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Wohnungsnotfallhilfe

Berit Pohns

veröffentlicht am 13.02.2025

Englisch: emergency housing assistance

Geltungsbereich: Deutschland

Anmerkung: Der Beitrag basiert auf Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 2017 (neue Auflage 2024)

Wohnungsnotfallhilfe bezeichnet Unterstützungsangebote für Menschen, die von Wohnungsverlust bedroht oder betroffen sind, sich bereits in Obdachlosigkeit befinden oder in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben bzw. unterkommen. Sie umfasst vielfältige Maßnahmen, um die Wohnungslosigkeit zu verhindern oder zu überwinden. Ziel ist die Sicherung eines menschenwürdigen Wohnens und die soziale Integration der betroffenen Personen.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Klassifikation der Wohnungsnotfälle
  3. 3 Aufgaben und Ziele der Wohnungsnotfallhilfe
    1. 3.1 Grundlegende Aufgaben und Ziele
    2. 3.2 Spezifische Aufgaben und Ziele
  4. 4 Gesetzliche Grundlagen und Zuständigkeiten
  5. 5 Quellenangaben
  6. 6 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

Die Hilfeleistungen in Wohnungsnotfällen stellen innerhalb der Sozialen Arbeit ein eigenständiges Unterstützungssystem mit einem spezifischen Auftrag dar, auch wenn es zahlreiche Überschneidungen mit anderen Bereichen der Sozialen Arbeit gibt. Dieses Hilfesystem zeichnet sich durch eine große Bandbreite an Teilzielgruppen aus, darunter junge Erwachsene, alleinstehende Frauen und Männer, Alleinerziehende, Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen, ältere Menschen sowie Migrantinnen und Migranten. Gleichzeitig weisen die Hauptzielgruppen eine relativ einheitliche Lebenssituation auf, die in erster Linie durch die Problematik des Wohnungsnotfalls bestimmt wird.

Die Eigenständigkeit der Wohnungslosenhilfe beruht darauf, die Grundversorgung und ‑sicherung der betroffenen Menschen sicherzustellen und die soziale Ausgrenzung in Kooperation mit den anderen Spezialdisziplinen der Sozialen Arbeit und den zuständigen gesellschaftlichen Institutionen dauerhaft zu überwinden. Sie kann und will deren Arbeit nur so lange stellvertretend wahrnehmen, wie es ein menschenwürdiges Leben erfordert. Das Hilfesystem lässt sich demgemäß als „Hilfen gegen soziale Ausgrenzung mit dem Schwerpunkt auf Wohnungsnotfälle“ angemessen darstellen.

2 Klassifikation der Wohnungsnotfälle

„Wohnungsnotfälle sind Haushalte und Personen mit einem Wohnungsbedarf von hoher Dringlichkeit, die aufgrund besonderer Zugangsprobleme (finanzieller und/oder nicht-finanzieller Art) zum Wohnungsmarkt der besonderen institutionellen Unterstützung zur Erlangung und zum Erhalt von angemessenem Wohnraum bedürfen“ (Forschungsverbund 2005, S. 8).

Zu den Wohnungsnotfällen zählen Haushalte und Personen, die

  • aktuell von Wohnungslosigkeit betroffen sind
  • unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht sind
  • in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben.

Die Gesamtgruppe der Wohnungsnotfälle wird ferner nach folgenden vier Teilgruppen klassifiziert:

Tabelle 1: Klassifikation der Wohnungsnotfälle
Teilgruppen Bestimmendes Merkmal
Wohnungslose aktuell von Wohnungslosigkeit betroffen, d.h. ohne eigene mietrechtlich abgesicherte Wohnung (oder Wohneigentum)
Unmittelbar von Wohnungslosigkeit Bedrohte weil der Verlust der derzeitigen Wohnung unmittelbar bevorsteht wegen Kündigung des Vermieters/der Vermieterin, einer Räumungsklage (auch mit nicht vollstrecktem Räumungstitel), einer Zwangsräumung oder sonstigen Gründen
In unzumutbaren Wohnverhältnissen lebend Wohnung vorhanden, aber in verschiedenen Dimensionen unzureichend (bauliche Qualität, Größe, Ausstattung etc.)
Ehemals von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht Frühere Angehörige der ersten und zweiten Teilgruppe, die mit Wohnungen versorgt wurden und noch auf Unterstützung zur Prävention von erneutem Wohnungsverlust angewiesen sind

Das Konzept des Wohnungsnotfalls und die dazugehörige Klassifikation sind in einen umfassenden Ansatz eingebettet, der Armut, Unterversorgung und soziale Ausgrenzung in ihrer Gesamtheit betrachtet. Oft wird dies jedoch übersehen, wenn der komplexen Problematik von Obdach- und Wohnungslosigkeit eine einseitige Reduzierung auf das Thema „Wohnen“ unterstellt wird. Bereits die Wohnungsnotfallklassifikation greift auf ein zentrales Kriterium sozialer Ausgrenzung zurück: den Ausschluss vom regulären Wohnungsmarkt. Der Begriff des Wohnungsnotfalls orientiert sich vor allem an den typischen Interventionspunkten der Hilfe. Dabei zeigt sich häufig, dass eine zunehmende Ausgrenzung im Bereich Wohnen meist auch mit wachsender sozialer Ausgrenzung in anderen Armutsbereichen einhergeht.

3 Aufgaben und Ziele der Wohnungsnotfallhilfe

3.1 Grundlegende Aufgaben und Ziele

  1. Die Soziale Arbeit in den Hilfen für Wohnungsnotfälle nimmt – mehr noch als in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit – die Rolle einer Vermittlerin zwischen Betroffenen und allen beteiligten Hilfeinstanzen ein, um die umfassende soziale Exklusion auch umfassend zu überwinden.
  2. Als Reaktion auf die soziale Ausgrenzung von Menschen in Wohnungsnot und anderen sozialen Schwierigkeiten hat das Hilfesystem die grundlegende Aufgabe, Maßnahmen zur sozialen Inklusion zu organisieren und bereitzustellen sowie die dafür notwendigen (sozial-)politischen Rahmenbedingungen zu schaffen.
  3. Darüber hinaus muss es sich für die Umsetzung des Sozialstaatsprinzips, wie es in unserer Verfassung verankert ist, auf allen Ebenen der Gesellschaft stark machen. Der soziale Rechtsstaat garantiert jedem Einzelnen das einklagbare Recht auf Sozialhilfe und verpflichtet den Staat zu einer Gesellschafts- und Sozialpolitik, die Armut, Wohnungslosigkeit und soziale Ausgrenzung verhindert und bekämpft. Daher muss das Hilfesystem in Zusammenarbeit mit Politik, Öffentlichkeit, Fachleuten und Betroffenen dafür sorgen, dass Strategien zur Überwindung und Vermeidung sozialer Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit in die Gesetzgebung auf Bundesebene sowie in die Gesetzgebung und Verordnungen der Länder und Kommunen integriert werden.
  4. Zudem müssen im Zuge der europäischen Integration sozialstaatliche Prinzipien im Interesse der Hilfesuchenden auch auf Ebene der Europäischen Union verbindlich festgeschrieben werden.

3.2 Spezifische Aufgaben und Ziele

Die Wohnungsnotfallhilfe verfolgt die folgenden kurz- und langfristigen Maßnahmen und Ziele:

  • Umfassende Verhinderung und Überwindung der Armut in allen Lebenslagen
  • Sicherstellung der existenziellen und menschenwürdigen Grundversorgung (Nahrung, Obdach, Kleidung)
  • Umfassende Durchsetzung von Menschenrechten und sozialen Rechtsansprüchen
  • Überwindung der sozialen Ausgrenzung, indem der Zugang zu den spezialisierten Dienstleistungen der Sozialen Arbeit und anderen Sozialleistungssystemen erschlossen wird
  • Stärkung der Selbsthilfekräfte durch Unterstützung von Partizipation und Selbstorganisation von Betroffenen
  • Verhinderung des Verlustes von Wohnraum durch rechtzeitige Einleitung von präventiven Maßnahmen des Wohnungserhalts, insbesondere durch Übernahme von Mietschulden und begleitende Hilfen
  • Überwindung der Wohnungslosigkeit durch Vermittlung in menschenwürdige Wohnungen, Verhinderung des (erneuten) Wohnungsverlustes und Stabilisierung des Wohnumfeldes bei unzumutbaren Wohnverhältnissen
  • Überwindung der materiellen Armut durch Erschließung der Transferleistungen zum Erlangen materieller Absicherung
  • Überwindung oder Verhütung von physischen und psychischen Krankheiten, Behinderungen durch die Erschließung und Absicherung von medizinischer und psycho-sozialer Behandlung, Pflege, Rehabilitation und Therapie für die Betroffenen
  • Überwindung von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit durch Hilfen zur Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt bis hin zur Aufnahme einer späteren Beschäftigung und der Begleitung des Überganges in dauerhafte Beschäftigung
  • Überwindung unzureichender Bildung durch die Erschließung schulischer und beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen
  • Überwindung gewaltgeprägter Lebensverhältnisse – insbesondere bei wohnungslosen Frauen – im privaten und öffentlichen Raum durch geeignete Wohnangebote

4 Gesetzliche Grundlagen und Zuständigkeiten

Die rechtlichen Grundlagen und Zuständigkeiten der Wohnungsnotfallhilfe sind in Deutschland durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene geregelt. Zentral ist hierbei das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes, das den Staat verpflichtet, jedem Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, was auch den Zugang zu angemessenem Wohnraum umfasst. In diesem Rahmen sind vor allem das Sozialgesetzbuch II (SGB II) und das Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) von Bedeutung. Das SGB II regelt die Grundsicherung für Arbeitssuchende, einschließlich der Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung, während das SGB XII Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für nicht erwerbsfähige Personen, wie ältere oder behinderte Menschen, umfasst. Beide Gesetzeswerke enthalten Bestimmungen, die im Falle drohender Wohnungslosigkeit greifen.

Darüber hinaus sind die Länder und Kommunen für die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung der Wohnungsnotfallhilfe zuständig. Auf Länderebene können spezielle Wohnraumförderungsgesetze verabschiedet werden, die Maßnahmen zur Schaffung und Erhaltung von sozialem Wohnraum sowie zur Prävention von Wohnungslosigkeit umfassen.

Die Kommunen sind in der Regel für die Bereitstellung von Notunterkünften, Übergangswohnungen und die Durchführung von Wohnungsnotfallprogrammen verantwortlich. Sie organisieren die konkrete Hilfe vor Ort, etwa durch Wohnungsvermittlung, die Bereitstellung von Notunterkünften und die Zusammenarbeit mit sozialen Trägern. In vielen Städten gibt es darüber hinaus spezielle Beratungsstellen und Hilfsangebote, die präventiv wirken, um Zwangsräumungen zu verhindern und den Zugang zu Wohnraum zu erleichtern.

Die Zuständigkeiten der Wohnungsnotfallhilfe sind somit vielfältig und erfordern eine enge Kooperation zwischen verschiedenen Ebenen und Institutionen. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen spielen soziale Träger, Wohlfahrtsverbände und andere Akteure eine entscheidende Rolle bei der konkreten Ausgestaltung und Durchführung der Hilfen. Diese Akteure arbeiten häufig im Auftrag der Kommunen oder in enger Zusammenarbeit mit diesen, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen.

Insgesamt zielt die rechtliche und organisatorische Struktur der Wohnungsnotfallhilfe darauf ab, Wohnungslosigkeit nicht nur kurzfristig zu lindern, sondern auch langfristig vorzubeugen und die soziale Integration betroffener Personen zu fördern.

5 Quellenangaben

BAG Wohnungslosenhilfe e.V., Hrsg., 2010. Wohnungsnotfalldefinition der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. [online]. Bielefeld: BAG Wohnungslosenhilfe e.V., Mai 2011 [Zugriff am: 09.01.2025]. Verfügbar unter: www.bagw.de/fileadmin/bagw/media/Doc/POS/POS_10_BAGW_Wohnungsnotfalldefintion.pdf

Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., Hrsg., 2024 [2017]. Handbuch der Hilfen in Wohnungsnotfällen: Entwicklung lokaler Hilfesysteme und lebenslagenbezogener Hilfeansätze.. Berlin: BAG W-Verlag. ISBN 978-3-922526-84-1

Forschungsverbund Wohnungslosigkeit und Hilfen in Wohnungsnotfällen, 2005. Gesamtbericht [online]. Bielefeld: BAG Wohnungslosenhilfe e.V. [Zugriff am: 13.01.2025]. Verfügbar unter: https://www.bagw.de/fileadmin/bagw/media/Doc/TXT/TXT_05_Forschung_FVGesamtbericht.pdf

6 Literaturhinweise

Busch-Geertsema, Volker und Ekke-Ulf Ruhstrat, 2004. Neue Entwicklungen bei der Organisation von Hilfen in Wohnungsnotfällen. Erste Ergebnisse der »Hilfesystemforschung« im Forschungsverbund »Wohnungslosigkeit und Hilfen in Wohnungsnotfällen«, Teil 2. In: wohnungslos. Aktuelles aus Theorie und Praxis zur Armut und Wohnungslosigkeit. 46(1), S. 19–24. ISSN 0948-7441

Lutz, Ronald und Titus Simon, 2012. Lehrbuch der Wohnungslosenhilfe: Eine Einführung in Praxis, Positionen und Perspektiven. 2., überarbeitete Auflage. München: Beltz Juventa. ISBN 978-3-7799-2216-2 [Rezension bei socialnet]

Verfasst von
Berit Pohns
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.
Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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