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Vormundschaft

Henriette Katzenstein, Leon Schlotfeldt

veröffentlicht am 21.08.2023

Englisch: guardianship

Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Vormundschaft bezeichnet die Übernahme der Sorgepflichten und -rechte für einen minderjährigen jungen Menschen durch eine erwachsene Person, wenn die Eltern die elterliche Sorge nicht (mehr) ausüben können. Der Vormund bzw. die Vormundin hat die Pflicht und das Recht, für die Lebens- und Erziehungsbedingungen des Kindes/​Jugendlichen zu sorgen und dessen Interessen tatsächlich und rechtlich zu vertreten.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Rechte des Kindes – Pflichten des Vormunds
  3. 3 Vier Formen der Vormundschaft
  4. 4 Vorrang der ehrenamtlichen Vormundschaft
  5. 5 ASD – Hilfen zur Erziehung – Vormundschaft
  6. 6 Kooperation mit Erziehungspersonen im Alltag und Möglichkeiten der Sorgeteilung
  7. 7 Auswahl und Bestellung des Vormunds
  8. 8 Gesetzliche Vormundschaft des Jugendamts
  9. 9 Die Aufsicht des Familiengerichts
  10. 10 Quellenangaben
  11. 11 Literaturhinweise
  12. 12 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Junge Menschen können sich in Deutschland bis zu ihrem 18. Geburtstag nicht in allen Angelegenheiten ihres Lebens selbst vertreten. Vormundschaft wird vom Familiengericht daher angeordnet, wenn:

  • die Eltern eines Kindes verstorben sind,
  • den Eltern die elterliche Sorge durch das Familiengericht entzogen wurde oder wenn
  • die Sorge der Eltern ruht, weil diese daran gehindert sind, ihr Kind zu versorgen und zu vertreten. Das ist bspw. der Fall, wenn ein minderjähriger junger Mensch ohne seine Eltern nach Deutschland geflüchtet ist.

Vormund:innen haben die Pflicht und das Recht, für angemessene, positive Entwicklungsbedingungen des jungen Menschen zu sorgen und seine Interessen zu vertreten.

Zur:m Vormund:in kann das Familiengericht nach § 1774 BGB entweder eine Person bestellen, die diese Aufgabe ehrenamtlich, als selbstständig:e Berufstätige:r oder als Angestellte:r eines Vormundschaftsvereins übernimmt. Oder das Familiengericht kann die Vormundschaft dem Jugendamt als Behörde übertragen, die ihrerseits das Amt einer ihrer Fachkräfte persönlich überträgt. Es ist also immer eine bestimmte Person Vormund oder Vormundin, die verpflichtet ist, regelmäßig mit dem jungen Menschen Kontakt zu halten und ihn an Entscheidungen zu beteiligen (§ 1790 Abs. 2,3 BGB).

Kinder oder Jugendliche, die eine:n Vormund:in haben, werden gesetzlich „Mündel“ genannt. Dieser Begriff wird inzwischen überwiegend als veraltet angesehen. Sie leben meist bei Verwandten, in einer Pflegefamilie oder in einer Wohngruppe eines Trägers der Kinder- und Jugendhilfe. Manchmal übernimmt auch diejenige Person, die das Kind im Alltag erzieht, bspw. die Großmutter oder die Pflegemutter, die Vormundschaft. Vormund:innen, die das Kind nicht selbst erziehen, sind dennoch zu regelmäßigem Kontakt und zur Beteiligung des Kindes bei ihren Entscheidungen verpflichtet.

2 Rechte des Kindes – Pflichten des Vormunds

Die „große Vormundschaftsrechtsreform“ (Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021), die am 1. Januar 2023 in Kraft trat, billigt Kindern und Jugendlichen, die eine:n Vormund:in haben mit dem neuen § 1788 BGB erstmals eigene, subjektive Rechte zu. Diese Rechte lehnen sich teilweise an Vorschriften aus anderen Kontexten an: Das Recht auf Förderung von Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit findet sich ähnlich in § 1 SGB VIII, das auf eine gewaltlose Erziehung und auf Beteiligung im Kindschaftsrecht (§§ 1632, 1626 Abs. 2 BGB). Das Recht auf persönlichen Kontakt zur:m Vormund:in war schon 2011 im Vormundschaftsrecht verankert worden (§ 1793 Abs. 1a BGB a.F.). Ganz neu hinzugekommen ist das Recht auf Achtung des eigenen Willens, der Religion und des kulturellen Hintergrunds. Die Broschüre „Dein Vormund vertritt dich“ (Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V., Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. und Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e.V. 2023) erklärt jungen Menschen ihre Rechte und die Vormundschaft in verständlicher Weise, für Kinder liegt das Bilderbuch „Frau Frühling hat 30 Kinder“ (Gliemann und Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. 2023) vor.

Der Vormund bzw. die Vormundin hat die Pflicht und das Recht, für und mit dem Kind alle Entscheidungen in „Angelegenheiten erheblicher Bedeutung“ zu treffen. Darunter fällt bspw. die Wahl der Schule, die Gestaltung des Kontakts zu Eltern und Verwandten oder auch die Entscheidung über medizinische Eingriffe und die therapeutische Versorgung (Hoffmann 2018, § 2, Rn 28–36). Bei den Entscheidungen und dem Vorgehen muss sich der Vormund bzw. die Vormundin an den Rechten des Kindes orientieren. Sie/Er ist dazu verpflichtet, das Kind oder den oder die Jugendliche seinem/​ihrem Alter und seiner/​ihrer Entwicklung entsprechend angemessen zu beteiligen und seinen/​ihren Willen zu achten. Das heißt, dass sie/er den jungen Menschen nach seinen Wünschen befragen muss bzw., wenn es um ein kleineres Kind geht, versuchen muss, diese spielerisch oder durch Beobachtung herauszufinden. Was es bedeutet, respektvoll mit dem Willen des Kindes umzugehen, drückt eine von Careleavern, Vormund:innen und Pflegeeltern gemeinsam erarbeitete Broschüre so aus: Das Kind oder der oder die Jugendliche soll „auch selbstständig Entscheidungen treffen und eigene Erfahrungen machen dürfen. Wenn eine Jugendliche etwas entscheidet, z.B. über ihren Unterbringungsort, sollen alle das Gelingen unterstützen. Es sollte auch besprochen werden, woran sich zeigen könnte, dass die Entscheidung gut war oder dass sie weniger gut war. Wenn es nötig ist, soll eine neue Entscheidung gefällt werden können, die auch bedeuten kann, die erste Entscheidung rückgängig zu machen. Für das Kind oder die: Jugendliche: muss immer klar sein, an wen es sich wenden kann, wenn etwas nicht gelingt“ (PFAD und Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. 2022, S. 16 f.). Lehnt ein Kind oder ein:e Jugendliche:r ab, mitzureden und möchte die Entscheidung in die Hände des Vormunds bzw. der Vormundin geben, soll auch das respektiert werden.

Als rechtliche Vertretung für das Kind übernimmt der Vormund bzw. die Vormundin auch die Aufgabe, etwa bestehendes Vermögen zu verwalten, Geldleistungen oder Hilfeleistungen beim Jugendamt oder anderen Behörden für das Kind zu beantragen (Wedermann et al. 2021, S. 7).

Die sogenannte „Alltagssorge“, die alltägliche Angelegenheiten und alltägliche Erziehungsentscheidungen ohne weitreichende Auswirkungen betrifft, nehmen die Pflegeeltern oder Betreuer:innen des Kindes bzw. der oder des Jugendlichen selbst wahr (§ 1797 Abs. 1 BGB).

3 Vier Formen der Vormundschaft

In Deutschland gibt es vier Formen, in denen die Vormundschaft wahrgenommen werden kann: Vormund:in kann eine ehrenamtlich tätige Person sein, eine selbstständig berufstätige Person, eine im Vormundschaftsverein angestellte Fachkraft oder das Jugendamt führt eine Amtsvormundschaft.

Verlässliche statistische Angaben dazu, wie viele Fälle auf die jeweilige Form der Vormundschaft entfallen, liegen nicht vor. Schätzungen gehen von einem Anteil der Amtsvormundschaften von ca. 80 % aller Vormundschaften aus (Froncek und Pothmann 2021, S. 7). Die einzig vorhandene Statistik zu den Amtsvormundschaften gibt für 2022 eine Anzahl von 45.943 Fällen an (Statistisches Bundesamt 2023). Rechnet man 20 % hinzu, hieße das, dass in Deutschland etwa 55.000 junge Menschen eine:n Vormund:in haben. Dazu kommt eine etwas geringere Anzahl von 32.919 Fällen derjenigen Kinder und Jugendlichen, deren Eltern nur ein Teil der Sorge entzogen wurde (a.a.O.). Die Sorge für diese Teilbereiche wird dann von einer:m bestellten sogenannten Ergänzungspfleger:in wahrgenommen. Da den Eltern oft entscheidende Teile der Sorge entzogen werden, wie das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und/oder die Pflicht und das Recht, Hilfen zu beantragen, kommt die Ergänzungspflegschaft der Vormundschaft nicht selten nah. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass knapp 90.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland eine:n Vormund:in oder Ergänzungspfleger:in haben.

Im Fall der zahlenmäßig überwiegenden Amtsvormundschaft überträgt das vom Gericht bestellte Jugendamt die Vormundschaft einer bestimmten Fachkraft. Diese Fachkraft ist in ihren kindbezogenen Entscheidungen weisungsfrei. Das bedeutet, dass Führungskräfte im Jugendamt ihr die Inhalte ihrer Entscheidungen nicht vorschreiben dürfen (Schulte-Bunert 2023, § 1790 Rn. 2). Hintergrund ist, dass der oder die Vormund:in unabhängig und ausschließlich im Interesse des Kindes handeln soll. Interessen der Behörde bspw. an geringeren Ausgaben sollen sie/ihn nicht darin beeinflussen, welche Hilfen sie/er beantragt. Dennoch gibt es gegenüber der Amtsvormundschaft seit Langem die Kritik, dass eine unabhängige Interessenwahrnehmung des Kindes aus der angestellten Stellung in einer Behörde heraus nicht gelingen könne (bspw. Zenz und Salgo 2009, S. 5 f.).

4 Vorrang der ehrenamtlichen Vormundschaft

Die im Januar 2023 in Kraft getretene Reform des Vormundschaftsrechts hat nun durch mehrere Vorschriften unterstrichen, dass vorrangig ein:e ehrenamtliche:r Vormund:in zu bestellen ist (Fritsche 2022). Begründet wird dies u.a. mit den größeren zeitlichen Ressourcen einer ehrenamtlich tätigen Person und deren Möglichkeiten, den jungen Menschen ggf. auch über das 18. Lebensjahr hinaus zu begleiten (BT-Drs. 19/24445, 197). Die Reform hat allerdings zugleich klargestellt, dass stets der für ein bestimmtes Kind „am besten geeignete Vormund“ bestellt werden muss. Der Vorrang einer ehrenamtlichen Person greift daher nur bei gleicher oder besserer Eignung gegenüber einer:m Vormund:in, die/der beruflich tätig ist (§ 1778 Abs. 1 BGB).

Laut Gesetzesbegründung sind dabei alle Formen der Vormundschaft als ein „Gesamtsystem“ zu sehen, aus dem die oder der jeweils geeignete Vormund:in zu wählen ist (BT-Drs. 19/24445, 24). Es sind also auch Vormundschaftsvereine und selbstständig tätige, berufliche Vormund:innen zu berücksichtigen. Die Auswahl des Vormunds bzw. der Vormundin durch das Familiengericht richtet sich dabei nach dem Willen des Kindes, seinen Bedürfnissen und Problemstellungen auf der einen Seite, den Möglichkeiten und Kompetenzen des jeweiligen potenziellen Vormunds bzw. der jeweiligen potenziellen Vormundin auf der anderen Seite. Dabei ist auch die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft eines möglichen Vormunds bzw. einer möglichen Vormundin zu beachten (§ 1779 Abs. 1 Nr. 4 BGB).

Ehrenamtliche Vormund:innen können bürgerschaftlich engagierte Personen sein, die in vergangenen Jahren bspw. vielfach die Vormundschaft für minderjährige unbegleitete Geflüchtete übernommen haben. Es können aber auch Verwandte des Kindes, Personen aus seinem vertrauten Umfeld oder die Pflegeeltern eine ehrenamtliche Vormundschaft übernehmen.

Im Zuge der Reform finden gegenwärtig in vielen Jugendämtern ein Umdenken und verstärkte Bemühungen darum statt, ehrenamtliche Personen für die Übernahme einer Vormundschaft zu interessieren, sie zu schulen und zu beraten, aber auch berufliche und Vereinsvormundschaften stärker in den Blick zu nehmen. Das ist mit erheblichen organisatorischen Umstellungen verbunden. Viele Jugendämter richten etwa sogenannte „Koordinierungsstellen“ ein, die für die Akquise, Schulung, Beratung und Aufsicht über Einzelvormundschaften zuständig sind. Manche Jugendämter arbeiten dabei eng mit Vereinen zusammen. Und auch die Familiengerichte werden ihre Auswahl- und Bestellungspraxis entsprechend überprüfen müssen. Führen die derzeitigen Anstrengungen in den Jugendämtern zum Erfolg, wird eine neue Zusammenarbeit nicht nur zwischen Jugendamt und Ehrenamtlichen entstehen, sondern auch zwischen den Einrichtungen und Wohngruppen freier Träger und den ehrenamtlichen und beruflichen Einzelvormund:innen, die dann viel häufiger als bisher die Interessen des jeweiligen Kindes vertreten werden.

5 ASD – Hilfen zur Erziehung – Vormundschaft

Die rechtlichen Beziehungen zwischen Vormund:in, Allgemeinem Sozialen Dienst im Jugendamt und Hilfen zur Erziehung werden durch das sozialrechtliche Dreieck abgebildet: Leistungsempfänger ist der Vormund bzw. die Vormundin als Vertreter:in des Kindes, das eine Hilfe braucht und Anspruch darauf hat; Leistungsträger ist das Jugendamt oder eine andere Behörde, die die Leistung gewährt und finanziert und Leistungserbringer der Träger, der eine Hilfe für den jungen Menschen bereitstellt oder die Pflegefamilie, die das Kind aufnimmt.

Die oder der Vormund:in stellt als Sorgeberechtige:r Anträge beim Jugendamt oder einer anderen Behörde, um Hilfen und Leistungen zur Unterstützung des jungen Menschen zu erlangen. Sie/Er beantragt etwa die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder einer Wohngruppe, eine zusätzliche Einzelbetreuung oder auch bspw. eine Ergotherapie bei der Krankenkasse. Die Behörde als Leistungsträger, im Falle des Jugendamtes der Allgemeine Soziale Dienst, entscheidet sodann über die Gewährung der Leistung. Ausschlaggebend dafür ist im Falle des Jugendamtes, ob die Hilfe geeignet und notwendig ist (§ 27 Abs. 1 SGB VIII), im Fall etwa der Krankenkasse, ob die Leistung ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig ist und das „Maß des Notwendigen“ nicht überschreitet (§ 12 SGB V).

Die Auswahl des Leistungserbringers (etwa der Einrichtung, die eine Wohngruppe betreibt) obliegt rechtlich gesehen in den Grenzen des Wunsch- und Wahlrechts (§ 5 SGB VIII) dem Vormund bzw. der Vormundin, der bzw. die das Kind bei der Entscheidung beteiligt. In der Praxis stehen allerdings nicht immer mehrere Alternativen zur Verfügung oder das Jugendamt möchte seine eigene Wahl durchsetzen. Wird die Gewährung einer Leistung von der Behörde ausgeschlagen oder das Wunsch- und Wahlrecht nicht gewährt, hat der oder die Vormund:in die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht zu klagen.

In der Praxis gestaltet sich die Zusammenarbeit der Vormundschaft mit den Allgemeinen Sozialen Diensten des Jugendamtes je nach Situation vor Ort und Form der Vormundschaft unterschiedlich. Ist ein:e Amtsvormund:in eingesetzt, sind beide Akteure im Jugendamt angesiedelt. Dabei profitieren sie von kurzen Wegen, persönlichen Kontakten und institutionellem Wissen. Kommt es jedoch zu unterschiedlichen Einschätzungen zu der Situation eines Kindes und notwendigen Hilfen, wird ein strukturelles Spannungsverhältnis deutlich. Die Entscheidung, eine aus Sicht der Vormundin bzw. des Vormunds notwendige Hilfe gegen das eigene Amt einzuklagen, dürfte bspw. in der Regel sehr schwerfallen. Daher sind Kooperationsvereinbarungen zwischen den Abteilungen des Jugendamts, die auch den konstruktiven und an den Interessen des Kindes orientierten Umgang mit Konflikten umfassen, überaus wichtig. Aber auch die Kooperation mit Vereins-, beruflichen und ehrenamtlichen Vormund:innen (zu Letzteren s. Abschnitt 3) sollte nach der Vormundschafsrechtsreform mehr als bisher in den Blick genommen werden.

6 Kooperation mit Erziehungspersonen im Alltag und Möglichkeiten der Sorgeteilung

Vormund:innen nehmen ihre Verantwortung gegenüber dem jeweiligen Kind oder Jugendlichen in einem Netzwerk von anderen, an der Erziehung beteiligten Personen wahr. Sie sind hierbei zwar ausschließlich dem jungen Menschen verpflichtet und haben die Pflicht sich für dessen Wohl, Interessen und Wünsche einzusetzen. Zu beachten ist aber, dass Wünsche und Wille des jungen Menschen nicht unabhängig von seinen Beziehungen und Bindungen sind, insbesondere nicht unabhängig von denjenigen Personen, die im Alltag die Erziehungsverantwortung wahrnehmen.

Daher unterliegen Vormund:innen einem gesetzlich festgelegten Kooperationsgebot, das lautet: „Der Vormund hat auf die Belange der Pflegeperson Rücksicht zu nehmen. Bei Entscheidungen der Personensorge soll er die Auffassung der Pflegeperson einbeziehen“ (§ 1796 Abs. 1 BGB). Nach § 1796 Abs. 3 Nr. 1 BGB gilt dieses Gebot auch für die Kooperation mit Betreuer:innen in Einrichtungen und sonstigen Wohnformen. Rücksichtnahme auf Belange der Erziehungspersonen bedeutet, dass der oder die Vormund:in bei Entscheidungen, die mit Folgen für diese verbunden sind, bspw. mit zusätzlichen Wegen zu einer Therapie, Rücksicht zu nehmen hat. Er bzw. sie hat eine Lösung zu suchen, die Pflegefamilie oder Betreuer:innen nicht mehr als notwendig belastet. Zudem soll sie oder er die Meinung der Pflegeeltern oder Betreuer:innen einbeziehen. Diejenigen, die die Erziehung wahrnehmen sind also bei Entscheidungen einzubeziehen und deren Auffassungen zu berücksichtigen. Die Grenze des Kooperationsgebots stellen Wille und Wohl des Kindes dar.

Darüber hinaus erlaubt das neue Vormundschaftsrecht verschiedene Formen der Sorgerechtsteilung im Rahmen einer Vormundschaft. Ausschließlich für ehrenamtliche Vormundschaften ist der § 1776 BGB anwendbar, der es ermöglicht, dass neben einer ehrenamtlichen Vormundschaft ein „zusätzlicher Pfleger“ bestellt wird. Dieser soll für solche Angelegenheiten zuständig sein, die für die ehrenamtlich als Vormund:in tätige Person zu belastend oder schwierig wären, bspw. für die Verwaltung des Vermögens. Auch die Bestimmung des Umgangs mit den Eltern und anderen Familienmitgliedern, wenn diese etwa für Pflegeeltern, die ehrenamtlich die Vormundschaft übernommen haben, mit Konflikten behaftet ist, kann auf eine:n zusätzlichen Pfleger:in übertragen werden.

Darüber hinaus können Pflegeeltern auch bei bestehender Vormundschaft eines Anderen bestimmte Teile der Sorge übertragen werden, bspw. die Gesundheitssorge (§ 1777 BGB). In diesem Fall nehmen die Pflegeeltern die Sorge jedoch in allen Fällen von erheblicher Bedeutung mit dem oder der Vormund:in gemeinsam wahr und müssen sich daher mit ihm bzw. ihr abstimmen. Es bleibt abzuwarten, wie diese Vorschrift in der Praxis ausgelegt und wie sie sich bewähren wird.

7 Auswahl und Bestellung des Vormunds

Laut § 1773 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht in folgenden Fällen eine:n Vormund:in für ein Kind oder eine:n Jugendliche:n zu bestellen:

  1. wenn die oder der Jugendlich:e bzw. das Kind nicht unter elterlicher Sorge steht,
  2. die jeweiligen Eltern nicht dazu berechtigt sind, Person oder Vermögen des Kindes/​Jugendlichen zu vertreten oder
  3. wenn der Familienstand nicht zu ermitteln ist.

Vormundschaft wird in diesen Fällen durch das Familiengericht angeordnet und bestellt. Im seltenen Fall, dass die Eltern vor ihrem Tod eine:n geeignete:n Vormund:in benannt haben, ist das Familiengericht mit gewissen Ausnahmen an diesen Vorschlag gebunden (§§ 1782, 1783 BGB). In allen anderen Fällen wählt das Gericht die/den am besten geeignete:n Vormund:in aus (§§ 1778, 1779 BGB). Ist schon vor Geburt eines Kindes anzunehmen, dass eine Vormundschaft notwendig sein wird, kann das Gericht schon dann eine:n Vormund:in bestellen (§ 1773 Abs. 2 BGB). Die Vormundschaft wird dann mit Geburt des Kindes wirksam.

Die Vormundschaftsrechtsreform hat Änderungen bei den Auswahlkriterien und bei der Beurteilung der Eignung der Vormundin bzw. des Vormunds mit sich gebracht. Das Jugendamt wirkt bei der Auswahl der Vormundin bzw. des Vormunds mit, indem es dem Familiengericht nach neuem Recht nun einen begründeten Vorschlag für die Bestellung einer Person vorlegen muss und ggf. auch darlegt, warum es keine ehrenamtliche Person als mögliche:n Vormund:in finden konnte (§ 53 SGB VIII). Das Gericht hat sich sodann bei der Auswahl in erster Linie am Willen des Kindes, seinen familiären Beziehungen, seinen persönlichen Bindungen, seinem religiösen Bekenntnis und seinem kulturellen Hintergrund, in zweiter Linie am mutmaßlichen oder tatsächlichen Willen der Eltern und schließlich auch an den Lebensumständen des Kindes zu orientieren (§ 1778 BGB). Wenn das Kind sich also eine bestimmte Person zum:r Vormund:in wünscht, hat das erhebliches Gewicht. Auch die Lebensumstände, also bspw. wo das Kind lebt oder welche Interessen es in Schule oder Ausbildung verfolgt, kann auf die Auswahl der Vormundin bzw. des Vormunds Einfluss nehmen. Die Eignung der (potenziellen) Vormundin bzw. des (potenziellen) Vormunds beurteilt das Gericht nach dessen Kenntnissen und Erfahrungen, persönlichen Eigenschaften, persönlichen Verhältnissen und Vermögenslage sowie der Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den anderen an der Erziehung des Kindes/​Jugendlichen beteiligten Personen. Das letzte Kriterium der Kooperationsfähigkeit dürfte in Zukunft durch die Rechtsprechung noch näher auszuleuchten sein.

8 Gesetzliche Vormundschaft des Jugendamts

Neben der gerichtlich bestellten Vormundschaft bleibt die gesetzlich eintretende Vormundschaft des Jugendamts zu erwähnen. Eine gesetzliche Vormundschaft des Jugendamts tritt erstens in dem Fall ein, dass eine minderjährige und damit nicht geschäftsfähige Mutter ein Kind bekommt und nicht vor Geburt ein:e andere:r Vormund:in bestellt wurde (§ 1686 BGB), zweitens bei vertraulicher Geburt (§ 1787 BGB) und drittens in dem Fall, dass Eltern ihre Zustimmung zur Adoption ihres Kindes gegeben haben (§ 1751 Abs. 1 S. 2 BGB).

Im ersten Fall, in dem eine junge Mutter ein Kind bekommt, sind die Aufgaben der Vormundin bzw. des Vormunds im Vergleich mit der bestellten Vormundschaft beschränkt. Die Personensorge steht ihr/ihm nach § 1673 BGB in diesem Fall nur neben der Mutter zu, deren Meinung vorgeht. Auch in der Vertretung des Kindes ist der oder die Vormund:in daher an die Meinung der jungen Mutter gebunden. Ist sie bzw. er der Auffassung, dass deren Entscheidungen das Wohl des Kindes gefährden, darf sie oder er also nicht selbst eingreifen, sondern muss nach §§ 1666, 1666a BGB das Familiengericht anrufen.

9 Die Aufsicht des Familiengerichts

Vormund:innen verfügen über die Personensorge für einen jungen Menschen kraft Bestellung des Familiengerichts oder kraft Gesetzes, während das Grundgesetz Eltern ein natürliches, nicht vom Staat abgeleitetes Recht zur Erziehung ihrer Kinder zubilligt (Art. 6 Abs. 2 GG). Daher unterliegen Eltern in ihrem Erziehungshandeln erst an der Schwelle der Kindeswohlgefährdung dem staatlichen Wächteramt; über das Handeln der Vormundin bzw. des Vormunds hat dagegen das Familiengericht kontinuierlich die Aufsicht. Der oder die Vormund:in hat dem Familiengericht jährlich über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des jungen Menschen zu berichten (§ 1802 Abs. 2 BGB iVm § 1863 Abs. 3 BGB). Wenn das Familiengericht Hinweise auf Pflichtwidrigkeiten der Vormundin bzw. des Vormunds erhält, hört es den jungen Menschen an (§ 1803 Abs. 1 BGB). Stellt das Familiengericht fest, dass der oder die Vormund:in pflichtwidrig handelt, die Rechte des jungen Menschen missachtet, bspw. keinen Kontakt mit ihm hält, ihn nicht beteiligt oder Entscheidungen fällt, die gegen seine Interessen verstoßen, kann es dem:r Vormund:in Ge- oder Verbote erteilen ( 1802 Abs. 2 BGB iVm § 1862 Abs. 3 BGB). Wenn ein Wechsel der Vormundin bzw. des Vormunds dem Wohl des jungen Menschen dient, kann das Familiengericht den oder die bisherige:n Vormund:in auch entlassen (§ 1804 Abs. 3 BGB). Neben der Entlassung kann das Familiengericht seinen Anordnungen durch ein Zwangsgeld Nachdruck verleihen, nicht jedoch gegenüber dem Jugendamt oder einem:r Vereinsvormund:in (§ 1802 Abs. 2 BGB iVm § 1862 Abs. 3 BGB). In der Praxis erweisen sich die Möglichkeiten des Familiengerichts, das Handeln der Vormundin bzw. des Vormunds zu beaufsichtigen und insbesondere Korrekturen zu erwirken allerdings als begrenzt.

Grundsätzlich und jenseits von Pflichtwidrigkeiten hat das Familiengericht das eigenständige Handeln der Vormundin bzw. des Vormunds zu respektieren, es darf nicht an Stelle der Vormundin bzw. des Vormunds Entscheidungen treffen, denn der oder die Vormund:in führt sein bzw. ihr Amt selbstständig.

10 Quellenangaben

Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V., Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. und Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e.V., 2023. Dein Vormund vertritt dich [online]. Broschüre. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [Zugriff am: 14.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93476/​696f3e58a974c53478a42bada43902fc/​dein-vormund-vertritt-dich-broschuere-data.pdf

Fritsche, Miriam, 2022. Jugendamt und ehrenamtliche Vormundschaft – Förderung und Kooperation. Eine Orientierungshilfe für die Praxis [online]. Heidelberg: Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. [Zugriff am: 14.07.2023]. Verfügbar unter: https://vormundschaft.net/assets/​uploads/2022/12/Orientierungshilfe_Foerderung-ehrenamtlicher-Vormundschaft_Bundesforum.pdf

Froncek, Benjamin und Jens Pothmann, 2021. Unbekannte Vormundschaft Statistikmängel und Forschungsbedarfe [online]. Heidelberg: Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. [Zugriff am: 14.07.2023]. PDF e-Book. ISBN 978-3-947704-21-7. Verfügbar unter: https://vormundschaft.net/assets/​uploads/2021/03/Froncek-und-Pothmann_2021_Expertise-zu-Daten-in-der-Vormundschaft.pdf

Gliemann, Claudia und Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V., 2023. Frau Frühling hat 30 Kinder. Karlsruhe: Monterosa Verlag. ISBN 978-3-942640-18-3

Hoffmann, Birgit, 2018. Personensorge: Rechtliche Erläuterungen für Beratung, Gestaltung und Vertretung. 3. Auflage. Baden Baden: Nomos. ISBN 978-3-8487-4602-6

PFAD Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V. und Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V., Hrsg. 2022. 7 Thesen zur Zusammenarbeit zwischen Pflegekindern, Pflegeeltern und Vormund*innen [online]. Heidelberg: Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. [Zugriff am: 14.07.2023]. Verfügbar unter: https://vormundschaft.net/assets/​uploads/2022/10/7_Thesen_Einzelseiten_221029.pdf

Schulte-Bunert. Kai, 2023. § 1790 Amtsführung des Vormunds; Auskunftspflichten. In: Harm Peter Westermann, Barbara Grunewald und Georg Maier-Reimer, Hrsg. BGB: Kommentar mit Nebengesetzen. 17. Auflage. Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt. ISBN 978-3-504-47113-2

Statistisches Bundesamt, 2023. Genesis-online: Tabelle 22522-0001: Kinder und Jugendliche: Deutschland, Stichtag, Maßnahmen für Kinder und Jugendliche, Nationalität, Geschlecht [online]. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt [Zugriff am: 17.08.2023]. Verfügbar unter: https://www-genesis.destatis.de/genesis//online?operation=table&code=22522-0001

Wedermann, Stefan, Henriette Katzenstein, Jacqueline Kauermann-Walter, Katharina Lohse und Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V., Hrsg. 2021. Vormundschaft: sozialpädagogischer Auftrag, rechtliche Rahmung, Ausgestaltung in der Praxis. Frankfurt am Main: Walhalla Verlag. ISBN 978-3-947704-25-5 [Rezension bei socialnet]

Zenz, Gisela und Ludwig Salgo, 2009. (Amts-)Vormundschaft zum Wohle des Mündels: Anmerkungen zu einer überfälligen Reform. In: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ). (16), S. 1378–1385. ISSN 0044-2410

11 Literaturhinweise

Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, 2023. Arbeits- und Orientierungshilfe für den Bereich der Amtsvormundschaft und -pflegschaft [online]. Köln: Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter [Zugriff am: 17.08.2023]. Verfügbar unter: http://www.bagljae.de/assets/​downloads/​161-orientierungshilfe-amtsvormundschaft-pflegschaft.pdf

Bode, Eva, 2021. Das neue Vormundschaftsrecht: Einführung, Erläuterungen, Materialien, Schnellüberblick. Köln: Reguvis Fachmedien GmbH. ISBN 978-3-8462-1230-1

Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. und Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, 2022. Die große Vormundschaftsrechtsreform: Ein Materialenband für die Praxis [online]. Heidelberg Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V. [Zugriff am: 14.07.2023]. Verfügbar unter: https://vormundschaft.net/assets/​uploads/2021/12/Bundesforum_Materialienband_Webversion.pdf

Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V., Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. und Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e.V., 2023. Dein Vormund vertritt dich [online]. Broschüre. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [Zugriff am: 14.07.2023]. Verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93476/​696f3e58a974c53478a42bada43902fc/​dein-vormund-vertritt-dich-broschuere-data.pdf

Socha, Ingo, 2023. Vormundschaft und Pflegschaft in der Rechtspraxis: das neue Recht ab 1.1.2023. Bielefeld: Verlag Ernst und Werner Gieseking. ISBN 978-3-7694-1275-8

12 Informationen im Internet

Verfasst von
Henriette Katzenstein
Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V.
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Leon Schlotfeldt
Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft e.V.
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Es gibt 2 Lexikonartikel von Henriette Katzenstein.
Es gibt 2 Lexikonartikel von Leon Schlotfeldt.

Zitiervorschlag
Katzenstein, Henriette und Leon Schlotfeldt, 2023. Vormundschaft [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 21.08.2023 [Zugriff am: 13.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/4502

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