedlich gestalten. Die Anfechtungsberechtigung der jeweiligen Anfechtungsberechtigten besteht dabei unabhängig voneinander (Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 8). Insoweit gilt: Die Rechtsverfolgung durch eine:n Anfechtungsberechtigte:n wahrt nicht die Anfechtungsfrist der anderen (Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 8).

Nach Ablauf der Anfechtungsfrist ist eine Anfechtung der Vaterschaft durch den oder die entsprechende:n Beteiligte:n nicht mehr möglich. Sein bzw. ihr Anfechtungsrecht erlischt und lebt auch durch ein Abstammungsgutachten nicht wieder auf. Ein gleichwohl erhobener Antrag ist als unbegründet abzuweisen (Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 10).

3.3.2 Fristberechnung

Die Frist selbst berechnet sich nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB (Hahn 2023, BGB § 1600b Rn. 2):

Hat ein:e Anfechtungsberechtigte:r mithin am 15.1. eines Jahres entsprechende Kenntnis, so beginnt die Anfechtungsfrist am 16.1. zu laufen und endet grundsätzlich mit Ablauf des 15.1. zwei Jahre später.

Zur Wahrung der Frist ist der Anfechtungsantrag innerhalb dieses Zeitraums beim zuständigen Familiengericht einzureichen (§ 170 FamFG; Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 8). Ausreichend ist die Einreichung eines Gesuchs auf Verfahrenskostenhilfe (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB, Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 8).

3.3.3 Hemmung der Anfechtungsfrist

Verschiedene Umstände bewirken eine Hemmung des Fristenlaufs. Bei der Hemmung wird der Fristenlauf für die Dauer des Klärungsverfahrens gewissermaßen „angehalten“ (§ 209 BGB). Nach Wegfall des Hindernisses läuft die Restfrist weiter. Insbesondere folgende Umstände können den Fristenlauf hemmen:

  • Die Einleitung eines Klärungsverfahrens gem. § 1598a BGB (also des gerichtlichen Verlangens eines Vaterschaftstests, §§ 1600b Abs. 5, 204 Abs. 2 BGB). Die Hemmung beginnt genau an dem Tag der Einleitung des Klärungsverfahrens (Henrich 2023, BGB § 209 Rn. 1). Sie endet 6 Monate nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des Klärungsverfahrens (§ 1600b Abs. 5 BGB i.V. mit § 204 Abs. 2 BGB).
  • Die Frist wird ebenfalls gehemmt, solange der oder die Anfechtungsberechtigte durch widerrechtliche Drohung an der Anfechtung gehindert wird (§ 1600b Abs. 5 S. 2 BGB). Eine solche kann etwa in einer Selbstmorddrohung liegen (Hahn 2023, BGB § 1600b Rn. 19) oder aber in der Drohung der Mutter, bei einer Anfechtung die Beziehung zu dem Anfechtenden zu beenden und jeglichen Kontakt zwischen ihm und dem Kind zu verhindern (BVerfG [Bundesverfassungsgericht], Beschluss v. 12.8.2019, 1 BvR 1742/18, NJW 2019, 72 [47], S. 3441 [S. 3442 Rn. 23]).
  • Die Frist ist auch gehemmt, wenn der oder die Anfechtungsberechtigte innerhalb der letzten 6 Monate der Frist durch höhere Gewalt an der Antragstellung gehindert wurde (§ 1600b Abs. 5 BGB i.V. mit § 206 BGB). Höhere Gewalt kann allerdings nur bei Geschehnissen bejaht werden, die auch durch äußerste Sorgfalt nicht hätten verhindert werden können (Genenger 2010, S. 307). Bejaht wurde höhere Gewalt bei Verzögerungen bei der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag oder bei der Antragszustellung, die das Gericht zu verantworten hat (Hahn 2023, BGB § 1600b Rn. 10). Auch die Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit kann den Fristenlauf hemmen (Eckebrecht 2022, Teil Q Rn. 98).

    Rechtsunkenntnis
    oder Rechtsirrtümer der oder des Anfechtungsberechtigten hingegen begründen höhere Gewalt nur dann, wenn sie auf Falschinformation durch das Gericht (BGH, Urteil v. 30. 7. 2008, XII ZR 18/07, NJW 2008, 61 [42], S. 3061 [S. 3062 Rn. 30]) oder einer Behörde (z.B. des Jugendamtes) beruhen (BGH, Urteil v. 6.7.1994, XII ZR 136/93, NJW 1994, 47 [42], S. 2752 [S. 2753]). Ein (auch nur mitursächliches) Anwaltsverschulden hingegen schließt höhere Gewalt aus (BGH, Urteil v. 30. 7. 2008, XII ZR 18/07, NJW 2008, 61 [42], S. 3061 [S. 3062 Rn. 33]). Auch bei Strafhaft des oder der Anfechtenden soll keine höhere Gewalt vorliegen (Hahn 2023, BGB § 1600b Rn. 10).
  • Zuletzt ist der Fristenlauf in den Fällen des § 204 Abs. 2 Nr. 4, 8, 13 und 14 BGB gehemmt.

4 Vaterschaftsanfechtung durch die rechtlichen Eltern

4.1 Anfechtungsrecht

4.1.1 Grundsatz

Die rechtlichen Eltern (§ 1600 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BGB) sind uneingeschränkt zur Anfechtung der Vaterschaft berechtigt:

  • Unerheblich ist, ob die Anfechtung das Kindeswohl wahrt (BGH, Beschluss v. 18.3.2020, XII ZB 321/19, NJW 2020, 73 [40], S. 2956 [S. 2957 Rn. 14]).
  • Ebenso wenig kann einer Anfechtung durch die rechtlichen Eltern Rechtsmissbrauch (wegen widersprüchlichen Verhaltens, § 242 BGB) entgegengehalten werden. Eine Vaterschaftsanfechtung ist daher auch dann möglich, wenn die Mutter wissentlich zuvor an einer unzutreffenden Vaterschaftszuordnung mitgewirkt hat (BGH, Beschluss v. 18.3.2020, XII ZB 321/19, NJW 2020, 73 [40], S. 2956 [S. 2957 Rn. 22]), der Vater bewusst eine nicht den Abstammungsverhältnissen entsprechende Vaterschaftsanerkennung abgegeben hat (OLG Köln, Urteil v. 25. 10. 2001, 14 UF 106/01, NJW 2002, 55 [12], S. 901; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.1.2022, 1 WF 184/21, BeckRS [Beck Rechtsprechung] 2022, 2912) oder der rechtliche Vater sich zuvor in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren durch den leiblichen Vater zu dem Kind bekannt hat (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.1.2020, 1 WF 14/20, NJW-RR 2020, 35 [8], S. 456).

    Lediglich in sehr besonders gelagerten Konstellationen hält der BGH den Einwand einer rechtsmissbräuchlichen Anfechtung für denkbar (BGH, Urteil v. 10. 5. 1951, IV ZR 72/50, NJW 1951, 4 [24], S. 958), etwa, wenn die Anfechtung für das Kind eine besondere Härte darstellen oder die Auflösung der Vaterschaft die seelische Entwicklung des Kindes beeinträchtigen würde (BGH, Urteil v. 7.4.1983, IX ZR 24/82, NJW 1983, 36 [37], S. 2073).

4.1.2 Sonderfall: Künstliche Befruchtung

Kein Anfechtungsrecht steht den rechtlichen Eltern unter Umständen bei einer Zeugung des Kindes im Wege der künstlichen Befruchtung zu: Wurde das Kind mit dem Einverständnis seiner späteren rechtlichen Eltern durch künstliche Befruchtung mittels Fremdsamenspende gezeugt (konsentierte heterologe Insemination; Wellenhofer 2020, BGB § 1600 Rn. 47), so können weder der rechtliche Vater noch die Mutter die Vaterschaft anfechten (§ 1600 Abs. 4 BGB). Das gilt unabhängig davon, ob die künstliche Befruchtung „privat“ erfolgte oder ärztlich assistiert in einer Klinik (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 24; Wellenhofer 2020, BGB § 1600 Rn. 52). Hintergrund ist die Überlegung, dass diese „sehenden Auges“ geschaffene unzutreffende Zuordnung dem Kind eine sichere personale und soziale Einbindung geben sollte (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 24) und daher nicht von den Verantwortlichen infrage gestellt werden können soll (zum Anfechtungsrecht des Samenspenders und des Kindes s. unter 5.1.2 und 6.1.2).

4.2 Anfangsverdacht und Anfechtungsfrist

Die 2-Jahres-Frist (§ 1600b BGB) wird durch einen Anfangsverdacht, also die sichere Kenntnis von Tatsachen, die objektiv geeignet sind, Zweifel an der Vaterschaft des Mannes zu begründen, in Gang gesetzt.

Die Mutter – die von den Zeugungsumständen weiß – besitzt im Regelfall bereits im Zeitpunkt der Geburt des Kindes den maßgeblichen Anfangsverdacht (Wellenhofer 2020, BGB § 1600b Rn. 11), sodass ihr Anfechtungsrecht 2 Jahre danach erlischt.

Beim rechtlichen Vater kommt es darauf an, ob er bereits im Zeitpunkt der Wirksamkeit der Vaterschaft aus anderweitigen Quellen einen Anfangsverdacht besitzt. Ist dies der Fall (etwa, weil er um seine Zeugungsunfähigkeit oder den Mehrverkehr der Mutter weiß), so erlischt sein Anfechtungsrecht zwei Jahre danach. Kann er sich den erforderlichen Anfangsverdacht erst durch einen Vaterschaftstest schaffen, beginnt der zweijährige Fristenlauf erst mit Kenntnis des Ergebnisses.

4.3 Verfahrensrechtliche Aspekte

Das Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist grundsätzlich höchstpersönlich zu betreiben (§ 1600a Abs. 1 BGB). Das gilt auch für den Fall, dass die rechtlichen Eltern minderjährig sind: Sie sind in Bezug auf die Vaterschaftsanfechtung verfahrensfähig und können das Verfahren ohne Zustimmung ihrer Eltern betreiben (§ 1600a Abs. 2 BGB). Geschäftsunfähige Eltern werden hingegen von ihrem gesetzlichen Vertreter oder ihrer gesetzlichen Vertreterin vertreten: Minderjährige geschäftsunfähige Elternteile von ihren Eltern (§ 1600a Abs. 3 BGB), volljährige geschäftsunfähige Elternteile von ihrem Betreuer oder ihrer Betreuerin (§ 1600a Abs. 4 BGB).

Soweit ein:e gesetzliche:r Vertreter:in für den rechtlichen Vater oder die rechtliche Mutter die Vaterschaft anficht, tritt allerdings eine weitere Voraussetzung hinzu: Die Vaterschaftsanfechtung muss dem Wohl des oder der Vertretenen dienen (§ 1600a Abs. 4 BGB; Gutzeit 2021, BGB § 1600a Rn. 10).

5 Vaterschaftsanfechtung durch den mutmaßlichen leiblichen Vater

5.1 Anfechtungsrecht

5.1.1 Grundsatz

Der mutmaßliche Erzeuger des Kindes, der aber nicht rechtlicher Vater des Kindes ist, besitzt ebenfalls ein Anfechtungsrecht der Vaterschaft eines anderen Mannes (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Dies erlaubt ihm, quasi von außen und unter Umständen gegen den Willen der rechtlichen Eltern, eine bestehende Zuordnung infrage zu stellen. Sein Anfechtungsrecht ist daher an weitere Erfordernisse geknüpft:

  • Er muss an Eides statt versichern, der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben. Dafür reicht eine Samenspende aus (BGH, Beschluss v. 15.5.2013, XII ZR 49/11, NJW 2013, 66 [36], S. 2591).
  • Weiter setzt die Anfechtung die tatsächliche biologische Verwandtschaft zwischen dem Mann und dem Kind voraus. Die biologische Verwandtschaft zwischen ihm und dem Kind ist mithin im Verfahren von Amts wegen gerichtlich zu klären (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 20).
  • Zuletzt hängt sein Anfechtungsrecht davon ab, ob zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater eine sog. sozial-familiäre Beziehung besteht. Besteht eine solche Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind oder hat eine solche im Zeitpunkt des Todes des rechtlichen Vaters bestanden, ist dem leiblichen Vater eine Anfechtung nicht möglich (§ 1600 Abs. 2 BGB). Ein „Einbrechen“ in eine tatsächlich gelebte soziale Vater-Kind-Beziehung ist dem biologischen Vater mithin verwehrt (zur Konformität mit Art. 8 EMRK [Europäische Menschenrechtskonvention] vgl. EGMR [Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte], Urteil v. 22. 3. 2012, 23338/09, NJW 2013, 66 [27], S. 1937).

    Ob er selbst eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind besitzt, ist nicht maßgeblich (BGH, Beschluss v. 15.11.2017, XII ZB 389/16, NJW 2018, 71 [13], S. 947 [S. 949 Rn. 26]). Dies erlaubt es den rechtlichen Eltern, den leiblichen Vater bewusst aus seiner Vaterrolle zu drängen (BGH, Beschluss v. 18.10.2017, XII ZB 525/16, NJW-RR 2018, 33 [2], S. 18 Rn. 15; zum Fall: OLG Brandenburg, Beschluss v. 14.10.2016, 10 UF 17/16, BeckRS 2016, 124510).

    Dem leiblichen Vater, dem die Anfechtung aus Rechtsgründen verwehrt ist, verbleibt aber unter Umständen das Umgangsrecht aus § 1686a BGB.

    Eine sozial-familiäre Beziehung wird durch die tatsächliche Verantwortungsübernahme für das Kind begründet (§ 1600 Abs. 3 BGB). Tatsächliche Verantwortung übernimmt derjenige, der sich um die Pflege und Erziehung des Kindes kümmert (BGH, Beschluss v. 15.11.2017, XII ZB 389/16, NJW 2018, 71 [13], S. 947 [S. 948 Rn. 17]).

    Das Gesetz vermutet eine tatsächliche Verantwortungsübernahme, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat (§ 1600 Abs. 3 BGB). Der Begriff des „längeren Zeitraums“ ist gesetzlich nicht weiter konkretisiert. Jedenfalls ist ein zweijähriges Zusammenleben als „länger“ in diesem Sinne anzusehen (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 18). Im Einzelfall können aber auch kürzere Zeiträume schon ausreichen (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 18). Die gesetzlichen Vermutungen sind widerlegbar (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 16 f.). Das ist etwa denkbar, wenn die rechtlichen Eltern zwar miteinander verheiratet sind, sich aber getrennt haben.

    Die gesetzlichen Vermutungen sind nicht abschließend. Daher ist eine tatsächliche Verantwortungsübernahme auch dann denkbar, wenn der Vater zwar nicht mit dem Kind zusammenlebt, aber weitere Umstände hinzutreten, etwa, dass der rechtliche Vater wesentliche Betreuungsleistungen für das Kind übernimmt (BGH, Beschluss v. 15.11.2017, XII ZB 389/16, NJW 2018, 71 [13], S. 947 [S. 948 Rn. 18]). Auch bei regelmäßigen Umgangskontakten zwischen rechtlichem Vater und Kind ist von einer sozial-familiären Beziehung auszugehen (BGH, Beschluss v. 15.11.2017, XII ZB 389/16, NJW 2018, 71 [13], S. 947 [S. 948 Rn. 18]). Nicht ausreichend sind lediglich formale oder monetäre Aspekte, wie die Abgabe einer Vaterschaftsanerkennung oder einer Sorgeerklärung sowie die Leistung von Kindesunterhalt (OLG Hamm, Beschluss v. 11.2.2016, 12 UF 244/14, BeckRS 2016, 5462).

5.1.2 Sonderfall: Künstliche Befruchtung

Ausgeschlossen ist das Anfechtungsrecht für den mutmaßlichen Erzeuger im Kontext einer künstlichen Befruchtung: Wurde das Kind mit Einwilligung seiner rechtlichen Eltern durch künstliche Befruchtung mittels Fremdsamenspende gezeugt, ist eine Vaterschaftsanfechtung durch den Samenspender – in gleicher Weise wie durch die rechtlichen Eltern – unzulässig (BGH, Beschluss v. 15.5.2013, XII ZR 49/11, NJW 2013, 66 [36], S. 2591).

5.2 Anfangsverdacht und Anfechtungsfrist

Auch beim mutmaßlichen Erzeuger wird der Fristenlauf durch einen entsprechenden Anfangsverdacht in Gang gesetzt. Da er Kenntnis von dem Verkehr mit der Mutter besitzt, ist für ihn maßgeblich auf das Wissen um die Geburt des Kindes im Zeugungszeitraum abzustellen (BGH, Urteil v. 30. 7. 2008, XII ZR 18/07, NJW 2008, 61 [42], S. 3061 [S. 3062 Rn. 21]). Für die Frist ist unerheblich, ob er von seinem Anfechtungsrecht rechtlich Gebrauch machen kann. Sie läuft also auch dann, wenn er wegen des Bestehens einer sozial-familiären Beziehung zwischen Scheinvater und dem Kind an einer Vaterschaftsanfechtung gehindert ist (§ 1600b Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB). Ist die Frist abgelaufen, kann der mutmaßliche Erzeuger die Vaterschaft des anderen Mannes nicht mehr angreifen, auch dann nicht, wenn später die sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Scheinvater und dem Kind wieder entfällt.

5.3 Verfahrensrechtliche Aspekte

Für die Vaterschaftsanfechtung durch den leiblichen Vater gelten im Übrigen die gleichen Erfordernisse wie für die rechtlichen Eltern (4.3).

6 Vaterschaftsanfechtung durch das Kind

6.1 Anfechtungsrecht

6.1.1 Grundsatz

Das Kind besitzt ein eigenes Anfechtungsrecht (§ 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Die Voraussetzungen seines Anfechtungsrechts richten sich danach, ob das Kind im Zeitpunkt der Anfechtung noch minderjährig ist oder schon volljährig ist.

6.1.2 Sonderfall: Künstliche Befruchtung

Anders als seinen Eltern, ist dem Kind auch bei einer künstlichen Befruchtung eine Vaterschaftsanfechtung möglich (Lorenz 2021, S. 1082).

6.1.3 Anfechtung während der Minderjährigkeit des Kindes

Während seiner Minderjährigkeit wird das Kind bei der Anfechtung durch seine:n gesetzliche:n Vertreter:in vertreten (§ 1600a Abs. 3 BGB). Da der oder die gesetzliche Vertreter:in des Kindes nicht aus eigenem Recht, sondern für das Kind handelt, ist die Anfechtung der rechtlichen Eltern im Namen des minderjährigen Kindes um eine weitere Voraussetzung ergänzt: Sie muss dem Kindeswohl dienen (§ 1600a Abs. 4 BGB).

In diesem Rahmen ist eine umfassende Abwägung aller Vor- und Nachteile der Anfechtung für das Kind vorzunehmen. So ist z.B. zu berücksichtigen, wie sich das Anfechtungsverfahren auf den Familienfrieden auswirkt, ob eine anschließende Vaterschaftsfeststellung möglich erscheint oder welche wirtschaftlichen (auch unterhaltsrechtlichen) Konsequenzen die Anfechtung für das Kind mit sich bringt. Besteht der einzige Zweck der Anfechtung etwa darin, das Kind vaterlos zu stellen, ist sie nicht kindeswohldienlich (Wellenhofer 2020, BGB § 1600a Rn. 20). Die Kindeswohldienlichkeit kann etwa auch dann fehlen, wenn die Eltern ihr eigenes Anfechtungsrecht verloren haben und nun im Namen des Kindes die Vaterschaft anfechten (Gutzeit 2021, BGB § 1600a Rn. 12).

Mit Erreichen der Volljährigkeit kann das Kind die Vaterschaft selbst anfechten. Ab diesem Zeitpunkt werden keine besonderen inhaltlichen Voraussetzungen an seine Anfechtung gestellt.

6.2 Anfangsverdacht und Anfechtungsfrist

Für das Kind gibt es verschiedene Fristenläufe. Dies ermöglicht dem Kind zu verschiedenen Zeitpunkten, sich für die Einleitung einer Vaterschaftsanfechtung zu entscheiden:

  • Da während seiner Minderjährigkeit die Anfechtung der Vaterschaft durch seine:n gesetzliche:n Vertreter:in erfolgt (§ 1600a Abs. 3 BGB), ist auch für den Anfangsverdacht und die Zweijahresfrist auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters oder der gesetzlichen Vertreterin abzustellen. Diese wird dem Kind zugerechnet (§ 166 Abs. 1 BGB). Die Anfechtungsfrist kann daher bei Erreichen der Volljährigkeit des Kindes bereits verstrichen sein.
  • Mit Eintritt der Volljährigkeit steht dem Kind ein eigenes Anfechtungsrecht zu (§ 1600b Abs. 3 BGB). Dies setzt einen eigenen Fristenlauf für das Kind in Gang: Die Anfechtungsfrist von zwei Jahren beginnt mit dem Anfangsverdacht, frühestens jedoch mit Eintritt der Volljährigkeit. Auch hier hängt der Fristenlauf mithin davon ab, wann das Kind den entsprechenden Anfangsverdacht besitzt. Und auch hier kann das Klärungsverfahren (§ 1598a BGB) diesen Anfangsverdacht nur schaffen, wenn das Kind ihn noch nicht hat.
  • Nutzt das Kind – etwa mit Rücksicht auf die vorhandenen sozialen Beziehungen zu dem rechtlichen Vater – die Frist nicht, so beginnt die Zweijahresfrist erneut zu laufen, wenn das Kind Kenntnis von Umständen erhält, die die Aufrechterhaltung der Verwandtschaft für es unzumutbar werden lassen (§ 1600b Abs. 6 BGB). Ein Wiederaufleben der Anfechtungsfrist kommt etwa in Betracht bei schweren Verfehlungen des rechtlichen Vaters gegenüber dem Kind oder aber, wenn die Mutter sich von dem rechtlichen Vater getrennt hat und mittlerweile mit dem leiblichen Vater des Kindes zusammenlebt (Gutzeit 2021, BGB § 1600c Rn. 26).

6.3 Verfahrensrechtliche Aspekte

Der Grundsatz der höchstpersönlichen Anfechtung der Vaterschaft (§ 1600a Abs. 1 BGB) gilt nicht, wenn das – noch – minderjährige Kind die Vaterschaft anficht. Das Verfahren wird insoweit von seinem gesetzlichen Vertreter oder seiner gesetzlichen Vertreterin geführt (§ 1600a Abs. 3 BGB). Dies kann – je nach sorgerechtlicher Konstellation – zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Vertretungsbefugnis der Eltern führen. Insoweit ist zu differenzieren:

  • Der sorgeberechtigte rechtliche Vater ist grundsätzlich von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen (§§ 1629 Abs. 2, 1824 Abs. 2 BGB): Denn das Verfahren, würde sich notwendig gegen ihn richten. Solange die Mutter mit dem Vater verheiratet ist, gilt auch für sie das gesetzliche Vertretungsverbot (§§ 1629 Abs. 2, 1824 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Dieser (formale) Interessenkonflikt schließt beide insoweit von ihrer Sorge aus und macht die Bestellung eines Ergänzungspflegers oder einer Ergänzungspflegerin notwendig, der oder die das Verfahren im Namen des Kindes gegen den Vater führt.
  • Ist die Mutter hingegen nicht (mehr) mit dem Vater verheiratet, so kann sie – unabhängig von einer sorgerechtlichen Beteiligung des rechtlichen Vaters – das Anfechtungsverfahren im Namen des Kindes gegen den rechtlichen Vater führen (BGH, Beschluss v. 24.3.2021, XII ZB 364/19 NZFam [Neue Zeitschrift für Familienrecht] 2021, 8 [12] S. 547). Ist die Kindesmutter alleinige Sorgerechtsinhaberin, kann sie ohne jede Einschränkung das Vaterschaftsanfechtungsverfahren für das Kind führen (BGH, Beschluss v. 2.11.2016, XII ZB 583/15, NJW 2017, 70 [8], S. 561).

7 Erfolg und Wirkungen einer Vaterschaftsanfechtung

7.1 Erfolg der Anfechtung

Im Anfechtungsverfahren streitet eine gesetzliche Vermutung für die Vaterschaft des rechtlichen Vaters (§ 1600c Abs. 1 BGB). Die Anfechtung der Vaterschaft wird daher nur dann Erfolg haben, wenn es gelingt, diese Vermutung zu widerlegen. Zentrales Beweismittel ist das Abstammungsgutachten (Gutzeit 2021, BGB § 1600c Rn. 6 BGB). Schließt dieses die Vaterschaft aus, so spricht eine so hohe Wahrscheinlichkeit gegen die Vaterschaftsvermutung des Gesetzes, dass das Anfechtungsverfahren erfolgreich sein wird (Gutzeit 2021, BGB § 1600c Rn. 6). Eine Widerlegung der Vaterschaftsvermutung ist aber auch auf anderem Wege möglich, etwa durch den Nachweis, dass der Mann während der Empfängniszeit keinen Kontakt zur Mutter hatte (Gutzeit 2021, BGB § 1600c Rn. 6).

Bei der Vaterschaftsanerkennung gibt es eine Besonderheit: Die gesetzliche Vermutung, dass der anerkennende Mann auch der biologische Vater ist, greift nicht, wenn die Anerkennung auf einer arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung beruht (§ 1600c Abs. 2 BGB). In diesem Fall muss die Vaterschaft des Mannes bewiesen werden (Gutzeit 2021, BGB § 1600c Rn. 8).

7.2 Allgemeine Wirkungen der erfolgreichen Anfechtung

Ergibt die Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren, dass der Mann und das Kind nicht miteinander verwandt sind, stellt das Familiengericht dies durch Beschluss fest (§ 184 FamFG). Dieser Beschluss lässt rückwirkend alle Wirkungen des Eltern-Kind-Verhältnisses entfallen (Wellenhofer 2020, BGB § 1599 Rn. 52). Das Kind wird in der Konsequenz vaterlos. Dies macht den Weg frei für eine anderweitige Zuordnung des Kindes, sei es im Wege einer Vaterschaftsanerkennung, sei es im Wege einer gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung. Daneben ist denkbar, dass das Kind auch die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, etwa wenn nur der Scheinvater die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (BVerwG [Bundesverwaltungsgericht], Urteil v. 19.4.2018, 1 C 1.17, NZFam 2018, 5 [14], S. 648; dagegen VG Düsseldorf, Urteil v. 22.7.2021, 8 K 814/21, BeckRS 2021, 21515).

7.3 Besondere Wirkungen bei Anfechtung durch den leiblichen Vater

Für die Anfechtung einer Vaterschaft durch den mutmaßlichen leiblichen Vater hat der stattgebende Beschluss darüberhinausgehende Wirkungen: Da der leibliche Vater die fremde Vaterschaft mit dem Argument angreift, er sei der Vater, bedarf es für ihn des Nachweises, dass er tatsächlich Vater des Kindes ist (Gutzeit 2021, BGB § 1600 Rn. 19).

In der Folge entfaltet der der Anfechtung stattgebende Gerichtsbeschluss bei ihm auch weitergehende Wirkungen als bei einer Anfechtung durch andere Personen. Ergibt die Beweisaufnahme, dass der anfechtende Mann Vater des Kindes ist, stellt der Gerichtsbeschluss dessen Vaterschaft fest (§ 182 Abs. 1 FamFG). Dadurch wird nicht nur das rechtliche Band zwischen Kind und Scheinvater gekappt, sondern zugleich die Neuzuordnung zu seinem leiblichen Vater vorgenommen. Aufhebung der Verwandtschaft zwischen Kind und rechtlichem Vater und Zuweisung des Kindes zu seinem leiblichen Vater sind in dem feststellenden Beschluss gekoppelt (§ 1592 Nr. 3 2. Alt. BGB). Ein separates gerichtliches Feststellungsverfahren erübrigt sich (Gutzeit 2021, BGB § 1600d Rn. 2).

8 Vaterschaftsanfechtungsverfahren

Die gerichtliche Vaterschaftsanfechtung zählt zu den Abstammungsverfahren (§ 169 Nr. 4 FamFG). Das Anfechtungsverfahren wird vor dem Familiengericht geführt (§ 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG [Gerichtsverfassungsgesetz] i.V. mit §§ 111 Nr. 3, 169 ff. FamFG). Örtlich zuständig ist grundsätzlich das Familiengericht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes (§ 170 Abs. 1 FamFG).

Eingeleitet wird das Verfahren durch einen Antrag (§ 171 FamFG) einer oder eines Anfechtungsberechtigten.

Eine persönliche Anhörung aller Beteiligter ist erforderlich (§ 175 FamFG). Ist ein:e Beteiligte:r minderjährig, so kann auch das Jugendamt angehört werden (§ 176 FamFG). Seine Anhörung ist zwingend, wenn die gesetzlichen Vertreter:innen des Kindes die Vaterschaft für das Kind anfechten (§ 176 Abs. 1 FamFG).

Wird das Verfahren vom mutmaßlichen leiblichen, aber nicht rechtlichen, Vater des Kindes oder von den Eltern im Namen des Kindes betrieben, ist dem Jugendamt auf seinen Antrag offiziell eine Beteiligtenposition einzuräumen (§§ 172 Abs. 2, 176 Abs. 1 S. 1 FamFG). Das Jugendamt besitzt auch dann eine Beteiligtenposition, wenn es im Rahmen einer Beistandschaft ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren führt (§ 173 FamFG).

Für das Verfahren gilt grundsätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG): Es ist Aufgabe und Pflicht des Gerichts, die entscheidungserheblichen Umstände zu ermitteln und zu prüfen. Im Vaterschaftsanfechtungsverfahren ist der Amtsermittlungsgrundsatz allerdings eingeschränkt:

  • Uneingeschränkt amtsermittlungspflichtig ist das Gericht nur in Bezug auf anfechtungsfeindliche (man kann auch sagen „vatererhaltende“) Umstände. Nur Tatsachen, die der Aufrechterhaltung der Vaterschaft dienen, werden vom Gericht uneingeschränkt ermittelt. Das gilt für den Ablauf der Anfechtungsfrist oder das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind (Coester-Waltjen und Lugani 2018, FamFG § 177 Rn. 6).
  • Anfechtungsfreundliche Umstände hingegen, also solche, die das Anfechtungsbegehren stützen hingegen, sind nicht von Amts wegen durch das Gericht zu ermitteln, z.B. ein Mehrverkehr der Mutter (Coester-Waltjen und Lugani 2018, FamFG § 177 Rn. 7). Das Gericht wird sie nur berücksichtigen, wenn ein:e Beteiligte:r sie eingebracht hat und der oder die Anfechtende nicht widerspricht (herrschende Meinung in Abweichung von der Formulierung in § 177 Abs. 1 FamFG; Weber 2023, FamFG § 177 Rn. 3; Coester-Waltjen und Lugani 2018, FamFG § 177 Nr. 4).

Das Familiengericht entscheidet durch Beschluss (§ 38 FamFG), der durch die Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) angefochten werden kann.

9 Mutterschaftsanfechtung

Rechtliche Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB). Auch die rechtliche Mutterschaft kann von der genetischen Mutterschaft abweichen, etwa im Fall der Zeugung des Kindes mit Hilfe einer Eizellenspende. Für die deutsche Rechtsordnung ist das eine theoretische Größe, nachdem sowohl die Eizellenspende (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ESchG [Embryonenschutzgesetz]), als auch die Embryonenspende bzw. der Embryonentransfer an eine Leihmutter verboten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 ESchG). Dementsprechend sieht das BGB auch keinen Korrekturmechanismus vor. In der Praxis kann es gleichwohl zu einem Auseinanderfallen von genetischer und rechtlicher Mutterschaft kommen: Wunscheltern weichen zur Zeugung insoweit auf das Ausland aus, wo die Eizellenspende erlaubt ist (zulässig ist eine Leihmutterschaft etwa in Albanien, Australien, Griechenland, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Israel, Georgien, Mexico, Russland, der Ukraine, Israel, Kanada sowie einigen US-Staaten [Wellenhofer 2015, S. 841; Heiderhoff 2014, S. 2673; Campbell 2018, S. 196; Engel 2014, S. 542]).

Nachdem das BGB keinen Korrekturmechanismus für diesen Fall vorgesehen hat, ist es in Deutschland nicht möglich, die Mutterschaft der gebärenden Frau rechtlich zu ändern.

10 Quellenangaben

Campbell, Claudia, 2018. Das Verbot der Leihmutterschaft. In: Neue Juristische Wochenschrift (NJW)-Spezial. 15(7), S. 196–197. ISSN 0341-1915

Coester-Waltjen, Dagmar und Katharina Lugani, 2018. FamFG § 177. In: Thomas Rauscher, Hrsg. Münchener Kommentar zum FamFG. Band 1. 3. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-68660-3

Eckebrecht, Marc, 2022. In: Harald Scholz und Norbert Kleffmann, Hrsg. Praxishandbuch Familienrecht: Teil Q Abstammung. 42. ErgLfg. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-43089-3

Engel, Martin, 2014. Internationale Leihmutterschaft und Kindeswohl. In: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP). 22(3), S. 542–561. ISSN 0943-3929

Genenger, Angie, 2010. Hemmung der Vaterschaftsanfechtungsfrist bei höherer Gewalt. In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht (FamFR). 2(13), S. 307. ISSN 1869-0688

Grziwotz, Herbert, 2022. Einvernehmliche Kinderwunscherfüllung und Vereinbarung. In: NJW. 75(45), S. 3255–3259. ISSN 0341-1915

Gutzeit, Martin, 2021. BGB §§ 1600, 1600a, 1600b, 1600c. In: Barbara Dauner-Lieb, Thomas Heidel und Gerhard Ring, Hrsg. NomosKommentar BGB Familienrecht Band 4: §§ 1297–1921. 4. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-4990-4 [Rezension bei socialnet]

Hahn, Dieter, 2023. BGB § 1600b. In: Wolfgang Hau und Roman Poseck, Hrsg. Beck’scher Online-Kommentar BGB [online]. 65. Edition. München: C.H. Beck [Zugriff am: 19.04.2023]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FBeckOKBGB_65%2FBGB%2Fcont%2FBECKOKBGB%2eBGB%2eP1600B%2eglII%2egl1%2ehtm

Heiderhoff, Bettina, 2014. Rechtliche Abstammung im Ausland geborener Leihmutterkinder. In: NJW. 67(37), S. 2673–2678. ISSN 0341-1915

Henrich, Wolfgang, 2023, BGB § 209. In: Wolfgang Hau und Roman Poseck, Hrsg. Beck’scher Online-Kommentar BGB [online]. 65. Edition. München: C.H. Beck [Zugriff am: 19.04.2023]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FBeckOKBGB_65%2FBGB%2Fcont%2FBECKOKBGB%2eBGB%2eP209%2eglI%2ehtm

Lorenz, Annegret, 2021. Regenbogen(eltern) werden – Eine Analyse. In: NZFam. 8(24), S. 1081–1088. ISSN 2198-2333

Weber, Martin, 2023. FamFG § 177. In: Meo-Micaela Hahne, Jürgen Schlögel und Rolf Schlünder, Hrsg. Beck’scher Online-Kommentar FamFG [online]. 46. Edition, München: C.H.Beck [Zugriff am: 06.07.2023]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fkomm%2FBeckOKFamFG_46%2Fcont%2FBeckOKFamFG.Inhaltsverzeichnis.htm&anchor=Y-400-W-BECKOKFAMFG

Wellenhofer, Marina, 2015. Anm. zu BGH, Beschluss v. 10.12.2014, XII ZB 463/13: In: Juristische Schulung (JuS). 5(9), S. 841–844. ISSN 0022-6939

Wellenhofer, Marina, 2020. BGB §§ 1599, 1600, 1600a, 1600b, 1600d. In: Franz Jürgen Säcker, Roland Rixecker, Hartmut Oetker und Bettina Limperg, Hrsg. Münchener Kommentar zum BGB. Band 10 Familienrecht II. §§ 1589–1921 – SGB VIII. 8. Auflage, München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-72610-1

11 Literaturhinweise

Fröschle, Tobias, 2019. Familienrecht. 4. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer. ISBN 978-3-17-038086-8

Gürbüz, Sabahat, 2020. Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit. 2. Auflage. München: Ernst-Reinhardt-Verlag. ISBN 978-3-8252-5374-5 [Rezension bei socialnet]

Lorenz, Annegret, 2022. Zivil- und familienrechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit. 4. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-8692-3

Marx, Ansgar, 2022. Familienrecht für soziale Berufe: Ein Leitfaden mit Fällen, Mustern und Übersichten. 4. Auflage. Köln: Bundesanzeiger Verlag. ISBN 978-3-8462-1280-6

Münder, Johannes, Rüdiger Ernst, Wolfgang Behlert und Britta Tammen 2021. Familienrecht: Eine sozialwissenschaftlich orientierte Darstellung. 8. Auflage. Baden-Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-5976-7 [Rezension bei socialnet]

Schleicher, Hans, 2020. Jugend- und Familienrecht. 15. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-74579-9 [Rezension bei socialnet]

Wabnitz, Reinhard J., 2023. Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit. 6. Auflage. München: Ernst Reinhardt Verlag. ISBN 978-3-8252-6059-0

Verfasst von
Prof. Dr. Annegret Lorenz
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien-, Betreuungs- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein

Neuere Lexikonartikel siehe unter Annegret Lorenz-Ruffini
Neuere Rezensionen siehe unter Annegret Lorenz-Ruffini.
Mailformular

Es gibt 22 Lexikonartikel von Annegret Lorenz.

Zitiervorschlag
Lorenz, Annegret, 2023. Vaterschaftsanfechtung [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 12.10.2023 [Zugriff am: 13.02.2025]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/4460

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Vaterschaftsanfechtung

Urheberrecht
Dieser Lexikonartikel ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion des Lexikons für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.

Zählpixel