socialnet Logo

Wildnispädagogik

Jaqueline Simon

veröffentlicht am 27.03.2020

Wildnispädagogik ist ein Bildungskonzept, das auf die Förderung von Naturverbundenheit und die Vermittlung von Kenntnissen sowie Fähigkeiten für ein nachhaltig orientiertes Leben in und mit der Natur abzielt.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Entstehung und Entwicklung in Deutschland
  3. 3 Ziele und Grundsätze
  4. 4 Methoden der Wildnispädagogik
  5. 5 Wildnispädagogik in Wildnisschulen
  6. 6 Einsatzbereiche
  7. 7 Quellenangaben
  8. 8 Literaturhinweise
  9. 9 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Die Wildnispädagogik ist ein Bildungskonzept, das der Umweltbildung zugeordnet werden kann und dessen Grundlage im amerikanischen Konzept „nature education“ (Naturbildung) liegt (Hottenroth et al. 2017, S. 68). Durch wildnispädagogische Angebote soll den Teilnehmenden der Zugang zur Natur (wieder) eröffnet werden. Indigene Handwerkstechniken und die zeitweise Nachahmung der Lebensweise der Urvölker sollen dabei Fähigkeiten zur Ermöglichung eines bedürfniserfüllenden Lebens in und mit der Natur fördern. Durch die dabei intensive Nutzung der Natur kann eine intensive Naturverbundenheit bei den Teilnehmenden gefördert werden (ebd.).

Wildnispädagogik findet Anwendung in Nationalparken und freien Wildnisschulen. Die methodische Gestaltung ist unterschiedlich und orientiert sich an den Teilnehmenden, die unterschiedliche Erfahrungen und mit der Natur aufweisen und dadurch durchaus differente Möglichkeiten benötigen, um sich in der Natur heimisch fühlen zu können. Die Methode des Coyote Teachings ist in der Wildnispädagogik weit verbreitet.

2 Entstehung und Entwicklung in Deutschland

Ursprünglich stammt die Wildnispädagogik von Brown Jr. und seinem Schüler Young, die sie in dafür gegründeten sogenannten Wildnisschulen in Amerika 1960 etabliert haben (Hottenroth et al. 2017, S. 68).

Gerhard Trommer hat die Wildnispädagogik in den 1990er-Jahren in Deutschland als einen eigenständigen Bereich im wissenschaftlichen Diskurs der Umweltbildung geprägt (Schreiber 2010, S. 32). Trommer etablierte das Konzept in Großschutzgebieten. Vom Nationalpark Harz wurde die Wildnispädagogik 2002 in Wildnisbildung umbenannt und konzeptionell weiterentwickelt (BUND 2002, S. 9). Die Wildnispädagogik entwickelte sich auch in freien Wildnisschulen weiter, in denen dieses Bildungskonzept unabhängig von Großschutzgebieten angewendet wird.

3 Ziele und Grundsätze

Ziele der Wildnispädagogik sind die Schaffung eines intensiven Naturerlebens sowie die Entwicklung von Fähig- und Fertigkeiten zur Ermöglichung eines Lebens in und mit der Natur. Das Erlernen dieser wird durch Nutzung des Wissens und die Anwendung von Methoden indigener Völker unterstützt, die achtsam und nachhaltig die Natur für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zum Leben genutzt haben (Schreiber 2010, S. 32 ff.; Hottenroth et al. 2017, S. 68). Speziell ausgebildete WildnispädagogInnen fungieren als MentorInnen und unterstützen die Lernenden durch das Wecken ihrer Neugier. Dadurch werden wiederum selbstentdeckende und motivierte Lernprozesse in Gang gebracht.

So sollen ein Verständnis für die komplexen natürlichen Zusammenhänge sowie Kompetenzen gefördert werden, die ein Leben in und mit der Natur so ermöglichen, sodass diese langfristig erhalten werden kann. Dabei soll die Verbundenheit zwischen Mensch und Natur weiter entwickelt werden oder neu entstehen können. TeilnehmerInnen sollen sich in der Natur heimisch fühlen. Eine hohe Naturverbundenheit prägt die Einstellungen von Menschen zur Umwelt und gilt als Indikator für naturschützendes Handeln (Gräntzdörffer und Elster 2014, S. 138).

4 Methoden der Wildnispädagogik

Typische Methoden in der Wildnispädagogik dienen der Förderung der Wahrnehmung, dem Naturerleben und dem Verstehen ökologischer Zusammenhänge. Bei der Durchführung von wildnispädagogischen Angeboten wird sich an der Kultur und Lebensweise indigener Völker und deren Kulturtechniken orientiert. Ein ressourcenschonendes und nachhaltiges Nutzen der Natur bildet dafür die Grundlage. Das Anwenden primitiver Techniken, wie zum Beispiel das Entfachen eines Feuers mithilfe verschiedener Materialien und das Bauen von Unterkünften aus Naturmaterialien, soll dabei Techniken und Materialien ersetzen, die für die TeilnehmerInnen alltäglich sind.

So werden durch das Fehlen gewohnter Alltagsgegenstände sowie von Wohnräumen mit gewohntem Standard in der Natur Situationen erlebt, in denen Notwendigkeiten entstehen. An einem (ver)wilde(rte)n Ort fehlen zunächst Sicherheit und Geborgenheit. Auch die Versorgung mit Essen, Wärme und Unterhaltung muss erst hergestellt werden. Die TeilnehmerInnen erspüren intensiv ihre Bedürfnisse und begeben sich auf die Suche nach Möglichkeiten diese zu erfüllen. Durch Anwenden des Handwerks werden diese Bedürfnisse in und mit der Natur erfüllt; zum Beispiel durch das Feuermachen zur Schaffung von Wärme, zum Erzeugen von Schutz und zum Zubereiten von Speisen.

Durch das Erleben und Meistern dieser Situationen kann ein intensives Naturerleben sowie ein „Sich-Selbst“-Erleben ermöglicht und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden.

Eine wichtige, konstruktivistisch orientierte Lernmethode der Wildnispädagogik stellt das Coyote Teaching dar. Durch das Stellen von Fragen werden TeilnehmerInnen in ihrem Erkenntnisprozess unterstützt. Der Mentor bzw. die Mentorin tritt mit den TeilnehmerInnen in einen dialogischen Prozess und erweckt durch passende Fragen Neugier und damit die Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen sowie intensive Wahrnehmungs- und Denkprozesse, wodurch sich das erlernte Wissen nachhaltiger einprägen kann (Hottenroth et al. 2017, S. 69; Maier 2011, S. 33). Dabei werden auch Lernnotwendigkeiten für die TeilnehmerInnen geschaffen, durch die sie sich selbstständig mit Problemen auseinandersetzen.

5 Wildnispädagogik in Wildnisschulen

Wildnisschulen sind in ganz Deutschland verbreitet. Die Angebote finden auch außerhalb von Großschutzgebieten statt, da es primär um die Förderung von Naturverbundenheit geht als um das Erleben einer (ver-)wilde(rte)n Landschaft. Da für wildnispädagogische Angebote die Natur und ihre Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung genutzt werden, können diese nur bedingt in Großschutzgebieten stattfinden. Selbst die Orientierung am Leben der indigenen Völker, die die Natur effizient und nachhaltig nutzen, geht mit Eingriffen in die Natur einher, was dem Leitbild der Großschutzgebiete, nämlich die Natur sich selbst zu überlassen, widerspricht.

Für die Wildnispädagogik bedarf es der Möglichkeit eines intensiven Naturerlebens. Je nach Zielgruppe und zum Beispiel bereits gemachten Naturerfahrungen können dafür unterschiedliche naturnahe Landschaften geeignet sein. Für GroßstädterInnen kann bspw. der nächstgelegene Wald der passende Ort für ein Naturerleben sein (Erxleben 2008)

In vielen Wildnisschulen werden Ausbildungslehrgänge angeboten, nach deren erfolgreichem Abschluss ein Zertifikat zum Wildnispädagogen bzw. zur Wildnispädogin vergeben wird. Diese Lehrgänge erstrecken sich über ein Jahr und beinhalten sowohl regelmäßige Praxisphasen als auch eigenständige Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten zwischen diesen.

6 Einsatzbereiche

Die wildnispädagogischen Angebote sind vielfältig und reichen von zum Beispiel zweistündigen Veranstaltungen bis zu mehrtägigen Wildniscamps. Zielgruppen sind sowohl Erwachsene als auch Jugendliche und Kinder, aber auch Bildungsinstitutionen, wie Schulen, Kindertageseinrichtungen, Firmen nehmen die Angebote wahr.

Auch in Waldkindergärten können je nach konzeptioneller Ausrichtung wildnispädagogische Aktivitäten zum Einsatz kommen.

7 Quellenangaben

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hrsg., 2002. Wildnisbildung, ein Beitrag zur Bildungsarbeit in Nationalparken [online]. Bad Schandau: Staatsbetrieb Sachsenforst, Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz, 25.04.2002 [Zugriff am: 09.01.2020]. Verfügbar unter: https://www.nationalpark-saechsische-schweiz.de/wp-content/​uploads/2013/09/Wildnisbildung.pdf

Erxleben, Anja, 2008. Einheimisch werden in der Natur [Diplomarbeit] [online]. Eberswalde: FH Eberswalde [Zugriff am: 11.01.2020]. Verfügbar unter: https://www.wildniswissen.de/images/​fab_media/​Diplomarbeit_Wildnis.pdf

Gräntzdörffer, Ansgar und andere, 2014. Einstellungen und Erfahrungen Jugendlicher zur Natur und Umwelt [online]. Eine südafrikanische und deutsche Perspektive. Berlin: ResearchGate [Zugriff am: 14.01.2020]. Verfügbar unter: DOI: 10.13140/2.1.2436.9445

Hottenroth, Daniela, Theresa von Aken, Fabian Hausig, und Anne-Kathrin Lindau, 2017. Wildnisbildung als Strömung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung – mehr als ein Bildungskonzept für Großschutzgebiete. In: Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften. 40, S. 61–79. ISSN 2193-1313

Maier, Benjamin, 2011. Wildnispädagogik [Bachelorarbeit] [online]. Ein Beitrag zur ökologischen Bildung. Esslingen: Hochschule Esslingen [Zugriff am: 11.01.2020]. Verfügbar unter: https://hses.bsz-bw.de/frontdoor/​deliver/​index/​docId/81/file/11_05_24_Bachelorarbeit_Fertig_Komplett.pdf

Schreiber, Jara, 2010. Wildniscamps als Mittel einer Bildung für nachhaltige Entwicklung und touristisches Angebot [Masterarbeit] [online]. Eberswalde: Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde [Zugriff am: 14.01.2020]. Verfügbar unter: https://www.elementar-erfahrungen.de/fileadmin/​user_upload/​files/​PDF-Sammlung/​Wildnisoeaedagogik-wie_andere_sie_sehen/​Masterarbeit_Jara_Schreiber.pdf

8 Literaturhinweise

Young, Jon, Ellen Haas und Evan McGawn, 2014. Grundlagen der Wildnispädagogik: Mit dem Coyote-Guide zu einer tieferen Verbindung zur Natur. Buch 1 – Handbuch für Mentoren. Extertal: Biber-Verlag. ISBN 978-3-9806236-6-7

Young, Jon, Ellen Haas und Evan McGawn, 2017. Grundlagen der Wildnispädagogik: Mit dem Coyote-Guide zu einer tieferen Verbindung zur Natur. Buch 2 – Handbuch der Aktivitäten. Extertal: Biber-Verlag. ISBN 978-3-9806236-7-4

9 Informationen im Internet

Verfasst von
Jaqueline Simon
Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Mailformular

Es gibt 2 Lexikonartikel von Jaqueline Simon.

Zitiervorschlag
Simon, Jaqueline, 2020. Wildnispädagogik [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 27.03.2020 [Zugriff am: 23.01.2025]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/28943

Link zur jeweils aktuellsten Version: https://www.socialnet.de/lexikon/Wildnispaedagogik

Urheberrecht
Dieser Lexikonartikel ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion des Lexikons für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.