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Grundlagen und Geschichte der Sozialbegleitung in der Schweiz

Johannes Schmuck

veröffentlicht am 14.06.2016

Das aktuelle Profil der Sozialbegleitung in der Schweiz lässt sich nur vor dem Hintergrund ihrer Geschichte verstehen.

1974 gründeten sieben Frauen und Männer das „Zentrum für soziale Aktion und Bildung“. [1] Gemeinsam war den Sieben eine kritische Sicht auf Institutionen, die Menschen abhängig machen und auf dogmatische Vorstellungen, die nur eine Wahrheit zulassen wollen. Skeptisch betrachteten sie genauso Vorstellungen, die einem naiven Optimismus oder einem Glauben an die Allmacht des Menschen anhingen. Folgerichtig wurde 1979 ein Menschenbild formuliert. Ziel der Sozialbegleitung sei „der Mensch, der mit sich selbst in Einklang steht, mit seinem Körper und dessen Bedürfnissen, mit seiner Psyche und deren Prägungen, Strebungen und Begrenzungen, mit seinem Geist und dessen formalen und imaginativen Bedingtheiten, mit seiner persönlichen Lebensgeschichte und deren Furchen, Narben und offenen Wunden, mit seiner konkreten Umwelt und deren Antriebskräften und Bremsklötzen, Geboten und Verboten.„ [2]

Um die wachsende Nachfrage nach Kursleiter_innen zu decken, startet 1981 der erste, besonders die Selbst− und Sozialkompetenzen der Auszubildenden fokussierende Ausbildungsgang am „Zentrum“. 1991 wird die Schule für Sozialbegleitung als eigener Bereich des „Zentrums“ mit der Ausbildung betraut. Die Sozialbegleitung als „psychosozialer Beruf„ [3] wird zum Ziel. 1995 entscheidet sich die Schule für Sozialbegleitung, die Ausbildung zu einer Berufsausbildung umzubauen. Im gleichen Jahr wird der „Schweizerische Berufsverband diplomierter Sozialbegleiterinnen und Sozialbegleiter“ SBSB gegründet, der heutige „Schweizerischer Berufsverband Sozialbegleitung“. 1998 wird die Schule für Sozialbegleitung vom „Zentrum“ unabhängig, das sich 1999 auflöst.

Mit der Berufsprüfung [4] Sozialbegleitung und dem eidgenössischen Titel „Sozialbegleiterin/Sozialbegleiter mit eidgenössischem Fachausweis“ ist der Beruf seit 2010 eidgenössisch anerkannt. [5] Träger der Berufsprüfung sind einerseits der Schweizerische Berufsverband Sozialbegleitung und andererseits INSOS, Nationaler Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung.

Heute gehört die Sozialbegleitung mit der Berufsprüfung in der Schweiz zur Höheren Berufsbildung [6]. Sie hat sich auf der Tertiärstufe positioniert. Damit bietet sie sich im Sozialbereich einerseits als passgenaue Anschlussmöglichkeit für Sozial- und Gesundheitsberufe der Sekundarstufe II wie Fachfrau/Fachmann Betreuung FaBe oder Fachfrau/Fachmann Gesundheit FaGe an. Andererseits eröffnen sich den Sozialbegleiter_innen FA weiterführende Ausbildungsmöglichkeiten, z.B. an Höheren Fachschulen in den Schwerpunkten Sozialpädagogik oder Gemeindeanimation. Ihr eigenständiges Profil gewinnt die Sozialbegleitung im Vergleich mit den anderen Sozialberufen wie der Sozialpädagogik oder der Betreuung durch die Fokussierung auf aufsuchende, lebensweltorientierte Arbeit mit Einzelnen, Familien und Gruppen. [7]

Die institutionskritische Perspektive, die Skepsis gegenüber reduktionistischen oder allzu schlichten Vorstellungen von Glück oder menschlicher Identität sowie der Ansatzpunkt für Veränderung sowohl bei den konkreten Erfahrungen von Menschen als auch in der Dynamik der Umwelt, bilden die nach wie vor wirksamen Leitideen der Sozialbegleitung.

Aufsuchend und Lebensweltorientiert

Sozialbegleitung ging von Beginn an von einem Menschenbild aus, das die Chance zum Einklang der Bedürfnisse der Person mit ihrer konkreten Umwelt für alle Menschen reklamierte. Widersprüche, Bedingtheiten und Grenzen begriff sie immer als Teil dieses Einklangs. Sich selbst sah und sieht sie als eine spezifische Form der professionellen Unterstützung, diese Chance zu realisieren.

Aufsuchende Familienbegleitung, Wohnassistenz bei einem Menschen mit einer kognitiven oder psychischen Beeinträchtigung, Begleitung von obdachlosen Menschen in einer mobilen Notunterkunft oder die Sozialbegleitung von dialyseabhängigen Menschen sind Beispiele für Arbeitsfelder aufsuchender Sozialbegleitung [8]. Als Sozialbegleiter_in aufsuchend tätig zu sein meint jedoch mehr, als „nur“ an den Lebens-, Freizeit oder Arbeitsorten von Menschen in herkömmlicher Weise sozial tätig zu sein. Verstände Sozialbegleitung sich in dieser Art und Weise, würde sie die Orte quasi kolonialisieren (Habermas). Sozialbegleitung „exportiert“ also nicht einfach mehr oder weniger bewährte Methoden der institutionellen Arbeit „in“ die Orte der Betroffenen. Vielmehr bedeutet aufsuchende Sozialbegleitung, die Orte als Teil des Sozialraums und der Lebenswelt der Betroffenen zu begreifen. Gerade weil Sozialbegleitung an den Orten der Betroffenen agiert und diese lebensweltlich und sozialräumlich zu deuten versteht, ist sie mehr als nur Umsetzung vorformulierter Massnahmen oder Vorgaben. Aufgrund der Lebensweltorientierung und aufgrund ihrer Dialogbereitschaft entdeckt sie einerseits bisher zu wenig beachtete Potentiale und Ressourcen. Andererseits kann sie auch auf übersehene Anforderungen und Belastungen aufmerksam machen. Dabei ignoriert sie nicht, dass sie z.B. in einer Familie nicht als Nachbarin oder Freundin agiert, sondern als Fachperson. Sozialbegleitung orientiert sich somit an der Lebenswelt der Adressat_innen und bietet alltagsnahe soziale Begleitung in deren Umfeld an. Sie geht von deren Anliegen aus und davon, was diese in ihrer Lebenswelt beschäftigt. Sozialbegleiter_innen zeichnen sich insbesondere durch ihre Fähigkeit aus, auch in grundsätzlich herausfordernden Lebenslagen länger dauernd und verlässlich zu begleiten. [9]

Lebensweltorientierte Sozialbegleitung versteht das Gegenüber nicht als Objekt von Methoden oder Techniken, z.B. aus dem Fundus der Instrumente der Gesprächsführung. Es geht nicht darum, besonders trickreich oder wundersam ein Verschwinden von Problemen bei den Adressat_innen zu bewerkstelligen. Vielmehr orientiert sie sich sowohl an den eigenen Deutungen der Lebenslagen und Lebensverhältnisse und den Ressourcen der Betroffenen. Ebenso ernst nimmt die Sozialbegleitung die persönlichen, familiären, institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten. Sie stärkt soziale Bezüge, nimmt Ressourcen auf und fordert zur Selbsthilfe heraus. Machtgefälle, Grenzen oder Bedingungen ignoriert sie nicht. Sozialbegleitung agiert in diesem Sinne in der Lebenswelt sowohl verstehend, entdeckend, stärkend, vernetzend wie auch konfrontierend, herausfordernd und provozierend. Sie weiss, dass der Lebensalltag komplex ist und simplifizierende Antworten nicht genügen.

Aufsuchend sozial tätig zu sein ist keine besondere Erfindung der Sozialbegleitung. Ausserhalb professioneller Unterstützung organisieren sich Menschen ihre Unterstützung von jeher nachbarschaftlich bzw. bietet das Umfeld soziale Unterstützung an. Historisch entstanden im 19. und dann verstärkt im 20. Jahrhundert mit der Institutionalisierung und Professionalisierung von sozialer Unterstützung neue Möglichkeiten der Spezialisierung im Sozialbereich. Diese entfernten sich jedoch häufig nicht nur räumlich von den Lebensorten der Betroffenen. Sie entwickelten und entwickeln in einer Art Eigenleben institutionelle Barrieren bzw. institutionelle Eigenlogiken. Diese Eigenlogiken führen dann nicht nur dazu, dass vorhandene und vorgefertigte institutionelle Lösungsangebote favorisiert werden. Es geraten auch soziostrukturelle Dimensionen für nur scheinbar individuelle Problemlagen aus dem Blickfeld. Überspitzt formuliert „haben“ aus dieser Perspektive jeweils einseitig die Adressat_innen das Problem, sie sind einerseits alleinige Ursache der Probleme und andererseits alleiniges Objekt der Entwicklungsanforderungen. In verschiedenen Feldern der Sozialen Arbeit, etwa der Aufsuchenden Jugendarbeit, der Sozialpsychiatrie oder der Familienarbeit, hat sich der aufsuchende Ansatz bis heute gehalten und interpretiert sein Vorgehen immer wieder neu.

Sozialbegleitung bezieht sich auf Ursprünge der Sozialen Arbeit [10] zurück. Von den Anfängen der Sozialen Arbeit an waren Projekte massgeblich, die sich nicht nur an die Orte begaben, wo Missstände auftraten, sondern dabei auch Erklärungsmuster und Lösungsansätze entwickelten, die über eine rein individuelle Perspektive hinausgingen. Mary Richmond ist mit ihrem Vorgehen Anfang der 1920er Jahre nur ein Beispiel dafür. [11]

Ressourcenorientierung und Empowerment

Ressourcenorientierung in der Sozialbegleitung meint nicht, dass Defizite, Anforderungen, Grenzen oder Einschränkungen bei Einzelnen, Familien, Netzwerken oder Gemeinwesen verleugnet, ignoriert, schöngeredet oder verharmlost werden sollen. Ressourcenorientierung wendet sich explizit gegen die Tendenz, Personen oder Familien auf Defizite und Problematisches zu reduzieren. Pseudodiagnostik wie in der Rede von „Problemfamilien“, Aktenführung, die eine reine Aneinanderreihung von „Fehlschlägen der Klient_innen“ ist, Gesprächsführung, die das Gegenüber zum Objekt der Fallbearbeitung machen sind nur einige Beispiele für die Konsequenzen der Defizitorientierung. Ressourcen betreffen dabei nicht nur die einzelne Person und damit z. B. physische oder psychische Aspekte. Zu ihnen zählen genauso soziale Dimensionen wie sie z. B. in der Netzwerkarbeit berücksichtigt werden, finanzielle, rechtliche und materielle Verhältnisse oder auch das Wohnumfeld. Letztlich zeigen sich die Ressourcen bei den Personen bzw. Familien in der Bewältigung ihrer Anforderungen in der Lebenswelt.

Ressourcenorientierung verleugnet also nicht Grenzen, Schwächen oder eigenes oder fremdes Versagen. Sie schreibt sie jedoch nicht einseitig den sogenannten Klient_innen zu, hinterfragt die Bedingungen ihres Entstehens und versteht sie als Aufforderung zum Lernen und zur Entwicklung. Ebenso wie in der Salutogenese Gesundheit und gesundheitsfördernde Faktoren fokussiert werden, gleichzeitig aber nicht geleugnet wird, dass es Krankheit und krankheitsverursachende Faktoren gibt, schaut die Ressourcenorientierung nicht über Schwächen hinweg oder leugnet sie.

Ressourcenorientierung wird konkret, wenn die Ressourcen bei der Erfassung der Lebenslage in Hinblick auf den Auftrag und die Ziele in den Blick genommen werden. Ressourcenorientierung zeigt sich andererseits als gezieltes Stärken und Ermutigen, die Macht und Verantwortung über die eigenen Lebensverhältnisse selber in die Hand zu nehmen und sich gegen Bevormundung, Verdinglichung oder Entwürdigung entschlossen zu wehren. Ressourcenorientierung und Empowerment gehen also Hand in Hand und umgreifen nicht nur die individuelle Dimension oder die der Familie. Um Macht und Verantwortung über die eigenen Lebensverhältnisse übernehmen zu können, werden entmündigende und deklassierende Strukturen und Bedingungen hinterfragt. Auf ihre Veränderung wird gemeinsam hingearbeitet. Gleichzeitig vertritt die Sozialbegleitung die Position, dass bei allen Beteiligten entwürdigende, stigmatisierende, objektivierende, entmächtigende Denk- und Verhaltensweisen aufgedeckt werden sollen. Empowerment muss vor diesem Hintergrund vier Ebenen berücksichtigen: die individuelle, die der sozialen Netzwerke und Nachbarschaften, der institutionellen Ebene und der lokalpolitischen Ebene. Auf lokalpolitischer Ebene engagiert sie sich dafür, dass die betroffenen Bürger_innen als Mitgestalter_innen ihres Sozialraumes ernst genommen, informiert und an der Meinungsbildung und Entscheidungsbildung beteiligt werden. [12]

Sozialbegleitung steht letztlich für die Bewegung vom Betreuen zum Begleiten. Sie stellt sich gegen paternalistische und bevormundende Vorstellungen, sucht die Menschen an den Orten auf, an denen ihre Schwierigkeiten sichtbar werden und anerkennt sie in den Herausforderungen, Risiken und Gelegenheiten ihrer Lebenswelt. Dem Gegenüber begegnet sie auf Augenhöhe.

Kritische Distanzen

Sozialbegleitung ist nicht antiinstitutionell, sondern institutionskritisch. Sozialbegleitung vertritt keine „romantisch-antimodernistische“ Position, die behauptet, ein soziales Zusammenleben ohne Institutionen wäre an sich gerechter, freiheitlicher oder fairer. Sie begreift, dass Institutionen zu einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft gehören. Sowenig die Institutionen an sich harmlos oder förderlich sind, so wenig ist es das Gemeinwesen, die Zivilgesellschaft oder das im sozialräumlichen Ansatz akzentuierte „Feld“. Gleichzeitig ist sich die Sozialbegleitung der Dynamik von Institutionen bewusst, Menschen in Problem- und Lebenslagen zu „Fällen“ zu machen. Mit vorgefertigten Lösungen und damit oft zu einfachen Antwortstrategien haben Institutionen dann mehr ihre eigenen Angebote im Blick, als die Herausforderungen, Probleme oder Lösungswege der Adressat_innen.

Weil die Sozialbegleitung aufsuchend agiert, weiss sie um die spezifischen Ressourcen und Anforderungen des Gemeinwesens, des Familienverbandes, der Vereine oder informellen Treffpunkte und Netzwerke. Das sozial vollkommen isolierte Individuum ist eine Abstraktion und in der Realität die Ausnahme. Die Sozialbegleitung unterstützt die Aktivierung von Ressourcen, die zur Bewältigung der Herausforderungen beitragen. Durch Netzwerk- oder Biografiearbeit wird Sozialbegleitung konkret. Biografiearbeit begreift sie als eine Methode, sich die eigene Lebensgeschichte und Herkunft mit ihren Brüchen und Verwerfungen anzueignen und die persönliche Geschichte für das Verständnis der eigenen Identität und die Bewältigung des Alltags fruchtbar zu machen.

Sozialbegleitung stärkt nachbarschaftliche Unterstützung und lässt die Adressat_innen Subjekte und Agent_innen der Veränderung bleiben. Sie setzt sich nicht an die Stelle von z. B. freundschaftlichen oder verwandtschaftlichen Kontakten, sondern begleitet wo notwendig die Wiederbelebung verschütteter sozialer Kontakte. Vorrang haben die in dem Sozialraum bestehenden und möglichen Kontakte und Netzwerke. Diese Vorrangigkeit meint jedoch nicht, dass ohne Zustimmung der Betroffenen und über deren Kopf hinweg Kontakte geknüpft oder Institutionen beteiligt würden. Vielmehr geschieht dies in Absprache mit Ihnen. [13]

Sozialbegleitung ist nicht nur institutions- und gemeinwesenkritisch. Insbesondere muss sie kritisch sich selbst gegenüber sein. Sie überprüft, wo ihre Unterstützungsbemühungen Abhängigkeit und Ohnmacht erzeugen, wo sie mehr das eigene Bedürfnis zu helfen, als das Gegenüber im Blick hat. Ebenso wo sie die Adressat_innen zu Objekten reduziert und das Verhandeln auf Augenhöhe aus dem Blick gerät. Sie stellt sich der Tendenz, Problemlagen übermässig zu vereinfachen, Unangenehmes abzuwehren und zu verdrängen oder die Verantwortung für das eigene Verhalten gänzlich Anderen zuzurechnen. Grandiositäts- und Allmachtsfantasien begegnet sie ebenso kritisch wie der Vorstellung, dass die Gegenwart die Zukunft vollkommen zementiert. Gerade weil die Sozialbegleitung in ihrer aufsuchenden Tätigkeit häufig alleine und nicht im Team agiert, ist sie auf eine kritische Selbstauseinandersetzung besonders angewiesen. Offener Austausch, entsprechende spezifische Formate wie Inter- und Supervision und kritische Selbstreflexion sind deswegen elementare Bestandteile der sozialbegleiterischen Berufsrolle.

Ihren Halt finden die Sozialbegleiter_innen in der Fähigkeit, diese kritischen Distanzen immer neu herzustellen.

Wachsende Bedeutung und steigender Bedarf

Die Bedeutsamkeit aufsuchender Angebote in der Gesellschaft nimmt zu. Die zunehmende Vielfalt von Arbeits- und Lebensmodellen, verschiedenen Formen des Zusammenlebens (Patchwork, Alleinerziehend…) und die mit dem Wohlstand steigenden Ansprüche z.B. nach Convenience fordern passgenaue und die Bedingungen und Ressourcen des Sozialraumes aufnehmende Formen der Unterstützung. [14] Menschen sind immer weniger bereit, aufgrund eines spezifischen Unterstützungsbedarfs komplett institutionell „versorgt“ zu werden. Sichtbar wird dies beispielsweise bei der Assistenzentschädigung. Personen managen ihr Unterstützungssystem selbst und erhalten nur dort gezielte Unterstützung, wo sie speziell darauf angewiesen sind.

Aktuell liegen die Arbeitsfelder der Sozialbegleitung beispielsweise in der Familienbegleitung, der Wohnbegleitung von Menschen mit einer Beeinträchtigung, bei Projekten in der Offenen Jugendarbeit, der Spitex, den Aufträgen von Gemeinden, Kirchen oder Vormundschaftsbehörden, der Arbeit mit obdachlosen Menschen oder mit betagten Personen. Nimmt man die sich abzeichnenden Vorgaben z. B. im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention ernst, so ist von einer weiteren Akzentuierung weg von stationären Angeboten und hin zu dezentralen, gemeindenahen Angeboten auszugehen. Gerade an diesen dezentralen Orten kann die Sozialbegleitung ihre Stärken ausspielen. Hinzu kommt die verstärkte Enttraditionalsierung (Beck), in der überlieferte Traditionen und Muster sich für die Bewältigung z. B. von Lebensübergängen oder krisenhaften Fasen nicht mehr eignen. Neue technische Möglichkeiten z. B. durch Apps oder durch die Robotik machen Menschen mit Beeinträchtigungen von Institutionen unabhängiger. Wohnformen werden variantenreicher und „fluider“, die Arbeits- und Lebenszeitmodelle vielfältiger. [15] Steigende Ansprüche (Convenience) und das Bewusstsein, Rechtsansprüche zu haben und nicht „Fürsorgeempfänger“ zu sein, fordern traditionelle Vorstellungen auf der Seite der „Helfenden“ heraus. Zeitweise in seinem Leben den Überblick zu verlieren, in krisenhafte Fasen zu geraten, ist nicht mehr ein Kennzeichen von gesellschaftlicher „Randständigkeit“ oder besonderer psychischer Verletzlichkeit, sondern zunehmend Bestandteil der Normalbiografie. In der Konsequenz dieser Trends ist nicht nur mit einer wachsenden Nachfrage in den bestehenden Arbeitsfeldern der Sozialbegleitung zu rechnen, sondern auch mit neuen Arbeitsfeldern.

Literatur:

Budde W., Früchtel F.: Eco-Maps und Genogramme als Netzwerkperspektive. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 2/2009. URL: http://www.sozialraum.de/eco-maps-und-genogramme-als-netzwerkperspektive.php – 29.10.2015

Furrer-Koller P. (2006): Wir wollten keine Schule gründen… In: Sozialbegleitung – ein eigener Weg 25 Jahre Sozialbegleitung, S. 9. Zürich 2006, Hrsg.: Vorstand des Vereins Schule für Sozialbegleitung.

Hauser M., Tenger D. (2015): Menschen mit Behinderung in der Welt 2035: Wie technologische und gesellschaftliche Trends den Alltag verändern, Hrsg. GDI Gottlieb Duttweiler Institute, Zürich (2015). http://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Studien/Menschen-mit-Behinderung-in-der-Welt-2035/639- 19.05.2016.

Hauser M., Tenger D. (2015): Menschen mit Behinderung in der Welt 2035: Wie technologische und gesellschaftliche Trends den Alltag verändern, Summary. Hrsg. GDI Gottlieb Duttweiler Institute, Zürich (2015). http://www.gdi.ch/media/Summaries/Menschen_mit_Behinderung_Summary.pdf – 19.05.2016.

Herriger N. (2005). Sozialräumliche Arbeit und Empowerment Plädoyer für eine Ressourcenperspektive: In: Deinet, U./Gilles, C./Knopp, R. (Hg.): Neue Perspektiven der Sozialraumorientierung. Planung – Aneignung – Gestaltung. Berlin 2005 – http://www.empowerment.de/empowerment.de/files/Materialien-3-Sozialraeumliche-Arbeit-und-Empowerment.pdf – 19.5.2016.

Sozialbegleitung Lehrplan 2000.Hrsg.: Schule für Sozialbegleitung Zürich, 8006 Zürich.

SBFI Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation: http://www.sbfi.admin.ch/hbb/ – 19.05.2016.

Wegleitung zur Prüfungsordnung (Sozialbegleitung 2010): http://www.sozialbegleitung-berufspruefung.ch/pics_docs_sekretariat/dokumente/wegleitung%20berufsprufung%20sozialbegleitung_08_01_16.pdf – 19.05.2016.


[1] Zu diesen Gründer_innen gehörten Paula Furrer-Koller und Paul O. Pfister.

[2] Furrer-Koller S.9.

[3] Sozialbegleitung Lehrplan 2000. S. 118.

[4] Berufsprüfungen ermöglichen in der Schweiz Berufsleuten eine erste fachliche Vertiefung und Spezialisierung nach der beruflichen Grundbildung in einem Beruf. Das Ablegen einer Berufsprüfung setzt eine mehrjährige Berufserfahrung im entsprechenden Berufsfeld voraus. Erfolgreiche Absolvierende erhalten einen eidgenössischen Fachausweis (SBFI Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation).

[5] In der Wegleitung zur Sozialbegleitung sind Berufsbild und Kompetenzen des Berufes detailliert beschrieben: http://www.sozialbegleitung-berufspruefung.ch/

[6] Die höhere Berufsbildung bildet zusammen mit den Universitäten und Fachhochschulen die Tertiärstufe des schweizerischen Bildungssystems. (SBFI)

[7] Möglichkeiten zu Vorbereitungslehrgängen auf die Berufsprüfung Sozialbegleitung bieten in der Schweiz aktuell die Helidux AG und die Schule für Sozialbegleitung

[8] Sozialbegleitung sucht die Adressat_innen in ihrem alltäglichen Lebensumfeld und in ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen auf. Aufsuchend agiert Sozialbegleitung in den Eigenwelten der Adressat_innen mit Schwerpunkt im nichtstationären Sozialbereich. Im Zentrum steht die Unterstützung der Alltags-und Lebensbewältigung. Die Pluralisierung biografischer Lebensentwürfe und von Lebensstilen auch in der so genannten Normalbiografie macht die aufsuchende Arbeit zu einem adäquaten Ansatz für Jugendliche, Erwachsene und betagte Menschen (zur Berufsidentität aufsuchender Sozialbegleitung vergl. auch das Berufsbild Wegleitung S. 4).

[9] Vergl. Berufsbild Sozialbegleitung Wegleitung S. 4.

[10] Soziale Arbeit wird hier als Oberbegriff für alle Berufe im Sozialbereich verwendet. Impliziert sind alle sozialen Berufe von solchen mit Hochschulabschlüssen bis hin zu Sekundarstufenniveau.

[11] Budde W, Früchtel.F.Eco-Maps und Genogramme als Netzwerkperspektive.

[12] Herriger N. S. 5-6.

[13] Berufsbild Sozialbegleitung in der Wegleitung Sozialbegleitung, S.4.

[14] Vergl. ausführlich GDI Bericht: Mirjam Hauser, Daniela Tenger. Menschen mit Behinderung in der Welt 2035: Wie technologische und gesellschaftliche Trends den Alltag verändern. 2015. Unter: http://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Studien/Menschen-mit-Behinderung-in-der-Welt-2035/639

[15] GDI Bericht 2015. Summary. S.3.

Verfasst von
Johannes Schmuck
Dipl. Soz. päd.(FH); Mag. Phil (Philosophie, Psychologie und kath. Theologie); Ausbilder (FA);
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Zitiervorschlag
Schmuck, Johannes, 2016. Grundlagen und Geschichte der Sozialbegleitung in der Schweiz [online]. socialnet Materialien. Bonn: socialnet, 14.06.2016 [Zugriff am: 23.03.2025]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/materialien/27592.php

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