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Zwangsbehandlung

Prof. Dr. Annegret Lorenz

veröffentlicht am 21.09.2022

Synonym: ärztliche Zwangsmaßnahme

Genderhinweis: In Anlehnung an den Gesetzestext wird hier das generische Maskulinum geschlechtsneutral verwendet.

Rechtlicher Disclaimer: Herausgeberin und Autor:innen haften nicht für die Richtigkeit der Angaben. Beiträge zu Rechtsfragen können aufgrund geänderter Rechtslage schnell veralten. Sie ersetzen keine individuelle Beratung.

Eine Zwangsbehandlung (ärztliche Zwangsmaßnahme) ist eine medizinische Maßnahme, die gegen den Willen der betroffenen Person erfolgt.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Begriff der Zwangsbehandlung
    1. 2.1 Medizinische Maßnahme …
    2. 2.2 … mit Einwilligung oder …
    3. 2.3 … unter Zwang
  3. 3 Der verfassungsrechtliche Rahmen für Zwangsbehandlungen
    1. 3.1 Der verfassungsrechtliche Schutz vor einer Zwangsbehandlung
      1. 3.1.1 Schutz der körperlichen Integrität
      2. 3.1.2 Schutz des Selbstbestimmungsrechts
    2. 3.2 Verfassungsrechtliche Legitimation einer Zwangsbehandlung
      1. 3.2.1 Schutz der betroffenen Person (vor sich selbst)
      2. 3.2.2 Schutz Dritter vor der betroffenen Person
    3. 3.3 Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung zum Schutz des Betroffenen
      1. 3.3.1 Inhaltliche Erfordernisse
      2. 3.3.2 Prozedurale Erfordernisse
    4. 3.4 Die Durchsetzung einer Zwangsbehandlung: Fixierungen
  4. 4 Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht
    1. 4.1 Verbot der zwangsweisen Empfängnisverhütung
    2. 4.2 Voraussetzungen der Zwangsbehandlung
      1. 4.2.1 Einwilligungsunfähigkeit
      2. 4.2.2 Maßnahme entspricht dem Willen der betroffenen Person
      3. 4.2.3 Verhältnismäßigkeit
      4. 4.2.4 Der situative Rahmen: Krankenhaus
    3. 4.3 Die Durchsetzung der Zwangsbehandlung
    4. 4.4 Verfahren
  5. 5 Zwangsbehandlung Minderjähriger
    1. 5.1 Grundsätze
    2. 5.2 Nicht einsichtsfähige Minderjährige
    3. 5.3 Einsichtsfähige Minderjährige
  6. 6 Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung
    1. 6.1 Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung
      1. 6.1.1 Zwangsbehandlung zum Schutz der betroffenen Person
      2. 6.1.2 Zwangsbehandlung zum Schutz Dritter
    2. 6.2 Durchsetzung der Zwangsbehandlung
    3. 6.3 Verfahren
      1. 6.3.1 Zwangsbehandlung
      2. 6.3.2 Fixierung
  7. 7 Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug
    1. 7.1 Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung
    2. 7.2 Fixierungen
    3. 7.3 Verfahren
      1. 7.3.1 Zwangsbehandlung
      2. 7.3.2 Fixierungen
  8. 8 Entwicklungen und Diskussionen
  9. 9 Quellenangaben
  10. 10 Literaturhinweise
  11. 11 Informationen im Internet

1 Zusammenfassung

Ärztliche Zwangsmaßnahmen betreffen im Regelfall Personen, die an einer hirnorganischen oder psychiatrischen Krankheit oder Behinderung leiden. Im Vordergrund stehen häufig die Diagnose und Behandlung der psychischen oder hirnorganischen Krankheit oder Behinderung der betroffenen Person (sog. Anlasserkrankung). Es kann aber auch um die Behandlung anderer Erkrankungen gehen, die sich bei diesen Menschen zeigen. Auch die denkbaren Settings einer ärztlichen Zwangsmaßnahme sind breit gefächert.

Zwangsbehandlungen im privatrechtlichen Bereich:

Zwangsbehandlungen auf staatliche Anordnung:

  • Öffentliches Recht: Zwangsbehandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung (Landesrecht).
  • Strafrecht: Zwangsbehandlungen im Strafrecht betreffen schwerpunktmäßig Straftäter*innen im Maßregelvollzug (Strafvollzugsgesetz sowie Landesrecht).

Zwangsbehandlungen haben hohe Grundrechtsrelevanz: Implizieren sie doch immer einen Eingriff sowohl in die körperliche und/oder gesundheitliche Integrität, als auch in das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person. Sowohl der Begriff der Zwangsbehandlung, als auch ihre Zulässigkeit sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitgehend vorstrukturiert, dessen Vorgaben das einfache Recht rezipiert hat. Gleiches gilt für freiheitsbeschränkende Maßnahmen zur Durchsetzung einer Zwangsbehandlung, insbesondere Fixierungen.

Die fachliche Diskussion über den Einsatz von Zwang im Umgang mit Erkrankten kreist vor allem um die Möglichkeiten seiner Minimierung.

2 Begriff der Zwangsbehandlung

2.1 Medizinische Maßnahme …

Gegenstand einer Behandlung können sowohl medizinische Behandlungsmaßnahmen, etwa medikamentöse Behandlungen, Eingriffe oder Operationen, als auch – im Vorfeld – diagnostische Maßnahmen sein (BVerfG, Beschluss vom 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW [Neue Juristische Wochenschrift] 2017, 70 [1–2], S. 56 Rn. 77).

Im Vordergrund stehen häufig die Diagnose und Behandlung der psychischen oder hirnorganischen Krankheit oder Behinderung der betroffenen Person (sog. Anlasserkrankung). Es kann aber auch um die Behandlung anderer Erkrankungen gehen, die sich bei diesen Menschen zeigen – etwa eine Tumoroperation, die Gabe blutdrucksenkender Mittel oder auch eine zwangsweise Ernährung.

2.2 … mit Einwilligung oder …

Eine Zwangsbehandlung liegt – rein begrifflich – nicht vor, wenn die betroffene Person freiwillig wirksam in die medizinische Maßnahme eingewilligt hat (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 42; Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR [Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungs Report] 2018, 25 [6], S. 357).

Einfachgesetzlich ist das Einwilligungserfordernis in § 630d BGB niedergelegt. An die Einwilligung selbst sind keine formalen Anforderungen zu stellen. Sie setzt eine ausreichende ärztliche Aufklärung voraus (§§ 630d Abs. 2, 630e BGB), unterliegt aber keinem Formerfordernis (Wagner 2020, BGB § 630d Rn. 16). Lediglich zu Beweiszwecken für einen etwaigen anschließenden Gerichtsprozess wird sie im Regelfall schriftlich dokumentiert (§ 630f Abs. 2 BGB).

Die Einwilligung erfordert zu ihrer Wirksamkeit die Fähigkeit, Bedeutung und Tragweite der Maßnahme erfassen und den eigenen Willen danach ausrichten zu können (Einsichts- bzw. Einwilligungsfähigkeit, BVerfG, Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 358 m. w. Nachw.). Einwilligungsunfähig ist, wer aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht erkennen kann, dass die ärztliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit notwendig ist oder wer krankheits- oder behinderungsbedingt nicht nach dieser Einsicht handeln kann (Schneider 2020, BGB § 1906a Rn. 19).

2.3 … unter Zwang

Die Behandlung wird damit zur Zwangsbehandlung, wenn sie gegen den Willen der betroffenen Person erfolgt. Das ist der Fall, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung verweigert.

  • Dabei begründet jedes Verhalten, das auf die Ablehnung der Behandlung schließen lässt (ablehnende Gesten oder die Verweigerung der Mitwirkung) den Zwangscharakter (Schneider 2020, BGB § 1906a Rn. 10). Ein physischer Widerstand ist nicht erforderlich. Insbesondere lässt sich allein das Abstandnehmen von einer bestimmten Form des Protests nicht als Zustimmung werten (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 41). Eine Zwangsbehandlung liegt daher etwa auch dann vor, wenn sich die betroffene Person – ohne ihre Ablehnung aufzugeben – nur deswegen in die Maßnahme fügt, weil sie die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstands erkennt (BVerfG, Beschluss v. 19.7.2017, 2 BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 28).

    Die Ablehnung muss sich auf die Behandlung als solche beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hält es insoweit für denkbar, dass ein lediglich zeitweise auftretendes unkooperatives Verhalten oder ein spontanes Widerstreben gegen die Einnahme von Medikamenten nicht zwangsläufig eine Ablehnung der Behandlung als solche beinhaltet (mit Blick auf die Verweigerung der Einnahme von Medikamenten durch eine demenziell erkrankte Person in einem Heim, BVerfG, Beschluss v. 2.11.2021, 1 BvR 1575/18, NJW 2021, 74 [49], S. 3591 Rn. 41).
  • Einer Verweigerung der Einwilligung gleichgestellt ist die Erteilung einer Einwilligung auf einen unzulässigen Druck hin – etwa durch das Inaussichtstellen von Nachteilen im Fall der Behandlungsverweigerung – oder aus Angst vor Zwangsmaßnahmen (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 41; Beschluss v. 19.7.2017, 2 BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 28).
  • Auch die Ablehnung einer Behandlung durch eine einsichts- und einwilligungsunfähige Person, mit lediglich sog. natürlichem Willen, ist beachtlich (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 42). Eine Zwangsbehandlung verliert daher nicht dadurch ihren Zwangscharakter, dass anstelle der betroffenen Person ein Betreuer oder Bevollmächtigter in die Maßnahme einwilligt (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 42).

Eine Behandlung ohne den Willen der betroffenen Person ist hingegen nicht zwingend eine Zwangsbehandlung. Eine Zwangsbehandlung liegt etwa dann nicht vor, wenn gar keine Äußerung der betroffenen Person vorliegt (Schneider 2020, BGB § 1906a Rn. 14). Das gilt nicht nur, wenn sich die betroffene Person nicht äußern kann – etwa, weil sie bewusstlos ist – sondern auch, wenn sie sich nicht äußert, obwohl sie es könnte (BVerfG, Beschluss v. 2.11.2021, 1 BvR 1575/18, NJW 2021, 74 [49], S. 3591 Rn. 40; Schneider 2020, BGB § 1906a Rn. 14).

Nicht verfassungsgerichtlich geklärt ist, ob eine Behandlung ohne dass die betroffene Person die Chance hatte, einen entsprechenden Willen zu bilden, eine Zwangsbehandlung ist. Die Frage stellt sich etwa bei der verdeckten Medikamentengabe an Heimbewohner*innen, etwa, durch das Untermischen von Medikamenten unter das Essen (offen gelassen von BVerfG, Beschluss v. 2.11.2021, 1 BvR 1575/18, NJW 2021, 74 [49], S. 3591 Rn. 38 ff; Zwangsbehandlung angenommen hingegen von AG Ratzeburg, Beschluss v. 10.12.2013, 2 XVII W 1876/2003, BtPrax [Betreuungsrechtliche Praxis], 24 [2], S. 93).

3 Der verfassungsrechtliche Rahmen für Zwangsbehandlungen

3.1 Der verfassungsrechtliche Schutz vor einer Zwangsbehandlung

Eine Zwangsbehandlung stellt einen schweren Eingriff sowohl in die körperliche Unversehrtheit als auch in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen dar.

3.1.1 Schutz der körperlichen Integrität

Jede Zwangsbehandlung greift in die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Person ein (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG; ständige Rechtsprechung: BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 39; Beschluss v. 19.7.2017, 2 BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 26). Das gilt ungeachtet der Behandlungsabsicht. Der Eingriff entfällt daher nicht deswegen, weil das Ziel der Zwangsbehandlung die Heilung der kranken Person ist (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 40).

Operative Eingriffe und Zwangsmedikationen stellen dabei besonders schwere Eingriffe dar (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 42). Dies gilt vor allem – mit Blick auf deren Wirkmechanismen, aber auch Nebenwirkungen – für die Verabreichung von Neuroleptika an psychisch kranke Personen (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 44).

3.1.2 Schutz des Selbstbestimmungsrechts

Die Entscheidung, ob und wie weit eine Krankheit diagnostiziert und behandelt werden soll, ist als Ausdruck persönlicher Autonomie grundsätzlich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 74). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die „Freiheit zur Krankheit“ und damit das Recht, aus medizinischer Sicht sinnvolle oder sogar notwendige Maßnahmen abzulehnen (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2115 Rn. 48; Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 74). Der Staat besitzt insoweit keine „Vernunfthoheit“, die es ihm erlauben würde, den Willen eines Grundrechtsträgers allein deswegen beiseitezuschieben, weil sie ihm als unvernünftig erscheint (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 74).

Geschützt ist das Selbstbestimmungsrecht sowohl einwilligungsfähiger Personen, die die Behandlung mit sog. freiem Willen ablehnen, als auch einsichtsunfähiger Personen, die die Maßnahme mit lediglich sog. natürlichem Willen ablehnen (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 76). Kann doch gerade das krankheitsbedingte Fehlen der Einsichtsfähigkeit dazu führen, dass die betroffene Person die medizinische Maßnahme als besonders bedrohlich erlebt (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 42, 44). Gerade aber das subjektive Empfinden der betroffenen Person ist von Bedeutung für die Bewertung der Schwere des Eingriffs.

3.2 Verfassungsrechtliche Legitimation einer Zwangsbehandlung

Zwangsbehandlungen sind möglich zum Schutz von Belangen von ebenfalls verfassungsrechtlichem Gewicht (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2114 Rn. 45). Derartige Belange sind insbesondere staatliche Schutzpflichten zugunsten der Betroffenen selbst, aber auch zugunsten Dritter.

3.2.1 Schutz der betroffenen Person (vor sich selbst)

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gibt den Betroffenen nicht nur ein Abwehrrecht gegen Eingriffe (Achtungsgebot), sondern verpflichtet auf der anderen Seite den Staat, hilfebedürftigen Menschen – notfalls auch gegen ihren Willen – Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren (Schutzpflicht; BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 55 Rn. 69).

Bei freiheitsentziehend untergebrachten Personen tritt neben das Gesundheitsinteresse der Betroffenen weiter ihr – ebenfalls grundrechtlich geschütztes (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) – Freiheitsinteresse (für die öffentlich-rechtliche Unterbringung: BVerfG, Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 29, 30; für den Maßregelvollzug: BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2115 Rn. 47), das durch die Unterbringung letztlich verfolgt wird (für den Maßregelvollzug: §§ 136, 137 StVollzG [Strafvollzugsgesetz] i.V. mit den Landesmaßregelvollzugsgesetzen [vgl. etwa § 2 Abs. 1 Maßregelvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz – MVollzG RlP]; für die öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den jeweiligen Landesgesetzen [vgl. etwa § 12 Psychisch-Kranken-Hilfegesetz Rheinland-Pfalz – PsychKHG RlP]).

Im Konflikt zwischen staatlicher Schutzpflicht und Selbstbestimmungsrecht, ist die Fähigkeit der Person, ihr Selbstbestimmungsrecht frei auszuüben ausschlaggebend für die Zulässigkeit einer aufoktroyierten Hilfe zu ihrem „Besten“:

  • Einsichtsfähigkeit: Gegenüber einer freien Entscheidung einwilligungsfähiger (bzw. einsichtsfähiger) Betroffener tritt die staatliche Schutzpflicht zurück. Eine medizinische Zwangsbehandlung gegen den freien Willen eines Menschen allein zu seinem Schutz ist unzulässig (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 75; Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 358).
  • Einsichtsunfähigkeit: Lehnen einsichtsunfähige Betroffene eine notwendige medizinische Maßnahme lediglich mit natürlichem Willen ab, ist – zumindest bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen – eine Abwägung zwischen den Belastungen durch die ärztliche Behandlung mit den Heilungschancen möglich. Vor allem, wenn medizinisch notwendige Maßnahmen keine besonderen Behandlungsrisiken bergen, aber hohe Heilungschancen mit sich bringen, vermag der staatliche Schutzauftrag das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit zu überwinden und eine Zwangsbehandlung zu legitimieren (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 78; Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 357).

    Antizipierter Behandlungsverzicht:
    Ausgeschlossen ist die Behandlung einer einsichtsunfähigen Person allerdings, wenn sie die Behandlung zu einem früheren Zeitpunkt wirksam in einer Patientenverfügung ausgeschlossen hat (BVerfG, Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 358). Die Patientenverfügung ist ein Dokument, in dem Volljährige für den Fall einer etwaigen Einwilligungsunfähigkeit verbindliche Festlegungen hinsichtlich ärztlicher Maßnahmen treffen (§ 1827 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022 § 1901a BGB]). Sie setzt zu ihrer Wirksamkeit die Einwilligungsfähigkeit der verfügenden Person im Zeitpunkt ihrer Erstellung voraus und unterliegt einem Schriftformerfordernis. Ein Widerruf ist jederzeit formlos möglich (§ 1827 Abs. 1 S. 3 BGB [bis 31.12.2022: § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB]).

    Das Bundesverfassungsgericht knüpft dabei hohe Anforderungen an die Wirksamkeit dieses Verzichts im Vorgriff (BVerfG, Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 359): Neben der Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung ihres Aussagegehaltes muss die Erklärung vor allem hinreichend bestimmt sein. Dafür muss sie sowohl die Behandlungssituation ausreichend konkret beschreiben als auch die in dieser Situation zulässigen ärztlichen Maßnahmen. Ohne die Anforderungen an die Bestimmtheit zu überspannen, muss sich feststellen lassen können, in welcher Behandlungssituation welche Maßnahmen durchgeführt und welche nicht ergriffen werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt kein medizinisches Fachwissen. Die Betroffenen brauchen auch nicht ihre Biografie vorauszuahnen. Jedoch muss die Patientenverfügung die Konsequenzen einer ausbleibenden Behandlung, etwa den Eintritt schwerster irreversibler Schäden (insbesondere die Chronifizierung des Krankheitsbildes) erfassen. Bloße abstrakte, wertende Anordnungen – etwa eine „würdevolle“ oder „angemessene“ Behandlung – reichen nicht aus.

3.2.2 Schutz Dritter vor der betroffenen Person

Daneben können auch Grundrechte anderer Personen eine Zwangsbehandlung legitimieren. Das Interesse der Allgemeinheit am Schutz vor Straftaten durch die betroffene Person genügt dafür grundsätzlich nicht, denn dieses lässt sich durch die (ggf. dauerhafte) Unterbringung der Person erreichen (BVerfG, Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 357). Zulässig kann eine Zwangsbehandlung jedoch zum Schutz derjenigen Personen sein, die sich in der Einrichtung befinden: Mitpatient*innen sowie das Personal der Einrichtung (BVerfG, Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 357).

Soweit eine Zwangsbehandlung den Schutz Dritter verfolgt, ist der betroffenen Person die Entscheidung über sie nicht mehr disponibel. Eine Zwangsbehandlung zum Schutz Dritter kann daher auch gegen den Willen einer einwilligungsfähigen Person erfolgen (BVerfG, Beschluss v. 8.6.2021, 2 BvR 1866/17, 2 BvR 1314/18, NStZ-RR 2018, 25 [6], S. 359).

3.3 Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung zum Schutz des Betroffenen

Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass eine Zwangsbehandlung nur ausnahmsweise zulässig ist. Sie darf nur auf einer gesetzlichen Grundlage durchgeführt werden, die sowohl die inhaltlichen Voraussetzungen der Zwangsbehandlung als auch das Verfahren hinreichend klar und bestimmt vorgibt (für unter Betreuung stehende Personen: BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 56 Rn. 82; für die Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung: Beschluss v. 19.7.2017, 2 BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 31 ff.; für die Zwangsbehandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs: BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2118 Rn. 72).

3.3.1 Inhaltliche Erfordernisse

Der Gesetzgeber darf Zwangsbehandlungen zum Schutz Betroffener nur für den Fall erlauben, dass eine krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit vorliegt (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2116 Rn. 54; Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 32; Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 57 Rn. 82).

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen weitere Anforderungen an eine Zwangsbehandlung gegen den lediglich natürlichen Willen:

  • Eignung der Zwangsmaßnahme in Bezug auf das Ziel: Maßnahmen der Zwangsbehandlung dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie erfolgversprechend sind. Führt die Zwangsmedikation nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Heilungs- und Erfolgsaussichten, darf sie nicht allein deshalb aufrechterhalten werden, weil sie die Betreuung der Patient*innen für die Unterbringungseinrichtung erleichtert (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2116 Rn. 57; Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2983 Rn. 34).
  • Erforderlichkeit der Zwangsmaßnahme: Zwangsmaßnahmen dürfen nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn weniger eingreifende Behandlungsmethoden aussichtslos sind. Vor allem muss zuvor ein ernsthafter, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks, Versuch unternommen worden sein, die auf Vertrauen gründende Zustimmung der betroffenen Person einzuholen (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2116 Rn. 58; Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2983 Rn. 34).
  • Angemessenheit der Zwangsmaßnahme: Zuletzt dürfen die mit der Zwangsmaßnahme verbundenen Belastungen nicht außer Verhältnis zum erwartbaren Nutzen stehen (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2117 Rn. 61; Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2983 Rn. 34). Der wahrscheinliche Nutzen der Behandlung muss den möglichen Schaden durch die Nichtbehandlung deutlich feststellbar überwiegen. Birgt die Zwangsbehandlung ein nicht mehr vernachlässigbares Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden, ist sie regelmäßig nicht mehr angemessen (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2117 Rn. 61; Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982 Rn. 30 ff.).

3.3.2 Prozedurale Erfordernisse

Zur Sicherung der Einhaltung dieser Standards ist eine Zwangsbehandlung an hohe verfahrensrechtliche Standards gebunden. Sie muss zudem einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2117 Rn. 63 ff.; Beschluss v. 19.7.2017, 2 BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2893 Rn. 33):

  • Die Zwangsbehandlung ist der betroffenen Person – soweit sie planbar ist – anzukündigen und zwar so rechtzeitig, dass sie die Möglichkeit besitzt, rechtzeitig Rechtsschutz zu suchen und so konkret (bei Neuroleptika auch in Bezug auf die beabsichtigte Dauer), dass eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme möglich ist.
  • Die Zwangsmaßnahme selbst ist durch einen Arzt anzuordnen und zu überwachen.
  • Die gegen den Willen der untergebrachten Person ergriffenen Behandlungsmaßnahmen, ihr Zwangscharakter, die Durchsetzungsweise, die maßgeblichen Gründe und die Wirkungsüberwachung sind zu dokumentieren.
  • Als besondere verfahrensmäßige Sicherung bedarf es einer vorausgehenden Prüfung durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung.

3.4 Die Durchsetzung einer Zwangsbehandlung: Fixierungen

Wehren sich Betroffene gegen eine Zwangsbehandlung, so wird diese durch Anwendung von Gewalt erzwungen. In diesem Rahmen werden die Betroffenen z.T. – auf dem Rücken liegend – mittels spezieller Gurte so an das Bett gefesselt, dass ihre Bewegungsfähigkeit weitgehend oder vollständig aufgehoben wird (Fixierung).

Fixierungen, die länger als ½ Stunde dauern, stellen eine Freiheitsentziehung und damit einen schweren Grundrechtseingriff dar (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V. mit Art. 104 GG; BVerfG, Urteil v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15; 2 BvR 502/16, NJW 2018, 71 [36], S. 2621 Rn. 68). Der Gesetzgeber kann ihn aus besonders gewichtigen Gründen – vor allem zum Schutz Dritter, aber auch zum Schutz des Betroffenen selbst – zulassen. Ausdrücklich hat das Bundesverfassungsgericht insoweit festgehalten, dass die zwangsweise Unterbringung psychisch kranker Personen und auch deren Fixierung zulässig sein kann, wenn diese wegen der fehlenden Einsichtsfähigkeit eine Behandlungsnotwendigkeit nicht erkennen oder sich nicht zu einer Behandlung entschließen können (BVerfG, Urteil v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15; 2 BvR 502/16, NJW 2018, 71 [36], S. 2622 Rn. 74).

Das Bundesverfassungsgericht hat Fixierungen den gleichen Anforderungen wie Zwangsbehandlungen unterworfen:

  • Eine Fixierung darf nur auf der Grundlage eines Gesetzes angeordnet werden, das die Voraussetzungen der Freiheitsentziehung hinreichend präzise regelt und vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Eine Fixierung darf insbesondere nur als letztes Mittel vorgesehen werden, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen (BVerfG, Urteil v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15; 2 BvR 502/16, NJW 2018, 71 [36], S. 2623 Rn. 80).
  • Die Fixierung ist ärztlich anzuordnen und zu überwachen. Während ihrer Durchführung ist – jedenfalls bei einer 5- oder 7-Punkt-Fixierung – grundsätzlich eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu gewährleisten.
  • Die maßgeblichen Gründe für die Anordnung der Fixierung, ihre Durchsetzung, Dauer und die Art der Überwachung sind zu dokumentieren.
  • Die Maßnahme bedarf grundsätzlich der vorherigen richterlichen Anordnung. Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Person bereits auf richterliche Anordnung hin freiheitsentziehend untergebracht ist (BVerfG, Urteil v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15; 2 BvR 502/16, NJW 2018, 71 [36], S. 2621 Rn. 69, 98).

4 Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht

Das Betreuungsrecht erlaubt ärztliche Zwangsbehandlungen ausschließlich zum Schutz der betroffenen Person, nicht hingegen zum Schutz Dritter (§ 1832 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 BGB]).

4.1 Verbot der zwangsweisen Empfängnisverhütung

Besonderheiten gelten für die Sterilisation einwilligungsunfähiger Personen. Während eine Sterilisation einwilligungsunfähiger Männer generell unzulässig ist (Heitmann und Götz 2021, BGB § 1905 Rn. 11), findet sich für Frauen eine differenzierte Regelung (§ 1830 Abs. 1 Nr. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1905 BGB]). Diese schließt allerdings eine Sterilisation gegen den natürlichen Willen der Frau aus (Verbot der Zwangssterilisation). Das Verbot darf auch nicht durch eine zwangsweise Empfängnisverhütung umgangen werden, etwa durch die Verabreichung einer Drei-Monats-Spritze (Heitmann und Götz 2021, BGB § 1905 Rn. 7).

4.2 Voraussetzungen der Zwangsbehandlung

Eine Zwangsbehandlung Volljähriger ist im Übrigen nur in engen Grenzen möglich (§ 1832 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 BGB]) und an die vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichneten verfahrensrechtlichen Standards geknüpft. Die Maßstäbe gelten in gleicher Weise für Betreuer wie für Bevollmächtigte (§ 1832 Abs. 5 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 5 BGB]).

4.2.1 Einwilligungsunfähigkeit

Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen ausnahmslos nur bei einwilligungsunfähigen Personen erfolgen, die eine Behandlung ablehnen. Voraussetzung ist daher, dass die betreute Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB]).

4.2.2 Maßnahme entspricht dem Willen der betroffenen Person

Die Missachtung des natürlichen Willens kommt dabei nur dann in Betracht, wenn die Maßnahme dem relevanten tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen der betroffenen Person entspricht (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB]).

Hat die betroffene Person etwa in einer Patientenverfügung wirksame Festlegungen in Bezug auf die Behandlung getroffen, so sind diese – soweit sie noch aktuell sind – verbindlich (§ 1827 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1901a Abs. 1 BGB]). Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen nicht auf die aktuelle Situation zu, ist der mutmaßliche Wille festzustellen. Ergibt sich danach, dass die betroffene Person die Behandlung – in Einklang mit ihrer jetzigen, auf natürlichem Willen basierenden Ablehnung – nicht möchte, ist sie unzulässig (Heitmann und Götz 2021, BGB § 1906a Rn. 6). Entspricht die Zwangsbehandlung gegen den jetzigen natürlichen Willen hingegen dem (zumindest mutmaßlichen) Willen der betroffenen Person, ist sie zulässig. Ist der Wille der betroffenen Person nicht bekannt und lässt sich ein mutmaßlicher Wille nicht feststellen, so wird eine Zwangsbehandlung ebenfalls für zulässig gehalten, vorausgesetzt, die übrigen Voraussetzungen liegen vor (BGH, Beschluss v. 29.7.2020, XII ZB 173/17, BeckRS [Beck Rechtsprechung] 2020, 24018 Rn. 21 f.).

4.2.3 Verhältnismäßigkeit

Eine ärztliche Zwangsmaßnahme kommt – entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – nur unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht. Dies erfordert kumulativ:

  • Ohne die Behandlung droht ein erheblicher gesundheitlicher Schaden, zu dessen Abwendung die ärztliche Zwangsmaßnahme notwendig ist (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB]). Eine Zwangsmaßnahme kommt insbesondere bei einer drohenden erheblichen Selbstgefährdung in Betracht (BGH, Beschluss v. 4.6.2014, XII ZB 121/14, NJW 2014, 67 [34], S. 2497 Rn. 10). Das Interesse an einer Schwangerschaftsverhütung einer betreuten Frau, zu deren Zweck eine Drei-Monats-Spritze verabreicht werden soll, reicht dafür regelmäßig nicht aus (Leeb und Weber 2015, S. 47 f.).

    Zugleich muss die Zwangsmaßnahme notwendig zur Abwendung der Gefahr sein. Dafür braucht es eines breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsenses hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Behandlung (verneint etwa für eine Elektrokonvulsionstherapie; BGH, Beschluss v. 15.1.2020, XII ZB 381/19, NJW 2020, 73 [22], S. 1582 Rn 17).
  • Der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden kann durch keine andere, den Betreuten weniger belastende Maßnahme abgewendet werden (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BGB]). Allein der Umstand, dass es der betroffenen Person mitunter gelungen war, die ihr stationär verabreichten Tabletten nicht einzunehmen, begründet z.B. nicht die Erforderlichkeit einer Zwangsmedikation durch Spritzen (Schneider 2020, BGB § 1906a Rn. 18 m. w. Nachw.).

    Vor allem ist eine Zwangsbehandlung als Ultima Ratio erst dann zulässig, wenn die betreute Person nicht zu einer Akzeptanz der Behandlung motiviert werden kann. Zuvor muss daher ernsthaft und mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht werden, die betreute Person von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB]). Wer diesen Überzeugungsversuch zu unternehmen hat, hat der Gesetzgeber nicht weiter bestimmt. Regelmäßig wird dies der ärztlich beratene Betreuer oder Bevollmächtigte sein. Denkbar ist aber auch, dass der behandelnde Arzt oder eine sonstige Vertrauensperson der betroffenen Person den Versuch übernimmt (BGH, Beschluss v. 4.6.2014, XII ZB 121/14, NJW 2014, 67 [34], S. 2498 Rn. 17 ff.).
  • Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BGB]). In diesem Rahmen stellt sich die Notwendigkeit, sich mit den Beeinträchtigungen durch die Nebenwirkungen der Behandlung auseinanderzusetzen. Vor allem die Nebenwirkungen von Psychopharmaka werden in der Praxis als sehr belastend beschrieben (Heitmann und Götz 2021, BGB § 1906a Rn. 9).

4.2.4 Der situative Rahmen: Krankenhaus

Situativ ist eine ärztliche Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht auf einen stationären Kontext in einem Krankenhaus beschränkt (§ 1832 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB]).

Ob auch eine ambulante Zwangsbehandlung zulässig sein kann, ist ungeklärt. Grundsätzlich wollte der Gesetzgeber zwar eine ambulante Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht ausschließen (BT-Dr 18/11240, S. 20). Unter Verweis auf eine deutlich geringere Belastung für die betroffene Person im Vergleich zu einer konflikthaften zwangsweisen Vergabe des Medikaments in einem stationären Setting wird aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedoch in der Literatur z.T. gleichwohl die Zulässigkeit einer ambulanten Zwangsbehandlung gefolgert (so etwa Schneider 2020, BGB § 1906a Rn. 31; Spickhoff 2018, BGB § 1906a Rn. 15; Heitmann und Götz 2021, BGB § 1906a Rn. 13; anders AG Ratzeburg, Beschluss v. 10.12.2013 – 2 XVII W 1876/2003, BtPrax, 24 [2], S. 93; Fölsch 2021, S. 3593). Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage offengelassen, zumindest jedoch eine teilstationäre Behandlung in einer Tagesklinik als ausreichenden stationären Kontext eingestuft (BVerfG, Beschluss v. 2.11.2021, 1 BvR 1575/18, NJW 2021, 74 [49], S. 3591 Rn. 44).

4.3 Die Durchsetzung der Zwangsbehandlung

Liegen die Voraussetzungen für eine ärztliche Zwangsmaßnahme vor, so stellt sich unter Umständen die Folgeproblematik, die betroffene Person gegen ihren Willen zwangsweise in das Krankenhaus zu verbringen und dort zudem die Maßnahme gegen ihre Gegenwehr durchzuführen. Insoweit gilt: Liegen die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung vor, so ist auch deren zwangsweise Durchführung denkbar:

  • Die zwangsweise Verbringung in ein Krankenhaus zur Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ist möglich, wenn die Maßnahme ohne die Verbringung nicht durchgeführt werden kann und die betroffene Person auch die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen kann (§ 1832 Abs. 4, 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB [bis 31.12.2022: §§ 1906a Abs. 4, 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB]). Ist damit zu rechnen, dass die betroffene Person weglaufen wird, so wird die betroffene Person für die Dauer der ärztlichen Zwangsmaßnahme freiheitsentziehend stationär untergebracht (§ 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB [bis 31.12.2022: § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB]).
  • Wehrt sich die betroffene Person in der Einrichtung gegen die Zwangsbehandlung, sind darüber hinaus freiheitsentziehende Maßnahmen zur Sicherstellung der Behandlung denkbar, etwa das Festhalten oder eine Mehrpunkt-Fixierung (sog. unterbringungsähnliche Maßnahmen, § 1831 Abs. 4 BGB [bis 31.12.2022: § 1906 Abs. 4 BGB]).

4.4 Verfahren

Formal willigt an Stelle der betroffenen Person ihr gesetzlicher Vertreter in die Zwangsmaßnahme ein, also ihr Betreuer oder Bevollmächtigter (§ 1832 Abs. 1, Abs. 5 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 1, Abs. 5 S. 2 BGB]).

Die Einwilligung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts (§ 1832 Abs. 4 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 4 BGB]). Die erstmalige Genehmigung darf maximal für 6 Wochen erteilt werden, eine Verlängerung ist aber möglich (§ 329 Abs. 1 S. 2 FamFG [Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit]). Einstweilige Anordnungen sind möglich (§ 331 FamFG). Das Betreuungsgericht hat den behandelnden Ärzt*innen die Dokumentation der Behandlung aufzugeben (§ 323 Abs. 2 FamFG).

Ist die zwangsweise Verbringung bzw. eine freiheitsentziehende Unterbringung der Person in einem Krankenhaus erforderlich, so ist hierfür ebenfalls die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen (§ 1832 Abs. 4 BGB [bis 31.12.2022: § 1906a Abs. 4 BGB]). Gleiches gilt für etwaige unterbringungsähnliche Maßnahmen während der Durchführung der Behandlung (§ 1831 Abs. 4, Abs. 2 BGB [bis 31.12.2022: § 1906 Abs. 4, Abs. 2 BGB]).

5 Zwangsbehandlung Minderjähriger

5.1 Grundsätze

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für ärztliche Behandlungen Minderjähriger gibt es nur punktuell. Ihre Zulässigkeit folgt aus den Grundsätzen der Personensorge (§§ 1626 ff. BGB, insbesondere 1631b BGB für die Eltern; § 1795 BGB [bis 31.12.2022: § 1800 BGB i.V. mit §§ 1631 ff. BGB im Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht]).

Über ärztliche Untersuchungen, Heilbehandlungen oder körperliche Eingriffe bei einer minderjährigen Person entscheidet grundsätzlich ihr gesetzlicher Vertreter. Das sind im Regelfall die personensorgeberechtigten Eltern (§ 1631 BGB). Denkbar ist aber auch, dass ein Vormund oder Pfleger die Entscheidung trifft. Bestimmte Eingriffe sind einer Einwilligung nicht zugänglich. Dazu gehören grundsätzlich geschlechtsverändernde Eingriffe (§ 1631e BGB) und eine Sterilisation (§ 1631c BGB).

Eine Verselbstständigung des Kindes erfolgt nach Maßgabe seiner Einsichtsfähigkeit (§ 630d Abs. 1 S. 2 BGB). Diese hängt davon ab, ob die minderjährige Person aufgrund ihrer Entwicklung das erforderliche Mindestmaß an geistiger Reife und Urteilsfähigkeit besitzt, um die Tragweite des Rechtsgutsverzichts einschätzen zu können (BGH, Urteil v. 5.12.1958, VI ZR 266/57, NJW 1959, 12 [18], S. 811). Ob die Einsichtsfähigkeit vorliegt, richtet sich nach dem Einzelfall (Lorenz 2017, S. 783 m.w. Nachw.; Veit 2022, BGB § 1626 Rn. 49).

5.2 Nicht einsichtsfähige Minderjährige

Solange das Kind noch nicht einsichtsfähig ist, erteilen die Personensorgeberechtigten die erforderliche Einwilligung in ärztliche Maßnahmen (Wagner 2020, BGB § 630d Rn. 37 f.). Ausdrücklich geregelt ist dies für die Beschneidung von Knaben (§ 1631d BGB).

Ein etwa entgegenstehender natürlicher Wille des Kindes hat grundsätzlich lediglich im Innenverhältnis gegenüber den Eltern Bedeutung (Lorenz 2017, S. 783), ist aber nicht relevant für die behandelnde Person. Eine vom gesetzlichen Vertreter veranlasste Zwangsbehandlung eines nicht einsichtsfähigen Kindes gegen dessen natürlichen Willen ist insofern grundsätzlich möglich.

Die Voraussetzungen der Zwangsbehandlung sind gesetzlich nicht geregelt, werden aber von der Rechtsprechung weitgehend an die Voraussetzungen der Zwangsbehandlung Volljähriger angeglichen:

  • Die Zwangsbehandlung muss sich als verhältnismäßig herausstellen (Hoffmann 2015, S. 987; Veit 2022, BGB § 1626 Rn. 53). Die Rechtsprechung fordert insoweit ebenfalls die Notwendigkeit der Behandlung zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens, die angedachte Behandlung muss den gewünschten Behandlungserfolg realisieren können und der Nutzen muss die Nachteile des Zwangs überwiegen (Hoffmann 2015, S. 986). Als Anwendungsfelder einer möglichen Zwangsbehandlung anerkannt ist die Sicherstellung der Einnahme lebenswichtiger Medikamente oder von Nahrung sowie die Vermeidung einer Chronifizierung der Erkrankung (Hoffmann 2015, S. 987 m. w. Nachw.).
  • Die Eltern haben im Innenverhältnis gegenüber dem Minderjährigen die Pflicht, die geplante Maßnahme mit ihrem Kind zu besprechen und Einvernehmen anzustreben (§ 1626 Abs. 2 BGB). Das Unterbleiben der Besprechung macht deren Einwilligung jedoch im Außenverhältnis nicht rechtswidrig (Hoffmann 2015, S. 987).

Was das „Setting“ der Zwangsbehandlung angeht, so geht die herrschende Meinung davon aus, dass auch eine ambulante Zwangsbehandlung uneingeschränkt zulässig ist (Hoffmann 2015, S. 987).

Streitig ist, inwieweit gesundheitsbezogene elterliche Entscheidungen einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Das Gesetz selbst sieht ein gerichtliches Genehmigungserfordernis nur für eine freiheitsentziehende Unterbringung in einer Einrichtung (§ 1631b Abs. 1 BGB) sowie sog. unterbringungsähnliche Maßnahmen in einer Einrichtung vor, durch die weitere (Rest-)Freiheiten entzogen werden (§ 1631b Abs. 2 BGB). Soweit in einer Einrichtung freiheitsbeschränkende Maßnahmen auf einer medikamentösen Behandlung (etwa durch die gezielte Gabe sedierender Medikamente zur Ruhigstellung der minderjährigen Person) beruhen, wäre die elterliche Entscheidung genehmigungspflichtig. Gleiches gilt für freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Rahmen der Durchführung einer Zwangsbehandlung, etwa eine Fixierung einer minderjährigen Person, um ihre Zwangsernährung sicherzustellen (vgl. etwa OLG Hamburg, Beschluss v. 17.11.2020, 12 UF 101/20, NZFam [Neue Zeitschrift für Familienrecht], 2021, 8 [4], S. 166).

Lediglich vereinzelt wird daraus eine generelle Genehmigungspflicht für medizinische Zwangsmaßnahmen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung gefolgert (Hoffmann 2015, S. 985 [S. 986]). Demgegenüber lehnt die herrschende Meinung ein gerichtliches Genehmigungserfordernis für eine Zwangsbehandlung nicht einsichtsfähiger Minderjähriger – ungeachtet ihrer Unterbringung – ab (Spickhoff 2018, BGB § 1631b Rn. 1; Veit 2022, BGB § 1631b Rn. 31; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 11. 1. 2002, 20 WF 112/01, NJW-RR [Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs Report] 2002, 17 [11], S. 725, für eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer Unterbringung; OLG Brandenburg, Beschluss v. 17. 2. 2000, 10 UF 45/99, NJW 2000, 53 [32], S. 2361; OLG Hamm, Beschluss v. 24. 5. 2007 - 1 UF 78/07, NJW 2007, 60 [37], 2704, beide zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen).

5.3 Einsichtsfähige Minderjährige

Anderes gilt, wenn die minderjährige Person die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzt. In Rechtsprechung und Literatur ist insoweit nicht eindeutig geklärt, ob einsichtsfähige Minderjährige eine Alleinentscheidungsbefugnis in Bezug auf medizinische Maßnahmen besitzen (so BGH, Urteil v. 5.12.1958, VI ZR 266/57, NJW 1959, 12 [18], S. 811, allerdings für einen Sonderfall; OLG Hamm, Beschluss v. 29.11.2019, 12 UF 236/19, NJW 2020, 73 [19], S. 1373, für den Schwangerschaftsabbruch durch eine Minderjährige; als generelle Forderung Hoffmann 2015, S. 986) oder ob es – zumindest bei nicht ganz banalen Eingriffen – eines Co-Konsenses von minderjähriger Person und Personensorgeberechtigtem bedarf (so etwa in der Entscheidung des BGH, Urteil v. 16. 11. 1971, VI ZR 76/70, NJW 1972, 25 [8], S. 335 [S. 337]; Veit 2022, BGB § 1626 Rn. 55).

Anerkannt ist allerdings, dass eine einsichtsfähige minderjährige Person gegen die Einwilligung der Personensorgeberechtigen in ärztliche Maßnahmen ein Vetorecht besitzt (BGH, Urteil v. 10. 10. 2006 – VI ZR 74/05, NJW 2007, 60 [4], S. 217 [S. 218]). Gegen den Willen ihres einsichtsfähigen Kindes können die Personensorgeberechtigten mithin nicht wirksam in medizinische Maßnahmen einwilligen (BGH, Urteil v. 10. 10. 2006 - VI ZR 74/05, NJW 2007, 60 [4], S. 217 [S. 218]; Hoffmann 2015, S. 986; Veit 2022, BGB § 1631b Rn. 30). In der Konsequenz ist eine Zwangsbehandlung einer minderjährigen einsichtsfähigen Person unzulässig. Eine Patientenverfügung ist Minderjährigen allerdings nicht zugänglich (§ 1827 Abs. 1 BGB [bis 31.12.2022: § 1901a Abs. 1 BGB]).

Nachdem es jedoch kein gerichtliches Genehmigungserfordernis für die Behandlung Minderjähriger gibt und die Einsichtsfähigkeit entweder gar nicht oder erst im Nachgang im Rahmen eines Gerichtsverfahrens sachverständig geklärt werden kann, ist nicht auszuschließen, dass die Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall unzutreffend eingeschätzt wird und es in der Folge de facto zu einer Zwangsbehandlung eines eigentlich einsichtsfähigen Minderjährigen kommt (dazu Lorenz 2017, S. 785).

6 Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung

Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung erfolgt bei psychisch kranken Personen, von denen eine akute Gefahr für sich oder andere ausgeht. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Zwangsbehandlung werden in den Unterbringungsgesetzen der Länder geregelt (vgl. exemplarisch etwa § 21 PsychKHG RlP). Die Unterbringungsgesetze beziehen sich dabei z.T. – und weitergehend als das Betreuungsrecht – nicht nur auf psychische Krankheiten, Störungen oder Behinderungen, sondern auch auf mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehende Abhängigkeiten von Suchtstoffen (vgl. etwa § 1 Abs. 2 PsychKGH RlP).

6.1 Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung

Grundsätzlich ist sowohl die Behandlung der Anlasserkrankung als auch die Behandlung einer sonstigen Erkrankung an die Einwilligung der untergebrachten Person gebunden. Die im einwilligungsfähigen Zustand erklärte oder die mit natürlichem Willen geäußerte Ablehnung der Behandlung sowie eine wirksame Patientenverfügung (§ 1827 BGB [bis 31.12.2022: § 1901a Abs. 1 BGB]) sind zu beachten.

6.1.1 Zwangsbehandlung zum Schutz der betroffenen Person

Bei einsichtsunfähigen Personen ist eine Behandlung der Anlasserkrankung gegen den natürlichen Willen der untergebrachten Person unter Anwendung von Zwang in Rheinland-Pfalz unter folgenden Voraussetzungen zulässig (§ 21 PsychKGH Rlp):

  • Ausschließliches Behandlungsziel ist die Wiederherstellung der freien Selbstbestimmung, um die Beendigung der Unterbringung zu ermöglichen und
  • das Fehlen einer wirksamen, die Behandlung untersagenden Patientenverfügung.
  • Die Behandlung muss verhältnismäßig sein:
    • Sie darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn weniger eingreifende Behandlungen nicht vorgenommen werden können oder sich als aussichtslos erwiesen haben.
    • Ein ausführliches ärztliches Aufklärungsgespräch, in dem die vorgesehene Behandlung, deren Erforderlichkeit und mögliche damit verbundene Risiken in einer den Verständnismöglichkeiten der untergebrachten Person entsprechenden Weise erläutert wurden, ist erfolgt. Dabei ist der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck unternommene Versuch, eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zur Behandlung zu erreichen, erfolglos geblieben.
    • Die vorgesehene Behandlung muss Erfolg versprechend sein; ihr Nutzen muss – deutlich feststellbar – die mit ihr einhergehenden Belastungen überwiegen.

In Notfällen darf eine Behandlung der Anlasserkrankung oder einer sonstigen Erkrankung ohne Einwilligung der untergebrachten Person und erforderlichenfalls auch gegen ihren natürlichen Willen unter Anwendung von Zwang zum Schutz des einwilligungsunfähigen Betroffenen, der sich in einer akuten Lebensgefahr befindet, durchgeführt werden (§ 21 Abs. 6 PsychKHG RlP).

6.1.2 Zwangsbehandlung zum Schutz Dritter

Zum Schutz des Lebens oder vor einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr Dritter ist eine Zwangsbehandlung unabhängig von der Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Person möglich (§ 21 Abs. 6 PsychKHG RlP).

6.2 Durchsetzung der Zwangsbehandlung

Eine Fixierung der betroffenen Person zur Erzwingung der Zwangsbehandlung ist zulässig im Rahmen landesgesetzlicher Vorgaben, die den Erfordernissen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Rechnung tragen (vgl. etwa § 27 PsychKGH RlP). Eine Fixierung ist danach als besondere Sicherungsmaßnahme u.a. bei einer gegenwärtigen Gefahr der Selbsttötung oder der erheblichen Schädigung der eigenen Gesundheit möglich.

6.3 Verfahren

6.3.1 Zwangsbehandlung

Die Anordnung der Zwangsbehandlung hat durch einen Arzt zu erfolgen, der auch die Art und die Intensität der ärztlichen und pflegerischen Überwachung festlegt und die Durchführung der angeordneten Behandlung kontrolliert (§ 21 Abs. 5, Abs. 7 PsychKHG RlP).

Die Behandlung ist unter Angabe ihrer maßgeblichen Gründe, der Art und Weise der Durchführung, der vorgenommenen Kontrollen und der Überwachung ihrer Wirkung ausführlich zu dokumentieren.

Vor der Durchführung der Behandlung hat die Einrichtung bei einer volljährigen untergebrachten Person die Genehmigung des Betreuungsgerichts (Giers 2020, FamFG § 323 Rn. 6), bei einer minderjährigen untergebrachten Person die Genehmigung des Familiengerichts einzuholen.

6.3.2 Fixierung

Die gleichen Maßstäbe gelten auch für eine Fixierung zur Erzwingung der Zwangsbehandlung (vgl. etwa § 27 Abs. 2, Abs. 6 PsychKHG RlP): Eine Fixierung erfordert ausnahmslos eine schriftliche Anordnung einer Ärztin oder eines Arztes. Während der Fixierung ist eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu gewährleisten.

Soll die Fixierung länger als 30 Minuten dauern, bedarf sie grundsätzlich der vorherigen gerichtlichen Genehmigung (vgl. etwa § 27 Abs. 5 PsychKGH RlP, §§ 312 Nr. 4, 323 FamFG).

7 Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug

Das Strafrecht kennt – neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe – als Reaktion auf schwerwiegende Straftaten verschiedene – ebenfalls freiheitsentziehende – Maßregeln der Sicherung oder Besserung. In allen angesprochenen Kontexten kann sich das Thema der Zwangsbehandlung stellen. In der Praxis stehen Behandlungen im Rahmen des Maßregelvollzugs im Vordergrund, der nachfolgend aufgegriffen wird: Schuldunfähige (bzw. vermindert schuldfähige) aber als gefährlich eingestufte Straftäter*innen können in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden (§ 63 StGB [Strafgesetzbuch]). Ziel der Unterbringung ist eine Heilung oder zumindest Besserung ihres Zustandes (§ 136 StVollzG). Stehen Rauschtaten im Raum, ist eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt möglich, deren Zweck ebenfalls in der Heilung der Sucht besteht (§ 64 StGB, § 137 StVollzG).

7.1 Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung

Die Zulässigkeit von Behandlungen in einer psychiatrischen Einrichtung oder einer Entziehungsanstalt richtet sich nach Landesrecht (Gerhold 2022, StVollzG § 1 Rn. 6; vgl. § 138 Abs. 1 StVollzG i.V. mit den jeweiligen Landesgesetzen, für Rheinland-Pfalz etwa § 15 MVollzG RlP [Maßregelvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz]). Die Vorschriften lehnen sich dabei relativ eng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an:

Eine Zwangsbehandlung der betroffenen Person zu ihrem eigenen Schutz ist grundsätzlich nur mit ihrer Einwilligung zulässig. Eine Patientenverfügung ist zu beachten (§ 15 Abs. 1 MVollzG RlP). Eine Zwangsbehandlung „zum Besten“ der betroffenen Person kommt mithin grundsätzlich ausschließlich bei nicht einsichtsfähigen Personen in Betracht. Sie scheidet aus, wenn eine entgegenstehende Patientenverfügung vorliegt (§ 15 Abs. 2 MVollzG RlP).

Gegenstand der Zwangsbehandlung ist grundsätzlich die Behandlung der Anlasserkrankung. Ziel der Behandlung muss die Herstellung der freien Selbstbestimmung sein.

Im Übrigen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein:

  • Es muss eine ärztliche Aufklärung stattgefunden haben und der ernsthafte und ohne Ausübung von Druck Versuch einer Ärztin oder eines Arztes unternommen worden sein, ein Einverständnis der gefangenen Person zu der Maßnahme zu erwirken.
  • Die Maßnahme muss zur Abwendung einer Gefahr geeignet und erforderlich sein.
  • Zuletzt muss der von der Maßnahme erwartete Nutzen die mit der Maßnahme verbundene Belastung und den durch das Unterlassen der Maßnahme möglichen Schaden deutlich überwiegen.

In Notfällen ist zur Abwendung einer Lebensgefahr oder einer sonstigen schweren Gefahr eine zwangsweise Behandlung sowohl der Anlasserkrankung als auch sonstiger Erkrankungen möglich (§ 15 Abs. 4 MVollzG RlP).

Eine ärztliche Zwangsmaßnahme zum Schutz anderer Personen ist – ungeachtet der Einsichtsfähigkeit der betroffenen Person – in Notfällen möglich (§ 15 Abs. 4 MVollzG RlP).

7.2 Fixierungen

Eine Fixierung zur Durchsetzung einer Zwangsbehandlung ist nur zulässig, wenn es dahingehende konkrete landesrechtliche Vorgaben gibt, die den Erfordernissen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügen (vgl. etwa § 29 MVollzG RlP).

7.3 Verfahren

7.3.1 Zwangsbehandlung

Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge müssen grundsätzlich ärztlich angeordnet sein (Landesrecht, vgl. etwa § 15 MVollzG RlP).

Die Gründe für die Anordnung einer Maßnahme, die ergriffene Maßnahme selbst einschließlich ihres Zwangscharakters, die Durchsetzungsweise, die Wirkungsüberwachung sowie der Untersuchungs- und Behandlungsverlauf sind zu dokumentieren. Gleiches gilt für Erklärungen der Gefangenen, die im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen von Bedeutung sein können (vgl. etwa § 15 MVollzG RlP).

Die Anordnung einer Zwangsmaßnahme ist den Gefangenen vor Durchführung der Maßnahme schriftlich bekannt zu geben. Sie sind darüber zu belehren, dass sie gegen die Anordnung bei Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen und eine gerichtliche Entscheidung beantragen können.

Gegen die Anordnung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme kann eine gerichtliche Entscheidung beantragt werden (§§ 109, 138 Abs. 3 StVollzG). Zuständig für den Rechtsschutz sind die Strafvollstreckungskammern (Amtsgericht) im Zuständigkeitsbereich der Vollzugsbehörde (§ 110 StVollzG).

7.3.2 Fixierungen

Soweit eine Fixierung zum Zweck der Erzwingung einer Zwangsbehandlung landesgesetzlich zulässig ist, gelten die gleichen Maßstäbe (vgl. etwa § 29 MVollzG RlP): Eine Fixierung erfordert ausnahmslos eine schriftliche Anordnung einer Ärztin oder eines Arztes. Während der Fixierung ist eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu gewährleisten.

Soll die Fixierung länger als 30 Minuten dauern, bedarf sie grundsätzlich der vorherigen gerichtlichen Genehmigung (vgl. etwa § 29 Abs. 5 MVollzG RlP).

8 Entwicklungen und Diskussionen

Gewalt begleitet seit jeher den Umgang der Gesellschaften mit psychisch Erkrankten (dazu etwa die Schilderungen von Foucault 2013, S. 140 ff.). Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Geschichte der psychiatrischen und psychischen Gesundheitsversorgung wider (Osterfeld 2017, S. 38 m.w. Nachw.; DGPPN 2018, S. 21). In der Nachkriegszeit hat erst die Feststellung der Psychiatrie-Enquete von 1975, dass es in Psychiatrien zu massiven Menschenrechtsverletzungen komme, einen Reformprozess der Psychiatrie in Gang gesetzt (Graumann 2014, S. 137).

Nahezu unbehelligt davon spielte sich das Thema „Zwangsbehandlung“ auch weiterhin lange Jahre im Schatten des Rechts ab. Trotz ihrer hohen Grundrechtsrelevanz blieben Zwangsbehandlungen in allen Rechtsbereichen allenfalls punktuell und dann auch vergleichsweise oberflächlich geregelt: Erst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Bewegung in diesen Bereich gebracht. Verfolgt man die Rechtsentwicklung, kann man sich des Eindrucks eines widerstrebenden Gesetzgebers nicht erwehren, der Schritt für Schritt zur Beachtung der Grundrechte der Betroffenen in allen Bereichen gezwungen werden musste:

  • Die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Thema aus den Jahren 2011 betraf Zwangsbehandlungen im Maßregelvollzug (BVerfG, Beschluss v. 23.3.2011, 2 BvR 882/09, NJW 2011, 64 [49], S. 2113). Sie veranlasste nicht nur die Landesgesetzgeber zur Regelung der Zwangsbehandlung innerhalb des Maßregelvollzugs, sondern führte auch erstmals zu einer ausdrücklichen Regelung der Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht (BGBl. I 2013, S. 266 [Nr. 9]).
  • Unbeeindruckt davon blieb das Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Erst auf ausdrückliche Feststellung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2017, dass die für den Maßregelvollzug entwickelten Grundsätze auch für die öffentlich-rechtliche Unterbringung gälten (Beschluss v. 19.7.2017, 2BvR 2003/14, NJW 2017, 70 [41], S. 2982), kam es zu entsprechenden landesrechtlichen Neuregelungen.
  • In ähnlicher Weise gab es nur rudimentäre Regelungen für Fixierungen zur Durchsetzung von Zwangsbehandlungen. Es bedurfte einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2018, um Standards zu setzen (BVerfG, Urteil v. 24.7.2018, 2 BvR 309/15; 2 BvR 502/16, NJW 2018, 71 [36], S. 2622 Rn. 74).

Schrittmacher dieser Entwicklung war nicht zuletzt die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vom 13. Dezember 2006, die seit 2009 in Deutschland gilt (BGBl 2008 II, S. 1419), und der Diskussion um die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen gegen den natürlichen Willen betroffener Personen neuen Auftrieb gegeben hat (Masuch und Gmati 2013, S. 527). Die UN-Behindertenrechtskonvention verhält sich zwar nicht konkret zu Zwangsbehandlungen, enthält jedoch Vorschriften, die von unmittelbarer Relevanz für die Thematik sind:

  • Zum einen stärkt sie das Selbstbestimmungsrecht behinderter Menschen deutlich (Art. 12 UN-BRK). Eine Missachtung des natürlichen Willens wird dementsprechend vor allem von Betroffenenverbänden als unvereinbar mit ihrem Selbstbestimmungsrecht angesehen (BPE 2020; w. Nachw. bei Masuch und Gmati 2013, S. 525).
  • Zugleich enthält die UN-Behindertenrechtskonvention ein ausdrückliches Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 15 UN-BRK). Vor allem auf dieses stützen Psychiatrieerfahrene ihre Forderung nach einem grundsätzlichen Verbot von Zwangsbehandlungen (Graumann 2014, S. 127). Dass „[…] in Gesundheitseinrichtungen stattfindende unfreiwillige Behandlungen und sonstige psychiatrische Eingriffe Formen der Folter und Misshandlung darstellen“ (Mendez 2013, S. 16), lässt sich spätestens seit der Feststellung des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen in seinem Bericht über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (ebd.), nicht mehr in Abrede stellen (Graumann 2014, S. 127). Vor allem Berichte Betroffener illustrieren eindrücklich, wie traumatisch und demütigend Zwangsbehandlungen z.T. erlebt werden (Nachw. bei Graumann 2014, S. 145; BPE 2014, S. 9 ff.; Hüther, Jaeger, Steinert 2018, S. 13 und 132 f.; Steinert 2014, S. 207).

Uneinigkeit besteht in der Diskussion hinsichtlich der Konsequenzen: Während vor allem UN-Gremien und Betroffenenverbände Zwangsbehandlungen als nicht konventionskonform ablehnen (BPE 2020; Bernot 2021, S. 27; w. Nachw. Graumann 2014, S. 123; sehr kritisch etwa auch Osterfeld 2017, S. 37), hält die überwiegende Auffassung zumindest in speziellen Konstellationen die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung für unverzichtbar (Masuch und Gmati 2013, S. 525 ff.; Graumann 2014, S. 127, 147; Pollmächer 2014, S. 183; Steinert 2014, S. 222; DGPPN 2018, S. 158; Brieger und Menzel 2021, S. 31). Auch das Bundesverfassungsgericht hält Maßnahmen gegen den natürlichen Willen einer Person nicht für unvereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2016, 1 BvL 8/15, NJW 2017, 70 [1-2], S. 58 Rn. 88).

Einigkeit besteht allerdings darin, dass die Zwangsmaßnahmen zu minimieren und auf das unabdingbar Notwendige zu beschränken seien (exemplarisch Graumann 2014, S. 147; Kallert 2014, S. 187; Brieger und Menzel 2021, S. 32), eine Forderung, die allerdings in der Versorgungspraxis keinen nennenswerten Niederschlag gefunden hat (Kallert 2014, S. 187; DGPPN 2018, S. 72 f.; Osterfeld 2017, S. 32; Rosemann 2021, S. 45). Die aktuellen Reformüberlegungen weisen dabei in unterschiedliche Richtungen. Überwiegend konzentrieren sie sich auf organisatorische und strukturelle Maßnahmen innerhalb der psychiatrischen Einrichtung (etwa Graumann 2014, S. 145 f.; Vollmann 2014, S. 163 f.; DGPPN 2018, S. 78; Brieger und Menzel 2021, S. 32; Steinert, Hirsch und PreVCo-Studienteam 2021, S. 43). Zunehmend werden in jüngerer Zeit auch die regionalen Versorgungsstrukturen in den Blick genommen und gewaltminimierende Potenziale erforscht (Rosemann 2021, S. 45).

Richtungsweisend für die weitere Entwicklung kann die 2018 verabschiedete S3 Leitlinie zur Verhinderung von Zwang der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie werden (DGPPN 2018), die Bedingungen des psychiatrischen Versorgungssystems (DGPPN 2018, S. 5), aber auch die unterschiedlichen Akteure mit deren gewaltvermeidenden Potenzialen in den Blick nimmt (DGPPN 2018, S. 23).

9 Quellenangaben

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Brieger, Peter und Susanne Menzel, 2021. Ist Zwang in der Psychiatrie zu rechtfertigen? Ist er zu vermeiden? In: Kerbe Forum für soziale Psychiatrie. 39(1), S. 31–32. ISSN 0724-5165

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Foucault, Michel, 2013. Wahnsinn und Gesellschaft. 20. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. ISBN 978-3-518-27639-6

Gerhold, Sönke, 2022. StVollzG § 1. In: Jürgen Graf, Hrsg. Beck’scher Online-Kommentar Strafvollzugsrecht Bund [online]. 21. Edition. München: C.H.Beck [Zugriff am: 16.05.2020]. 0]. Verfügbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fkomm%2FBeckOKVollzugBd_21​%2FSTVOLLZG%2Fcont%2FBECKOKVOLLZUGBD.STVOLLZG.P1.glB.glII.htm

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10 Literaturhinweise

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Jürgens, Andreas, Wolfgang Lesting, Annette Loer und Rolf Marschner, 2016. Betreuungsrecht kompakt. 8. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-69040-2 [Rezension bei socialnet]

Lugani, Katharina, 2020. Einwilligung in Schwangerschaftsabbruch durch Minderjährige. In: NJW. 72(19), S. 1330–1332. ISSN 0341-1915

Thar, Jürgen und Wolfgang Raak, 2018. Leitfaden Betreuungsrecht. 7. Auflage. Köln: Reguvis. ISBN 978-3-8462-0934-9 [Rezension bei socialnet]

Zimmermann, Walter, 2020. Ratgeber Betreuungsrecht. 11. Auflage. München: C.H.Beck. ISBN 978-3-406-73913-2

11 Informationen im Internet

Verfasst von
Prof. Dr. Annegret Lorenz
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien-, Betreuungs- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein

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