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Wanddokumentation

Prof. Dr. Helen Knauf

veröffentlicht am 30.03.2021

Wanddokumentationen sind eine Form der Bildungsdokumentation, die insbesondere in Kindertageseinrichtungen eine Rolle spielen. Es handelt sich dabei um gestaltete Wände (z.B. mit Plakaten oder Pinnwänden), die Produkte, Aktivitäten, Erlebnisse und Themenschwerpunkte der Kinder dokumentieren. Dabei wird der Fokus auf die Kindergruppe und die (Lern-)Gemeinschaft gelegt.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Wanddokumentation als Teil der Raumgestaltung
  3. 3 Gruppengeschehen im Mittelpunkt
  4. 4 Funktionen von Wanddokumentation
  5. 5 Elemente der Wanddokumentation
  6. 6 Umsetzung von Wanddokumentation/​Methoden
    1. 6.1 Präsentation von Produkten der Kinder
    2. 6.2 Projekt- und Aktionsdokumentationen
    3. 6.3 Bildungsdokumentation von Kitalltag
  7. 7 Archivierung von Wanddokumentation: Von der Wand ins Buch
  8. 8 Probleme und Grenzen
  9. 9 Quellenangaben
  10. 10 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Wanddokumentation als Form der Bildungsdokumentation nutzt den Raum als Präsentationsfläche und verdeutlicht insofern auch die starke pädagogische Wirksamkeit des Raumes (Raum als dritter Pädagoge). Im Gegensatz zu anderen Formen der Bildungsdokumentation wie Portfolio und Lerngeschichten bezieht sich die Wanddokumentation in besonderem Maße auf das Gruppengeschehen, und stellt weniger das einzelne Kind in den Fokus. Die Wanddokumentation erweist sich damit als besonders geeignet, die Ko-Konstruktivität von Bildung sichtbar zu machen (Knauf 2018a). Diese Dokumentationsform ist in der Umsetzung sehr vielfältig und anpassungsfähig. Zudem bestehen zahlreiche Möglichkeiten zur Partizipation von Kindern, indem diese als Beteiligte im Prozess der Herstellung der Dokumentation eine zentrale Rolle spielen oder auch als RezipientInnen im Vordergrund stehen. Eine Hürde für die Umsetzung der Wanddokumentation sind oft die räumlichen Gegebenheiten. Hinzu kommt, dass die Funktion der Wanddokumentation nicht immer klar ist und eine Verständigung über ihre AdressatInnen oftmals nicht in ausreichendem Maße stattfindet.

2 Wanddokumentation als Teil der Raumgestaltung

Wanddokumentationen sind auf besondere Weise längerfristig öffentlich präsent. Damit unterscheiden sie sich von anderen Formen der Bildungsdokumentation, die in der Regel in Ordnern, Mappen, Kartons oder Hängeregistern aufbewahrt werden. Auf diese Weise verleihen Wanddokumentationen sowohl Gruppen- als auch Funktionsräumen, Fluren, Garderoben und Eingangsbereichen eine inhaltliche Prägung. Räume und Raumgestaltung haben für die Entwicklung junger Kinder eine wichtige Bedeutung (Gutknecht 2016; Kessl 2016); sie haben damit auch einen großen Einfluss auf die Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen. Wie die Räume gestaltet werden, in denen sich Kinder und Erwachsene aufhalten, ist deshalb ein wichtiger Faktor für die pädagogische Arbeit (Knauf 2018b).

Wanddokumentationen kann dabei eine entscheidende Rolle zukommen, denn Raum und pädagogisches Handeln stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander (Breidenstein 2004). Wanddokumentation ist einerseits das Ergebnis des Denkens und Handelns der Kinder und Erwachsenen und andererseits wiederum selbst Rahmen und Impulsgeber für neue Denk- und Handlungsprozesse. Wanddokumentationen können deshalb das Alltagsgeschehen in der Kindertageseinrichtung prägen und inspirieren. Prinzipiell gilt dies – zumindest der Zielsetzung nach – für alle Formen der Bildungsdokumentation, jedoch hat die Wanddokumentation durch ihre Sichtbarkeit in den Räumen eine besonders eindrückliche Präsenz (Knauf 2017).

3 Gruppengeschehen im Mittelpunkt

Eine weitere Besonderheit der Wanddokumentation ist ihr Bezug auf das Gruppengeschehen. Damit unterscheidet sie sich wesentlich von anderen Formen der Bildungsdokumentation (wie beispielsweise Portfolio und Lerngeschichte), die sich an ein einzelnes Kind richten. Wanddokumentationen zeigen, was die Gruppe oder ein Teil der Gruppe gemeinsam getan haben und womit sie sich beschäftigen. Auf diese Weise wird der Bedeutung Gleichaltriger (Peers) für Bildungs- und Entwicklungsprozesse Rechnung getragen.

So sind Kinder bereits in den ersten Lebensjahren an Beziehungen auch zu Peers interessiert und bilden eine gemeinsame Kultur, in der Zugehörigkeit eine große Rolle spielt (Schneider und Wüstenberg 2014). Diese Peerbeziehungen haben zugleich eine wichtige Bedeutung für die Bildungsprozesse der Kinder: Sie „regen sich gegenseitig emotional, körperlich, sozial und kognitiv zu neuen Erfahrungen an, entwickeln und verwirklichen gemeinsam neue Ideen und spornen sich gegenseitig an, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten auszubauen“ (Wertfein und Reichert-Garschhammer 2017, S. 155). Diese Forschungsergebnisse stehen im Einklang mit der Vorstellung von Bildung als sozialkonstruktivem Prozess, bei dem sich Lernen immer in der Auseinandersetzung und Interaktion mit Anderen vollzieht.

In den Bildungsdokumentationen, die die Kindergruppe in den Mittelpunkt stellen, werden diese sozialkonstruktiven Prozesse in besonderer Weise deutlich. Idealerweise kann durch sie sichtbar gemacht werden, wie die gegenseitige Anregung der Kinder zustande kommt. Zugleich kann durch die Bildungsdokumentation der gemeinsamen Tätigkeiten ein gemeinsames Gedächtnis (collective memory) geschaffen werden, das es Kindern erlaubt, zu ihren Gedanken zurückzukehren und sie entweder einzeln oder in der Gruppe zu verfolgen „allowing children to return to their thoughts and ideas and pursue them either individually or in groups“ (Krechevsky und Mardell 2011, S. 289).

4 Funktionen von Wanddokumentation

Für die Bildungsdokumentation werden verschiedene Funktionen beschrieben. Die Wanddokumentation legt den Schwerpunkt auf Kommunikations-, Partizipations- und Erkenntnisfunktion.

Die Kommunikationsfunktion spielt hier deshalb eine so große Rolle, weil die im Raum sichtbaren Bildungsdokumentationen für alle Beteiligten dauerhaft sichtbar sind und so einen motivierenden Gesprächsanlass bieten. Ein im Flur aufgehängtes Plakat oder eine im Gruppenraum errichtete Ausstellung sind für Kinder, Eltern sowie die Fachkräfte in der Einrichtung unmittelbar erkennbare visuelle Impulse, die Anlass für Austausch und Nachfragen bieten können. Voraussetzung hierfür ist es jedoch, dass die Art der Präsentation für alle Beteiligten verständlich ist.

Hier entsteht eine Schnittmenge mit der Partizipationsfunktion (Knauf 2018a). Teilhaben und den Impuls aufnehmen kann nur, wer ihn auch versteht. Wanddokumentation kann die Partizipations- und Kommunikationsfunktion also nur erfüllen, wenn sie für alle Akteure verständlich ist und dadurch Anknüpfungspunkte bietet – auch für diejenigen, für die Deutsch eine Fremdsprache ist. Die Partizipation wird zunächst hergestellt, indem Kinder, Eltern sowie alle Fachkräfte als Adressaten verstanden werden und deshalb das Verstehen der Bildungsdokumentation so leicht wie möglich gemacht wird. Dies wird sowohl durch einen hohen Anteil aussagekräftigen visuellen Materials (Fotos, Zeichnungen etc.) als auch durch eine einfache, klare Sprache erreicht. Mit Blick auf die Kinder als Adressaten werden die Bildungsdokumentationen auf Augenhöhe präsentiert. Partizipation wird jedoch nicht nur auf der Ebene der Rezeption der Bildungsdokumentation erreicht, sondern auch auf der Ebene der Produktion der Bildungsdokumentation. Insbesondere Kinder können am Prozess der Bildungsdokumentation beteiligt werden, indem sie selbst Kommentare zu den dargestellten Situationen abgeben und diese dann Teil der Dokumentation werden, indem sie Fotos und Bilder auswählen und indem sie die Gestaltung der Wanddokumentation beeinflussen. Hierfür ist ein Dialog zwischen Kindern und Fachkräften notwendig – die Bildungsdokumentation kann dadurch bereits in ihrem Entstehungsprozess einen Dialog über das Lernen auslösen.

Eine Rolle bei der Wanddokumentation spielt zudem die Erkenntnisfunktion. Durch die Ergänzung von Produkten der Kinder mit ihren Erläuterungen und durch die wortgetreue Wiedergabe von Dialogen zwischen den Kindern können Bildungsprozesse nachvollziehbar gemacht werden. Zugleich werden diese Prozesse dadurch einer Reflexion zugänglich gemacht.

Wanddokumentation erfüllt darüber hinaus eine Repräsentationsfunktion, da sie in besonderer Weise Einblicke in die Arbeit der Einrichtung gibt. Gerade die Sichtbarkeit der Wanddokumentation verschafft dieser Dokumentationsform einen hohen Grad an Öffentlichkeit. Bildungsdokumentation kann einen prägnanten Eindruck von den Inhalten der Arbeit in der Kindertageseinrichtung geben, aber auch von der Herangehensweise, mit der diese bearbeitet werden (Sorgfalt, Aktualität, Ästhetik etc.). Letztlich ist diese Funktion aber nur ein Nebeneffekt.

Die auf das einzelne Kind bezogenen Funktionen von Dokumentation spielt nur eine nachrangige oder gar keine Rolle. Wanddokumentation dient insbesondere nicht der Diagnostik der Leistungsfähigkeit eines einzelnen Kindes. Eine öffentliche Präsentation der Stärken und Schwächen wäre schlicht unangemessen. Hier kann es jedoch auch zu Missverständnissen kommen, denn gerade wenn Produkte der Kinder ausgestellt werden, können Vergleiche zwischen den Kindern aufkommen (Wer kann „besser“ zeichnen?). Daraus ergibt sich eine wichtige Anforderung an die Rahmung der Wanddokumentation. Der Schwerpunkt liegt in dieser Form der Bildungsdokumentation auf den Interaktionsprozessen zwischen den Kindern und den Denkvorgängen hinter den Produkten.

Auch die Kohärenzfunktion in Bezug auf andere Institutionen und die Erinnerungsfunktion haben eine nachgeordnete Bedeutung, weil die Gruppe und nicht das einzelne Kind, auf das sich diese Funktionen beziehen, im Vordergrund stehen.

5 Elemente der Wanddokumentation

Wanddokumentationen können sehr vielfältig sein. Denn im Gegensatz zu anderen Dokumentationsformen wie Portfolio und Lerngeschichten kommen bei der Wanddokumentation zusätzliche Gestaltungsparameter hinzu: Es gibt prinzipiell keine Vorgaben für das Format, weil die Bildungsdokumentationen nicht in einen Ordner oder Hefter passen müssen. Es ist nicht notwendig, sich auf eine zweidimensionale Darstellung zu begrenzen, die Dreidimensionalität des Raumes kann genutzt werden. Dadurch wird es möglich, unterschiedliche Materialien (und nicht nur Papier) zu verwenden; beispielsweise können Stoff oder Holz eingebaut oder Gegenstände in die Wanddokumentation einbezogen werden. Somit lassen sich für die Wanddokumentation vier Gestaltungselemente identifizieren:

  1. Fotos,
  2. Bilder der Kinder,
  3. Texte und
  4. dreidimensionale Gegenstände.

Diese vier Elemente können auf vielfältige Weise kombiniert werden und kommen in der Praxis teilweise einzeln, meist aber in Verbindung von zwei oder mehreren Bausteinen vor.

Die Vielfalt der Wanddokumentation ermöglicht zudem die Anpassung an die jeweiligen räumlichen Gegebenheiten, denn sie kann groß oder klein sein, im Mittelpunkt stehen oder an einem kleinen Fleck am Rand sein, sie kann ihrem Namen entsprechend an einer Wand hängen, aber auch als Vorhang im Raum oder auf Möbeln angebracht sein.

6 Umsetzung von Wanddokumentation/​Methoden

6.1 Präsentation von Produkten der Kinder

Zu den am meisten verbreiteten Formen der Wanddokumentation gehört die Präsentation von Produkten der Kinder. Häufig sind dies Bilder oder Zeichnungen, die die Kinder in der Kindertageseinrichtung angefertigt haben. Meist werden Bilder von mehreren Kindern gemeinsam an einer Wand ausgestellt. Anders als bei einer reinen Ausstellung, bei der es eher um Gestaltungskraft, Kreativität und Kunstfertigkeit der Kinder geht, werden bei einer Werkpräsentation als Bildungsdokumentation zusätzlich zum Bild weitere Informationen bereitgestellt, um den Entstehungsprozess zu dokumentieren. Das können beispielsweise Anlässe und Zielsetzungen der künstlerischen Tätigkeit sein, Informationen zur verwendeten Technik, die Geschichte des Entstehungsprozesses (Schritt für Schritt), Kommentare des Kindes sowie zusätzliche Interpretationen und Deutungen der pädagogischen Fachkraft. Durch den Text wird deutlich, welcher Prozess zur Entstehung des Bildes geführt hat und bettet ein Bild in den Kontext Lernen und Bildung ein, sodass es nicht auf seinen dekorativen Aspekt (hübsches Bild) reduziert wird. Auch Fotos ermöglichen es, den Entstehungsprozess zu dokumentieren. Eine Ausstellung von Produkten muss sich nicht auf Gemaltes beschränken, sondern kann beispielsweise auch Produkte aus Bauecke, Konstruktionsbereich oder Naturwerkstatt umfassen.

Ausstellungen als Bildungsdokumentation drücken in besonderer Weise Wertschätzung gegenüber den Werken der Kinder aus und verdeutlichen, dass ihr Tun bedeutsam ist.

6.2 Projekt- und Aktionsdokumentationen

Eine weitere Form der Wanddokumentation sind Wände, auf denen Projekte oder Aktionen dokumentiert werden. Dieses Format ist inspiriert von den „Sprechenden Wänden“ in der Reggio-Pädagogik. Strozzi (2011, S. 62) beschreibt die Botschaft, die durch solche Bildungsdokumentationen gesendet werden soll:

„The documentation panels cover the walls throughout the school as if they were a second skin. The panels make you feel that you are, or invite you to become, a part of experiences and stories. They suggest that future experiences will be valued. The documentation substantiates the value of memory and narration as a right and a vital quality of the educational environment.“

In dieser Sichtweise geben Wanddokumentationen mehr als einen Einblick in die Arbeit der Einrichtung, sie sind ebenfalls Ausdruck einer bestimmten Haltung gegenüber Kindern und dem Geschehen in der Einrichtung; durch sie soll sich die oben bereits erwähnte Wertschätzung gegenüber den Tätigkeiten der Kinder und den Geschehnissen in der Einrichtung insgesamt ausdrücken. Dabei können unterschiedliche Elemente in die Bildungsdokumentation einbezogen werden. Eine Wanddokumentation über ein Projekt zum Mikroskopieren könnte beispielsweise die folgenden Elemente enthalten:

  • Fotos der Kinder während des Mikroskopierens und Untersuchens,
  • Kommentare der Kinder zu ihren Beobachtungen,
  • Kinderzeichnungen der untersuchten Objekte,
  • Sammlung der untersuchten Objekte,
  • mit Fotografien illustrierte Darstellung des Untersuchungsablaufs,
  • allgemeine Darstellung des Ziels dieses Vorhabens.

Auch in Projekt- und Aktionsdokumentationen können dreidimensionale Gegenstände einbezogen werden – im Beispiel oben etwa die Untersuchungsobjekte selbst. Dadurch können (zumindest potenziell) mehrere Sinne einbezogen werden.

Durch diese Vielfalt an Elementen werden sowohl die Perspektiven der Kinder als auch die der Erwachsenen dokumentiert; zugleich gibt es Bestandteile, die für Kinder leicht zu verstehen sind und solche, die sich in erster Linie an Erwachsene richten. Durch dieses Vorgehen kann ein stark partizipatives Vorgehen realisiert werden, das sowohl Kinder als auch Erwachsene als Produzenten und Rezipienten der Bildungsdokumentation berücksichtigt und einbezieht.

6.3 Bildungsdokumentation von Kitalltag

Eine weitere Variante der Wanddokumentation ist das Festhalten von Alltagssituationen. Dabei dienen sie oft als Rahmen bzw. Markierung für einen Bereich in dem Raum der Kindertageseinrichtung, welcher für eine bestimme Aktivität vorgesehen ist. Bereiche mit Verkleidungsmaterial werden mit Fotos von verkleideten Kindern oder historischen Kostümen gestaltet; bei einem Tablett mit Blumentöpfen finden sich Illustrationen zum Pflanzenwachstum oder zur Pflege der Pflanzen durch Kinder oder in einer Bauecke wird eine Spielsituation dokumentiert, in der Kinder die in der Bauecke bereitliegenden Materialien nutzen; dazu werden Fotos und ein Dialog zwischen den Kindern einbezogen. Zudem kann das entstandene Produkt auf einem Foto festgehalten werden.

Bildungsdokumentationen von Alltagssituationen haben zugleich auch ein Anregungspotenzial. Sie zeigen, gleich einer Anleitung, wie bestimmte Materialien oder Gegenstände genutzt werden können.

Wanddokumentation wird so auch zu einem Dokument (im Sinne einer Manifestation) des Aneignungsprozesses des Raumes und seiner Materialien durch die Kinder genutzt. Die Bildungsdokumentation zeigt Kinder, die zum jeweiligen Zeitpunkt in der Kindertageseinrichtung sind; sie können sich selbst auf den Fotos identifizieren und von anderen erkannt werden. Die Einrichtung wird dabei deutlich als das „Revier“ genau dieser Kinder und nicht für Kinder im Allgemeinen definiert.

Bildungsdokumentationen des Alltags stellen oftmals zufällig entstandene Situationen dar und nicht Ergebnisse eines intentional und zielgerichtet angelegten Bildungsprozesses. Indem alltägliche Geschehnisse für Wanddokumentation aufbereitet werden, wird diesen eine besondere Würdigung zuteil. Auf diese Weise wird in den alltäglichen und deshalb möglicherweise gewöhnlich erscheinenden Aktivitäten der Kinder das Besondere betont – oder diese (in konstruktivistischer Perspektive) als beachtenswert konstruiert.

7 Archivierung von Wanddokumentation: Von der Wand ins Buch

Wanddokumentationen haben eine begrenzte Aktualität, denn Projekte haben ein Ende und Kinder verlassen in wiederkehrendem Rhythmus die Einrichtung. Nachdem sie nicht mehr aktuell sind, werden in einigen Kindertageseinrichtungen Plakate und andere großformatige Bildungsdokumentationen als Ganzes archiviert.

Andere Einrichtungen sind dazu übergegangen, Wanddokumentationen nach einiger Zeit in die Portfolios der einzelnen Kinder zu überführen. Dies führt teilweise dazu, dass die Wanddokumentationen von vornherein im ordnerkompatiblen DIN-A4-Format gestaltet und so aufgehängt werden. Dies ist mit Blick auf die verdichteten Arbeitsabläufe in vielen Einrichtungen nachvollziehbar; oft sehen Fachkräfte darin die einzige Möglichkeit, Wanddokumentationen zu erstellen. Der Nachteil ist, dass dabei die plakative Wirkung von Wanddokumentationen verloren geht; ebenso führt dies meist zu einer Reduktion der Gestaltungsbausteine auf Text und Fotos.

Den umgekehrten Weg gehen Einrichtungen, die individuelle Lerngeschichten und andere Portfolioeinträge zunächst für eine kurze Zeit an den Wänden aufhängen. Bezogen auf die Wahrnehmung der Portfolioeinträge hat dies den Vorteil, dass die Lerngeschichten nicht ungesehen in den Portfolio-Ordnern verschwinden, sondern beispielsweise Kinder ihre Eltern auf die neue Geschichte bzw. die darin geschilderten Begebenheiten hinweisen. Jedoch wird neben dem geringeren optischen Reiz hier der Gruppenfokus zugunsten eines Individualfokus zurückgestellt.

8 Probleme und Grenzen

In vielen Einrichtungen steht die Architektur dem ausgiebigen Einsatz von Wanddokumentation entgegen. Wände sind oft von Regalen und Schränken belegt oder durch Fenster und Türen in kleine Segmente zerteilt. Zudem ist der Wandbelag oft nur eingeschränkt für das Anbringen von Papier geeignet. In manchen Einrichtungen lässt sich dies durch kleinere Umbaumaßnahmen verändern oder die nachträgliche Ergänzung mit besser geeigneten Materialien, wie etwa Faserplatten, Kork, Filz oder magnetischem Metall. Andere Einrichtungen verwenden mobile Pinnwände oder nutzen ungewöhnliche Orte für die Dokumentation, wie etwa unterhalb von Fenstern, als Aufhängung im Raum oder auch im Außenbereich.

Ein inhaltliches Problem der Wanddokumentation ergibt sich dadurch, dass diese nicht immer im Sinne der Bildungsdokumentation genutzt werden. Oftmals verläuft die Grenze zu reinen Informationsplakaten oder Sammlungen dekorativer Bilder oder Fotos fließend. Auch „Schwarze Bretter“ haben natürlich ihre Berechtigung. Es ist aber wichtig, dass sich Fachkräfte die gänzlich unterschiedliche Funktion bewusst machen und Wanddokumentationen nicht ausschließlich als Informationsmedium nutzen.

Diese Klarheit über die Zielsetzung ist auch nützlich, um eine weitere Hürde zu vermeiden: Leicht kann es nämlich passieren, dass als Adressaten der Wanddokumentation ausschließlich die Eltern gesehen werden. Dadurch können die Dokumentationen zu einer Art „Rechenschaftsbericht“ über die pädagogische Arbeit für die Eltern werden. Wanddokumentationen können so jedoch ihr Potenzial zur Anregung ko-konstruktiver Bildungsprozesse nicht ausschöpfen.

9 Quellenangaben

Breidenstein, Georg, 2004. KlassenRäume – eine Analyse räumlicher Bedingungen und Effekte des Schülerhandelns. In: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung. 5(1), S. 87–107. ISSN 1438-8324

Gutknecht, Dorothee, 2016. Die Kindergruppe als Ort der Raumerfahrung und Raumaneignung. In: Rita Braches-Chyrek und Charlotte Röhner, Hrsg. Kindheit und Raum. Opladen: Barbara Budrich, S. 145–162. ISBN 978-3-8474-0671-6 [Rezension bei socialnet]

Kessl, Fabian, 2016. Erziehungswissenschaftliche Forschung zu Raum und Räumlichkeit. In: Zeitschrift für Pädagogik [online]. 62(1), S. 5–19 [Zugriff am: 26.03.2021]. ISSN 0044-3247. Verfügbar unter: doi:10.3262/ZP1601005

Knauf, Helen, 2017. Visuelle Raumanalyse. Eine methodologische Erschließung am Beispiel Kindertageseinrichtung. In: Frühe Bildung [online]. 6(1), S. 33–40 [Zugriff am: 26.03.2021]. ISSN 2191-9194. Verfügbar unter: doi:10.1026/2191-9186/​a000299

Knauf, Helen, 2018a. Bildungsdokumentation in Kindertageseinrichtungen. Wiesbaden: Springer. ISBN 978-3-658-24100-1 [Rezension bei socialnet]

Knauf, Helen, 2018b. Visual Environmental Scale: Analysing the Early Childhood Education Environment. In: Early Childhood Education Journal [online]. 46, S. 43–51 [Zugriff am: 26.03.2021]. ISSN 1573-1707. Verfügbar unter: doi:10.1007/s10643-018-0914-x

Krechevsky, Mara und Ben Mardell, 2011. Four features of learning in groups. In: Project Zero und Reggio Children, Hrsg. Making Learning Visible. Reggio Emilia: Reggio Children, S. 284–294. ISBN 978-888-796-025-9

Schneider, Kornelia und Wiebke Wüstenberg, 2014. Was wir gemeinsam alles können: Beziehungen unter Kindern in den ersten Lebensjahren. Berlin: Cornelsen Scriptor. ISBN 978-358-924-831-5

Strozzi, Paola, 2011. Daily life at school: Seeing the extraordinary in the ordinary. In: Project Zero und Reggio Children, Hrsg. Making Learning Visible. Reggio Emilia: Reggio Children, S. 58–77. ISBN 978-888-796-025-9

Wertfein, Monika und Eva Reichert-Garschhammer, 2017. Peer-Interaktionen in den ersten Lebensjahren. In: Monika Wertfein, Andreas Wildgruber, Claudia Wirts und Fabienne Becker-Stoll, Hrsg. Interaktionen in Kindertageseinrichtungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 152–165. ISBN 978-3-525-70225-3 [Rezension bei socialnet]

10 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Helen Knauf
Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen
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