Wert
Prof. Dr. Ulrich Papenkort
veröffentlicht am 03.08.2022
Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive gilt ein Wert als Vorstellung, dass etwas oder jemand als wichtig und/oder gut (wert-)geschätzt werden sollte bzw. (Wert-)Schätzung verdient.
Überblick
- 1 Zusammenfassung
- 2 Einleitung
- 3 Wortverwendung
- 4 Wortfamilie
- 5 Akt des Wertens
- 6 Elemente des Wertens
- 7 Wert als Inhalt des Wertens: wert(-voll)
- 8 Wert als Inhalt des Wertens: wichtig und/oder gut
- 9 Wert als Inhalt des Wertens: relativ oder absolut
- 10 Wert als Gegenstand des Wertens
- 11 Wert als Maßstab des Wertens
- 12 Wert als Ergebnis des Wertens und Wertvorstellung
- 13 Werte
- 14 Werthaltung
- 15 Arten von Werten
- 16 Wert der Werte
- 17 Werte und Normen
- 18 Werte und Kultur(en)
- 19 Quellenangaben
1 Zusammenfassung
Das Wort „Wert“ wird in vier eng miteinander zusammenhängenden Bedeutungen verwendet. Als Wert gilt
- der Wert eines Gegenstands (Objektwert),
- ein Gegenstand mit Wert (Wertobjekt),
- ein Maßstab der Wertung (Wertkriterium) und
- das Ergebnis einer Wertung (Wertvorstellung).
Der Objektwert steht sprachlich immer im Singular, während bei den anderen Wertbegriffen (Wertobjekt, Wertkriterium, Wertvorstellung) auch und meist im Plural von „Werten“ gesprochen wird. In der Wertvorstellung vereinen sich die drei anderen Bedeutungen (Objektwert, Wertobjekt, Wertmaßstab) als Teile zu einem Ganzen. Deshalb wird insbesondere sie meist als Wert verstanden und zum maßgeblichen Wertbegriff erklärt. Dabei kann man den Objektwert, nämlich die Wichtigkeit (Relevanz) und/oder Güte (Qualität) des Wertobjekts, als ihr Zentrum identifizieren. Ein Wert gilt so als eine Vorstellung der Relevanz und/oder Qualität von etwas oder jemandem für jemanden, der diese Relevanz und/oder Qualität schätzen könnte und sollte. Wertvorstellungen gelten zusammen mit Normen und auch Wissensbeständen als mentale Elemente von Kultur(en).
2 Einleitung
Im Folgenden steht die begriffliche Frage im Fokus, was Werte sind. Alle anderen Fragen, welche Werte es, auch wann und wo, gibt und gab, warum und wozu sie existieren, wie sie entstehen und sich wandeln, wie sie wirken und vermittelt werden, alles in individueller und kollektiver Hinsicht, bleiben ausgespart. Es wird nur der Versuch unternommen, den Wertbegriff zu bestimmen.
„Metrische“ (Kutschera 2010, S. 13) und damit bezifferbare Werte (Mess-, Zahlenwerte), die in der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen (Geld-, Kurs-, Tausch-, Vermögenswert), aber ebenso in der Mathematik, den Naturwissenschaften und der Medizin, sind im Folgenden kein Thema. Es geht nicht um quantitative, sondern nur um qualitative Wertbegriffe, seien es einstellig „klassifikatorische“ oder zweistellig „komparative“ (Kutschera 2010, S. 12).
3 Wortverwendung
Die Rede von „Werten“ wird im Alltag, der medialen Öffentlichkeit und der Wissenschaft geführt. Im Alltag scheint sie ubiquitär zu sein. In der medialen Öffentlichkeit steht das Thema durchgehend auf der Tagesordnung. Während die sogenannten Werte in der alltäglichen Lebenswelt oft moralisch und in der Öffentlichkeit meist politisch geprägt sind und hier wie dort „eine Orientierungs- bzw. Steuerungsfunktion, eine Entlastungsfunktion sowie eine Legitimationsfunktion“ (Folke 2002, S. 137) übernehmen, repräsentieren sie in der und für die Wissenschaft in der Regel Themen und nicht Positionen.
Durch den Philosophen und Mediziner Rudolf Hermann Lotze (1817–1881) wurde der Wertbegriff ab den 1840er-Jahren aus der Nationalökonomie bzw. Volkswirtschaftslehre, wo er zuerst wissenschaftlich verwendet worden ist, in die Philosophie übertragen, durch Friedrich Nietzsche (1844–1900) aber erst wirkmächtig. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vertieften ihn der philosophische Psychologe Franz Brentano (1838–1917) und seine Schüler, die Neukantianer Wilhelm Windelband (1848–1915) und Heinrich Rickert (1863–1936) sowie die Phänomenologen Max Scheler (1874–1928) und Nicolai Hartmann (1882–1950) (Schnädelbach 1983, S. 198–231). Schon im Nachklang systematisierten ihn 1926 Johannes Erich Heyde und 1937 Johannes Hessen und Victor Kraft. Hans Joas datiert diesen Zeitraum, in dem es (nicht nur) in der Philosophie einen „ungeheuer intensiven Diskurs“ zur Frage der Werte gegeben hat, auf die Jahre zwischen 1887 und 1934 (Joas 2006, S. 5).
In den Humanwissenschaften, insbesondere der Ethnologie, Psychologie und Soziologie, wurde das Thema der Werte im Anschluss an die Philosophie breitenwirksam, verlor sich aber in den 1960er-Jahren als metatheoretischer Diskurs vorerst auch in diesen Wissenschaften. Erst durch Hans Joas (1997) wurden die Werte in den Humanwissenschaften wieder zu einem theoretischen Gegenstand. Der jüngste Versuch eines philosophischen und sozialwissenschaftlichen Überblicks stammt von dem Wirtschaftswissenschaftler Hermann Krobath (2009; 2018).
Eine allgegenwärtige Wortverwendung wie beim Substantiv „Wert“ ist meist nur möglich, wenn das entsprechende Wort wie ein Containerwort funktioniert: als ein Wort ohne klare Bedeutung, aber mit der Funktion, dass alle Gesprächsteilnehmer:innen ihr eigene Bedeutung in den semantischen Container abgelegen können. Trotzdem scheint es möglich zu sein, dem Wort „Wert“ im Sinne einer Begriffsexplikation eine relativ klare Bedeutung, genauer ein konturiertes Bedeutungsfeld, abzugewinnen.
4 Wortfamilie
Das Stichwort „Wert“ ist ein Substantiv, das hier, wie lexikalisch üblich, im Nominativ Singular aufgeführt wird. Der Plural „Werte“, der in der öffentlichen Diskussion und im fachlichen Diskurs die zentrale Rolle spielt, ist den Gepflogenheiten entsprechend mitgemeint. Auch wenn der Wertbegriff durch das Substantiv geprägt wird, darf und soll weder das Adjektiv „wert“ noch das Verb „werten“ außer Acht gelassen werden, auch wenn diese beiden weiteren Wortarten ohne Zusatz sehr viel seltener gebraucht werden. Die drei Wortarten stehen in einer grammatischen und historischen, auf das Althochdeutsche zurückgehenden Ableitungskette, in der das Adjektiv den Anfang und das Verb das Ende markiert. „Wert“ ist die Substantivierung des Adjektivs „wert“ und „werten“ die Verbalisierung des Substantivs „Wert“.
Das Adjektiv „wert“ wurde – wohl in der Neuzeit – durch „wertig“ ergänzt, das seinerseits durch das Substantiv „Wertigkeit“. Zu erwähnen sind hier die Komposita „gleich-, minder-, zwei-, vollwertig“. Das Substantiv „Wert“ wurde im Laufe der Zeit durch zahlreiche Zusammensetzungen angereichert. Bei den substantivischen Komposita ist „Wert“ in den meisten Fällen das Bestimmungswort (von „Wertarbeit“ bis „Wertewandel“) und nur selten (z.B. „Grundwert“) das Grundwort, während es bei den nicht so häufigen adjektivischen Komposita, wenn auch weniger ausgeprägt, umgekehrt ist („bedauernswert“ bis „wünschenswert“, „wertbeständig“ bis „wertvoll“). Wo das Adjektiv „wert“ das Grundwort ausmacht, ist das Bestimmungswort meist ein Verb („bedauern“ bis „wünschen“) und „würdig“ ein Synonym für „wert“ („denkwürdig“ bis „vertrauenswürdig“). In manchen Fällen sind beide Grundwörter zugleich in Gebrauch („liebenswert/-würdig, sehenswert/-würdig“). Zu erwähnen sind noch die beiden Verbkomposita „wertachten“ und „wertschätzen“, womit abschließend auf das Verb „werten“ und dessen Erweiterungen „ab-, auf-, ent-, umwerten“ und vor allem „bewerten“ und „verwerten“ hingewiesen werden kann.
Im Englischen gibt es für „Wert“ zwei Entsprechungen: „worth“ und „value“. Die erste ist ein ursprünglich germanisches Wort und mit dem deutschen „Wert“ verwandt. Die zweite ist wie das französische „valeur“, das italienische „valore“ und das spanische „valor“ in den romanischen Sprachen und auch das Fremdwort „Evaluation“ lateinischen Ursprungs („valere“ = „stark sein“, im übertragenen Sinne „Geltung haben“). „Worth“ ist auch ein Adjektiv, „value“ ebenfalls und drittens noch ein Verb.
Eine Einführung in den Wertbegriff kann grundsätzlich über jede der drei Wortarten erfolgen, wird aber in der Regel mit dem Substantiv verbunden. Denn das gilt im Deutschen, insbesondere in Fachsprachen, als „Hauptwort“. In diesem Beitrag wird der Wertbegriff aber vom Ende her aufgerollt und mit dem Verb „werten“ und dem Akt des Wertens begonnen. Dieser Einstieg bietet einerseits ein breiteres semantisches Feld und beugt andererseits einer häufig mit Substantiven einhergehenden vorschnellen „grammatischen Verdinglichung“ (Schnädelbach 2001, S. 157) vor.
5 Akt des Wertens
Der Akt des Wertens wird nicht nur mit dem Verb „werten“, sondern auch mit den Verbalsubstantiva „Werten“ und vor allem „Wertung“ bezeichnet. Zusammengesetzt ist auch vom „Wertachten“ oder „Wertschätzen“ die Rede. Das Werten kann sowohl als mentaler als auch als sprachlicher Akt verstanden werden, wobei der erste den zweiten notwendig, aber nicht hinreichend bedingt.
Das Werten hat eine „mehr passive“ und eine „mehr aktive Seite“ (Hessen 1948, S. 24). Diese Unterscheidung wird für gewöhnlich kaum beachtet. Das hat zur Konsequenz, dass oft nur eine der beiden Seiten im Fokus steht, gegenwärtig wohl meist die aktive. Da beide Seiten mit einer – wenn auch jeweils anders gearteten – Aktivität verbunden sind, wird in diesem Beitrag die Unterscheidung von einer „rezeptiven“ bzw. „reaktiven“ und einer „aktiven“ bzw. „proaktiven“, psychologisch von einer „emotionalen“ und einer „kognitiven“ Seite bevorzugt. Trotzdem spricht Joas explizit von einem „passivischen Element“ des Wertens, das mit der „Erfahrung des Ergriffenseins“ verbunden ist (2006, S. 2). Das aktive Werten ist im Unterschied zur „einfachen Stellungnahme“ des rezeptiven Wertens eine „reflektierte Stellungnahme“ (Kraft 1951, S. 38–48).
Das aktive Werten lässt sich mit der transitiven Vorsilbe „be-“ als „bewerten“ bzw. „Bewertung“ bezeichnen, fremdsprachlich als „Evaluation“. Bedeutungsähnliche Wörter sind „beurteilen/​Beurteilung“ und, schon mehr fachsprachlich, „begutachten/​Begutachtung“. Das Wort „Beurteilung“ bedeutet im Vergleich zu „Bewertung“ schon mehr und allgemeiner eine Stellung bzw. Position zu beziehen, einen Standpunkt einzunehmen, eine Meinung zu äußern. Und das Wort „Begutachtung“ verweist eher auf ein deskriptives Sachurteil.
Für das rezeptive Werten gibt es keine allgemeinsprachliche Bezeichnung. Den Sachverhalt würde ein Verb „erwerten“ treffen, das man parallel zu den Ausdrücken „erleben“ und „erfahren“ konstruieren könnte. Dieses grammatisch mögliche Verb gehört aber nicht zum deutschen Wortschatz. So bleiben nur Umschreibungen übrig. Franz von Kutschera spricht von „Werterfahrungen“ im Unterschied zu „Werturteilen“ (1982, S. 229) und Schnädelbach vom „intuitivem Wertfühlen“ anstelle von „intellektuellem Werterkennen“ (1983, S. 205).
Beide Seitens des Wertens, die rezeptive und die aktive, können nacheinander, aber auch getrennt voneinander auftreten. Auf der einen Seite sind implizit-unreflektierte und explizit-reflektierte Wertungen oft miteinander verbunden. Auf der anderen Seite ist eine Werterfahrung auch ohne Werturteil und ein Werturteil auch ohne Werterfahrung möglich. In einer schwächeren Variante der Trennung steht eine der beiden Seiten explizit im Vordergrund, während die jeweils andere implizit im Hintergrund verbleibt. Dann handelt es sich um zwei unterschiedliche Akzentuierungen eines Aktes.
Zum Verständnis des Wertens ist es einfacher, von der aktiven Seite auszugehen: vom Bewerten bzw. vom Werturteil. Im Unterschied zu neutralen bzw. unparteilichen Beurteilungen, die für (deskriptive) Sachurteile und in gewisser Weise auch für (normative) „Verpflichtungsurteile“ (Frankena 1994, S. 28) kennzeichnend sind, setzen wertende Beurteilungen, also (evaluative) Werturteile (Schnädelbach 2001, S. 165), eine innere Beteiligung, ein psychisches Involviertsein und damit eine Parteilichkeit der wertenden Subjekte voraus: ein (Wert-)Achten bzw. (Wert-)Schätzen.
Die innere Beteiligung kann in zwei Richtungen gehen: einer der Zuwendung bzw. „Annäherung“ (Kurt Lewin) bis hin zur Pro-Einstellung der Zustimmung und Zuneigung (Affirmation) oder einer der Abwendung bzw. „Meidung“ (Kurt Lewin) bis hin zur Contra-Einstellung der Ablehnung und Abneigung (Negation).
6 Elemente des Wertens
Der Zustand, dass etwas „wertvoll, wertig, von Wert ist, einen Wert hat“ (auch „würdig ist“), ist das prädikative Kernelement eines Werturteils. Es besteht sprachlich aus dem Verb „sein“ oder „haben“ und dem Adjektiv „wert“ oder dem Substantiv „Wert“. Das bestimmende und damit zentrale Element dieses Zustands wiederum ist der durch den Wertbegriff markierte Inhalt des Werturteils. Das Werturteil als Akt des Wertens, ob nur mental oder auch sprachlich, hat neben dem Inhalt als zentralem und unverzichtbarem Bestandteil noch zwei weitere Elemente: den Gegenstand und den Maßstab des Wertens. Die bleiben aber in gewissem Sinne peripher. Denn der Gegenstand des Werturteils bleibt für die allgemeine Wertaussage „X hat einen Wert“ austauschbar. Und der Maßstab, an dem gemessen er wertvoll ist, muss nicht benannt und nicht einmal bewusst bedacht werden.
Der Soziologe Rüdiger Lautmann hat die drei Bestandteile in seiner grundlegenden Begriffsanalyse von 1969 „Elemente des Wertbegriffs“ genannt (Lautmann 1969, S. 26). Für den Autor dieses Beitrags scheinen sie aber eher Elemente des Wertens zu sein. Zu unterscheiden wäre erstens das „Formelement“ (S. 30), das mit den Wörtern „Standard, Kriterium“, „Vorstellung, Auffassung“ und „Eigenschaft“ bezeichnet wird, zweitens das „Sachverhaltselement“ (S. 32) und drittens das „normative Element“ (S. 35) mit zahlreichen, sehr unterschiedlichen Stichwörtern. Das Formelement entspricht dem Maßstab des Wertens, das Sachverhaltselement dem Gegenstand und das normative Element dem Inhalt. Auf den Wert einer Vase bezogen hat Johannes Heyde (1926, S. 23) drei Sätze formuliert, die diese Elemente deutlich exemplifizieren: dass „die (schöne) Vase [einen] Wert hat“ das normative Element, „die (schöne) Vase [ein] Wert ist“ das Sachverhaltselement und „die Schönheit (der Vase) [ein] Wert ist“ das Formelement. Während der erste Satz ein Wert-Haben beinhaltet, drücken die beiden anderen Sätze ein Wert-Sein aus.
Alle drei Elemente des Wertens werden außerhalb, aber auch innerhalb der Wissenschaft „Wert“ genannt, nicht nur der Inhalt. Diese Mehrdeutigkeit des Substantivs „Wert“ führt zu ständigen Missverständnissen. Der grammatische Sprachgebrauch ist dagegen eindeutig. Mit dem Plural „Werte“ können nur die Gegenstände und Maßstäbe bezeichnet werden. Hier wird der Plural auch häufiger als der Singular verwendet. Der als „Wert“ benannte Inhalt steht jedoch stets im Singular.
Neben den drei Elementen des Wertens, dem Maßstab (Kriterium), Gegenstand (Objekt) und Inhalt (Intension) muss noch der jeweilige Urheber (Subjekt) des Wertens einbezogen werden, der aus einer Beobachter- bzw. Drittpersonperspektive ein viertes Element des Wertens ausmacht: Etwas, ein Gegenstand, ist für jemanden, den Urheber des Wertens, in einer bestimmten Hinsicht, also nach einem Maßstab, wertvoll. In der Teilnehmer- bzw. Erstpersonperspektive entfällt dieses vierte Element.
7 Wert als Inhalt des Wertens: wert(-voll)
Die zentrale Bedeutung von „Wert“ bezieht sich auf den Inhalt des Wertens als Kernelement eines Werturteils. Für ihn ist es sinnvoll, sprachlich am ältesten Wort anzusetzen, von dem das Substantiv „Wert“ auch abgeleitet ist: dem Adjektiv „wert“. Dieses Adjektiv wurde ursprünglich und wird heute wieder, wenn überhaupt, nur prädikativ gebraucht, d.h. zusammen mit dem Hilfsverb „sein“ für einen Zustand. Die attributive Verwendung „werter“, die sich meist auf Menschen bezieht, ist schon veraltet. Aber selbst in der prädikativen Form wird das Adjektiv „wert“ heute kaum noch verwendet: nur noch als „etwas/es wert sein“. Der Inhalt des Wertens kann aber durch die abgeleiteten Adjektive „wertvoll“, „wertig“ oder „werthaltig“ ausgedrückt werden, zusammen mit dem Substantiv „Wert“, fremdsprachlich auch „Valenz“ genannt, als „von Wert sein“ und „Wert haben“. Der Inhalt des Wertens wäre im Rückgriff auf das prädikativ verwendete Adjektiv substantivisch ausgedrückt „das ‚wert-sein‘ eines materiellen oder immateriellen (wert-)objekts für einen einzelnen (ein wertendes subjekt) oder eine gemeinschaft“. Das war schon im Althochdeutschen eine der beiden Gebrauchsweisen des Substantivs „Wert“ (Grimm und Grimm 1984, Sp. 460).
Dieses Wertvollsein ist auf den ersten Blick eine Eigenschaft. „Wer bewertet, schreibt einer Sache, einer Gegebenheit einen bestimmten Wert, also eine Eigenschaft zu“ (Sommer 2016, S. 15). Diese ist keine beschreibend-charakterisierende (z.B. rot, vernünftig) oder zuordnend-klassifizierende Eigenschaft (z.B. englisch), sondern eine zuschreibend-qualifizierende (z.B. angenehm). Eine solche ist immer relativ zu einem Subjekt zu verstehen. Sie entsteht durch eine Stellungnahme. Der zustimmenden Stellungnahme korrespondiert eine positive, der ablehnenden eine negative Eigenschaft. Insofern fällt der Inhalt des Wertens bipolar aus: Es kann eine positive oder negative Eigenschaft gemeint sein, d.h. ein Wert oder ein Unwert. Ein Wert ist, auf ein Subjekt bezogen und damit als Zuschreibung verstanden, das „Wünschenswerte“, wie es Joas (2006, S. 3) im Rückgriff auf Kluckhohns „desirable“ (1951, S. 359) formuliert. In Anlehnung an das Kompositum „Wertschätzung“ dürfte aber das „Schätzenswerte“ der bessere Ausdruck sein, da das (motivationale) Wünschen ein (emotionales) (Wert-)Schätzen voraussetzt, aber nicht zwangsläufig dem (Wert-)Schätzen folgt.
Auf den zweiten Blick ist das Wertvollsein als mindestens zweistellige Eigenschaft (von etwas für jemanden) eine Beziehung. „Die […] Tätigkeit des Wertens bringt die Beziehungsdimension zwischen einem Menschen und einem Gegenstand […] zum Ausdruck“ (Regenbogen und Meyer 2005, S. 727). Es ist eine Beziehung der Wertschätzung: dass etwas als wertvoll erachtet bzw. geschätzt wird. Immer wieder wird dabei die Frage diskutiert, ob etwas geschätzt wird, weil es wertvoll ist (objektiv), oder ist etwas wertvoll, weil es geschätzt wird (subjektiv)? Sind Gegenstände „wertvoll an sich, unabhängig von unserer Wertschätzung, oder werden sie nicht erst durch unsere Wertschätzung wertvoll“ (Schnädelbach 2001, S. 151)? Selbst wenn hier eine zirkuläre Kausalität gegeben wäre, müsste sie an einem der beiden Enden begonnen haben. Eine mögliche Antwort ist, das Wertvollsein nicht als faktische (manifest), sondern als potenzielle (dispositionelle) Eigenschaft zu verstehen, die erst noch zu aktualisieren ist. Etwas wird dann nicht geschätzt, weil es an sich wertvoll, sondern weil es geschätzt werden könnte und als schätzenswert auch sollte. Und: Etwas ist dann nicht wertvoll, weil es von jemand de facto geschätzt wird, sondern wiederum weil es geschätzt werden könnte und sollte.
Die positiv oder negativ qualifizierende Eigenschaft bzw. Beziehung als Inhalt eines Werturteils kann sich, was zu selten unterschieden wird, auf zwei Seinsmomente eines Gegenstands beziehen: auf sein Dasein oder sein Sosein. Im ersten Fall gilt seine bloße Existenz als positiv oder negativ: Es gilt als wertvoll oder wertlos, dass er ist. Im zweiten wird einer charakterisierenden oder klassifizierenden Eigenschaft eine qualifizierende Eigenschaft zugeschrieben: Es ist wertvoll oder wertwidrig, was bzw. wie er ist. Wenn das Sosein eines Gegenstands im Fokus steht, wird ein Wert als positiv oder negativ qualifizierende Eigenschaft somit zu einer sekundären Eigenschaft, d.h. zur (zuschreibenden) Eigenschaft einer (beschreibenden oder zuordnenden) Eigenschaft.
8 Wert als Inhalt des Wertens: wichtig und/oder gut
Das Dasein von etwas gilt als (wert-)voll bzw. von Wert, wenn es bedeutsam, relevant und wichtig, als wertlos bzw. ohne Wert, wenn es bedeutungslos, irrelevant und unwichtig ist. Wert bedeutet hier Relevanz, werten „für wichtig erachten“. Mit dem Adverb „sehr“ lässt sich das Adjektiv „wert“ noch einmal und ohne Vergleich steigern, wo etwas in hohem Maße bzw. besonders wertvoll ist. Den Wert von etwas als seine Wichtigkeit zu verstehen, verweist schon darauf, dass es keinen Wert von etwas an sich gibt, sondern immer nur für jemanden. Insofern bedarf die Grundform des Werturteils noch eines zusätzlichen Subjektbezugs: „Etwas ist jemandem wert“, wird (wert-)geschätzt. Diese Formulierung ist aber nur noch zusammen mit den Adjektiven „lieb“ (oder „teuer“) üblich, die beide auch attributiv für Menschen verwendet werden („lieber“, veraltet „teurer“) und lautet: „Etwas ist jemandem lieb (teuer) und wert“ – oder auch „wert und lieb (teuer)“. Ein Synonym für „teuer“ wäre noch „kostbar“.
Für den anderen, dem Sosein eines Gegenstands entsprechenden Inhalt bieten sich die Wörter „Gutsein“ und „Güte“ an. (Wert-)voll bzw. von Wert ist dann, was gut ist. Wert bedeutet hier Qualität, werten „begutachten“. Während aber die mit der positiven Eigenschaft korrespondierende negative Eigenschaft im Falle der Wichtigkeit kontradiktorisch nur deren Fehlen ist, stellt sich die Negation im Falle der Güte darüber hinaus auch noch als konträres Gegenteil dar. Die Verneinung ist hier nicht nur das bloß Ungute, sondern auch das Schlechte. Der zweite Unterschied zwischen den beiden Momenten des Wertseins besteht darin, dass die Wichtigkeit allgemein bleibt, während gut als generelle Eigenschaft in vielfacher Hinsicht durch verschiedene Ausrichtungen des Wertens spezifizierbar ist. Gut kann etwas in einem instrumentellen, ästhetischen, moralischen oder einem anderen Sinne sein. Diese Hinsichten sind dann „varieties of goodness“ (Wright 1963) bzw. „Spezifikationen der Prädikate ‚gut‘ oder ‚schlecht‘“ (Steinfath 2001, S. 239).
Max Weber, der den Begriff des wertrationalen Handelns eingeführt hat, definiert ihn so: „Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienste seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung, Pietät, oder die Wichtigkeit einer ‚Sache‘ gleichviel welcher Art, ihm zu gebieten scheinen“ (Weber 1984, S. 45). Im gegebenen Zusammenhang ist nicht die fehlende Folgenabschätzung relevant, sondern seine Unterscheidung zwischen verschiedenen spezifischen Wertbegriffen auf der einen und der „Wichtigkeit“ auf der anderen Seite. Damit bestätigt er – nach Ansicht des Autors – die notwendige Differenzierung in Güte und Wichtigkeit, in Qualität und Relevanz. Die beiden Momente können, aber müssen nicht zugleich gegeben sein. Etwas, das wichtig bzw. relevant ist, muss nicht zugleich gut sein bzw. Qualität haben, und etwas, das gut ist, muss nicht wichtig sein.
Es könnte sich der Eindruck einstellen, dass die Wichtigkeit auf der Erfahrung des rezeptiven Wertens und die Güte auf der Erkenntnis des aktiven Wertens basiert. Tatsächlich sind Wichtigkeit (Relevanz) und Werterfahrung auf der einen und Güte (Qualität) und Werterkenntnis auf der anderen Seite durchaus aneinandergekoppelt. Das sind sie aber nur lose, da die Wichtigkeit auch erkannt und die Güte erfahren werden kann. Desgleichen könnte man annehmen, dass der Wichtigkeit eine mehr subjektive und der Güte eine mehr objektive oder wenigstens intersubjektive Wertung entspricht. Aber auch diese Verbindungen gelten nicht absolut. Man könnte auch umgekehrt der Güte konstruktivistisch Subjektivität und der Wichtigkeit phänomenologisch Objektivität unterstellen. So hat der Psychologe Philipp Lersch seinerzeit für die Wichtigkeit formuliert: „[…] indem wir von den Inhalten der Welt angemutet werden, enthüllen sie vor uns eine besondere Seite ihrer Wirklichkeit. Sie schauen uns an mit dem Antlitz der Bedeutsamkeit, der Werthaftigkeit, mit dem Antlitz eines Wertes oder Unwertes, sie haben für uns eine Valenz“ (Lersch 1962, S. 219).
9 Wert als Inhalt des Wertens: relativ oder absolut
Ob Relevanz oder Qualität, ein Wert kann mit dem Wert anderer Gegenstände verglichen werden oder unvergleichlich bleiben. Immanuel Kant nennt einen vergleichbaren Wert „relativ“, in ökonomischer Hinsicht „Preis“. Man kann auch von „Tauschwert“ sprechen. Als „innerer Wert“ oder „Würde“ gilt ihm ein nicht vergleichbarer Wert (Kant 1983, S. 78). Paul Tiedemann bezeichnet diesen als „absoluten Wert“ (2006, S. 79). Das Substantiv „Würde“ ist dabei etymologisch mit „Wert“ verwandt und in adjektivischen Komposita sind die Grundwörter „-wert“ und „-würdig“ de facto (z.B. „liebenswert/-würdig“) oder potenziell (z.B. „bedenkenswürdig“ statt „bedenkenswert“ oder „denkwert“ statt „denkwürdig“) synonym, wobei „-würdig“ semantisch einen höheren Anspruch andeutet.
Ein Preis kommt eher Gütern und Dienstleistungen zu, die damit zu Waren werden, Würde eher Lebewesen, insbesondere Menschen. Die Tatsache, dass auch Dinge aufgrund ihres nur persönlichen (Gebrauchs-)Wertes als unvergleichlich gelten können und die Würde von Menschen immer wieder missachtet wird, relativiert diese Zuordnung zugleich.
10 Wert als Gegenstand des Wertens
Zum „‚Gegenstand‘ im allerweitesten Sinn […] kann ein reales Ding, eine Person, ein realer Vorgang oder Gattungen von solchen, eine Eigenschaft, eine Beziehung, ein Sinngebilde, kurz Beliebiges“ (Kraft 1951, S. 39) werden: neben einem künstlichen auch ein natürliches Ding, neben einem toten Ding auch ein Lebewesen und zusätzlich zu einem Ding oder Lebewesen auch eine Eigenschaft oder Beziehung auf der einen, ein Zustand oder Ereignis auf der anderen Seite.
In einer metonymischen Übertragung wird oft auch der Gegenstand, der Wert hat, also der Wertträger, „Wert“ genannt. Wert ist in diesem Fall das „wert-seiende“ oder die „wert-sache“, neben dem „wert-sein“ die zweite Bedeutung des Substantivs „Wert“ schon im Althochdeutschen (Grimm und Grimm 1984, Sp. 460). Dann verschmelzen Gegenstand und Wert zu einer Einheit. Unter dem Substantiv „Wert“ kann man sowohl eine besondere Eigenschaft als auch dasjenige verstehen, dem diese Eigenschaft zukommt. Während der Wert als Eigenschaft nicht im Plural stehen kann, steht der Wert als wichtiger Gegenstand häufig im Plural. Johann Erich Heyde hat den Wert in der ersten Bedeutung „Objektwert“, den in der zweiten „Wertobjekt“ genannt. Ein Wertobjekt ist ein wertgeschätzter Gegenstand. Ein Objektwert ist die zugeschriebene Eigenschaft. Wie man den Wert als Eigenschaft mit „Wichtig-“ oder „Gutsein“ entsprechend anders benennen kann, so auch den Wert als Gegenstand, nämlich als „Gut“, im Plural als „Güter“. Denn „was wertvoll ist, hat Wert, ist aber kein Wert, sondern ein Wertträger, ein Gut. Ein Wertträger ist dasjenige, dem Wert zugeschrieben wird“ (Kraft 1951, S. 10). Allerdings müssen Wertgegenstände, wie das Substantiv „Gut“ es nahelegt, nicht immer Dinge sein. Es gibt neben materiellen auch immaterielle, d.h. geistige bzw. ideelle Güter, neben äußeren Wertgegenständen i.e.S. auch innere Werthaltungen, die man für gewöhnlich „Tugenden“ nennt.
Sowohl der Objektwert als auch das Wertobjekt sind in dem Sinne konkret, als Objekt und Wert nur analytisch, aber nicht real trennbar sind. Dem vom Objekt losgelösten bzw. abstrakten Wert gibt es nur als Maßstab des Wertens.
11 Wert als Maßstab des Wertens
Während die Wichtigkeit bzw. Relevanz eines Gegenstandes der Relation von Gegenstand und wertendem Subjekt entspringt, ergibt sich seine Güte bzw. Qualität zentral durch die Beziehung von Gegenstand und einem Wertmaßstab, wobei das Subjekt durchaus, aber mehr im Hintergrund einbezogen ist. Das „Gut“ ist der Gegenstand des Wertens, die Güte bzw. das Gutsein der Inhalt und das Gute bzw. die Gutheit der Maßstab. Dieses Gute ist in dem Sinne eine Eigenschaft zweiter Ordnung, als es im Unterschied zur Güte als Eigenschaft erster Ordnung eine von Gegenständen unabhängige Eigenschaft ist. Etwas ist gut. Das Gute aber, aufgrund dessen dieses Etwas gut ist, bleibt von ihm losgelöst und kann auch auf andere Gegenstände bezogen werden. Hessen spricht von einer „Wertidee“ im Unterschied zu einer „Wertqualität“ (1948, S. 23). Vor dem 19. Jahrhundert „waren Werte nur Akzidenzien einer Substanz; im 19. Jahrhundert sind sie selbst Substanzen geworden, wenngleich nur Substanzen als ob: Wir haben über Werte so angefangen zu reden, als ob sie Substanzen wären“ (Sommer 2016, S. 45). Diese Wertideen als Substanzen als ob werden für gewöhnlich mit Substantiven, die Wertqualitäten mit Adjektiven ausgedrückt.
Der Wertmaßstab wird oft ebenfalls schlicht als „Wert“ bezeichnet und wie der Wert als Gegenstand meist im Plural diskutiert. Denn es gibt zahlreiche Kriterien, unter denen man ebenso zahlreiche Gegenstände für wertvoll erachten kann, traditionell z.B. Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit.
12 Wert als Ergebnis des Wertens und Wertvorstellung
Die Wertungen als Akte des Wertens vergegenständlichen sich in Wertungen als Ergebnissen des Wertens. Die werden meist „Wertvorstellungen“, auch „Wertorientierungen“ genannt, oft verkürzt ebenfalls „Werte“. Ihnen entsprechen in sprachlicher Hinsicht nicht mehr einzelne Wörter, sondern ganze Sätze. Deren Inhalt ist nicht mehr nur die Eigenschaft der Wichtigkeit oder Güte, sondern diese Eigenschaft wird auf ein Subjekt, Objekt und Kriterium bezogen. Der allgemeinste Satz einer Wertung lautet: „Etwas gilt für jemanden in einer bestimmten Hinsicht als wichtig und/oder gut“, wobei das „Etwas“ der Gegenstand, der „Jemand“ der Urheber, die „Hinsicht“ der Maßstab und „wichtig“ und/oder „gut“ die Inhalte des Wertens sind. Der Maßstab kann in der Werterfahrung implizit bleiben. Wertvorstellungen sind meist kollektiv geteilte Phänomene von natürlichen und künstlichen Gruppen über Organisationen bis hin zu Gesellschaften.
Die berühmteste Definition von Werten im Sinne von Wertvorstellungen stammt von dem US-amerikanischen Ethnologen und Soziologen Clyde Kluckhohn (1905–1960). Sie berücksichtigt den Umstand, dass Wertvorstellungen explizit oder implizit, individuell oder kollektiv sein können. Ein(e) Wert(vorstellung) ist für ihn „a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable“ (1951, S. 359). Werte sind „Vorstellungen über das Wünschenswerte“ (Joas 2006, S. 3). Wie schon gesagt, ist die Rede vom „Wünschenswerten“ noch zu eng gefasst. Passender wäre es, vom „Schätzenswerten“ zu sprechen.
13 Werte
Als „Wert“ bzw. im allseits üblichen Plural können also die Gegenstände, Maßstäbe und Ergebnisse des Wertens bezeichnet werden. Die Gegenstände und Maßstäbe sind Worte und Begriffe, die Ergebnisse Sätze und Urteile. Als Gegenstände sind die Werte ein mehr ökonomisches, als Maßstäbe ein eher philosophisches und als Vorstellungen ein insbesondere sozialwissenschaftliches Thema. Auch wenn alle drei Bedeutungen eng zusammenhängen, schiebt sich im Einzelfall stets eine von ihnen in den Vordergrund. Es ist müßig, sich für eine Bedeutung zu entscheiden. Wichtiger ist es, die jeweils im Hintergrund verbleibenden anderen Bedeutungen konnotativ mitzuhören bzw. mitzulesen.
14 Werthaltung
Der Akt des Wertens umfasst, wie schon gesagt, vier Elemente. Neben dem Gegenstand, dem Inhalt und dem Maßstab des Wertens, die jeder für sich „Wert“ genannt werden, ist es der Urheber (Subjekt) des Wertens. Auf Seiten des Subjekts spielt, insofern eine einzelne Person gemeint ist, die (Wert-)Haltung eine maßgebliche Rolle.
Ein (aktueller) Akt des Wertens beruht auf einer (potenziellen) Bereitschaft, diesen Prozess in Gang zu setzen: auf einer (Wert-)Haltung. Dieser Begriff hat dabei eine deutliche Nähe zum klassischen Begriff der Tugend. Der Akt des Wertens kann aber auch ohne eine solche Disposition erfolgen und die Disposition keinen entsprechenden Akt zu Folge haben. Er geschieht sozusagen zwischen Subjekt und Objekt. Seitens des Subjekts wird er von einem emotional getönten Achten bzw. Schätzen getragen. Beim komparativen Werten ist es aus subjektiver Perspektive das Bevorzugen bzw. Präferieren.
Die in der Regel kollektiven, aber auch individuellen Wertvorstellungen und die individuellen Werthaltungen, beide Ergebnisse, aber auch Bedingungen von Wertungen, entsprechen sich meist, können aber auch differieren. Kollektive Wertvorstellungen können die Verankerung in persönlichen Werthaltungen und letztere die Rahmung durch Wertvorstellungen verlieren. Die persönlichen Werthaltungen entäußern sich durch vielfache Wertungen und vergegenständlichen sich so zu kollektiven Wertvorstellungen, während sich letztere über einzelne Wertungen zu persönlichen Werthaltungen verinnerlichen. Beide oszillieren nach Berger und Luckmann (2007, S. 65) zwischen Individuum und Gesellschaft in einem Zyklus von Entäußerung (Externalisierung), Vergegenständlichung (Objektivation) und Verinnerlichung (Internalisierung).
(Wert-)Haltungen werden oft mit (Wert-)Einstellungen in einem Zug genannt. Letztere, ein bekanntes (sozial-)psychologisches Thema, stehen aber im Sprachgebrauch zwischen Wertvorstellungen und Werthaltungen. Mit den Vorstellungen teilen sie die eher kognitive Ausrichtung und auch den auch kollektiven Umfang, mit den Haltungen die emotional-motivationale Grundierung.
15 Arten von Werten
Immer wieder werden Listen von Werten aufgestellt und mitunter in eine Rangfolge gebracht. In der Regel beinhalten solche Listen Wertgegenstände und/oder Wertmaßstäbe als Elemente von Wertungen, markiert durch Wörter, nicht Werte im Sinne von Wertvorstellungen, für die es, für Listen untauglich, ganze Sätze bräuchte. Die Wertgegenstände sind wichtige und/oder gute Dinge oder Zustände, die Wertmaßstäbe, meist als substantivierte Adjektive formuliert, entsprechende Eigenschaften. Während eine Vase eindeutig ein Wertgegenstand sein kann und Schönheit ganz klar ein Wertmaßstab ist, sind beide Elemente in anderen Fällen nicht scharf zu trennen. Familie z.B. ist auf den ersten Blick ein Wertgegenstand, als Familiarität verstanden aber ein Wertmaßstab. Und Gesundheit ist in erster Linie ein Zustand, abgeleitet aber auch eine Eigenschaft.
Listen und zugleich Rangfolgen von Wertmaßstäben stammen aus der neukantianischen (Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert) und phänomenologischen Wertphilosophie (Nikolai Hartmann, Max Scheler). So postuliert z.B. Scheler eine Stufung von sinnlichen Werten (angenehm) über Lebenswerte (edel) und geistige Werte (recht, schön, wahr) bis hin zu absoluten Werten (heilig). Andere und heutzutage gehandelte Listen beziehen sich häufig auf Wertgegenstände, versetzen sie aber durchaus mit Wertmaßstäben und beinhalten keine Rangfolge (z.B. Rokeach 1973). Unter den Wertgegenständen sind zwei Unterscheidungen sinnvoll. Die erste, die in äußere (z.B. Wohlstand), körperliche (z.B. Gesundheit) und innere Güter, wurde schon in der antiken griechischen Philosophie vorgenommen. Unter den inneren Gütern verstand man die Tugenden, und zwar die dianoetischen des Geistes, heute eher „Kompetenzen“ genannt, und die ethischen des Charakters. Die zweite Unterscheidung bezieht sich auf das Zweck-Mittel-Verhältnis der Güter, also ob sie als unmittelbar, intrinsisch bzw. primär oder als mittelbar, extrinsisch bzw. sekundär gut gelten.
16 Wert der Werte
Werte im Sinne von Wertvorstellungen sind nicht nur Ergebnisse von Wertungen, sondern können ihrerseits auch zum Gegenstand von Wertungen, also zu Wertgegenständen werden. Das geschieht dann gemäß den beiden möglichen Inhalten von Wertungen, nämlich der Wichtigkeit und Güte. In allgemeiner Hinsicht werden Werte aufgrund ihrer sozialen Funktionalität für wichtig erachtet. Gesellschaften und deren Individuen brauchen sie. Werte dienen als Gründe für Handlungen und Meinungen.
Einzelne Werte wiederum können nicht nur für wichtig gehalten, sondern auch kritisiert und ihrerseits bewertet, also als gut oder schlecht erachtet werden. Der im öffentlichen Diskurs häufig gepflegte Ruf nach Werten ist meist einer nach den aus der Perspektive der jeweiligen Sprecher guten bzw. richtigen Werten. Wer in der Gesellschaft (die) Werte vermisst, denkt in der Regel an seine Werte. Eine Gesellschaft ganz ohne Werte ist kaum denkbar.
17 Werte und Normen
Immer wieder werden Werte zusammen mit Normen genannt und wird von „Werten und Normen“ einer Gesellschaft gesprochen. Offensichtlich gehören beide zusammen, setzen aber innerhalb dieses Zusammenhangs unterschiedliche Akzente. Anders gesagt überschneiden sie sich. Um Werte und Normen aufeinander beziehen zu können, müssen Werte als Wertvorstellungen, nicht als Wertgegenstände oder Wertmaßstäbe verstanden werden. Und sie müssen Vorstellungen (auch) eines Guten sein, nicht nur solche einer Wichtigkeit. Mit dem Wortpaar „Werte und Normen“ wird in der Regel das soziale und da das moralische Handeln angesprochen, obwohl sich sowohl Werte als auch Normen auch auf außermoralische Sachverhalte beziehen können. Während Normen (Gebote, auch Verbote, Erlaubnisse; Pflichten und Rechte) den „deontologischen“ (Wright 1963, S. 6) Begriff des Sollens bzw. des Richtigen („the Right“, Ross 1930) voraussetzen, eher spezifisch und aufgrund ihres restriktiven Charakters in irgendeiner Weise sanktionierbar sind, beziehen sich Werte auf den „axiologischen“ (Wright 1963, S. 6) Begriff des Guten („the Good“, Ross 1930), sind eher allgemein und aufgrund ihrer attraktiven Eigenart motivierend. Während Normen auch gesetzt werden können, müssen Werte entstehen. Normen sind restriktiv und realisieren Werte, während Werte attraktiv sind und Normen begründen. Eine Norm kann auf mehreren Normen fußen und ein Wert zu mehreren Normen führen.
18 Werte und Kultur(en)
Werte im Sinne von Wertvorstellungen sind Elemente von Kultur überhaupt (Kultur im Singular), spezifische Werte solche einzelner oder mehrerer Kulturen (Kultur im Plural). Wenn man Kultur(en) in eine „materiale“, eine „praktische“ (soziale und technische) und eine „mentale Kultur“ differenziert (Papenkort 2012, S. 93), gehören Werte zusammen mit Normen auf der einen und dem (kollektiven) Wissen auf der anderen Seite zur mentalen Kultur. Mentale Kulturelemente werden zusammen mit praktischen (Gewohnheiten und Fertigkeiten) per Erziehung und Bildung bzw. qua Enkulturation und Akkulturation (Papenkort 2012, S. 94–99) angeeignet und vermittelt, dabei zugleich variiert.
19 Quellenangaben
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Verfasst von
Prof. Dr. Ulrich Papenkort
Professur für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Mainz
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Zitiervorschlag
Papenkort, Ulrich,
2022.
Wert [online]. socialnet Lexikon.
Bonn: socialnet, 03.08.2022 [Zugriff am: 20.09.2024].
Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/3412
Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Wert
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