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Sensomotorik über die Lebensspanne

Gisela Schlesinger

veröffentlicht am 03.03.2022

Inhalt

  1. 1 Zusammenfassung
  2. 2 Die Struktur des sensomotorischen Systems
    1. 2.1 Sensoren
    2. 2.2 Vestibuläres System
    3. 2.3 Propriozeptives System
    4. 2.4 Taktiles System
    5. 2.5 Die Skelettmuskulatur
    6. 2.6 Das periphere und zentrale Nervensystem samt Gehirn
  3. 3 Entwicklung der Wahrnehmung
    1. 3.1 Entstehung des kindlichen Selbstbildes – Eigenwahrnehmung
    2. 3.2 Synchrone Erregungsmuster – Das Gehirn als lebenslange Bau- und Umbaustelle
  4. 4 Sensorisches System und motorisches Lernen
    1. 4.1 Afferentes und efferentes System.
    2. 4.2 Koordination
    3. 4.3 Motorische Entwicklung von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter
      1. 4.3.1 Frühkindalter
      2. 4.3.2 Mittleres Kindesalter 7 bis 10
      3. 4.3.3 Spätes Kindesalter 10 bis 14
      4. 4.3.4 Bewegung und gesunde Entwicklung von Kindern
      5. 4.3.5 Spätes Jugendalter und Adoleszens bis zur körperlichen Vollreife
      6. 4.3.6 Erwachsenenalter und spätes Erwachsenenalter
  5. 5 Sensomotorik und die Sichtweise des Embodiment
    1. 5.1 Wahrnehmung und Embodiment
    2. 5.2 Muskelaktivität, Körperreaktionen und Emotionalität
    3. 5.3 Embodied Communication und Spiegelneuronen
  6. 6 Sensomotorik und pädagogische Sichtweise
    1. 6.1 Piagets sensomotorische Entwicklungsstufen
    2. 6.2 Wahrnehmungsentwicklung nach Affolter
    3. 6.3 Die Bedeutung der Entwicklung der Sensomotorik für Kinder
    4. 6.4 Entwicklung der sensomotorischen Schemata
    5. 6.5 Sensomotorische Entwicklung im dynamischen Kommunikationsprozess
    6. 6.6 Lernen mit allen Sinnen
    7. 6.7 Individualität in der sensomotorischen Entwicklung
    8. 6.8 Sensomotorik und Schulreife
  7. 7 Störungen in der Sensomotorischen (Sensorischen) Integration bei Kindern
    1. 7.1 Sensorische Integrationstherapie nach Jean Ayres
    2. 7.2 Sensomotorikförderung versus Psychomotorik
  8. 8 Therapeutische Verfahren auf sensomotorischer Basis
  9. 9 Sensomotorik im Alter
    1. 9.1 Alterungsprozess des sensomotorischen Systems
    2. 9.2 Wechselwirkungen von Sensomotorik und Kognition im Alter
    3. 9.3 Anti Aging und die vielfältige Wirkung der Muskelaktivität auf neurobiologische Prozesse
    4. 9.4 Motogeragogische Förderung
  10. 10 Ausblick
  11. 11 Quellenangaben

1 Zusammenfassung

Als Sensomotorik bezeichnet man die Gesamtheit des Zusammenwirkens von Sinneseindrücken und Bewegungserscheinungen und allen an der Motorik beteiligten afferenten und efferenten Systemen und Funktionen beim Menschen.

Sensomotorik ist ein Forschungsgebiet, das es mit einer Vielzahl subtiler Größen und Teileinheiten zu tun hat. Denn menschliches Handeln und Verhalten ist so individuell und vielschichtig determiniert, dass es schwer ist zu allgemein gültigen Ergebnissen zu gelangen. Dennoch gibt es natürlich Bereiche, die bei allen Menschen ähnlich gestaltet sind und daher kann z.B. auf Erkenntnisse und Forschungen der Neurobiologie oder der Bewegungswissenschaften zugegriffen werden. Psychologische und pädagogische Verhaltensweisen sind dagegen schwerer zu fassen und auf wissenschaftliche Standards zu bringen.

Der gesamte Bereich der Sensomotorik ist ein riesiges Forschungsfeld, das nicht annähernd vollständig erforscht ist und immer neuere Erkenntnisse finden wird.

Die Zusammenhänge der Sensomotorik erschließen sich aus mehreren Wissenschaftszweigen: Neurobiologie, Psychologie, Pädagogik, Bewegungswissenschaften und der neueren Embodimentforschung. Theoretische Betrachtungen und Erfahrungen aus Therapie, Praxis und Lernforschung ergänzen sich gegenseitig.

Der Begriff Sensomotorik beschreibt zunächst nichts anderes als die Verbindung des menschlichen Sinnessystems mit der menschlichen Motorik und die Interaktion von beiden Systemen. Diese Systeme sind nicht voneinander getrennt zu betrachten, weil sie ständig wechselseitig agieren. Die Schaltzentrale bildet dabei das Gehirn. Es gibt keine Sinneswahrnehmung ohne Motorik und keine motorische Handlung ohne Beteiligung der Sinne. Neuere Forschungen der Neurobiologie und des interdisziplinären Ansatzes der Embodiment Forschung zeigen auf, dass auf die Sensomotorik mehr Faktoren einwirken als bisher angenommen.

Sensomotorik hat eine Bedeutung von der Entwicklung des Kindes im Mutterleib an, in jedem Lebensabschnitt, bis ins hohe Alter. Auch in verschiedensten therapeutischen Förderverfahren findet sich der Begriff Sensomotorik wieder. Dabei haben die Ausrichtung, die Bedeutung und das Verorten in den jeweiligen Förderkontexten eine andere spezifische Gewichtung, angefangen von der sensomotorischen Entwicklungsförderung in der Kindheit bis zu den sogenannten sensomotorischen Schuheinlagen, oder sogenannten „spike insoles“, die der Förderung der Propriozeption über die Fußsohlen dienen sollen. Sensomotorische Förderung findet sich vor allem auch in der Physiotherapie, im Rahmen der Behandlung von Krankheiten und auch bei der Förderung von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Vor allem aber hat sich die sensomotorische Förderung von frühkindlichen Entwicklungsstörungen etabliert. Am bekanntesten sind hierzu die Erfahrungen und Aufzeichnungen von (Jean Ayres 2016).

Der Begriff Sensomotorik findet sich auch in der Nähe von Psychomotorik und Soziomotorik. Bei der Sensomotorik handelt es sich zunächst um die rein biologische Begründung der Handlungs-, Bewegungs- und Sportmotorik. Die Psychomotorik beschreibt die individuellen Kompetenzen im Kontext von körperlichen und seelischen Prozessen und bietet verschiedene Entwicklungskonzepte zur Förderung von Menschen jeden Alters an. Die Soziomotorik wendet sich dagegen mehr den kulturell geprägten und gesellschaftlichen Handlungsmustern zu. Die Bereiche Sensomotorik, Psychomotorik und Soziomotorik weisen sehr viele Schnittstellen auf.

2 Die Struktur des sensomotorischen Systems

Das System der Sensomotorik besteht zunächst aus drei anatomischen Strukturelementen: Den Sensoren, dem Nervensystem samt Gehirn und der Skelettmuskulatur. Diese drei Systeme sind funktionell kreisförmig verknüpft (Laube 2017).

2.1 Sensoren

Im Bereich der Wahrnehmung unterscheidet man Exterozeptoren (visuelles und auditives System) und Interozeptoren (Muskeln, Sehnen, Gelenke und der Vestibularapparat). Das Zusammenspiel aus Intero- und Exterozeption bezeichnet man als Neurozeption.

Die Sensoren befinden sich entweder in einzelnen Strukturen (Muskelspindeln, Sehnen und weiteren empfindsamen Körnchen) oder sie werden durch das periphere Nervensystem als freie Nervenendigungen mit Sensorfunktion zur Verfügung gestellt. Die Mechanosensoren übersetzen die aktuellen mechanischen Gewebebedingungen und die haltungs- oder bewegungsbedingten Veränderungen in den myofaszialen und den Bindegewebsstrukturen der Gelenke, der Propriozeption und der Oberflächensensibilität der Haut. Das Auge übersetzt die elektromagnetischen Wellen des sichtbaren Lichts, die ständige Wirkung der Schwerkraft und der Beschleunigungkräfte des sich im Raum bewegten Kopfes. Weiterhin gibt es auch Schmerzrezeptoren, die als Nozirezeptoren bezeichnet werden. Die Ohren leiten Schallwellen weiter. Alle Wahrnehmungen über diese Sinne werden dann selektiert und eingeordnet (Sinnesmodulation). Durch Erinnerungen an frühere Informationen und Repräsentationen wird die Empfindung gedeutet und in einen Zusammenhang gebracht. Das sensomotorische System lernt so im Laufe der Entwicklung ständig dazu und ein Selbstbild sowie ein Bild von der Welt werden so immer weiter ausdifferenziert.

Der Transport der Sinnesinformationen aus den Sensoren über die Nervenbahnen zum Gehirn und die nachfolgende Verarbeitung dieser wird als Wahrnehmung bezeichnet. Das Nervensystem ist ein Netzwerk von miteinander verschalteten Nervenzellen, die im ganzen Körper verteilt sind und über Nervenstränge im Rückenmark mit dem Gehirn verbunden sind. Eine Sinnesempfindung kommt dann zustande, wenn die Nervenzellen stimuliert bzw. aktiviert werden und damit ein neuronaler Prozess ausgelöst wird.

Das Rückenmark mit seinen zahlreichen Nervenbahnen stellt die Verbindung zwischen Gehirn und Körperperipherie dar. Hier werden über aufsteigende (afferente) Nervenbahnen sensorische Informationen zum Gehirn geleitet. Dort werden die Informationen verarbeitet und die Befehle an die ausführenden Organe weitergegeben (siehe „Afferenz und Efferenz“).

2.2 Vestibuläres System

Das erste Wahrnehmungssystem, das sich im Mutterleib entwickelt, ist das vestibuläre System. Es hat seinen Sitz im Innenohr mit gleichzeitigen Rezeptoren für das Hören und für Gleichgewichtsreize, es ist aber auch auf die Wahrnehmungen des propriozeptiven Systems angewiesen.

2.3 Propriozeptives System

Die kinästhetische Wahrnehmung über die Propriozeptoren gilt als der eigentliche Bewegungssinn, der Reize des eigenen Körpers über die Rezeptoren in den Muskeln, Sehnen, Gelenkkapseln und Knochenhäuten aufnimmt. Diese Reize liefern Informationen über die Körperstellungen und -bewegungen, ohne dass eine visuelle oder auditive Wahrnehmung oder Kontrolle nötig ist. Motorische Handlungen bedürfen aber auch einer ständigen Mitwirkung des visuellen und auditiven Systems. Über diese Systeme kommt es zu ständigen Reafferenzen. Es erfolgen ständige Abgleichungen über den Ist- und Sollwert einer Bewegung.

Beispiel:
Ein Kind hüpft wie ein Frosch. Die Information darüber, wie sich ein Frosch bewegt, hat es entweder aus einer inneren Repräsentation, die durch eine Erinnerung entstanden ist oder durch die Beobachtung eines anderen Kindes oder Erwachsenen. Auf diese Weise erfolgt der Bewegungsimpuls mehr durch die aktuelle visuelle Information, die aber auch wieder mit früheren Erfahrungen verbunden wird.

2.4 Taktiles System

Die Empfindungen über die Haut dienen als Kontaktquelle zur Umwelt. Sie sind wichtig bei der Kontrolle der Temperatur. Sie reagieren auf angenehme und unangenehme Berührungen und nehmen Schmerz wahr. Außerdem dienen sie der Kontrolle der Bewegungen. Auch dieses System entwickelt sich bereits im Mutterleib.

2.5 Die Skelettmuskulatur

In der gesamten Muskulatur finden sich Faszien, Sehnen und Muskelspindeln als Sensorstandorte. Die Muskeln stellen das ausführende Organ der Bewegungshandlungen dar und sind gleichzeitig aber wichtige Sensorstandorte, um Bewegungen ständig zu korrigieren und zu reorganisieren.

2.6 Das periphere und zentrale Nervensystem samt Gehirn

Im zentralen und peripheren Nervensystem sind die für die Motorik relevanten Anteile für die bewussten Bewegungshandlungen (Motivation, Bewegungsidee, Bewegungsentwurf und Bewegungsantizipation und die damit verbundenen Denk- und Erinnerungsprozesse) abgespeichert. Alle Erfahrungen mit der Umwelt gelangen zunächst über das Sinnessystem zum Gehirn. Motorisches Lernen wird durch Neurone möglich. Sie verarbeiten die Wahrnehmung, das Lernen und das Denken, indem sie über Innervationen Verbindungen und Netzwerke schaffen. Der Ablauf der Gehirnentwicklung folgt einem genetischen und zeitlichen Plan. Das Kleinhirn entwickelt sich bis zum 4. Lebensjahr schnell. Dabei gibt es sensible Zeitfenster, in denen Wahrnehmungen und Erfahrungen eine positive Wirkung haben.

Der Hirnstamm ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns. Er setzt sich zusammen aus dem verlängerten Rückenmark, der Brücke (Pons) und dem Mittelhirn. Mittig im Hirnstamm liegt eine Gruppe von Nervenzellen, das sogenannte Retikularsystem (Formatio regularis). Hier laufen die sensorischen Informationen aller Nervenbahnen zusammen, werden gefiltert, verstärkt oder verlangsamt. Das Zentrum für Bewegungen ist das Kleinhirn, hier wird entschieden, welche Reize an die Großhirnrinde weitergegeben werden. Im limbischen System werden ankommende Sinnesinformationen mit Gefühlen wie Freude, Angst und Trauer verbunden. Es stimmt die eingehenden Informationen aus den Sinnesorganen und aus dem Neocortex ab und gibt nur wichtige Informationen an die motorischen Systeme weiter (Meinel und Schnabel 2018).

Die Übertragung der Reize geschieht mit Hilfe von Ionenströmen, die Neurone aktivieren und hemmen und so Informationen gewichten. Eine entscheidende Funktion haben dabei die Neurotransmitter für alle Hirnprozesse und die nachfolgenden Leistungen, die während einer Bewegungsaktivität höher ausgeschüttet werden und so den Hirnstoffwechsel verstärkt aktivieren. Dabei gibt es hemmende und aktivierende Neurotransmitter, die in ihrem Zusammenspiel das Aktivitätsniveau regeln. Neurone bestehen aus einem Zellkörper und vielen Dentriden, die Informationen von anderen aufnehmen können. Über Axone findet der Neuronenaustausch statt. Wenn Neurone häufig aktiviert werden, bildet sich um das Axon eine Myelinschicht, die bei Gebrauch immer stärker wird (Spitzer 2006). Im motorischen Cortex auf der Großhirnrinde ist sehr viel Platz für Zellen. Hier wird entschieden, welche Reize zum Gehirn gelangen und in welcher Stärke sie zur Weiterverarbeitung in welche Hirnbereiche weitergeleitet werden. Es scheint so, als ob der motorische Cortex bei allen Tätigkeiten und vor allem bei bewegten Aktivitäten einen Einfluss auf alle Hirnprozesse und alle nachfolgenden Leistungen hat (Jansen und Richter 2016; Spitzer 2006). Sensorische Neurone leiten dem Gehirn die Informationen zu, die von den Sinnesorganen im ganzen Körper aufgenommen werden. Nach der Verarbeitung gehen Botschaften den motorischen Neurone zu. Alle sensorischen Eindrücke werden integriert, geordnet und reorganisiert. Dadurch entsteht im Gehirn eine Repräsentation (Spitzer 2006). Neuronale Repräsentationen sind innere Bilder und Neurone mit bestimmten Synapsen, die dann aktiviert werden, wenn schon ein bestimmtes Repräsentationsmuster vorliegt.

Sensomotorisches Lernen wird also durch Neurone möglich. Sie speichern und verarbeiten die Wahrnehmung, in dem sie die neuronalen Netzwerke schaffen und verbessern. Neuroplastizität des Gehirns bedeutet, dass es zu lebenslanger Ausdifferenzierung und damit zu lebenslangem Lernen fähig ist. Lernen bedeutet also neurobiologisch gesehen die Veränderung der Stärke der synaptischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen. So ergibt sich eine sehr große Variationsbreite an Bezugsmöglichkeiten (Spitzer 2006).

3 Entwicklung der Wahrnehmung

3.1 Entstehung des kindlichen Selbstbildes – Eigenwahrnehmung

Die Wahrnehmungsfähigkeiten über die das Neugeborene verfügt, sind nicht angeboren, sondern haben sich durch das Zusammenspiel von Reifung und Erfahrung entwickelt. Dieser Prozess beginnt bereits in der Schwangerschaft. Reifung und Erfahrung bedingen sich gegenseitig (Spitzer 2006). Bereits in der Frühschwangerschaft bewirken sensorische Reize neuronale Verschaltungen. Anfangs dienen sie den reinen Körperrepräsentationen und sind einfache Steuermechanismen zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen. Diese bilden die Grundlagen für die Eigenwahrnehmung und für das Selbstbild. So stehen Körper und Gehirn von Anfang an in einer engen untrennbaren Verbindung. Bereits im Mutterleib ist durch Körpererfahrungen das Gesamtbild zusammen mit Gefühlen, Affekten in ständiger Wechselwirkung. Babys reagieren bereits im Mutterleib auf verschiedene Musikstile, auf Ansprechen oder auf Berührungen von außen. Später, wenn Sinnesorgane soweit ausgereift sind und Erregungsmuster zum sensorischen Cortex im Gehirn weitergeleitet werden können, entstehen erste Repräsentationen im Gehirn. Diese verbinden sich mit den jeweiligen Antwort- und Reaktionsmustern, wie Strampeln oder Daumenlutschen (Hüther 2017). Kinder entwickeln so bereits die Anfänge ihrer individuellen lernmethodischen Kompetenz, das heißt sie spüren, wie sie lernen. Nach der Geburt beginnen Sozialisationserfahrungen (in Bindungen in der Familie und auch außerhalb) einen großen Einfluss auf die sensomotorische Entwicklung zu nehmen. Je nachdem, ob die Erfahrungen positiv oder negativ sind, mit welchen Gefühlen und Affekten sie verbunden werden, verändern sich auch neuronale Verschaltungsmuster. Wahrnehmungen sind aber auch abhängig von der genetischen Ausstattung der Sinnesorgane sowie weiterer Veränderungen, die im Verlauf der Entwicklungen von Kindern auftreten können (Entwicklungsstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Krankheiten). Darauf weist der Neuropädiater Henning Rosenkötter hin (Rosenkötter 2013).

Ohne es selbst zu merken, können sich heranwachsende Kinder immer weiter vom kindlichen Denken, Wahrnehmen, Fühlen und Handeln entfernen. Die eigenen sensomotorischen Erfahrungen werden durch die Sozialisation einem gesellschaftlichen Bewertungssystem unterzogen. Solche gesellschaftlichen Anpassungsprozesse können zu einer Trennung von Körper und Gehirn führen oder zu einer Entkörperung. Auch Imitationslernen bildet bei Kindern die Grundlage für die Weitergabe von Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Verhaltensmustern, von einer Generation zur nächsten. Zusätzlich gehen in die neuronalen Erregungsmuster alle positiven und negativen Gefühle ein. Es entsteht eine Verkörperung der Gefühle (siehe unten „Embodiment“).

3.2 Synchrone Erregungsmuster – Das Gehirn als lebenslange Bau- und Umbaustelle

Verletzungen, die während der frühen Kindheit mit dem Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, Ablehnung und Entwertung einhergehen, werden nachhaltig verkörpert. Gefühle können so oft zeitlebens als resignierte oder verkrampfte Haltung sichtbar bleiben.

Die Gehirnforschung zeigt uns, dass wir uns zu jedem Zeitpunkt aber auch wieder neu konstruieren können, indem wir irgendeines dieser alten motorischen, sensorischen oder affektiven Muster verlassen, also beginnen anders zu sehen, zu fühlen oder zu handeln als bisher. Wenn es gelingt auf einer dieser Ebenen ein altes Muster auszublenden, so werden alle anderen gleichsam mitgezogen.

Wenn eine Wahrnehmung gleichzeitig über zwei verschiedene Sinneskanäle (z.B. Seh- und Tastsinn) zum Gehirn weitergeleitet wird, so entsteht in den assoziativen Bereichen der Hirnrinde ein synchrones Erregungsmuster. Durch die Bahnung der am Zustandekommen dieses Erregungsmusters beteiligten synaptischen Verbindungen kann später, wenn einer der Bereiche aktiviert wird, der andere Bereich mit aktiviert werden. Die Gedächtnisinhalte und die Sinneseindrücke sind so verknüpft. „Cells that fire together, wire together“ (Hüther 2017, S. 90).

Durch synchrone Erregungsmuster werden auch Eigenschaften eines Objekts wie Farbe und Form und ganze Erlebnisketten mit allen ihren motorischen, sensorischen, affektiven und kognitiven Anteilen abgespeichert. Oft genügt ein kleiner Reiz, um das ganze neuronale Netzwerk zu stimulieren: Ein Geruch, eine Körperhaltung, eine belanglose Bemerkung, eine Berührung, ein Schmerz oder eine positive oder negative Erinnerung.

Beispiel:
Kopplung wird in der Neurobiologie ein Phänomen genannt, das jeder Mensch kennt, dem es gelingt, sich einen Moment lang in eine glückliche Stimmung zu versetzen. Dann kann man sich automatisch leichter an all das erinnern, was man unter ähnlich glücklichen Bedingungen sonst noch alles erlebt hat. In einer depressiven Stimmung erinnert man sich an all das, was man unter einer eher unglücklichen Stimmung erlebt hat.

4 Sensorisches System und motorisches Lernen

Die Sensomotorik ist ein System, das nicht immer bewusstseinsfähig ist. Es beeinflusst Bewegungen, Haltungs- und Stellungsreaktionen sowie die gesamte Alltagsmotorik und spezielle motorische Leistungen in Arbeit, Musik und Sport, bis zur Übermittlung subtiler Gedanken und der körperlichen Wahrnehmung der Gefühle. Dabei handelt es sich um ständige Regelkreisläufe, die in den beteiligten Systemen teilweise in Bruchteilen von Sekunden ablaufen. Selbst automatisierte Bewegungen, die nicht mehr der Einschaltung der Kognition bedürfen, sind nicht starr in ihrem Ablauf, sondern werden unter ständiger Einbeziehung der Sinnesinformationen (siehe unten „Reafferenzen“) immer neu moduliert. Allein die Beobachtung einer Bewegung genügt für deren Spüren und Nachahmung und es werden bestimmte prämotorische Areale im Gehirn aktiv, wobei fast die gleichen Prozesse ablaufen wie beim Betrachten der Motorik an anderen Menschen (siehe unten „Spiegelneurone“).

Struktur einer motorischen Handlung
Abbildung 1: Struktur einer motorischen Handlung (in Anlehnung an Weineck et al. 2010, S. 91)

Voraussetzung für das motorische Lernen ist das Wahrnehmen und das nachfolgende Behalten eines Lernangebots. Die zu speichernden Informationen können eine Mischung aus allen Sinnessystemen sein. Aus Milliarden von Sinnesrezeptoren fließen Informationen über afferente Nervenbahnen in das ZNS, nachdem eine Vorauswahl und Modulation stattgefunden hat. Die Projektionszentren des Cortex und des limbischen Systems sind die Orte des kognitiven Kurzeitgedächtnisses. In der Folge werden bei weiterer Datenreduzierung die als wesentlich eingeschätzten Informationen in den Langzeitspeicher weitergeleitet. Die Areale befinden sich in den Assoziationszentren der Basalganglien und im Kleinhirn. Die Speicherkapazität des Langzeitgedächtnisses ist außergewöhnlich hoch, damit eine Vielzahl an Informationen über lange Zeit behalten werden kann. Als positive Verstärker gelten Lob, Motivation, als negative hingegen Tadel, Stress und Lustlosigkeit. So ist eine motorische Handlung immer eingebettet in einen sozialkonstruktivistischen Lernprozess.

Sensorisches System und motorisches Lernen
Abbildung 2: Sensorisches System und motorisches Lernen (in Anlehnung an Weineck und Weineck 2010, S. 43)

4.1 Afferentes und efferentes System.

Afferenz ist die Übertragung auf die zum ZNS gehörigen Bahnen, die die Erregungen durch das Rückenmark zum Hirnstamm weiterleiten. Efferenz bedeutet die Weiterleitung vom Gehirn zur Peripherie über Rückenmarksbahnen auf periphere motorische Neuronen. Über die efferenten Bahnen werden also motorische Aktionen angestoßen. Während des Vorgangs kommt es aber zu ständigen Reafferenzen und damit Korrekturen. Dies ist der Prozess, in dem Bewegungen nach und nach automatisiert werden.

Für die verschiedenen Reaktionsformen im Bereich des Skelettmuskelsystems ist der Ort der Reizumschaltung vom afferenten auf den efferenten Schenkel von Bedeutung. Unterschieden werden die willkürlichen Handlungen und die vom Willen weitgehend unabhängig verlaufenden Automatismen oder Reflexe. Unter Reflexen versteht man Reaktionen, welche unabhängig vom Bewusstsein sind und immer gleich verlaufen. Die Erregungen springen bereits im Rückenmark auf die motorischen Neurone über. Das ist die einfachste Form eines sogenannten Reflexbogens, der aus einem sensiblen und einem motorischen Neuron besteht. Im Hirnstamm erfolgt die Koordinierung mit Erregungen, welche von den höheren Sinnesorganen (Auge, Ohr, und Gleichgewichtssinn) aufgenommen werden. Durch weiteraufsteigende Bahnen kann der Ablauf von Reflexen im Bereich der Großhirnrinde zum Bewusstsein kommen. Eine Handlung aber nur über ein System zu erklären, ist zu einfach. Während eines motorischen Handlungsprozesses finden ständige Reize und Rückkopplungen statt, die zeitlich nicht abgrenzbar sind und mehrfach parallel verlaufen können. Im Lauf der Entwicklung eines Kindes von pränatal an werden reflektorische Vorgänge durch willkürliche, bewusste Handlungen überlagert und geformt. Sie bekommen Sinn und Ziel, werden gebremst oder verstärkt (Schönholzer et al. 1990).

Beispiele:
Ein kleines Kind bekommt einen Ball zugespielt. Wenn es noch nicht fangen kann, wird es den Ball reflexartig abwehren oder sich wegdrehen. Um das Ballfangen zu erlernen, braucht es verschiedene Erfahrungsstufen. Eine Vorstellung vom Bewegungsablauf bekommt es durch die Beobachtung von spielenden Kindern oder wenn Bewegung von Erwachsenen verbal erklärt wird und schaltet zunächst Augen und Ohren ein. Das Lernen ist auf der Basis kognitiver Vorgänge im Gehirn initiiert. Je besser die motorische Handlung gekonnt wird, desto weniger muss das Kind überlegen. Die Handlung wird automatisch und kann später auch reflexartig geschehen. Wenn das Kind sein Ballfangen ausgefeilt hat, durch Üben in immer neuen Situationen, erfolgen die Bewegungen rascher, werden einfacher und unnötige Zusatzbewegungen verschwinden. Der Bewegungsablauf ist automatisiert worden. Dem Kind stehen dann weitere Möglichkeiten offen, sich an gemeinsamen Spielen und Regelspielen zu beteiligen, deren Erfassung auch wieder zunächst kognitive Anteile des Lernens erhalten. So hat es auch den Kopf frei dafür

So ergeben willkürliche, bewusste Impulse, Automatismen und Reflexe in zahlreichen Kombinationen unter Einbeziehung sozialer und emotionaler Beziehungen eine große Fülle von Haltungen und Bewegungen. Das Kind hat die Möglichkeit immer wieder neue Bewegungsformen zu lernen und zusammen mit neuen Handlungen zu verbinden. Die rein neurobiologische Betrachtungsweise bezieht aber nicht das soziale Lernen in einem individuellen und ganzheitlichen Kontext mit ein. Stimmungen, Gefühle, und somatische Marker bestimmen motorisches Lernen mit.

Ein Kind, das einmal einen Ball auf den Bauch bekommen und Schmerz erlebt hat, wird dies als negativen somatischen Marker verankern, ebenso aber auch positive Marker setzen bei Erfolgserlebnissen. Im limbischen System werden sensorische Eindrücke mit emotionalen Eindrücken verbunden, die aus den sogenannten somatischen Markern (siehe unten) kommen und mitentscheiden, ob eine Situation positiv oder negativ bewertet wird. Die somatischen Marker entstehen auf der Basis früherer Erfahrungen, die auch aus den Körperspeichern kommen. Diese körperlichen Bewertungen finden immer Eingang in zukünftige Bewegungshandlungen.

Je mehr sensorische Eindrücke mit bisherigem Wissen und Erfahrungen und Emotionen verbunden werden, desto besser kann ein Kind lernen.

Der Bewusstseinsgrad beim motorischen Lernen basiert meist auf weitgehend unbewussten Regulationsvorgängen und verbindet sich aber, je älter die Kinder werden, immer mehr mit bewussten Lernvorgängen, auch unter dem Einsatz der Sprache. Motorische Handlungen geschehen dann auch aus der Aufgabenstellung durch andere in Kita, Schule und Beruf und dem gesamten soziokulturellen Umfeld. Motorisches Lernen besteht aus Erwerb, Verfeinern, Stabilisieren und Automatisieren der Tätigkeiten und ist immanenter Bestandteil der Gesamtentwicklung der Persönlichkeit des Menschen, aber immer sozial determiniert.

4.2 Koordination

Die Reifung der Motorik erfolgt wie die Reifung der Nervenbahnen von zentral nach peripher, von Rumpf und Kopf zu den Extremitäten. Als Feinmotorik bezeichnet man vornehmlich die Bewegungen von Händen und Fingern. Um die Tätigkeiten zu steuern, braucht man auch die Kontrolle des visuellen Systems. Man spricht deshalb von Auge-Hand- und Auge-Fuß Koordination. Die Entwicklung einer Grobkoordination geht kontinuierlich in die Phase der Feinkoordination über. Es kommt zu Automatisierungen, zur Stabilisierung und variablen Verfügbarkeit. Alle Bewegungen werden koordinierter. Die Koordination besteht aus Kopplungsfähigkeit, das heißt der Fähigkeit Teilkörperbewegungen der Extremitäten des Rumpfes und des Kopfes zu verbinden. Orientierungsfähigkeit bedeutet Veränderungen in Raum und Zeit vornehmen zu können. Gleichgewichtsfähigkeit ist die Fähigkeit bei umfangreicheren Körperbewegung die Balance zu halten oder direkt nach der Bewegung wiederherzustellen. Rhythmisierungsfähigkeit bedeutet, einen von außen vorgegebenen Rhythmus zu erfassen, motorisch zu reproduzieren und in eine eigene Bewegung zu integrieren. Umstellungsfähigkeit heißt schnell auf veränderte Bedingungen reagieren zu können.

4.3 Motorische Entwicklung von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter

Auf die Bedeutung der sensomotorischen Entwicklung in Kindheit, Jugend-, Erwachsenenalter und Alter hat schon der Sportwissenschaftler Kurt Meinel hingewiesen. Seine Bewegungslehre hat bis heute Gültigkeit, wenn sie auch in den 1970er-Jahren noch auf das politische System der DDR fokussiert war (Meinel und Schnabel 2018, S. 161 f.).

Auch Meinel und Schnabel folgen den Einsichten Piagets (siehe unten) über die Bedeutung der Sensomotorik beim Beforschen der Welt durch die Kinder. Sie verweisen aber stärker auf die motorische Entwicklung und das sportmotorische Lernen. Neben dem Erwerb der lebensnotwendigen Alltagsmotorik erwirbt sich das Kind auch in seinen Spielformen immer neue Bewegungsfähigkeiten und Fertigkeiten, die im Kindesalter dann auch bei entsprechender Förderung zu sportlichen Künsten hinführen können. Auch sie betonen, dass Lernen stets ein eigenständiger Erwerb von Bewegungen und Bewegungskombinationen in einem ganzheitlichen Bildungserwerb darstellt.

4.3.1 Frühkindalter

Bis zum 12. Monat kommen durch die Interaktion mit den Bezugspersonen erste koordinierte Bewegungen zustande, die gesamte Sensomotorikentwicklung geht schnell voran. Durch Krabbeln und Laufen erweitert sich der Bewegungsspielraum der Kinder. Hinzukommen Klettern, Steigen, Ziehen, Schieben, Hangeln und Schwingen. Kinder brauchen viel Bewegungsfreiheit und viel Spielraum, um so auch ihren sozialen Spielraum auszuweiten. Die Bewegungen des Kleinkindes haben noch eine geringe Bewegungsstärke, ein langsames Tempo, einen kleinen räumlichen Umfang und noch wenig Kopplungen.

Das Alter von 4 bis 7 Jahren gilt als die Phase der Vervollkommnung vielfältiger Bewegungsformen und der Aneignung erster Bewegungskombinationen. Das allgemeine Konditionsniveau bleibt aber noch niedrig. Ein gutes Niveau findet sich schon bei den Gleichgewichtsfähigkeiten, wobei Kinder sich selbst stets neue Anreize suchen, um sich auszuprobieren. Sie drehen sich gerne, fahren Karussell und drehen sich mit Gegenständen um die eigene Achse bis ihnen schwindlig wird.

4.3.2 Mittleres Kindesalter 7 bis 10

Der Körperbau ist jetzt durch den 1. Gestaltswandel mit seinem Längenwachstum günstig für eine motorische Weiterentwicklung. Kondition und Koordination nehmen schnell zu, sind aber gebrauchsabhängig. Die Kinder sind gerne bereit schwierige Bewegungsformen zu erlernen. Sie können Bewegungsvorstellungen geistig erfassen und sind zunehmend zur Antizipationsfähigkeit in der Lage.

4.3.3 Spätes Kindesalter 10 bis 14

Die Entwicklung der Motorik verläuft jetzt bei Jungen und Mädchen durch die beginnende Geschlechtsreife unterschiedlich. Auch im gleichen Geschlecht unterscheiden sich motorische Profile. Wenn beständiges Sporttreiben und Bewegungsmöglichkeiten erhalten bleiben oder gefördert werden, entwickeln sich Kondition und Koordination trotz des Wachstumsschubs im 2. Gestaltswandel gut weiter. Bei wenig Bewegung treten Stagnationen ein. Große Bedeutung haben jetzt Peergroups bei der Bewegungsmotivation.

Gut entwickelte konditionelle Voraussetzungen wie Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer und Beweglichkeit erlauben dem Kind leichte Anpassungen an Herausforderungen in der Schule und im täglichen Leben. Ebenso schaffen gute koordinative Fähigkeiten wie Gewandtheit, Geschicklichkeit, Reaktionsschnelligkeit, Bewegungselastizität, zweckmäßige Rhythmisierung, ständige Antizipationsfähigkeit eines Ziels rechtzeitige Innervation und eine ökonomische Dosierung des Krafteinsatzes. Wahrnehmung, Denken und Handeln als Einheit setzen eine gute Funktionsfähigkeit der Sinne und eine gut ausgebildete Motorik voraus. Kindern verleiht das Sicherheit und Zuversicht. Bewegungstätigkeit ist die wesentlichste Form einer Wechselwirkung mit der Umwelt und der aktiven Einwirkung auf diese (Meinel und Schnabel 2018). Auch für das Erlernen von Instrumenten, Gesang und Tanz ist eine gute sensomotorische Entwicklung von Vorteil.

4.3.4 Bewegung und gesunde Entwicklung von Kindern

Laut WHO brauchen Kinder und Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren 60 Minuten Bewegung täglich, um gesund zu bleiben. Der Fitnesszustand hat auch direkte Einwirkungen auf kognitive und exekutive Funktionen, das betrifft Spannungsregulation, bessere Konzentration und eine schnelle Auffassungsgabe. In Studien konnte mit Hilfe von Gehirnstrommessungen, gezeigt werden, dass Gehirne von fitten Kindern „besser“ funktionierten. Sie zeigten optimalere Verarbeitungsprozesse, schnellere Reaktionszeiten und eine effizientere exekutive Steuerung. Durch die Kombination von Lernen und körperlichem Training würden sich neue Nervenzellen im Gehirn bilden und auch bestehen bleiben (Brägger et al. 2020).

4.3.5 Spätes Jugendalter und Adoleszens bis zur körperlichen Vollreife

Bei männlichen Jugendlichen entwickelt sich durch den Einfluss des Testosterons ein höheres Kraftniveau, während sich bei Mädchen durch östrogenen Einfluss die Beweglichkeit verbessert und günstige Voraussetzungen für Rhythmik, Gymnastik und Tanz schafft. Beide Geschlechter haben aber jetzt die Möglichkeit, Sportarten auf höchstem Niveau zu erlernen, mit hohen Anforderungen an Kondition und Koordination.

4.3.6 Erwachsenenalter und spätes Erwachsenenalter

Im Alter von etwa 30 bis 50 Jahren werden Perfektion und Präzision in der Arbeitsmotorik erreicht. Im Freizeitsport können abwechslungsreiche und freudbetonte Übungsangebote angeboten werden. Die Zeit sportlicher Höchstleistungen nimmt aber ab.

Die Schnelligkeits-, Kraft und Ausdauerfähigkeiten sinken auf ein relativ niedriges Niveau. Betroffen sind auch die Lern- und Umstellungsfähigkeit. Die Maximalkraft bleibt relativ lange erhalten. Der motorische Leistungsrückgang wird zunehmend auch im Alltag spürbar, wobei die Leistungsfähigkeit bei sportlich Untätigen ein sehr niedriges Niveau erreicht. Soziale Integration durch gemeinsames Sporttreiben, Wandern, Radfahren und gezielte sportliche Tätigkeit an 3 bis 5 Tagen wird empfohlen mit einer Zeitdauer von 20 bis 60 Minuten, weiterhin moderate Kräftigungsübungen. Um die motorische Involution zu verlangsamen, auch in Hinsicht auf die Sturzprophylaxe, sind auch moderate Kräftigungsübungen unerlässlich (Weineck 1996) (siehe unten „Sensomotorik im Alter“).

5 Sensomotorik und die Sichtweise des Embodiment

Die Erkenntnisse der Embodimentforschung beleuchten die Sensomotorik von den verschiedensten Gesichtspunkten aus. Beim Embodiment handelt es sich um einen interdisziplinär verwendeten Begriff, der die Verbindung von Körper und Geist ausdrücken soll (das sog. Leib-Seele-Problem). Die Arbeitsweise des Gehirns ist ohne Körper nicht zu verstehen. Darüber wurde in der Vergangenheit viel philosophiert, aber wenig wissenschaftlich untersucht. Seit den 1990er-Jahren gibt es Termini, wie Embodiment, Embodied Cognition, Embodied Communication oder Embodied Mind. Der interdisziplinäre Embodimentansatz stellt heute eine Verbindung von Körperarbeit und Bewegungswissenschaften, Neurobiologie, Psychologie und Kognitionswissenschaften dar. In diesen Ansätzen erscheinen auch Wahrnehmung und Sensomotorik in einem neuen Licht. Die Vorstellung des Gehirns als Kommandozentrale gilt heute als überholt. Embodiment meint, dass geistige Prozesse in einem Körper entstehen und Teil der Natur eines körperlichen Wesens sind, also eingekörpert werden. Die entsprechenden Aktivierungen im Gehirn werden dabei mehrfach parallel abgespeichert (Hüther 2017).

Beispiel:
Wenn ein Kind neue bunte Bausteine bekommt, freut es sich nicht nur über Farbe und Form. Es speichert dabei alle motorischen, sensorischen, affektiven und kognitiven und emotionalen Anteile ab, die bei einem Spiel damit entstehen. Bei einem erneuten Spielen mit den Bausteinen laufen alle gespeicherten Erregungsmuster wieder parallel ab und können so von den Kindern neu gewichtet werden. Gedächtnisinhalte, Sinneseindrücke und Körpererfahrungen sind also miteinander verknüpft.

5.1 Wahrnehmung und Embodiment

Die technikgläubige Theorie eines Reiz-Reaktionsmodells der Sinnesverarbeitung in den 1960er-Jahren wurde mit dem Embodimentansatz in Frage gestellt. Das Input-Output-Modell von Sensomotorik kann so nicht mehr aufrechterhalten bleiben. Im Embodimentansatz, der hauptsächlich von Maja Storch und Wolfgang Tschacher (2016) begründet wurde, wird der Wahrnehmungsprozess nicht nur als eine passive Verarbeitung von Reizen gesehen, die über die Sinnesorgane zum Gehirn fließen, dort verarbeitet werden und dann über entsprechende Impulse motorische, kognitive und emotionale Prozesse anstoßen. Die Reize kommen nicht nur über die Sinnesorgane, sondern auch aus den Körperspeichern, den somatischen Markern. In der Neurobiologie werden somatische Marker hinsichtlich ihrer Bedeutung für menschliches Entscheidungsverhalten beforscht. Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio (1994) gilt als der Begründer dieser Theorie der somatischen Marker, der zu Folge emotionale Erfahrungen im Menschen verkörperlicht werden und Entscheidungen beeinflussen. Der Körper stellt sich als Bühne von Gefühlen und Emotionen dar.

„Valence Motor Compatibility“ beschreibt ein Gefühl, dass psychische Verarbeitungsprozesse begünstigt werden, wenn die motorische Aktivität, die der Körper ausführt, der Valenz der Themen entspricht, mit denen man sich gerade befasst (Storch 2017). Diese Konsistenz streben z.B. Kinder intuitiv an. Im fortschreitenden Sozialisationsprozess kann dieses Gefühl aber oft verloren gehen und der Mensch entkörpert sich immer weiter von dem, was er tut und entfernt sich damit von sich selbst.

5.2 Muskelaktivität, Körperreaktionen und Emotionalität

Paul Ekman konnte in Studien nachweisen, dass bestimmte Körperhaltungen und damit bestimmte Muskelkontraktionen Emotionen und Affekte in Gang setzen können. Diese Studien mit Studierenden der Universität von Kalifornien zeigten auf, dass sich auch Veränderungen im Körper in der mentalen Verfassung und in den Stimmungen niederschlagen und somit wieder auf das Gehirn wirken (Ekman zit. in Storch und Tschacher 2016) Es finden neuromuskuläre, hormonelle und biochemische Veränderungen statt, die messbar sind.

Der Körper bietet einen besonders leichten Zugang zu allen Ebenen des Erlebens und Verhaltens, zu den im Gehirn abgespeicherten Sinneseindrücken, den Gefühlen, den unbewusst gesteuerten Verhaltensmustern und zu gespeicherten frühen Erinnerungen. Storch und Tschacher (2016) beschreiben einen Test, der aufzeigt, dass das Aktivieren bestimmter Muskelgruppen auch Denkstile beeinflussen kann.

Beispiel:
Wenn von unten mit den Händen gegen eine Tischplatte gedrückt wird, fördert das einen Bottom up Denkstil, der Situationen als problematisch beurteilt, die genauer analysiert werden müssten. Das Pressen der Handflächen von oben auf die Tischplatte hingegen bewirkt einen Botton Down Denkstil, der eine Situation in seiner Gesamtheit betrachtet und einen großen Überblick behält (Ekman 2003).

Mentale Blockaden, ausgelöst durch frühere körperliche und seelische Traumata können auch zu stärkeren Leistungseinbußen führen, wenn sie durch Erinnerungen an emotionale und körperliche Erfahrungen aktiviert werden. Umgekehrt kann die ständige Aktivierung des sympathischen Nervensystems durch Angst und Stress zu langfristigen Verspannungen und Organschäden führen und die Denkweise verändern, die auch auf tiefere Hirnbereiche greift und so negative somatische Verankerungen in Gang setzt. Gedankenmuster und innere Bilder sind dann verändert.

5.3 Embodied Communication und Spiegelneurone

Sobald zwei Personen einander leiblich begegnen, sind sie von vorneherein in ein systemisches Interaktionsgeschehen einbezogen, das ihre Körper miteinander verbindet und ein präverbales und präreflexives Verstehen herstellt. Die Gefühle des Gegenübers werden in seinem Ausdruck unmittelbar verständlich, weil dieser in uns meist einen unbemerkten leiblichen Eindruck, Bewegungs- und Gefühlsvorstufen hervorruft (Storch und Tschacher 2016).

Kinder können von Geburt an, wahrgenommene Mimik in ihre eigene propriozeptive Körperempfindung und entsprechende Bewegung übersetzen. Sie spüren Bezugspersonen am eigenen Leib. Das Spiegelneuronensystem zeigt auf, dass Neurone, die aktiv an einer Handlung beteiligt sind, zugleich auch dann aktiviert werden, wenn eine solche Handlung bei einem Gegenüber nur beobachtet wird (Rizzolatti und Sinigaglia 2008).

Rizzolatti hat in den 1990er-Jahren die Spiegelneurone in der Großhirnrinde von Rhesusaffen entdeckt. Die Neurone haben die erstaunliche Eigenart immer gleich zu reagieren, egal ob ein Affe die Handlung selber ausführt oder ob er diese bei anderen beobachtet. Die sensomotorischen Neurone sind also doppelt aktivierbar.

6 Sensomotorik und pädagogische Sichtweise

6.1 Piagets sensomotorische Entwicklungsstufen

Sehr bekannt wurde der Begriff Sensomotorik in der Entwicklungspsychologie durch den Schweizer Biologen Jean Piaget (1896–1980). Er gilt als der Begründer der kognitiven Entwicklungstheorie. Seine Betrachtungen und Beobachtungen gingen davon aus, dass sich menschliche Intelligenz und Erkenntnisgewinnung durch die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt entwickelt. Ein Reiz-Reaktionsmodell dient der Erklärung seines Stufenmodells der Entwicklung der sensomotorischen Intelligenz des Kindes, die als Voraussetzung für die Entwicklung des präoptionalen und optionalen Denkens im Kindes- und Jugendalter gilt.

Nach Piagets Theorie (1975) durchläuft das Kind verschiedene Phasen, wobei die erste „sensomotorische Phase“ von etwa 0 bis 2 Jahren entscheidend ist für die Erkenntnisgewinnung. In dieser Phase handelt es sich um vorsprachliches Wissen, das aber auch gleichzeitig für den Spracherwerb von Bedeutung ist. Diese sensomotorische Intelligenz beruht auf Sinnesleistungen in Verknüpfung mit den explorativen und spielerischen motorischen Handlungen im Umfeld der Kinder.

6.2 Wahrnehmungsentwicklung nach Affolter

Auch die Schweizer Entwicklungspsychologin Félicie Affolter hat sich auf der Basis von Piagets Theorien, mit entwicklungspsychologischen Aspekten von Wahrnehmung beschäftigt. Sie orientiert sich mit ihrer Stufenentwicklung, ähnlich wie Piaget, an einem Modell mit zeitlicher Abfolge.

In der Modalitätsstufe bis zum dritten Monat (Sinnesspezifische Stufe) spielen Reize durch zufällige Berührungen die größte Rolle. Erst in der nächsten Intermodalen Stufe werden die Sinnesinformationen mit der Motorik verbunden (z.B. bei der Auge-Handkoordination). In der Serialstufe mit etwa einem Jahr können Reize und Handlungen in einen Ursache Wirkungszusammenhang gebracht werden (Affolter 2006).

Stufenmodelle wie bei Piaget und Affolter werden aber durch den heutigen Forschungsstand teilweise revidiert.

Heute ist bekannt, dass Handlungserfahrungen bereits von Anfang an auch von Denkprozessen begleitet werden. Anhand der Blickverweildauer von Babys an Stellen, an denen vorher ein Spielzeug gezeigt und danach weggenommen wurde, schließen Forscher:innen auf ein Bewusstsein von Objektpermanenz, was bei Piaget noch ausgeschlossen wurde (Bertin et al. 2011). So wäre ein Bewusstsein von intuitiver Physik schon bei Kleinkindern vorhanden. Auch die pädagogischen Aspekte der sozialkonstruktivistischen Erfahrungsentwicklung im Denken und Handeln werden bei Piaget noch wenig beachtet (Fischer 2019). Die Embodimentforschung zeigt auf, wie die Entwicklung der Wahrnehmung und der sensomotorischen Entwicklung von Anfang an von emotionalen und psychologischen Dialogen abhängig ist. (Storch 2017)

6.3 Die Bedeutung der Entwicklung der Sensomotorik für Kinder

Der eigene Körper ist das Instrument, mit dem das Kind in Kontakt mit der Umwelt treten kann. Das betrifft sowohl das Bewegen hin zu verschiedenen Orten als auch die soziale Vernetzung. In der materialen Umwelt sammeln die Kinder durch das Erkunden von Räumen, mit und ohne Materialien, physikalische Gesetzmäßigkeiten wie Schwerkraft, Gleiten, Rollen, Schwingen und Reibung. Sie können mit Materialien gestalten, Funktionen erkennen und kreativ Neues erfinden. Kinder suchen je älter sie werden, immer stärkere Sinnesreize beim Schaukeln, Drehen und Hochsteigen. Beim Anpassen an diese Aktivitäten trainieren sie ihre Sinne und ihre Motorik. Das ist quasi ihr Bemühen die eigene sensomotorische Integration zu verbessern und weitere Erkenntnisse und Phänomene zu erkunden. Das Schleudern der Turnbeutel der Kinder als Aktivität, um Phänomene von Fliehkraft und Massenträgheit und das Zusammenspiel mit den Sinnen und der Motorik zu erfahren, ist so eine oft beobachtete Tätigkeit von Kindern (Kuhlenkamp und Schlesinger 2021). Die meisten Aktivitäten der Kinder haben so immer einen Sinn. Mit der Ordnung der Sinneseindrücke gewinnt das Kind zunehmend Kontrolle über seine Motorik, seine Emotionen und erforscht gleichzeitig die Umwelt. Das Kind nutzt jede Möglichkeit in seinem Selbstbildungsprozess seine sensomotorischen Bausteine und sensomotorischen Schemata zu vermehren. Dabei haben bestimmte Bausteine im Erwerb meist ein Zeitfenster. Werden die Zeitfenster in großen Umfang überschritten zeigen sich auch meist Entwicklungsauffälligkeiten.

6.4 Entwicklung der sensomotorischen Schemata

Unter sensomotorischen Schemata versteht man die Denkwerkzeuge, die die Kinder für sich individuell entwickeln.(Hebenstreit-Müller und Kühnel,2004).

Kinder machen manchmal Dinge, die uns auf Anhieb nicht sinnig erscheinen. Sie werfen immer wieder dieselben Dinge vom Tisch, räumen Kisten aus und transportieren Gegenstände von hier nach dort. Solche Muster von sich ständig wiederholenden Bewegungsvorgängen haben aber für Kinder einen Sinn. Sie dienen dem Erwerb sensomotorischer Schemata. Solche Schemata gleichen Denkwerkzeugen, mit denen Kinder lernen, wie sie selbst und Dinge funktionieren. Offenbar führen häufige Wiederholungen zu Kategosierungen, Klassifikationen und Kombinationen, die den Aufbau komplexer Handlungskonzepte und den Aufbau der Zusammenarbeit der Sinne mit der Motorik fördern.

6.5 Sensomotorische Entwicklung im dynamischen Kommunikationsprozess

All das sensomotorische Spiel der Kinder mit bewegten Aktivitäten trägt nicht nur zur Erkenntnisgewinnung über sich selbst und die Umwelt bei, sondern dehnt sich auch auf die soziale Interaktion aus. Die wichtigsten Entwicklungsmedien der Kinder sind dabei Bewegung, Allein- und Sozialspiel in Peergroups, selbsterfundenes Bewegungsspiel, Singen, Tanzen und Sportarten aller Art. Das spielerische Tun und die Spielformen der frühen Kindheit sind die Basis für weitergehende soziale Interaktionen in die Gesellschaft hinein. Die Kinder erleben Nähe, Distanz, Geben, Nehmen und wie sich das auch körperlich und psychisch anfühlt. Kinder können auch gut mit ihrem Körper kommunizieren, wenn sprachliche Fähigkeiten noch nicht ausreichen. So drehen sie sich z.B. einfach von Personen ab, die ihnen unangenehm sind. Das Selbstbild wird immer ausgereifter und das Kind begreift den Unterschied zwischen sich und der Umwelt, wobei der Körper mit den sensomotorischen Wahrnehmungen und Handlungen das Bindeglied zwischen der Innen- und Außenwelt ist (Schäfer 2003).

6.6 Lernen mit allen Sinnen

In der Frühpädagogik hat sich der Begriff „Lernen mit allen Sinnen“ etabliert. Das bedeutet, beim Lernen möglichst viele Sinnesreize anzusprechen, die das Lernen unterstützen. Durch einseitige Stimulation des visuellen und auditiven Systems oder durch einseitige Beschäftigung kommt es nicht nur zu einer schlechten Entwicklung des sensomotorischen Systems, es kann sich auch negativ auf die Sinnesorgane selbst auswirken. Das zeigt z.B. eine chinesische Studie, die eine verstärkte Entwicklung von Myopie (Kurzsichtigkeit) bei Kindern, bedingt durch das lange Verweilen an Computern während der Homeschoolingzeit in der Coronapandemie. beobachtete (Wang et al. 2021).

Auch die Embodimentperspektive betrachtet komplexere sensomotorische Körpererfahrungen als Grundlage von Image Schemata. Das Gehirn steht immer in Bezug zum gesamten Körper und der Geist steht in Bezug zur sozialen und dinglichen Umwelt. Embodied Action ist vor allem gelebte sensomotorische Erfahrung, die sich aktiv mit der Welt soziokultureller und physikalischer Objekte verbindet (Storch 2017).

6.7 Individualität in der sensomotorischen Entwicklung

Jedes Kind hat seinen eigenen Bauplan in der Entwicklung seiner Sensomotorik. Das Kind nutzt jede Möglichkeit seine sensomotorischen Bausteine zu vermehren und zu ordnen und schafft sich so ein gutes Fundament. Manchmal bleibt es auch in seiner Entwicklung stehen, weil es auf Grund von Krankheiten oder wandelnden sozialen Bedingungen oder Änderung der Bindungspersonen eine Entwicklungspause braucht. Dabei kann es auch sein, dass bestimmte Zeitfenster der Entwicklung nicht rechtzeitig geöffnet werden. Bekannt ist zum Beispiel, dass Kinder, die über längere Zeit Beeinträchtigungen ihres Hörvermögens und der auditiven Wahrnehmung auf Grund wiederkehrender Ohrentzündungen haben, ihr Gleichgewichtsvermögen nicht adäquat entwickeln können (Rosenkötter 2013). Ebenso stagnieren Kinder in der Entwicklung, die den Verlust einer Bezugsperson erfahren müssen oder aus anderen Gründen kein stabiles soziales Umfeld haben. Das Kind ist der Programmierer seiner eigenen Software, mit seiner eigenen Programmiersprache, die wir als Erwachsener nicht immer verstehen. Abhängig ist diese nicht nur von seiner genetischen Ausstattung, sondern von seiner körperlichen Entwicklung auch bereits in der Schwangerschaft. So ist verständlich, dass ein Kind einer Mutter mit einer „Liegeschwangerschaft“, nicht die gleichen Bedingungen hatte, wie andere Kinder, seinen Gleichgewichtssinn im Mutterleib zu entwickeln. Hier gibt es heute gute diagnostische und therapeutische Verfahren nicht nur im Bereich der ,sensorischen Integrationstherapie sondern auch in Mototherapie und Psychomotorik.

6.8 Sensomotorik und Schulreife

Um die Schulreife zu erlangen, muss jedes Kind bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Häufig denken Eltern bei der Voraussetzung für die Schulreife nur an die kognitiven Fähigkeiten und meinen damit meist reine Hirnleistungen. Um einen Schulweg und einen Schulalltag überstehen zu können und um schulische Lerninhalte aufnehmen zu können, müssen das Bewegungs- und Wahrnehmungssystem der Kinder gut ausgebildet sein. Alle Sinne sind in ihrem Zusammenspiel gefordert. Das Zusammenspiel von Sehen, Hören, taktil-kinästhetischer Wahrnehmung, Grob- und Feinmotorik und einer gut ausgebildeten Auge-Hand Koordination sind sehr bedeutend für das Zurechtkommen und für den Erfolg in den ersten Schuljahren. Auch der Gehirnforscher Manfred Spitzer weist auf ausreichende ensomotorische Erfahrungen für ein gelingendes Lernen. Auch eine spätere Arbeit an Computern setzt solche Erfahrungen in der Kindheit voraus (Spitzer 2002). Bei zu früher und einseitiger Computerbeschäftigung sieht er die Gefahr einer „Digitalen Demenz“ (Spitzer 2016).

7 Störungen in der Sensomotorischen (Sensorischen) Integration bei Kindern

Als Sensorische Integrationsstörung bezeichnete Jean Ayres eine Wahrnehmungsverarbeitungsstörung, bei der das Gehirn zu schwach oder zu stark auf sensorische Reize reagiert. Eine Betrachtung der Sensorik schließt aber immer eine Betrachtung der Motorik mit ein. Deshalb ist die Verwendung des Begriffes Sensomotorische Integration dem Begriff Sensorische Integration vorzuziehen.

7.1 Sensorische Integrationstherapie nach Jean Ayres

Ayres arbeitete auf der Basis langjähriger Erfahrungen mit Kindern. Sie hat aus vielen Wissenschaftsbereichen einen Bogen zur praktischen Arbeit mit Kindern gespannt und gilt heute als Begründerin der Senso(moto)rischen Integration und der daraus entwickelten Sensorischen Integrationstherapie. Ihre Arbeiten haben Eingang in die therapeutische Praxis mit Kindern gefunden. Eine gute Senso(moto)rische Integration ermöglicht es den Kindern in der Welt zurechtzukommen, Lernprozesse erfolgreich gestalten zu können und eine gute motorische Entwicklung zu nehmen. Dabei sind die Begriffe Sensorik und Motorik bezogen auf das menschliche Empfinden und Handeln nicht voneinander zu trennen. Jean Ayres spricht von sensomotorischen Bausteinen, auf denen komplexere und reifere Entwicklungsschritte aufgebaut werden können (Ayres 2016).

Kritisiert wird Ayres wegen mangelnder wissenschaftlicher Einbettung ihrer Darstellungen. Dennoch sind ihre Erfahrungen ein fester Bestandteil in der Therapie bei Entwicklungsstörungen von Kindern geworden. Das Gleichgewicht (vestibuläre Wahrnehmung), als dem „Chef der Sinne“ hat nach Ayres eine übergeordnete Funktion für alle Wahrnehmungsbereiche. Auffälligkeiten der vestibulären Wahrnehmung zeigen sich nicht nur in der Grobmotorik (Herunterfallen beim Balancieren), sondern auch in der gesamten Koordination und dem Zusammenspiel der Sinne. Dies macht sich bemerkbar bei den Halte- und Stellreaktionen der Augen, beim Zusammenspiel der Körperseiten und bei der Auge-Hand-Koordination. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf die Integration der Reflexe gelegt werden (Ayres 2016). Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten sprechen gut auf eine sensomotorische Therapie an. In Deutschland haben Kesper und Hottinger auf der Basis der neurophysiologischen Grundlagen von Jean Ayres ein vielfach erprobtes Konzept einer Sensorischen Integrationsbehandlung vorgelegt, in dem verschiedene Methoden der sensomotorischen Förderung von Kindern eingebunden sind (Kesper und Hottinger 2021).

7.2 Sensomotorikförderung versus Psychomotorik

Eine allgemeine Förderung von Kindern braucht nach Ansicht der Psychomotorikbewegung aber im Gegensatz zu rein therapeutischen Interventionen eine pädagogische Legitimation. Es soll nicht nur eine bloße Aktivierung von Sensoren und ihren Nervenleitbahnen stattfinden. Die Kinder sollen ihr eigenes Bewegungshandeln als sinnvoll erleben. Den Weg einer kindgerechten Förderung zeigt der Begründer der Psychomotorik in Deutschland, Jonny Kiphard auf, in dem er Psychomotorik als eine ganzheitlich-humanistische, entwicklungs- und kindgemäße Art der Bewegungserziehung initiiert hat, in deren Mittelpunkt die Förderung der gesamten Persönlichkeit steht (Kiphard 1989).

Die Psychomotorikbewegung zeigt auf, dass eine Behandlung von Entwicklungsstörungen immer sensomotorische, soziale, psychische und pädagogische Aspekte mit einbeziehen muss (Kuhlenkamp 2017; Fischer 2019). In einer ganzheitlichen Förderung finden viele Elemente ihren Platz. Um Kindern Therapien zu ersparen, braucht es eine rechtzeitige intentionale psychomotorische Förderung. Diese beginnt dabei schon im Elternhaus, in PEKiP-Gruppen, Eltern Kind Gruppen, auf Spielplätzen, im engeren und weiteren Wohnumfeld, in Kinder Gruppen, Sportvereinen oder Sportkursen. Kinder fördern sich aber auch selbst von früh bis spät. Ihre Bewegungslust ist der Antrieb dazu. Deshalb brauchen sie ausreichend Gelegenheiten und Örtlichkeiten, wo sie auch bei unbeobachtetem Spiel ihre sensomotorische Entwicklung auf der Basis der Selbstbildung gestalten können, auch außerhalb von Schule und Elternhaus.

8 Therapeutische Verfahren auf sensomotorischer Basis

Therapien, die mit dem Ansprechen des sensomotorischen Systems des Menschen arbeiten, gibt es viele. Auch Bewegungsverfahren, die über bewusstes Wahrnehmen des Körpers zu einer Beruhigung des parasympathischen Nervensystems führen sollen, sind bekannt. Sie haben meist einen ganzheitlichen therapeutischen Anspruch und wollen Körper, Geist und Psyche in ihrer Einheit beeinflussen. Dabei sind die Methoden sehr vielfältig und verschiedenartig.

Nachfolgend einige Beispiele:

Passive Verfahren:

  • Alle krankengymnastischen und physiotherapeutischen Interventionen wie z.B. Bobath und SI Therapien bei Physiotherapeut:innen und Ergotherapeut:innen
  • Snoezelen Räume

Aktive Verfahren:

  • Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Autogenes Training
  • Yoga, Chi Gong, Thai Chi und andere fernöstliche Bewegungskünste
  • Feldenkraistherapie nach Moshe Feldenkrais
  • Zapchen
  • Atemtechnik nach Ilse Middendorf
  • Eutonie nach Gerda Alexander
  • Körperpsychotherapieverfahren wie EMDR und andere Achtsamkeitsbasierte Verfahren
  • Mentales Training in der Sportpsychologie
  • Züricher Ressourcenmodell nach Maja Storch (Embodimentperspektive)
  • Psychomotorik
  • Beziehungsgestützte Therapien, z.B. nach Veronica Sherborne oder Castillo Morales

9 Sensomotorik im Alter

Wie die Ausbildung sportlicher, akrobatischer, feinmotorischer und musiktechnischer Fähigkeiten belegt, ist die sensomotorische Entwicklung zu lebenslanger Ausdifferenzierung in der Lage. Man kann auch im Alter noch ein Musikinstrument lernen oder eine neue Sportart beginnen. Jedoch ist eine gute sensomotorische Grundausbildung in der Kindheit und Jugend von Vorteil.

9.1 Alterungsprozess des sensomotorischen Systems

Das Altern der sensomotorischen und kognitiven Vorgänge beruht auf der Abnahme der Verarbeitungsressourcen des ZNS. Auch die exekutiven Funktionen werden beeinträchtigt Der Abbau und Umbau der Sensorik und der altersbedingten Veränderungen im Gehirn führen zu einer fortschreitend eingeschränkten Bewegungsregulation, basierend auf einer systematisch reduzierten Leitungsgeschwindigkeit von Nervenfasern und einer reduzierten Anzahl von Sensoneuronen, sowie einer abgebauten Interaktion von afferenten und efferenten Reflexwegen. Es stellt sich eine abnehmende Qualität von Empfindungen und Wahrnehmungen über die Körperhaltung, Stellung und der Bewegungsdynamik ein. Die posturale Kontrolle und die Stützmotorik verschlechtern sich, ebenso das statische und dynamische Gleichgewicht. Korrekturen von Bewegungen erfolgen nicht mehr so schnell. Verluste der sensomotorischen Integration zeigen sich auch in der räumlich zeitlichen Orientierung sowie der Rhythmusfähigkeit der Bewegung. Die Anzahl der Skelettmuskelfasern nimmt ab, sie werden durch Fett und Bindegewebe ersetzt. Schnell kontrahierende Muskelfasern verringern sich. Bei den verbleibenden Muskelfasern kommt es zur Atropie. Damit verringert sich auch die Produktion muskulärer anaboler Hormone.

Der „Sensomotorische Alterungsprozess“ beginnt von oben nach unten, also vom Kopf her. In der Sensorik der Halswirbelsäule, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Aufrechterhaltung und auf Gleichgewicht und Bewegungsdynamik hat, liegt hier eine Schlüsselstelle. Während aller Bewegungen wirken die Erdanziehung und die Rotationsbewegungungen des Kopfes auf die räumliche Orientierung ein. Die Raumorientierung ist ein Schlüsselfaktor für die Regulation dynamischer Abläufe. Besonders sichtbar werden die Veränderungen jenseits des 60. Lebensjahres. Es entsteht eine zunehmende Gangunsicherheit, die Sturzgefahr steigt. Während des Gehens sind die Regulation des Gleichgewichts und gleichfalls die Afferenzen des Vestibularapparates und der Augen essenziell. Auch die sensorische Integration der Propriozeptoren und der vestibulären Informationen sind von großer Bedeutung. Die Sensoren sind aber einem Alterungsprozess unterworfen und zwar stärker als die Skelettmuskulatur, die auch im Alter noch in einem gewissen Umfang trainierbar ist. Um das Körperlagebewusstsein zu stabilisieren werden verstärkt Exterosensoren aktiviert. Das Gehen wird im Alter wieder mehr unter die Kontrolle der höheren Nerventätigkeit, der Kognition gestellt (Laube 2017). Altersbedingte Einschränkungen gibt es aber auch in der Sensorik der Augen und Ohren durch genetische und krankheitsbedingte Veränderungen. Eine verbesserte posturale Stabilität kann durch eine Stimulation der Fußsohlen mittels Einlagen erreicht werde, eine Verbesserung der Wahrnehmungssensoren auch mit Seh- und Hörhilfen.

9.2 Wechselwirkungen von Sensomotorik und Kognition im Alter

Die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Sensomotorik und Kognition nimmt im Alter zu. In den Forschungen wurden in Bezug auf das Älterwerden die Funktionsbereiche bisher eher getrennt voneinander betrachtet (Schäfer et al. 2006). Die schwindende Effizienz der Sensomotorik älterer Menschen zwingt sie mehr Aufmerksamkeit auf ihre Bewegungen und Sinne zu richten als jüngere Menschen.

Beispiel:
Wenn beide Bereiche besonders angesprochen werden (Sensorik und Motorik), wie z.B. beim Überqueren einer belebten Straße, ist der ältere Mensch gezwungen sich bei gleichzeitiger angeregter Unterhaltung mehr auf eine Tätigkeit zu beschränken. Es handelt sich dabei um einen Ressourcenkonflikt, der im Alter verstärkt ist, und es muss sich auf eine Tätigkeit beschränkt werden.

Im Altersverlauf können sensomotorische Fähigkeiten auf ein Niveau sinken, dass selbst einfache motorische Akte wie oben ein starkes Maß an kognitiver Aufmerksamkeit und dem Einsatz der exterozeptiven Wahrnehmung erfordern. Wer sportlich aktiv ist, hat aber in der Regel auch bessere kognitive Leistungen.

9.3 Anti Aging und die vielfältige Wirkung der Muskelaktivität auf neurobiologische Prozesse

In der mittleren Lebenspanne ist eine ausreichende Beanspruchung der Sensomotorik für die Erhaltung von Struktur, Funktion und Gesundheit erforderlich. Physische Inaktivität führt zu chronisch degenerativen Erkrankungen. Der Umfang und die Intensität der belastungsabhängigen Aktivierungsprozesse beginnen ab dem dritten Lebensjahrzehnt kontinuierlich abzufallen. Über die Muskelaktivität kann die ganze Bandbreite des sensomotorischen Systems unterstützt werden. Die Hauptwirkung der physischen Beanspruchung ist die spezifische Aktivierung der endokrinen und lokalen Hormonsysteme (Laube 2017). Sie sind die Quelle ständiger haltungs- und bewegungsabhängiger neuronaler Innervation ans Gehirn. Die ausreichend aktivierte Muskulatur als Hormonproduzent begünstigt den Energiestoffwechsel in Richtung antidiabetisch und entzündungshemmend. Es gibt eine Vielzahl dieser hormonellen Botenstoffe, die aber noch lange nicht ausreichend erforscht sind. Eine Gruppe davon sind die sogenannten Myokine. Den Begriff prägte 2007 die dänische Forscherin Bente Klarlund Pedersenet al. (2007). Sie fand heraus, dass Interleukine nicht von den Immunzellen, sondern von Muskeln produziert werden. Wenn Belastungsreize im Alter ausbleiben, kommt es zu Stabilitätsverlusten in allen Bereichen des menschlichen Körpers. Dabei gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die die Adaption beeinflussen können. Mit zunehmendem Alter sinkt zwar die Adaptionsfähigkeit, sie bleibt aber prinzipiell bis ins hohe Alter erhalten. Unter biologischen Adaptionen werden Veränderungen von Organen und Funktionssystemen verstanden, die sich unter der Einwirkung psychophysischer bzw. sportlicher Aktivität einstellen. Den Adaptionen geht ein Lernvorgang voraus, der die Beherrschung funktionssteigernder und die organische Leistungsfähigkeit beeinflussender Bewegungsabläufe sichert. Danach bewirkt ein Training energetisch-metabolische Anpassungen, die im Gegensatz zu den erlernten Bewegungsabläufen durch Übungsdefizite auch rasch wieder rückgängig gemacht werden können (Weineck 1996a)

Einfluss der Sensomotorik auf Adaptionsvorgänge
Abbildung 3: Einfluss der Sensomotorik auf Adaptionsvorgänge (Weineck und Weineck 2010, S. 21)

Die Abbildung zeigt, welch großen Umfang die Sensomotorik bei Adaptionsvorgängen einnimmt.

Das Gehirn ist das anpassungsfähigste Organ des menschlichen Körpers. Sport und Bewegung wirken auf Grund der neuroplastischen Wirkung auf seine Strukturen ein und somit auch auf das ganze sensomotorische Zusammenspiel. So wie die Bewegungen des Fötus im Mutterleib bereits die Entwicklung, Vernetzung und Bildung von Nervenzellen besonders schnell erfolgen lassen, bleibt die Neuroplastizität des Gehirns bis ins hohe Alter erhalten und es kommt auch noch zu einer Neubildung von Nervenzellen. Die Ergebnisse der Hirnforschungen verdeutlichen den großen Einfluss körperlicher Aktivität auf kognitive Prozesse und zeigen, dass auch ältere Menschen ihr Gehirn strukturell verjüngen und dessen Leistungsfähigkeit durch Sport und Bewegung steigern können. Auch Lernvermögen und emotionale Prozesse werden dadurch beeinflusst (Walk 2011).

„Wir dissoziieren, was in der Evolution eigentlich miteinander verbunden ist“ (Kempermann 2017). Der Satz meint, dass heutzutage Bewegung und Kognition auch im Alter weitgehend entkoppelt sind. Einerseits sitzt man den ganzen Tag am Computer, anderseits bewegt man sich reizlos am Laufband. Die Luft ist stickig, man hört das Rattern der Fitnessmaschinen, viele Leute im Raum rennen sinnlos auf einem Band. Rudern am Weiher oder Radfahren in der Natur geben ganz andere sensorische Anregungen dadurch, dass sie das gesamte sensomotorische System ansprechen. Das gilt insbesondere auch im höheren Lebensalter.

9.4 Motogeragogische Förderung

Motogeragogik wird ein Fachgebiet genannt, das alte Menschen, auch Heimbewohner:innen und Demenzkranke, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihren Handlungskompetenzen fördern kann. Sie orientiert sich an der Psychomotorik. Eine pädagogische Ausrichtung der Sensomotorikförderung im Alter ist genauso wichtig wie in der Kindheit und im mittleren Erwachsenenalter. Sie muss Freude bereiten und in Sinn gebenden Handlungen erfolgen. Eine ganzheitliche Förderung, auch im psychomotorischen Sinn, erscheint wesentlich gewinnbringender als eine Einzelförderung bestimmter Teilfunktionen. Im Rahmen psychomotorischer Kompetenzfelder, der Ich-, Sozial-, und Sachkompetenz sollte eine Förderung der Körper- und Wahrnehmungserfahrungen, der Bewegungsfähigkeit und Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit stattfinden (Kuhlenkamp 2017).

10 Ausblick

Die einzelnen Regelkreisläufe der Sensomotorik isoliert zu betrachten oder auch zu fördern wird der Gesamtbedeutung für die menschliche Sensomotorik in ihrer Wichtigkeit für die menschlichen Handlungsfähigkeiten und Möglichkeiten innerhalb des engeren und weiteren persönlichen und sozialen Umfelds nicht gerecht. Der Blick muss immer auf den Menschen in seiner leibseelischen Einheit stattfinden. Die Sichtweise des Sozialkonstruktivismus, wie er vor allem in der Psychomotorik und der Pädagogik zum Tragen kommt, könnte stärker in allen Verfahren und Altersgruppen, bei denen Lernen und Therapie eine Rolle spielen, gewinnbringend eingesetzt werden. Sowohl in der frühen Kindheit, bereits im Mutterleib und im Frühkindalter sind die Gehirnentwicklung, die Sensomotorische Integration und Sensorische Modulation maßgeblich von der Bewegungsentwicklung abhängig. Und im Alter scheint sich der Kreis zu schließen. Das Schwächerwerden des gesamten sensomotorischen Systems wird am besten gefördert durch Anregung der Prozesse innerhalb einer ganzheitlichen, Sinn gebenden Förderung mit viel Bewegung.

11 Quellenangaben

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Verfasst von
Gisela Schlesinger
Sportphilologin (Sport und Sozialkunde), langjährige Schultätigkeit an Nürnberger Gymnasien. Über 25 Jahre Bewegungskurse im Kinderhaus Nikodemus in Nürnberg (Bewegungsförderung und Psychomotorik für Kinder von 1 bis 6 Jahren, Mutter/Kind Kurse, Motorikkurse für ADS Kinder, Frauengesundheitsarbeit, Ausbildung zur Kursleiterin in ganzheitlicher Beckenbodenarbeit)
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Zitiervorschlag
Schlesinger, Gisela, 2022. Sensomotorik über die Lebensspanne [online]. socialnet Materialien. Bonn: socialnet, 03.03.2022 [Zugriff am: 04.10.2023]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/materialien/29426.php

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