Weiterbildungsberatung
Prof. Dr. Tim Stanik
veröffentlicht am 18.10.2022
Weiterbildungsberatung ist eine spezifische Form der Bildungsberatung, in der Anliegen von Personen oder Organisationen im Hinblick auf Weiterbildungen und den damit verbundenen (beruflichen) Zielsetzungen, Lern- und Kompetenzentwicklungsprozessen, die Weiterbildungsanbieter und -maßnahmen sowie deren Finanzierungen zu Gegenständen der Beratung werden.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Fallbezüge und Formate der Weiterbildungsberatung
- 3 Anbieter der Weiterbildungsberatung
- 4 Gesprächstypen der Weiterbildungsberatung
- 5 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Mit Beratungsangeboten in der Weiterbildung werden seit der Bildungsreform der 1970er-Jahre bildungspolitische Zielsetzungen verbunden. So sollten die Beratungen zunächst mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem ermöglichen (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 81). Aktuell werden sie im Sinne eines lebensbegleitenden Beratungsangebots als zentrales Instrument zur Umsetzung des Konzepts des Lebenslangen Lernens entworfen, mit dem beispielsweise Zielgruppen erreicht werden sollen, die unterrepräsentiert an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Weiterbildungsberatung soll zudem Menschen dabei unterstützen, sich in den heterogenen, unübersichtlichen Strukturen der Weiterbildungen zu orientieren (Stanik 2015, S. 13). Diesen Zielsetzungen steht ein Beratungsangebot gegenüber, das sich selbst in unterschiedliche Formate differenziert, die von unterschiedlichen Beratungseinrichtungen angeboten werden. Aufgrund der Komplexität der Beratungsanliegen lassen sich zudem Typen von Weiterbildungsberatungen differenzieren, die unterschiedliche Merkmale und Anforderungen für die Fachkräfte aufweisen.
2 Fallbezüge und Formate der Weiterbildungsberatung
In der Weiterbildung kann zwischen personenbezogenen Beratungen mit individuellen Fallbezügen und organisationsbezogenen Beratungen mit kollektiven Fallbezügen unterschieden werden (Schiersmann und Remmele 2004, S. 9; Nittel 2009, S. 7).
Personenbezogene Beratungen mit individuellen Fallbezügen umfassen insbesondere Kompetenzentwicklungs-, Kurswahl- und Lernberatungen. Kompetenzentwicklungsberatungen sind Beratungen im Vorfeld der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, in denen es hauptsächlich um eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe im Hinblick auf geeignete Weiterbildungsangebote geht (Schiersmann und Remmele 2004, S. 10). Vor der Aufnahme der Weiterbildungsmaßnahme werden hier die Adressat:innen über das regionale Weiterbildungsangebot beraten, und es werden die mit Besuch der Weiterbildungsmaßnahme verbundenen Ziele geklärt. Weitere Fragen können Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten, z.B. über öffentliche Programme, betreffen. Ein spezifisches Format sind Kurswahlberatungen. Hier werden insbesondere im Fremdsprachenbereich Einstufungen von Vorkenntnissen vorgenommen oder bei abschlussbezogenen Kursen (Schulabschlüsse, Umschulungen etc.) werden Zugangsvoraussetzungen sowie die Ausbildungs- und Studienziele geklärt, damit Ratsuchende wissen, was mit dem zu erwerbenden Abschlusszertifikat auf dem Bildungs- oder Arbeitsmarkt erreicht werden kann (Tippelt 1997, S. 14). Lernberatungen adressieren hingegen Personen, die bereits an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen und unterstützen bei Lernschwierigkeiten oder reflektieren die Lernprozesse, um die Entwicklung der Lernkompetenz zu fördern.
Organisationsbezogene Beratungen mit kollektiven Fallbezügen sind Beratungen, die sich an Unternehmen, Behörden im Hinblick auf Qualifizierungsfragen ihrer Beschäftigten (Qualifizierungsberatung) oder an Weiterbildungseinrichtungen im Hinblick auf Organisationsentwicklung (Organisationsberatungen) richten (Schiersmann und Remmele 2004, S. 12 f.). Während das Ziel von Qualifizierungsberatungen die Sicherung der Qualifikationsniveaus der Mitarbeiter:innen ist, werden Organisationsberatungen von Weiterbildungseinrichtungen im Kontext von Organisations- und Qualitätsentwicklungsprozessen nachgefragt.
3 Anbieter der Weiterbildungsberatung
Genauso heterogen wie die Beratungsformate ist die institutionelle Struktur von Weiterbildungsberatungen in Deutschland. So bieten kommunale Weiterbildungsberatungsstellen, regionale Beratungsnetzwerke, die Kammern, die Gewerkschaften, die Agenturen für Arbeit, Personal(entwicklungs)abteilungen von Großunternehmen sowie Weiterbildungseinrichtungen Beratungen im Hinblick auf Weiterbildungsfragen an (Schiersmann und Remmele 2004, S. 15). Bei diesem Anbietergefüge kann grundlegend zwischen sogenannten trägergebundenen und -übergreifenden Beratungen differenziert werden (Stanik 2015, S. 31–34).
Die trägergebundenen Beratungen werden von Weiterbildungseinrichtungen angeboten, da diese in der Regel ausschließlich im Hinblick auf ihr eigenes Weiterbildungsangebot beraten. Diese Beratungen fungieren als „Scharnierstelle“ (Gieseke 1997, S. 92) zwischen den Angeboten einer Weiterbildungseinrichtung und der Nachfrage der Ratsuchenden. Trägergebundene Beratungen sind somit Teil der Distributionspolitik, ergänzen die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit und führen im besten Fall zu einer aktiven Bedarfserweckung bei den Adressat:innen (Arnold und Wiegerling 1983, S. 62). Zudem können diese Beratungen einen didaktischen Nutzen haben, wenn es durch sie z.B. gelingt, Teilnehmende mit ähnlichen Vorkenntnissen, Erwartungen, Interessen und/oder Lerngewohnheiten für die Weiterbildungsveranstaltungen zu gewinnen.
Während mit trägergebundenen Weiterbildungsberatungen insbesondere institutionelle Interessen verfolgt werden (Stanik 2015, S. 32), stehen bei trägerübergreifenden Weiterbildungsberatungen die oben skizzierten gesellschaftspolitischen Ziele im Mittelpunkt, da sie neutrale Informationen, Orientierungs- und Entscheidungshilfen in Weiterbildungsfragen geben. Als Prototyp trägerübergreifender Beratungen gelten kommunale Weiterbildungsberatungsstellen (Schiersmann und Remmele 2004, S. 43) und länderspezifische Beratungsnetzwerke (z.B. das Landesnetzwerk Weiterbildungsberatung Baden-Württemberg). Auf Ebene des Bundes sind die Agenturen für Arbeit oder das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „Infotelefon Weiterbildung“ zu nennen.
In der Nationalen Weiterbildungsstrategie sind lebensbegleitende Weiterbildungsberatungen ein zentrales Handlungsfeld, mit der Zielsetzung, die unterschiedlichen Beratungsanbieter und -angebote in Deutschland besser miteinander zu vernetzen (BMAS und BMBF 2019, S. 10).
4 Gesprächstypen der Weiterbildungsberatung
Auf Basis von gesprächsanalytischen Untersuchungen konnten bislang vier Typen von Weiterbildungsberatungen unterschieden werden: informative, regulative, situative und biografieorientierte Weiterbildungsberatungen.
Bei informativen Weiterbildungsberatungen wissen die Ratsuchenden bereits vor den Gesprächen, welche Weiterbildungsmaßnahmen, sie mit welchen Zielen besuchen möchten und benötigen daher lediglich Informationen über Anbieter, Zeiten, Inhalte und Kosten der Weiterbildungsmaßnahmen, um die Weiterbildungsentscheidung treffen zu können (Gieseke und Opelt 2004, S. 34).
Im Kontext der öffentlichen Nachfrageförderung von Weiterbildung mit Hilfe von Bildungsschecks, Bildungsgutscheinen müssen häufig auch Beratungen in Anspruch genommen werden. Diese Beratungen lassen sich insofern als regulative Beratungen charakterisieren, als hier geprüft wird, inwiefern formale Fördervoraussetzungen erfüllt werden (z.B. Einkommenshöhe) oder inwiefern Weiterbildungsangebote über die jeweiligen Programme förderfähig sind (Käpplinger und Stanik 2014).
In situativen Weiterbildungsberatungen sind problematische Lebenssituationen (z.B. Arbeitsplatzverlust, Pflege von Angehörigen) Ausgangspunkte für häufig noch unspezifische Weiterbildungswünsche. Diese Beratungen unterstützen dann den Selbstklärungsprozess des noch unklaren Weiterbildungsinteresses, damit Weiterbildungsmaßnahmen dazu beitragen können, die problematische Situation zu verbessern oder zu lösen.
Charakteristisch für den letzten Typ, die biografieorientierten Weiterbildungsberatungen, ist, dass widersprüchliche Situationsbeschreibungen der Ratsuchenden noch nicht ausreichen, um Weiterbildungsinteressen zu spezifizieren und darauf bezogene Weiterbildungsmaßnahmen zu ermitteln. Auch ist noch offen, ob ein Besuch einer Weiterbildungsveranstaltung überhaupt einen Beitrag zur Problemlösung leisten kann. In diesen Beratungen werden biografisch verschüttete Weiterbildungs- oder Berufsinteressen identifiziert, damit die Ratsuchenden sich neue oder variierte Lebenslaufentwürfe erschließen können (Gieseke und Opelt 2004, S. 34).
5 Quellenangaben
Arnold, Rolf, Hans-Jürgen Wiegerling und Hans-Jürgen, 1983. Programmplanung in der Weiterbildung: Bedarfsorientierung – Ausgewählte Planungsstrategien – Institutionelle Einflüsse. Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg. ISBN 978-3-425-07938-7
BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales und BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2019. Wissen Teilen. Zukunft gestalten. Zusammen Wachsen. Nationale Weiterbildungsstrategie [online]. Bonn, Berlin: BMAS und BMBF [Zugriff am: 16.09.2022]. Verfügbar unter: file:///C:/Users/stefa/Downloads/nws_strategiepapier_barrierefrei_de.pdf
Gieseke, Wiltrud, 1997. Weiterbildungsberatung als Scharnierstelle zwischen Angebot und Teilnahmeentscheidung. In: Ekkehard Nuissl, Christiane Schiersmann und Horst Siebert, Hrsg. Pluralisierung des Lehrens und Lernens. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 92–103. ISBN 978-3-7815-0901-6
Gieseke, Wiltrud und Karin Opelt, 2004. Weiterbildungsberatung. 2. Studienbrief. Kaiserslautern: Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung
Käpplinger, Bernd und Tim Stanik, Tim, 2014. Gutscheinberatung als regulative Beratungsarbeit in der Weiterbildung: Verpasste Chancen für Beratung? In: Anne Schlüter, Hrsg. Beratungsfälle – Fallanalysen für die Lern- und Bildungsberatung. Opladen: Barbara Budrich, S. 144–160. ISBN 978-3-8474-0185-8
Nittel, Dieter, 2009. Beratung – eine (erwachsen-)pädagogische Handlungsform. Eine definitorische Verständigung und Abgrenzung. In: Hessische Blätter für Volksbildung. 59(1), S. 5–18. ISSN 0018-103X
Schiersmann, Christiane und Heide Remmele, 2004. Beratungsfelder in der Weiterbildung: Eine empirische Bestandsaufnahme. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. ISBN 978-3-89676-780-6
Stanik, Tim, 2015. Beratung in der Weiterbildung als institutionelle Interaktion. Frankfurt am Main: Peter Lang Edition. ISBN 978-3-631-67044-6
Tippelt, Rudolf, 1997. Beratung in der Weiterbildung: Grundlagen und Perspektiven. In: Thomas Eckert, Christiane Schiersmann und Rudolf Tippelt, Hrsg. Beratung und Informationen in der Weiterbildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, S. 1–69. ISBN 978-3-8711-6768-3
Verfasst von
Prof. Dr. Tim Stanik
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Professur für Erziehungswissenschaften mit den Schwerpunkten Erwachsenenbildung und Pädagogische Professionalität
Website
Mailformular
Es gibt 3 Lexikonartikel von Tim Stanik.
Zitiervorschlag
Stanik, Tim,
2022.
Weiterbildungsberatung [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 18.10.2022 [Zugriff am: 03.10.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/29404
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Weiterbildungsberatung
Urheberrecht
Dieser Lexikonartikel ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion des Lexikons für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.