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Musikinstrumente bauen

Instrumentebau als eine Form der ästhetischen Praxis in der sozialen Arbeit

Brian Cranford

veröffentlicht am 18.06.2022

Zusammenfassung

Das Bauen von Musikinstrumenten im Rahmen von sozialpädagogischer Arbeit gehört zu einer von vielen Möglichkeiten, Beziehungen aufzubauen und die persönliche Entwicklung durch kreative Prozesse zu fördern. Das handelnde Begreifen und begreifende Handeln werden geschult. Zudem ermöglicht es Zugänge zum aktiven Musizieren, der Improvisation und dem Komponieren und Produzieren von Musik. Der Beitrag behandelt theoretische Überlegungen zu möglichen Zielsetzungen und praktische Herangehensweisen. Ich freue mich über Ideen und Erfahrungen der LeserInnen, die auf diesem Gebiet schon Erfahrungen gemacht haben.

Inhalt

  1. 1 Einleitung
  2. 2 Geschichte des Instrumentebaus
  3. 3 Ästhetische Praxis
  4. 4 Bedeutung für die Soziale Arbeit
  5. 5 Projektmanagement
  6. 6 Handlungsorientiertes Lernen
  7. 7 Methoden und Ideen
  8. 8 Improvisation und Spiele
    1. 8.1 Wie heißt du?
      1. 8.1.1 Variante
    2. 8.2 Frage und Antwort
      1. 8.2.1 Variante
    3. 8.3 Schatzsuche
    4. 8.4 Puls und Energie
      1. 8.4.1 Variante 1
      2. 8.4.2 Variante 2
    5. 8.5 Karussell
      1. 8.5.1 Variante
    6. 8.6 Tanz- und Bewegungsmusik
      1. 8.6.1 Variante
    7. 8.7 Neue Texte
    8. 8.8 Pingpong Aufnahmen
    9. 8.9 Bilderklänge
  9. 9 Vernetzungspotenziale
  10. 10 Quellenangaben

1 Einleitung

Da die Musik universell ist, gibt es viele Bereiche, die hiermit verknüpft sind, unter anderem die Physik, welche sich mit Phänomenen von Raum und Zeit beschäftigt. Hier zum Beispiel die Schwingungslehre, die Akustik, Resonanz und so weiter. Der Bau von Musikinstrumenten ist ein dankbares Thema, da verschiedene Bereiche miteinander verbunden werden. Generell liegt im Medium der Musik ein großes interdisziplinäres Potenzial. Es kann mit allen anderen Bereichen der Kunst verbunden werden, ist mehr oder weniger in jedem Lebensbereich präsent und spielt in nahezu jeder Kultur eine Rolle. Jeder Mensch ist musikalisch als Hörender und als aktiv Musizierender.

„Die meisten elektronischen Geräte, die wir heutzutage gebrauchen, sind sehr komplex und für den Laien in ihrer Funktionsweise meist nicht mehr zu durchschauen (…) denn wir begreifen eigentlich nicht, was im Inneren dieses elektronischen Wunderwerks vor sich geht.“ (Cranford 2010:5)

Der Instrumentenbau auf professionellem handwerklichen Niveau erfordert viel Fachwissen, Erfahrung und Ausbildung. Trotzdem kann man sich dem Thema auf zunächst einfache Art und Weise nähern und das Prinzip der Klangerzeugung verstehen, um brauchbare Instrumente selbst herzustellen. Man begreift handelnd, wie ein Instrument funktioniert und wie es gebaut werden kann. Diese erworbenen Kenntnisse können erweitert und für neue Projekte genutzt werden. Es ist möglich, relativ kostengünstiges Material zu verwenden, somit ist das Bauen auch interessant in Bezug auf sozial und wirtschaftlich benachteiligte Gesellschaftsgruppen (vgl. Cranford 2010).

Das Bauen von Musikinstrumenten pendelt zwischen dem Nachahmen von bereits vorhandenen Ideen, dem Verändern dieser, sowie von eigenen Ideen und dem Kreieren von Fantasieinstrumenten. Das Prinzip der Klangerzeugung unterliegt bestimmten Kategorien (siehe Kapitel 2), die Gestaltung der Form ist frei.

„Jede Veränderung bringt neue Erfahrungen, seien es positive, seien es negative, und das Gelernte kann in andere Projekte einfliessen“ (Kesselring 1987:6).

Zu Beginn kann ein Projekt vom Pädagogen angeleitet, initiiert werden. Ein Bauplan wird vorgeschlagen, in den Raum gestellt, je nach dem Wissensstand, der Motivation und den Wünschen der TeilnehmerInnen. Der Prozess kann jederzeit in eine selbstständige Gestaltung und Veränderung übergehen.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr motivierend ist für die TeilnehmerInnen, vor allem für Kinder, wenn sie ein eigenes Instrument bauen können und es nach dem Projekt für sich behalten dürfen, um darauf weiter Klänge zu erforschen, es zu modifizieren oder auch zu verschenken.

2 Geschichte des Instrumentebaus

Die ältesten gefundenen Musikinstrumente sind Flöten aus Schwanen- und Gänsegeierknochen sowie Mammutelfenbein. Ihr Alter wird auf bis zu 43.000 Jahre geschätzt. Sie wurden in Baden-Württemberg auf der schwäbischen Alb von Tübinger Forschern gefunden (vgl. Wikipedia/Flöte 2021).

Bis in die Gegenwart werden Instrumente modifiziert, weiter entwickelt und neu erfunden. Vor allem im elektronischen und digitalen Bereich gibt innovative Klangerzeuger. Die technischen Möglichkeiten der jeweiligen Epoche beeinflussen die Bearbeitung und Herstellung der Musikinstrumente. Andererseits spielen kulturelle, soziale und gesellschaftspolitische Gegebenheiten und Ansprüche eine Rolle. Die Instrumente selbst wiederum haben starken Einfluss auf die Art und Weise wie Musik komponiert und aufgeführt wird. Technik und sozialer Wandel stehen in Wechselwirkung zueinander.

„Musik ist eine Reflexion der Zeit, in der sie entsteht.“ (Diana Ross)

Musikinstrumente werden für Musiker produziert, unabhängig davon ob diese professionell zum Einsatz kommen oder nicht. Wobei die Definition von Professionalität sowohl die musikalischen Fertigkeiten betrifft, als auch die berufliche Seite, also ob das Musik machen als Erwerbstätigkeit dient. Der professionelle Instrumentenbau hat sich schon in der Vergangenheit zu einem hochspezialisiertem Handwerk entwickelt. Es gibt aber Menschen, die sich selber Instrumente bauen, da sie sich den Kauf eines Instruments nicht leisten können. Als Beispiel ist hier der Waschwannenbass zu nennen, der in der Folkmusik in der Bluegrass Region Kentucky und benachbarten US-Bundesstaaten wie North Carolina, Virginia und Tennessee Verwendung findet und als kostengünstiges Instrument dient. Durch seine Bauweise prägt er den eigenen Sound dieser Musik. Das Instrument war auch unter dem Namen Teekistenbass in England populär in den 1960er-Jahren und wurde in der Skifflemusik benutzt. Die Funktions- und Bauweise dieses Instruments wird in Kapitel 6 als Praxismethode vorgestellt. Als typologischer Ursprung des Instruments gilt der afrikanische Erdbogen (vgl. Wikiwand 2022).

Erdbogen
Abbildung 1: Erdbogen (gemeinfrei; https://de.wikipedia.org/wiki/Erdbogen#/media/​Datei:Dyulu-tama_ground_bow.jpg)

Eine weitere wichtige Rolle spielten diese Saiten-Instrumente in der Blues- und Folkmusik des Deltablues in den USA. Unter anderem in Verbindung mit einer Slidetechnik (Spielweise mit einem Holz, Metall oder Glasrohr) bei der die Tonhöhe glissandoartig verändert wird. In einem Film des US-amerikanischen Musikforschers Alan Lomax sind mehrere interessante selbst gebaute Saiteninstrumente mit einer Saite zu sehen. Sie sind simpel aufgebaut und werden technisch anspruchsvoll angespielt und dienen dem Gesang als Begleitung. Auch in den rhythmischen Begleitungen der Trommler im Rahmen eines Summer Picknicks hört und sieht man die afrikanischen Wurzeln der Musiker und Tänzer (vgl. Lomax 1979).

Hilfreich beim Planen und Bauen von Instrumenten ist die Kenntnis über die Kategorisierung der Musikinstrumente nach der Hornbostel-Sachs-Systematik Anfang des 20. Jahrhunderts. Demnach sind die Klangerzeuger in vier Hauptgruppen unterteilt (später wurde von Sachs eine Fünfte, die der Elektrofone hinzugefügt):

Idiofone (Selbstklinger), Membranofone (Fellklinger), Chordofone (Saitenklinger) und Aerofone (Luftklinger). Diese sind noch mal vielfältig aufgegliedert. Es ist inspirierend, einen Blick auf alle diese Unterkategorien zu werfen. Es bieten sich hier Ideen für den Selbstbau an, und für experimentelle Weiterentwicklungen. Eine Klangquelle, die allen innewohnt und nicht erst gebaut werden muss, ist die Stimme. Sie muss nur aktiviert und zum Einsatz gebracht werden. Oftmals fällt dies dem einen oder anderen schwer, da der Zugang verschüttet ist oder das Selbstbewusstsein dafür fehlt (vgl. Lätzer 2019). Mithilfe von selbst gebauten Instrumenten kann dies unter Umständen auch wieder zum Vorschein kommen und in Verbindung gebracht werden. Passende Musikspiele bieten sich hier an (siehe Kapitel 7).

3 Ästhetische Praxis

Geht man von der Übersetzung zu Wahrnehmung/​Empfinden des altgriechischen Wortes aisthesis aus, so ist jede Wahrnehmung der Umwelt mithilfe unserer Sinne eine ästhetische Erfahrung (vgl. Stutz 2015). Die Herleitung des Wortes Wahrnehmung aus der althochdeutschen sowie mittelhochdeutschen, mittelniederländischen und altsächsischen Sprache zeigt u.a. die Bedeutung des Achtgebens und der Obhut auf, welche dann ab dem 16. Jh. zurückgedrängt wird (vgl. DWDS 2022). Der Prozess der Wahrnehmung ist aus heutiger Sicht sowohl aktiv wie auch passiv, läuft auf bewusster und unbewusster Ebene ab.

Ist das Aufnehmen von Informationen vom Außen in das Innere ein Teil des Wahrnehmungsprozesses, so ist ein weiterer Teil bzw. eine weitere ästhetische Dimension das verinnerlichte, das geistige Erleben, die Verarbeitung des Erlebten, das Konstruieren und Realisieren von neuen Wirklichkeiten, welche wiederum mit sinnlicher Erfahrung verbunden sind. Das Innere wird wieder nach Außen transportiert und vice versa.

Die Inhalte der Wahrnehmung können beeinflusst und erweitert werden (vgl. Wikipedia 2022). Durch die ästhetische Praxis kann die Aufmerksamkeit gesteuert und in bestimmte Wege geleitet werden. Man sieht, der Bereich der Wahrnehmung ist sehr groß und komplex.

„Ästhetische Erfahrung (…) entsteht in der Beziehung zwischen Subjekt und Gegenstand. Sie vollzieht sich dabei sowohl auf der Ebene des unmittelbaren emotionalen Erlebens als auch auf der des bewussten Empfindens und Erkennens“ (Jäger, Kuckhermann 2004:13).

Das Bauen von Instrumenten beinhaltet mehrere ästhetische Ebenen. Einerseits die Konzeption und Herstellung von Instrumenten nach primär funktionellen Gesichtspunkten. Das Instrument soll in seiner Funktionsweise Klänge hervorbringen. Die endgültige Form und das Äußere können mehr oder weniger zu Beginn der Konzeption eine Rolle spielen oder sich aus dem Bauen und dem kreativen Gestalten heraus ergeben. Es gibt als Vorlage eine Vielzahl bereits existierender Musikinstrumente, die man in ihrer Funktion nachahmen kann. Daraus ergeben sich neue Interpretationen und Variationen des Klangerzeugers, wobei die physikalischen Klangerzeuger ähnlich oder gleich bleiben. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, die Nutzungs- und Spielweise als auch die Materialwahl betrachtend, neue andersartige Formen und Realisationen von Instrumenten zu finden.

„Auf der Handlungsebene lässt sich ästhetische Praxis mit zwei Begriffen der griechischen Philosophie beschreiben: als Mimesis, womit die Annäherung an die gegenständliche Welt durch ihre Nachahmung bzw. Nachbildung gemeint ist, und als Poiesis, also als schöpferische Neugestaltung der Welt. Mimesis und Poiesis sind nicht als voneinander getrennte Handlungsformen zu verstehen, sondern als zwei Grundströmungen ästhetischer Tätigkeit: mit der Nachbildung der realen Welt in den ästhetischen Objekten entsteht zugleich die neue Welt der Kultur“ (Jäger, Kuckhermann 2004:14).

Beim Bauen von Musikinstrumenten ist der funktionelle Aspekt von größerer Bedeutung als der bildnerische, jedoch ist das Instrument bereits ohne Klangerzeugung eine Form von Kunstwerk. Es steht für sich und besitzt eine eigene Aussagekraft. Im Kontext der sozialen Arbeit ist das Gestalten der Instrumente darüber hinaus mit einer kommunikativen Absicht verbunden. Und es ergeben sich nachhal(l)tige Ergebnisse. Das Musikinstrument kann für verschiedenste Situationen und Settings eingesetzt werden (siehe Kapitel 9).

„Ästhetische Praxis, ist ein Teilbereich innerhalb der Tätigkeitsfelder Sozialer Arbeit: Es geht um praktisches Tun, das Wahrnehmungserfahrungen ermöglicht und alle Sinne anspricht. Ästhetische Praxis macht sich künstlerische Praktiken als Mittel zur Kommunikation zu eigen und reicht somit über die Möglichkeiten einer verbalen Kommunikation hinaus“ (Lätzer 2019).

Die Teilhabe an der Umwelt, die Mitwirkung an der Gesellschaft wird nicht nur durch kognitive, sondern auch auf die sinnliche und die Empfindung ansprechende Prozesse ermöglicht und gefördert (vgl. Stutz 2015). Musikinstrumente in den verschiedensten Formen gibt es in allen Kulturen, somit ist eine aktive und rezeptive Auseinandersetzung damit eine Möglichkeit, den Horizont zu erweitern, Fremdes zu entdecken und Neues kennenzulernen.

4 Bedeutung für die Soziale Arbeit

Soziale Arbeit und Sozialpädagogik werden oft synonym verwendet und auch die Abschlüsse sind im Berufsleben gleichgestellt. Grundsätzlich kann man sagen dass die Sozialpädagogik ein Teilbereich der sozialen Arbeit ist (vgl. soziales-studieren.de 2022). In beiden Bereichen, wenn man sie getrennt voneinander sehen möchte, spielt auch die Prävention im Bildungsbereich (zum Beispiel Schulsozialarbeit und außerschulische Jugendbildung) eine große Rolle. Angebote in denen sowohl ästhetische Erfahrungen als auch soziale Beziehungen geknüpft werden können fallen in das Aufgabengebiet der sozialen Arbeit.

Die folgende Definition von Sozialer Arbeit wurde in den Generalversammlungen des IFSW und IASSW im Juli 2014 verabschiedet:

„Soziale Arbeit ist eine praxisorientierte Profession und eine wissenschaftliche Disziplin, dessen bzw. deren Ziel die Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts sowie die Stärkung und Befreiung der Menschen ist. Die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, die Menschenrechte, gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlagen der Sozialen Arbeit. Gestützt auf Theorien zur Sozialen Arbeit, auf Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften und indigenem Wissen, werden bei der Sozialen Arbeit Menschen und Strukturen eingebunden, um existenzielle Herausforderungen zu bewältigen und das Wohlergehen zu verbessern. Die obige Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene noch erweitert werden“ (IFSW 2014).

Entscheidend ist hier unter anderem die Stärkung des Menschen. Die persönliche Entwicklung eines Menschen kann zum Teil in der sozialen Arbeit mit begleitet und unterstützt werden. Durch ästhetische Praxis kommen Prozesse in Gang, welche die Selbstwirksamkeit eines Menschen fördern.

Die Selbstwirksamkeit beschreibt eine Lebenskompetenz, welche einen Menschen dazu befähigt, sich herausfordernden Aufgaben zu stellen. Der Grad der Ausprägung dieser Selbst-Einschätzung und subjektiven Überzeugung hat Einfluss auf ihre Herangehensweise, auf bestimmte Herausforderungen im Leben. Vor allem in der Kindheit und Jugend wird diese Fähigkeit ausgebildet, sie kann jedoch in allen Lebensphasen erweitert und ausgebaut werden (vgl. Gesundheitsförderung Schweiz 2013).

Nach Bandura wird von vier Faktoren ausgegangen, die Selbstwirksamkeit stärken können (Bandura 1997). Den größten Einfluss hat die eigene Erfahrung und damit verbundene Erfolgserlebnisse. Diese direkte Erfahrung kann durch produktives Handeln und beispielsweise der Herstellung eines selbst gebauten Musikinstruments gemacht werden. Hier kommt der Projektleitung die Aufgabe zu, in bestimmten Situationen ermutigend zu wirken, Schwierigkeiten und eventuelle Missgeschicke wohlwollend zu begleiten und zu Beginn auch unterstützend zur Seite stehen.

Die Selbstwirksamkeit ist auch eng verknüpft mit Ausdauer und Durchhaltevermögen, etwas zu Ende bringen und ein Ziel zu erreichen (Erziehungslehre 2022).

Durch einen selbstwirksamen Prozess und das Erreichen eines Ziels wird die Selbstwirksamkeit weiter ausgebaut und gefördert.

Hier ist wichtig, wie und was für ein Ziel definiert wird. Wird es als zu hoch oder zu schwierig festgelegt, läuft man Gefahr, einen gegenteiligen Effekt zu erlangen, nämlich enttäuscht und erfolglos zu sein. Eine gute Einschätzung der Klientel seitens des Pädagogen ist wichtig, um ein passendes Projektziel zu konzipieren.

Persönliche Misserfolge und negative Erlebnisse sollten wie bereits erwähnt von der Projektleitung aufgefangen werden, damit das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten nicht verloren geht. Kleine Etappenziele und ein realistisches Endergebnis sowie eine gute Planung der Materialien, Werkzeuge und Räumlichkeiten sind hierfür eine Voraussetzung (siehe Kapitel 10).

Das Mitmachen der Projektleitung spielt eine große Rolle. Hier kommt die zweite Quelle der Selbstwirksamkeit nach Bandura zum Tragen. Das soziale Modell kann den Beobachter bestärken, die Aufgabe selbst auch bewältigen zu können (vgl. Bedeutungonline 2021).

Die soziale Arbeit läuft in vielen Fällen im zwischenmenschlichen Bereich ab. Der Aufbau einer Beziehung ist ausschlaggebend für eine inhaltliche Arbeit in der sozialen Arbeit. Ohne eine tragfähige Beziehung ist die Unterstützung der KlientInnen nicht oder nur erschwert möglich (vgl. Nagele 2010). In der Auseinandersetzung mit handwerklichen, gestalterischen und musikalischen Tätigkeiten kann auf nonverbaler Ebene der Zugang zu Menschen ermöglicht werden. Oftmals ist auf verbalem Wege der Zugang gestört und der Aufbau einer Beziehung auf rein verbaler Ebene ungünstig oder kaum möglich.

Kreative Projekte und ästhetische Praxis kann helfen, Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu schaffen, um gemeinsam weiter zu kommen. Will man künstlerische Inhalte für die soziale Arbeit nutzen, ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Prozess- und Produktorientierung erforderlich, um eine Über- oder Unterforderung zu verhindern (vgl. Hill, Josties 2007). Einerseits muss beim Ergebnis für die TeilnehmerInnen etwas qualitativ Ansprechendes entstehen, andererseits sind pädagogische Prozesse und Transfereffekte zu beachten.

„Sozialpädagogische Angebote richten sich oft an Zielgruppen mit besonderen Benachteligungen, mit negativen Bildungserfahrungen, mit Stigmatisierungs- und Desintegrationserfahrungen“ (Hill, Josties 2007). Deshalb ist es wichtig niedrigschwellige Angebote zu machen, sich an den Bedürfnissen zu orientieren, da im Vorfeld meist weniger Motivation und Vorkenntnisse vorhanden sind.

Musik spielt bei vielen Menschen jeden Alters eine große Rolle und weckt das Interesse. Das Bauvorhaben kann niederschwellig und so konzipiert werden dass bereits ohne Vorkenntnisse brauchbare Ergebnisse erzielt werden können. Solche Projekte fördern die nonverbale und verbale Kommunikation untereinander. Das Entscheidende ist das handwerkliche Tun. Kommunikative Prozesse werden möglich beim Arbeiten, später auch über die fertigen Instrumente, und weiterführend beim Musizieren sowie weiteren Vernetzungen (siehe Kapitel 9).

Generell können kreative Gruppenprojekte das Selbstwertgefühl der TeilnehmerInnen steigern, die Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit fördern, zielorientiertes Arbeiten schulen und die Konzentration verbessern. Auch der interkulturelle Austausch zwischen den TeilnehmerInnen wird gefördert, u.a. beim gemeinsamen Musizieren, wenn sich Menschen aus diversen Kulturkreisen zusammenfinden (vgl. de Bruin/​Cranford 2006).

5 Projektmanagement

Den vielfältigen Konzepten und Theorien zum Projektmanagement sei vorangestellt, und dies gerade in Bezug auf dem Feld der sozialen Arbeit also der Zusammenarbeit und Arbeit in Beziehungen zu Menschen: Es kommt erstens anders und zweitens als man denkt, oder wie es in dem Song Beautiful Boy von John Lennon heißt: „… Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen …“ (Lennon 1980).

Ereignisse laufen anders als geplant. Nichts im Leben ist absolut planbar oder vorhersehbar. Das kann man berücksichtigen und so Projekte, die anders verlaufen besser einordnen und auch bewusst Änderungen eigener Pläne zulassen. Das bedeutet, sich nicht entmutigen zu lassen, wenn es nicht ganz wie geplant läuft, und im Prozess Veränderungen des Konzepts mit einplanen. Das heißt jedoch nicht gar keine Pläne und Vorkehrungen zu machen. Gute Vorbereitungen zu treffen ist wichtig und entscheidend für den Projektverlauf!

In Wirtschaft umfassen Projekte in der Regel verschiedene Unternehmensbereiche und erfordern eine gute Zusammenarbeit der einzelnen Projektmitarbeiter. Oft handelt es sich um sehr komplexe Arbeitsschritte, deren Umsetzung mit Unwägbarkeiten verbunden sind. In der Betriebswirtschaft sollen im Wesentlichen drei große Ziele erfüllt werden. Das Projekt soll Gewinn abwerfen bzw. einen hohen Nutzen haben, es soll zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein und eine hohe Qualität ist erstrebenswert (vgl. Zweschke 2012).

Der Gewinn in der sozialen Arbeit bzw. im Instrumentebau-Projekt soll u.a. die Stärkung des Menschen und eine Möglichkeit der persönlichen Entwicklung sein. Eine klare Zielsetzung ist eine wesentliche Grundlage für erfolgreiches Projektmanagement. Hier stellt sich die Frage: welche pädagogischen Ziele? Und welche musikhandwerklichen Ziele? Beides muss miteinander in Einklang gebracht werden. Was steht im Vordergrund? Was hat mehr Gewicht?

 Es gibt die sogenannte Zielsetzung nach SMART. Das steht für die Begriffe:

  • Spezifisch (Was? Wer?)
  • Messbar (Produkt/​Objekt)
  • Attraktiv (Form/Funktion)
  • Realistisch (Material/Möglichkeiten)
  • Terminiert (Wann?) (vgl. Zweschke 2012)

Welche Art von Instrument möchte man bauen? Für weiterführende Projekte kann der Gestaltungsspielraum erweitert werden. Für erste Projekte muss man sich entscheiden und bestimmte Klangerzeuger, d.h. das Material und Werkzeug dafür planen.

Wer macht mit? Welches Alter und welcher Wissensstand und auch motorische Fähigkeiten?

Das Instrument sollte für die Teilnehmergruppe eine gewisse Herausforderung und Attraktivität besitzen. Für die Realisation muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Auch das Material muss geeignet und in ausreichendem Maße zur Verfügung. Hier kann Reserve- und Extramaterial eingeplant werden, da auch Teile kaputtgehen können in der Bearbeitung.

Es gibt auch Möglichkeiten, mit benachbarten Firmen und Handwerkern zu kooperieren bzw. einzelne benötigte Teile dort in Auftrag zu geben. Zum Beispiel die Lamellen einer Kalimba:

„… In der Adolf-Reichwein-Schule wurden selbst die Metalllamellen für die Kalimba in der nah gelegenen Schmiede eigens hergestellt …“ (Vincentino e.V. 2020).

Beim Instrumentenbau sollte das Material und die Werkzeuge ausreichend zur Verfügung stehen. Wichtig ist eine Einweisung an den Werkzeugen. Generell sollte die Auge-Hand Kontrolle bewusst gemacht werden, d.h. immer dort hinsehen, wo man mit dem Werkzeug gerade etwas ausführt!

Gut für die Teamarbeit und auch die Arbeitssicherheit ist ein Arbeiten in Zweier-Teams oder auch zu dritt wenn erforderlich. Materialien können so festgehalten und fixiert werden, ohne Zuhilfenahme von Geräten. So können ausreichend TeilnehmerInnen in den Arbeitsprozess eingegliedert werden.

6 Handlungsorientiertes Lernen

Das didaktische Konzept, welches dem Instrumentenbau zugrunde gelegt werden könnte, ist das handlungsorientierte Lernen. Es ist im Kontext des schulischen Unterrichts verortet, bietet sich jedoch auch in außerschulischen Bildungsangeboten und informellem Lernen an.

Handlungsorientiertes Lernen ist ein ganzheitliches Lernen, und es ist der Versuch, Handlung als Lernmedium zu integrieren. Dazu werden konkrete Handlungssituationen geschaffen, in denen handelnd gelernt und lernend gehandelt wird, indem die Lernenden vor praktische Aufgaben gestellt werden, die sie praktisch handelnd lösen müssen (vgl. Jank/Meyer 1994).

Grundlage ist ein bestimmtes Menschenbild, nach dem der Mensch selbstbestimmt und von Natur aus neugierig bzw. wissbegierig ist. Lernprozesse laufen in dieser Modellvorstellung prinzipiell immer ganzheitlich, d.h. grundsätzlich mit allen Sinnen ab.

Der handlungsorientierte Unterricht stärkt die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung der Lernenden. Er erfordert Teamfähigkeit, schult die kommunikative Kompetenz und fördert darüber hinaus das fächerübergreifende und vernetzende Lernen.

Das ganzheitlich gedachte Kopf, Herz und Hand-Prinzip aus der Werkpädagogik setzt einen weiteren Pfeiler. Das Machen (Hand) ist die Ausführung und das handwerkliche Wirken. Die daraus erlernten physikalischen Kenntnisse sind der Kopf. Hinzu kommt als dritter Pfeiler das Herz, das Musikmachen und Fühlen des Klangs (vgl. Kesselring 1987). Das Musikinstrument spricht in seiner Bedeutung als Klangerzeuger seelische Anteile an.

Das Prinzip Herz kann in weiterem Sinne gedacht werden als Gefühl und Seele, wie man sich als Mensch in der jeweiligen Projektsituation (wohl-)fühlt. Das Gestalten von Musikinstrumenten und musikalischem Spiel schafft eine soziale Situation, in der neues Erleben und Verhalten möglich wird. Musik- und werkpädagogische Elemente vermischen sich mit sozialpädagogischen und therapeutischen Anteilen.

Es findet eine Schulung der Wahrnehmung, eine Förderung der Kommunikation, Ausbau der Handlungsfähigkeit und der Kritik- sowie Urteilsfähigkeit (vgl. Martini 1980). Diese Förderung findet einerseits beim Bau der Instrumente, andererseits teils verstärkt und bei Bedarf zielgerichteter statt, wenn zusammen gespielt wird, in Form von geeigneten Musikspielen (siehe Kapitel 7).

Der Bau von Instrumenten ermöglicht das Lernen durch eigenes Tun und Lernen nach den eigenen Fähigkeiten, welche im Prozess des Werkens erweitert und gefördert werden. Beim Bauen von Musikinstrumenten werden Schwingungsphänomene entdeckt. Die Funktionsweise von Klangerzeugern wird beim Herstellen kennengelernt. Die Neugier für die verschiedenen Instrumente-Typen wird geweckt. Selbstgebaute Instrumente sind generell genauso empfindlich wie professionell hergestellte Instrumente und erfordern auch einen behutsamen Umgang und fördern so Achtsamkeit und Wertschätzung.

Darüber hinaus schafft es die Möglichkeit, die verschiedenen TeilnehmerInnen auch bei unterschiedlichen musikalischen Vorkenntnissen auf eine Ausgangssituation zu bringen, in der sich jeder entsprechend seiner Fähigkeiten einbringen kann (vgl. Martini 1980). Das Ausprobieren, Musizieren und später auch das Aufnehmen und Verfremden der Klänge bietet einen spielerischen und unmittelbaren Zugang zur Musik. Das erlernte Verständnis der Klangerzeugung und das Interesse am eigenen Instrument motiviert zum Spielen damit. Das Musizieren ermöglicht eine Vielzahl an Erfahrungen im Umgang miteinander. Das Vernetzungspotenzial mit anderen Medienprojekten ist groß. Theater, Video, Podcasts, elektronische Musikproduktion, um nur einige zu nennen (siehe Kapitel 9).

Pädagogische Ziele, die auf eine Verhaltensänderung der TeilnehmerInnen bei problematischem Hintergrund hervorrufen wollen, sind nicht mit einem einmaligen Projekt zu erreichen. Hierfür ist eine längerfristige pädagogische Begleitung nötig, trotzdem kann es unterstützend wirken, Impulse setzen und neue Richtungen aufzeigen für eine persönliche Entwicklung. Wie in jedem pädagogischen Prozess ist die innere Beteiligung und Zustimmung der TeilnehmerInnen notwendig, um überhaupt irgendwelche Ziele zu erreichen. Der Grad der Identifikation mit den Projektinhalten hängt mitunter von den Interessen, Wünschen und vorhandenen Fähigkeiten der TeilnehmerInnen ab (vgl. Martini 1980).

7 Methoden und Ideen

Nachfolgend werden zwei einfache Chordofone für den Selbstbau vorgestellt.

Grundlegende Bestandteile für die Klangerzeugung sind die Saite(n), ein Resonanzkörper, Befestigungen für die Saite und meist Stege, Bauteile welche die Schwingungen der Saite auf den Resonanzkörper überträgt.

„… Der Instrumentenbauer unterscheidet unabhängig von der Spielweise zwischen drei Grundformen von Saiteninstrumenten und geht dabei von der Art der Schwingungsübertragung auf den Resonanzkörper aus, was unmittelbare Auswirkungen auf Klangfarbe und -entfaltung hat. (…) Als Harfen werden Instrumente bezeichnet, bei denen die Saiten an einem Ende direkt mit der Resonanzdecke des Korpus verbunden sind. (…) Als Zithern werden Instrumente bezeichnet, bei denen kein direkter Kontakt der schwingenden Saiten mit der Resonanzdecke besteht. Die Übertragung erfolgt über die massiven Seitenteile (Klötze), an denen die Saiten befestigt sind und mit denen auch die Resonanzdecke direkt verbunden ist. (…) Als Lauten werden Instrumente mit einem Hals bezeichnet, bei denen die Saitenschwingung über einen Steg auf die Resonanzdecke übertragen wird …“ (Wikipedia 2022)

Ein relativ einfaches Saiteninstrument lässt sich mit Spanngummis mit Haken, bzw. Gepäck-Spanngurten für das Fahrrad verwirklichen. Diese sollten im rund im Durchmesser sein (ca. 6–8 mm). Daraus ergibt sich ein bassiger Sound. Sie sind sehr robust und lassen sich dann auch mit einem Stock o.ä. bespielen. Der Resonanzkörper kann, aber muss nicht selbst gebaut werden. Eine gebrauchte Kiste oder alte Schublade mit einer Mindestlänge von 60 cm kann verwendet werden. Die Länge der Saiten richtet sich nach der Länge der Kiste. Die Spanngurte sollten bereits ohne Stege in Spannung sein. Durch das Einsetzen von Stegen (Holzklötze mit Dreikantholz, worüber die Saite verläuft) erhöht sich die Spannung und die Schwingung ist hoch genug. Von der Funktionsweise handelt es sich um eine Zither, mit beweglichen Stegen ähnlich einer Koto (vgl. Nicolas Bras 2022).

Der Waschwannenbass oder Teekistenbass besteht aus einem Resonanzkörper (entweder eine metallene Waschwanne, alternativ ein Plastikeimer oder einer Holzkiste), einem Holzstab (zum Beispiel ein Besenstiel), und einer Saite aus einem ca. 2–5 mm dicken Seil, je nach gewünschtem tiefem Klang. Die Schnur wird an einem Ende direkt an dem Resonanzkörper und am anderen Ende am Hals (Stock) befestigt. Demnach handelt es sich um das Prinzip einer Harfe.

Der Hals wird entweder lose an der Kante des Bottichs mit einer Kerbe verbunden und hält durch die Spannung und Verbindung mit der Saite. Oder er wird bei der Holzkiste fest verschraubt bzw. an einem Scharnier befestigt, welches die Bewegung und Spannungsänderung mitmachen kann.

Der Spieler verändert die Spannung mit einer Hand/Arm, während er mit der anderen Hand im Rhythmus zupft oder mit einem Klöppel schlägt (vgl. Rhöner Säuwäntzt 2021). 

Ein weiteres interessantes Instrument ist die Doppel-Kalimba, ein Instrument für zwei Spieler, die darüber musikalisch direkt in Kontakt gehen. Die Kalimba gehört zur Familie der Idiofone, um kommt ursprünglich aus Afrika. Sie besteht aus einem Resonanzkörper (z.B. ein Zigarrenkistchen), Lamellen (Klangzungen) meist aus Metall, Holz geht auch, ist jedoch viel leiser. Die Lamellen werden auf dem Resonanzkörper befestigt und in der Regel mit den Daumen angespielt (daher auch die Bezeichnung Daumenklavier), der Rest der Hand hält die Kalimba. Die Vibrationen des Korpus machen den Klang direkt in der Hand fühlbar. Das gemeinsame Halten und Spielen des Instruments fördert das Miteinander zwischen den beiden Spielern (vgl. Deutz 2022).

Trommeln (Membranofone) sind nicht so einfach zu bauen. Tierfelle sind nicht unbedingt günstig und müssen entsprechend bearbeitet sein. Schlagfelle aus Kunststoff, vorgefertigte Trommelfelle für Schlagzeug u. ä. benötigen eine starke Spannung, daher muss der Resonanzkörper (Kessel), der Spannreifen und die Befestigungen (Spannböckchen und Schrauben) sehr stabil sein.

Alternativ kann man ein breites und dünnes Packetklebeband verwenden und ein dickes Papprohr (Zylinder) mit ausreichender Breite (mind. 10–12cm besser größer). Dies ist eine einfache Art und Weise, wie schnell eine Trommel gebaut werden kann und das Prinzip des Instruments veranschaulicht werden kann.

Das Klebeband wird einmal quer über die Öffnung gespannt. Erst an einer Seite festgeklebt und mit Spannung auf der anderen Seite festgeklebt. Dann werden sternförmig versetzt mehrere Lagen Klebeband angebracht bis eine durchgängige Membran das Rohr bedeckt. Die Enden um den Zylinder herum mit einem weiteren Stück Klebeband fixiert werden. Wenn mehr Zeit zur Verfügung steht und ein Budget für das Material können aus runden Holzrahmen und Tierfellen sogenannte Schamanentrommeln gebaut werden. Hierfür gibt einige Anleitungen im Internet (vgl. Malzahn).

Im Bereich der experimentellen Musik ist alles was klingt Musik. John Cage als einer der Wegbereiter für Neue Musik, setzte unkonventionelle Klangerzeuger in Kompositionen ein, teils Alltagsgegenstände (vgl. Cage 1940) und auf Zufall basierte Quellen wie etwa mehrere Radioempfänger oder Tonbandgeräte (vgl. Cage 1951).

Der Instrumentenbau kann in Richtung Klanginstallation gehen, wenn verschiedene Klangerzeuger und Materialien frei und nach Belieben mit Phantasie zusammengebaut werden. Hier können ästhetisch anspruchsvolle und interessante Klanggebilde entstehen. Ein Beispiel hierfür sind Instrumente, die in Projekten von Michael Fink entstanden sind (vgl. Fink 2016) oder bei Stefan Roszak (vgl. Roszak 2018) und Michael Bradke (vgl. Bradke 2019).

8 Improvisation und Spiele

Das Spiel ermöglicht etwas auszuprobieren, zu simulieren, in einem Rahmen von Regeln zu experimentieren, dann auch diese Regeln zu erweitern, zu ändern oder auch zu missachten. Es ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für Kommunikation und Beziehung.

Improvisieren bedeutet frei im Moment etwas erfinden und umsetzen. Ohne einen vorgefertigten Plan, wobei hier auch Denkmuster und Verhaltensweisen, die sich zuvor entwickelt haben, eine Rolle spielen können.

Folgende Musikspiel-Ideen (vgl. Cranford 2010) eignen sich für Musizieren ohne Vorkenntnisse und Noten:

8.1 Wie heißt du?

Alle sitzen im Kreis und stellen sich mit ihrem Instrument vor. Sie spielen den Sprechrhythmus ihres Namens in der ersten Runde den Vornamen, dann den Nachnamen. Zusätzlich kann auch noch die Adresse gespielt werden. Bei einem Ratespiel kann jeweils einer in die Mitte gehen und den Vornamen eines anderen spielen. Die Gruppe muss dann den Namen erraten.

8.1.1 Variante

Einer oder zwei Spieler stellen musikalisch den Charakter und die Art eines Gruppenmitglieds dar. Die Gruppe findet heraus, wer gemeint sein könnte.

8.2 Frage und Antwort

Einer stellt mit seinem Instrument den anderen eine Frage. Dies kann ein Satz oder Gedanke sein, der nicht ausgesprochen, sondern nur gespielt wird. Es kann auch einfach eine erfundene Figur sein. Maximale Spieldauer: 5 Sekunden. Die anderen hören gut zu und antworten zunächst wie ein Echo, d.h. sie spielen möglichst genau nach.

8.2.1 Variante

Die antwortende Gruppe gibt kein Echo, sondern eine eigenständige musikalische Antwort.

8.3 Schatzsuche

Einer geht vor die Tür. Ein „Schatz“ wird im Raum versteckt. Der Sucher kommt wieder herein und soll den Schatz finden. Die anderen zeigen ihm durch leises und lautes Spielen auf ihren Instrumenten an, wie nah es sich am Schatz befindet.

8.4 Puls und Energie

Alle fühlen zuerst ihren Puls an der Hand, am Brustkorb oder am Bauch. Einer fängt an, seinen Puls zu spielen, die anderen steigen langsam mit ein. Ein gemeinsamer Puls bzw. Rhythmus entsteht. Jeder darf mal beginnen. Gestoppt wird auf ein Zeichen oder einen bestimmten Ton eines Instruments.

8.4.1 Variante 1

Die Projektleitung oder einer der Mitspieler zeigt an, wie gespielt werden soll: mal leiser, mal lauter, mal schneller, mal langsamer. So werden die Grundbausteine des Musizierens deutlich gemacht. Beides kann auch verknüpft werden, also langsam-leise, schnell-laut, langsam-laut oder schnell-leise.

8.4.2 Variante 2

Zwei Gruppen stehen sich gegenüber, eine beginnt mit einem langsamen Puls, die andere Gruppe versucht dazwischen zu spielen, d.h. den Gegenschlag (Offbeat) zu spielen. Wenn beide Gruppen ihren Rhythmus gefunden haben, kann das Tempo gesteigert oder vermindert werden.

8.5 Karussell

Alle sitzen im Kreis. Einer fängt an zu spielen, was und wie es möchte. Ein durchgehender Rhythmus bietet sich an, muss aber nicht sein. Der rechte oder linke Nachbar hört sich rein und spielt mit. So geht es weiter, bis alle gemeinsam spielen. Dann hört der erste Spieler auf und nacheinander alle anderen, bis der letzte Spieler alleine spielt und schließlich auch verstummt. Wichtig: Die Stille davor und danach bewusst wahrnehmen lassen!

8.5.1 Variante

Es spielen immer nur zwei, d.h. der Erste beginnt, der Nachbar setzt mit ein. Der Erste hört auf, der Nachbar vom zweiten Spieler setzt ein, der Zweite hört auf usw.

8.6 Tanz- und Bewegungsmusik

Man nimmt ein kleines Instrument, zum Beispiel eine Rassel und klemmt sie sich, wo man möchte, am Körper ein, nur nicht in die Hand nehmen. Dann macht man eine entsprechende Bewegung um sie zum Klingen zu bringen. Diese wiederholt man bis ein Rhythmus entsteht. Zwei oder drei Spieler versuchen einen gemeinsamen Rhythmus entstehen zu lassen.

8.6.1 Variante

Jeder Spieler hat die Rassel in der Hand. Einer führt eine bestimmte Bewegung aus die einen hörbaren Klang entstehen lässt. Alle anderen versuchen der Reihe nach genau diese Bewegung und entsprechenden Klang nachzumachen.

8.7 Neue Texte

Ein Spiel mit Sprache bei der die Stimme als Sprechgesang zum Einsatz kommt. Dieser kann mit Rhythmus und anderen Instrumenten begleitet werden. Zeitungsartikel werden nach Wörtern (auch Buchstaben bei entsprechender Größe) und kurzen Satzteilen auseinandergeschnitten. Die Schnipsel werden in Kleingruppen verteilt (2–3) und wieder neu zusammen gesetzt. Hieraus entstehen, wie man möchte, sinnvolle oder sinnentleerte Texte. Diese werden im Sprechgesang realisiert und vertont mit den selbst gebauten Instrumenten.

8.8 Pingpong Aufnahmen

Kleingruppen von 2–3 Spielern bilden sich. Mit dem Handy wird ein Geräuschbild aufgenommen, 20–30 Sek. Vorerst. Dieses wird abgespielt und von einem zweiten Handy aufgenommen, zusätzlich spielt der nächste Spieler während dieser Aufnahme ein neues Geräuschbild dazu. Das wiederholt man 3 bis 4 mal und spielt das Ergebnis in der Gruppe vor. Man braucht etwas Zeit und Gefühl für die Lautstärke der abgespielten und neu aufgenommenen Geräuschbilder. Es werden so mehr und mehr Klangquellen übereinander gelagert. In der Gruppe präsentieren und darüber unterhalten.

8.9 Bilderklänge

Es werden Bilder ausgewählt von den Teilnehmer und/oder der Projektleitung. Diese werden ausgelost und ein Bild jeweils 2 bis 3 Personen zugeteilt. Diese vertonen das Bild mit Klängen. Sie überlegen sich welche Klänge und Geräusche (auch Stimme) dazu passen könnten. Später wird in der Gruppe jedes Stück vorgetragen, die Bilder sind alle an einer Wand aufgehängt. Alle anderen Raten welches Bild zu dem Musikstück gehört.

9 Vernetzungspotenziale

Methodisch kann der Instrumentenbau mit der Audioproduktion verbunden werden und hier speziell mit Film, Video, Hörbuch, Hörspiel, Klangkunst, Podcast, Radio, Fotografie, Kunstprojekten, Theater und anderen Performances. Klassische Medien wie Kunst, Tanz, Literatur, Theater oder Musik lassen sich heute mit den Bereichen der Neuen Medien erweitern und verknüpfen. In einem Musiktheaterstück können die selbst gebauten Instrumente zum Einsatz, sowohl live im Stück als auch als Einspielung einer vorher gemachten Aufnahme bzw. eine Mischung von beidem.

Als naheliegendste Vernetzungsmöglichkeit bietet sich der musikalische Bereich an. Wie schon erwähnt, kann über Musik- und Improvisationsspiele das Musizieren auf den selbst gebauten Instrumenten erforscht werden. Im Bereich der Komposition eröffnen sich unkonventionelle Möglichkeiten ohne Notenkenntnisse und Verwendung von herkömmlicher Notation. Experimentelle Kompositionstechniken, wie Grafik-, Symbol- oder Zufallskompositionen bieten sich an, zum Beispiel das Übertragen von astronomischen Daten und Ereignissen in einen analogen Kalender, der die Partitur darstellt (vgl. Cranford/Krug 2018). Klassisches Orchesterinstrumentarium und andere professionelle Instrumente sind größtenteils sehr herausfordernd und werden mit bestimmten Vorerfahrungen und Ansprüchen in Verbindung gebracht. Das Wissen um die Eigenschaften und der Andersartigkeit der selbst hergestellten Instrumente erleichtert den Zugang zu experimentellen und neuen Kompositions- und Gestaltungsformen. So können mit selbst gebauten Instrumenten spielerisch musikalische Zusammenhänge und Grundparameter wie Lautstärke, Geschwindigkeit, Tondichte und -länge u.a. erkundet werden. „Wenn ich selbst ein Stück spiele, muss ich mir z.B. zwangsläufig überlegen, wie ich anfange, wie ich einen Ablauf einteile, welche Instrumente ich mir dafür auswähle, wie ich diese Instrumente bearbeite und einsetze, wie ich mit anderen zusammenspiele und schließlich wie ich wieder aufhöre“ (Martini 1980:11).

10 Quellenangaben

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Verfasst von
Brian Cranford
Sozialpädagoge mit dem Schwerpunkt Musik- und Medienpädagogik und kultureller Bildung
Lehrbeauftragter Hochschule München
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Zitiervorschlag
Cranford, Brian, 2022. Musikinstrumente bauen [online]. socialnet Materialien. Bonn: socialnet, 18.06.2022 [Zugriff am: 28.11.2023]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/materialien/29478.php

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