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Weiterbildung

Prof. Dr. Tim Stanik

veröffentlicht am 19.10.2022

Englisch: advanced education; advanced training; further education; further training

Weiterbildung wird im Anschluss an den Deutschen Bildungsrat als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase“ (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 197) definiert.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Begriffshistorische Einordnung
  3. 3 Strukturen der Weiterbildung
  4. 4 Berufliches Handeln in Weiterbildung
  5. 5 Weiterbildungsteilnahme
  6. 6 Quellenangaben
  7. 7 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Mit Weiterbildungen sind individuelle, gesellschaftspolitische und/oder betriebliche Interessen verbunden. Dabei ist die deutsche Weiterbildungslandschaft durch heterogene institutionelle Strukturen gekennzeichnet und die organisierten Lehr-/​Lernangebote werden häufig von frei- oder nebenberuflichen Honorarkräften verantwortet. So fokussiert auch die universitäre Professionalisierung immer noch vornehmlich hauptberufliche planend-disponierende Tätigkeiten wie die der Lehre. Seit Beginn der systematischen Berichterstattung zur Weiterbildungsteilnahme Ende der 1970er-Jahre lassen sich zudem disparate Beteiligungsquoten beobachten, die häufig mit betrieblichen Strukturen und/oder mithilfe von soziodemografischen Faktoren erklärt werden.

2 Begriffshistorische Einordnung

In Deutschland hat die organisierte Weiterbildung eine über 200-jährige Geschichte, wobei sich die unterschiedlichen Zielsetzungen im Zeitverlauf auch an ihren jeweiligen Bezeichnungen ablesen lassen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde im Zuge der Aufklärung die Weiterbildung von Lese-, Museumsgesellschaften oder von naturwissenschaftlichen Vereinen organisiert. Während sie hier vornehmlich die Funktion der Unterhaltung und der Abgrenzung des Bürgertums vom Adel übernahm, war Weiterbildung zur gleichen Zeit für die Arbeiter- und Handwerkerschaft insofern emanzipatorisch und politisch motiviert, als sie zur Nachholung von Allgemeinbildung oder dem Erwerb beruflicher Kenntnisse diente (Faulstich und Zeuner 2010, S. 14).

Eine erste große Welle von Institutionalisierungen war in der Weimarer Republik mit der sogenannten Volkshochschulbewegung zu verzeichnen. Die VertreterInnen der noch jungen deutschen Demokratie betrachteten die Weiterbildung als Volksbildung, um eine Vertiefung des demokratischen Bewusstseins zu erreichen und die geistige und nationale Erneuerung nach dem Ersten Weltkrieg voranzutreiben (Olbrich 2001, S. 145). Der Begriff der Volksbildung verdeutlicht dabei eine kompensatorisch motivierte Adressierung der gesamten Bevölkerung, während der sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchsetzende Begriff der Erwachsenenbildung zunehmend die Individuen mit ihren subjektiven und objektiven Bildungsbedürfnissen in den Mittelpunkt rückte (Nolda 2015, S. 10).

Der Begriff der Erwachsenenbildung ist heute immer noch geläufig, wenngleich der Deutsche Bildungsrat im Kontext der Bildungsreform der 1970er-Jahre den Leitbegriff der Weiterbildung einführte. Weiterbildung wird hier „als Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase“ definiert (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 197). Der Weiterbildungsbegriff erfüllt zwei Funktionen: Zum einen wird der Schwerpunkt von den AdressatInnen der Erwachsenen hin zum Funktionalen der Qualifizierenden – auch als realistische Wende der Erwachsenenbildung bezeichnet – verschoben. Zum anderen wird mit der Abgrenzung zu einer ersten Bildungsphase ein Systembegriff eingeführt, der den quartären Bildungsbereich im Bildungssystem etablieren sollte (Weinberg 2000, S. 10).

Der Begriff des Lebenslangen Lernens schließt auch informelle Wissensaneignung ein, während der Begriff der Weiterbildung insbesondere für formale und non-formale Lehr-/​Lernprozesse verwendet wird. Zudem signalisiert der Begriff des Lebenslanges Lernens einen kontinuierlichen, permanenten, nie abschließbaren, lebenslaufumfassenden Anspruch: „Erwachsenenbildung im Sinne von Weiterbildung und lebenslangem Lernen wurde daher zunehmend zum Medium von Individualisierung und Biographisierung und damit zum Medium einer Temporalisierung des Lebenslaufs“ (Seitter 2007, S. 140).

3 Strukturen der Weiterbildung

Trotz der Versuche, die Weiterbildung als vierte Säule im Bildungssektor im deutschen Bildungssystem zu verankern, weist sie nur einen „mittleren Systematisierungsgrad“ auf. Dieser zeigt sich u.a. daran, dass die Weiterbildung ein nicht so hohes Maß an institutioneller Strukturierung, der systematischen Nutzung finanzieller Ressourcen oder eine Neutralität gegenüber gesellschaftspolitischen Partialinteressen etc. aufweist, wie es die anderen Bildungssektoren kennzeichnet (Bojanowski et al. 1991, S. 300). Auch ist die Weiterbildung durch eine Vielfalt ihrer institutionellen Strukturen charakterisiert. Diese wird beispielsweise an den unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen und an den heterogenen Weiterbildungsanbietern deutlich. So wird die Weiterbildung auf Bundesebene u.a. in den Sozialgesetzbüchern, im Berufsbildungs-, Betriebsverfassungs-, Fernunterrichtsgesetz und auf Länderebene in unterschiedlichen Weiterbildungs-, Bildungsurlaubs- oder in den Hochschulgesetzen geregelt (Grotlüschen und Haberzeth 2018, S. 545).

Die Weiterbildung ist zu großen Teilen marktförmig organisiert und durch ein „pluralistisches Institutionensystem“ charakterisiert, in dem öffentlich-teilfinanzierte Weiterbildungseinrichtungen (z.B. Volkshochschulen, Fachschulen), Weiterbildungseinrichtungen gesellschaftlicher Interessengruppen (z.B. konfessionelle, gewerkschaftliche Akteure, Kammern), privatwirtschaftliche Weiterbildungsunternehmen und betriebliche Bildungsangebote zu differenzieren sind (Faulstich und Zeuner 2008; S. 186 ff.). Diese heterogenen Strukturen sind politisch gewollt. So sollte nach der Gleichschaltung während des NS-Regimes diese pluralistische Trägerstruktur der Weiterbildung nach Ende des Zweiten Weltkrieges neben Anpassungen an wirtschaftliche Belange auch die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik stützen. Mit Gründung der DDR übernahm die Weiterbildung in den Ostgebieten insbesondere qualifizierende und politisch-ideologische Funktionen (Olbrich 2001, S. 275).

Hochrechnungen kommen zu dem Ergebnis, dass aktuell knapp 60.000 Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland ihre Angebote unterbreiten, von denen mehr als die Hälfte (über 32.000) ausschließlich privatwirtschaftlichen Interessen nachgehen, gefolgt von über 10.000 öffentlich-teilfinanzierter und knapp 8.700 Anbietern gesellschaftlicher Interessengruppen.

4 Berufliches Handeln in Weiterbildung

In den 60.000 Weiterbildungseinrichtungen finden sich ca. 3,6 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, von denen über 2,6 Millionen auf Honorarverträge entfallen und 667.000 im Angestellten-/​Beamtenverhältnis ausgeübt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Beschäftigten weitaus geringer ist, da Lehrende als größte Beschäftigtengruppe der Weiterbildung in der Regel auf Honorarbasis für unterschiedliche Einrichtungen tätig werden (Schrader und Martin 2021, S. 347). Aufgrund der Spannbreiten der Vergütungen wird die Lehrtätigkeit in der Weiterbildung insbesondere außerhalb von Betrieben häufig unter prekären Beschäftigungsbedingungen verrichtet.

In der Weiterbildung lassen sich verschiedene Berufsrollen differenzieren – die hauptberuflich Leitenden, die hauptberuflich pädagogischen Mitarbeitenden mit vorwiegend planend-disponierenden und beratenden Aufgaben sowie die haupt- und nebenberuflich Lehrenden. In diesem Zusammenhang umfasst die planend-disponierende Berufsrolle, auf die lange Zeit die Professionalisierungsbemühungen ausschließlich ausgerichtet waren, makrodidaktisches Handeln. Die hier verantworteten Bedarfserhebungen, Zielgruppenanalysen, Programmkonzeptionen oder die Auswahl von Lehrenden sind insofern als didaktisch zu charakterisieren, da sie direkte Einflüsse auf die Lehr-/​Lernangebote in der Weiterbildung haben.

Die Berufsrolle der Lehre lässt sich hingegen als mikrodidaktisches Handeln charakterisieren, da hier Lehrveranstaltungen geplant, durchgeführt und evaluiert werden. Erst in den letzten Jahren sind wissenschaftlich fundierte Modelle entstanden, die Kompetenzen beschreiben, die Lehrende in Weiterbildung hierfür benötigen (Lencer und Strauch 2016). Für die Weiterbildung spezifisch sind dabei die unterschiedlichen Veranstaltungsformen wie Seminare, Trainings, Workshops, Gesprächskreise, Exkursionen etc.

Didaktisch haben sich konstruktivistische und subjektwissenschaftliche Verständnisse des Lernens sowie das Prinzip der Teilnehmerorientierung als professionelle Leitlinien in der Weiterbildung durchgesetzt. In Anschluss an Tietgens (1980, S. 216) meint Teilnehmerorientierung didaktische Herstellungen der Passungen zwischen den objektiven Lernanforderungen und den individuellen Voraussetzungen sowie Bildungsbedarfen der Teilnehmenden, damit Lernen in der Weiterbildung als bedeutungs-, erfahrungs- und situationsbezogen erfahren werden kann.

5 Weiterbildungsteilnahme

Seit Ende der 1970er-Jahre wird die Teilnahme an Weiterbildung in Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung kontinuierlich beobachtet, zuerst mit dem Berichtsystem Weiterbildung, das im Jahr 2007 vom europäischen Adult-Education Survey (AES) abgelöst worden ist.

Auch wenn die Bedeutung des Lebenslangen Lernens politisch proklamiert wird, haben laut der Erhebung des Adult-Education Survey (AES) im Jahr 2020 lediglich 60 % der deutschen Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren an Weiterbildung teilgenommen. Hiervon besuchten 48 % betriebliche, 16 % individuell-berufsbezogene und 18 % nicht berufsbezogene, allgemeine Weiterbildungsveranstaltungen (BMBF 2021, S. 25). Themen der besuchten Weiterbildungen waren am häufigsten im Bereich Wirtschaft, Arbeit, Recht (37 %) verortet, gefolgt von Angeboten zu Natur, Technik und Computer (21 %) und Gesundheit und Sport (17 %). Die Weiterbildungsteilnahme wird u.a. durch den Erwerbsstatus, die berufliche Positionen, die Betriebsgröße, die Höhe der Schul- und Berufsabschlüsse sowie das Alter bedingt. So weisen z.B. Vollzeiterwerbstätige (68 %), unbefristet Beschäftigte (69 %), Beamte (83 %), Führungskräfte (81 %), Mitarbeitende in Großbetrieben (75 %), Personen mit hohem Schulabschluss (71 %) sowie Personen zwischen 25 und 34 Jahren überdurchschnittlich hohe Beteiligungsquoten an Weiterbildung auf (BMBF 2021). Andere Studien zeigen, dass auch familiäre Kontextbedingungen, das regionale Weiterbildungsangebot oder schlicht die Wohnortnähe zu einer Weiterbildungseinrichtung die Weiterbildungsbeteiligung regulieren können (Wittpoth 2018, S. 1157–1164).

Insbesondere mithilfe makrodidaktischer Differenzierungen nach Zielgruppen, Milieus oder Angeboten der Weiterbildungsberatung wird versucht, Beteiligungsquoten im Allgemeinen und die an Weiterbildung unterrepräsentiert teilnehmenden Gruppen im Besonderen zu erhöhen (Stanik 2015, S. 13).

6 Quellenangaben

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2021. Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2020. Ergebnisse des Adult Education Survey. AES-Trendbericht. Berlin: BMBF

Bojanowski, Arnulf, Ottmar Döring, Peter Faulstich und Ulrich Teichler, 1991. Strukturentwicklung in Hessen: Tendenzen zu einer „mittleren“ Systematisierung der Weiterbildung. In: Mitteilung aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. (24)2, S. 291–303. ISSN 0340-3254

Deutscher Bildungsrat. Empfehlungen der Bildungskommission, 1970. Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart: Ernst Klett

Faulstich, Peter und Christine Zeuner, 2008. Erwachsenenbildung: Eine handlungsorientierte Einführung in Theorie, Didaktik und Adressaten. 3. Auflage. Weinheim: Juventa. ISBN 978-3-7799-4042-5

Faulstich, Peter und Christine Zeuner, 2010. Erwachsenenbildung. Weinheim: Beltz. ISBN 978-3-407-34209-6 [Rezension bei socialnet]

Grotlüschen, Anke und Erik Haberzeth, 2018. Weiterbildungsrecht. In Rudolf Tippelt und Aiga von Hippel, Hrsg. Handbuch Erwachsenenbildung/​Weiterbildung. 6. Auflage. Wiesbaden: Springer VS, S. 543–563. ISBN 978-3-531-19978-8

Lencer, Stefanie und Anne Strauch, 2016. Das GRETA-Kompetenzmodell für Lehrende in der Erwachsenen und Weiterbildung. Bonn: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. Verfügbar unter: https://www.die-bonn.de/doks/2016-erwachsenenbildung-02.pdf

Nolda, Sigrid, 2015. Einführung in die Theorie der Erwachsenenbildung. 3. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. ISBN 978-3-534-26693-7 [Rezension bei socialnet]

Olbrich, Josef, 2001. Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich. ISBN 3-89331-433-4

Schrader, Josef und Andreas Martin, 2021. Weiterbildungsanbieter in Deutschland: Befunde aus dem DIE-Weiterbildungskataster. In: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 44, S. 333–360. ISSN 2364-0014

Seitter, Wolfgang, 2007. Geschichte der Erwachsenenbildung. 3 Auflage. Bielefeld: W. Bertelsmann. ISBN 978-3-7639-1946-8 [Rezension bei socialnet]

Stanik, Tim, 2015. Beratung in der Weiterbildung als institutionelle Interaktion. Frankfurt am Main: Peter Lang. ISBN 978-3-631-67044-6

Tietgens, Hans, 1980. Teilnehmerorientierung als Antizipation. In: Gerhard Breloer, Heinrich Dauber und Hans Tietgens, Hrsg. Teilnehmerorientierung und Selbststeuerung in der Erwachsenenbildung. Braunschweig: Westermann, S. 177–235. ISBN 978-3-14-167204-6

Weinberg, Johannes, 2000. Einführung in das Studium der Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag. ISBN 978-3-7815-1072-2

Wittpoth, Jürgen, 2018. Beteiligungsregulation in der Weiterbildung. In Rudolf. Tippelt & Aiga von Hippel, Hrsg. Handbuch Erwachsenenbildung/​Weiterbildung. 6. Auflage. Wiesbaden: Springer VS, S. 1149–1172. ISBN 978-3-531-19978-8

7 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Tim Stanik
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Professur für Erziehungswissenschaften mit den Schwerpunkten Erwachsenenbildung und Pädagogische Professionalität
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