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Ökonomisierung Sozialer Arbeit II

Regulierung der Ökonomisierung Sozialer Arbeit – institutionsbasierte Analyse des Ambulant Betreuten Wohnens in der Eingliederungshilfe in NRW

Prof. Dr. Jan Tietmeyer

veröffentlicht am 03.07.2023

Im ersten Teil dieses Beitrags wurde der grundsätzlich vorliegende Konflikt von Wirtschaftlichkeit und Fachlichkeit in der Vertragskonstellation der ambulanten Eingliederungshilfe in NRW fokussiert. Die Fortsetzung fokussiert mögliche Regelungen (Institutionen), die diesen Konflikt auflösen könnten, da sie evtl. wirksam wirtschaftliche Anreize regulieren könnten.

Inhalt

  1. 1 Ausgangslage
  2. 2 Regulierung ökonomischer Anreize: Analyse gem. des Prinzipal-Agent-Ansatzes
    1. 2.1 Regelungen in der vertraglichen Konstellation zur Bearbeitung von Informationsasymmetrien
    2. 2.2 Hidden Characteristics: Adverse Selection
    3. 2.3 Hidden Action: Moral Hazard
    4. 2.4 Hidden Intention: Hold-up
  3. 3 Zusammenfassung der Erkenntnisse
  4. 4 Einschätzungen des Autors
  5. 5 Literatur

Zusammenfassung

Ausgangspunkt dieser Analyse der Vertragskonstellation (Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung) der ambulanten Eingliederungshilfe in NRW ist die grundsätzliche Herausarbeitung wirtschaftlicher Anreize, die mit fachlichen Zielstellungen der Eingliederungshilfe im Konflikt stehen. Dieser Beitrag fokussiert die Frage, inwieweit die vertraglichen Regelungen institutionelle Rahmenbedingungen darstellen, die die Entfaltung wirtschaftlicher Anreize verhindern.

Diese Analyse wird auf der Grundlage des Prinzipal-Agent-Ansatzes der Neuen Institutionenökonomik durchgeführt. Dabei wird herausgearbeitet, dass die Leistungsträger keine ausreichenden institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen haben, um die faktische Entfaltung der wirtschaftlichen Anreize zu verhindern. Dies führt in der Tendenz dazu, dass

  • qualitativ hochwertige Leistungen der Leistungserbringer aus dem Markt verdrängt werden können,
  • verdeckte Handlungen der Leistungserbringer zur Verbesserung der eigenen Wirtschaftlichkeit möglich sind und
  • Leistungserbringer die Motive ihrer Handlungen verschleiern können.

1 Ausgangslage

Im ersten Teil dieser Veröffentlichung konnte herausgearbeitet werden, dass es einen starken Konflikt zwischen wirtschaftlichen und fachlichen Zielen in der Vertragskonstellation der ambulanten Eingliederungshilfe in NRW gibt. Die Ergebnisse der Analyse können in der folgenden Tabelle abgelesen werden.

Anreize zur Personalstruktur Anreize zur Umsatzsteuerung Anreize zur Minimierung mittelbarer Zeiten

Möglichst geringqualifizierte Fachkräfte einsetzen

So wenig Fachkräfte wie möglich einsetzen

Möglichst wenig erfahrene Mitarbeiter:innen einsetzen

Möglichst auf Personalentwicklung (Fortbildung und Supervision) verzichten

Möglichst viele Betreuungsfälle dem eigenen System zuführen

Bestehende Betreuungsfälle möglichst intensiv gestalten

Bestehende Betreuungsfälle möglichst nicht beenden

Economies of Density (Dichtevorteile) können durch Zentrierung erreicht werden (Leistungserbringer als Vermieter)

Zielkonflikt zwischen Leistungsvereinbarung und Vergütungsvereinbarung

Konzentration auf wenige, dafür aber lange Betreuungskontakte

Nicht vergütete Ausfallzeiten führen zur Ausgrenzung von Klienten mit geringer Compliance

Möglichst geringer Einsatz von Team-, Reflexions- und Fortbildungszeiten

Tabelle 1 Zusammenfassende Darstellung der wirtschaftlichen Anreize

Im nachfolgenden Text soll nun daran anschließend untersucht werden, ob diese grundsätzliche Gefährdung der Sachziele der ambulanten Eingliederungshilfe durch die wirtschaftlichen Anreize des Leistungsvertrags (bestehend aus Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung) konkret bestehen können. Die Frage lautete daher:

Können die Leistungserbringer die wirtschaftlichen Anreize überhaupt umsetzen, oder gibt es Regelungsmechanismen, die dies einschränken?

2 Regulierung ökonomischer Anreize: Analyse gem. des Prinzipal-Agent-Ansatzes

Für diese Untersuchung wird der theoretische Hintergrund des Prinzipal-Agent-Ansatzes gewählt, der sich besonders gut für die Untersuchung vertraglicher Austauschbeziehungen eignet (Vgl. Picot, A./Reichwald, R./Wigand, R. (2009)). Die Prinzipal-Agent-Theorie ist Bestandteil der Neuen Institutionenökonomik. Diese geht zurück auf Ronald COASE, der eine Theorie auf der Grundlage der Annahme unvollständiger Verträge aufbaute (Vgl. Coase, R. (1937), S. 386 ff.).

Institutionen werden hierbei als Systeme von Normen verstanden, die dem Zweck folgen, individuelles Verhalten zu steuern (Vgl. North, D. C. (1990), S. 25 sowie Elsner, W. (1989), S. 204. Eine einheitliche Definition des Begriffs besteht in der Literatur jedoch nicht. Weitere Definitionen finden sich bspw. bei Dietl, H. (1993) und Homann, K./Suchanek, A. (2005)).

Die Beziehung des Leistungsaustausches innerhalb des zu untersuchenden Marktes besteht aus einem Dreieck aus Nutzer:innen, Leistungsträgern und durchführenden Leistungserbringern. Die Annahme im klassischen volkswirtschaftlichen Modell der vollständigen Konkurrenz ist, dass sämtliche Akteure vollständig, rechtzeitig und kostenlos alle relevanten Informationen besitzen. Diese Annahme ist gerade innerhalb des komplizierten Leistungsdreiecks nicht aufrecht zu erhalten. Stattdessen muss davon ausgegangen werden, dass alle Akteure jeweils Informationsmängel besitzen. Diese Informationsmängel – oder auch Informationsasymmetrien – untersucht die Prinzipal-Agent-Theorie. Die fehlende Information wird in diesem Zusammenhang als Unkenntnis verstanden, die dadurch definiert ist, dass Marktakteure nicht ausreichend informiert sind, es aber möglich ist, fehlende Informationen zu beschaffen, die ihre Informationslücke zumindest teilweise schließen können. Deshalb ist Unkenntnis auf der einen Seite mit entsprechendem Aufwand – zumeist als Agentur- oder Agency-Kosten bezeichnet – zu überwinden und auf der anderen Seite deutlich von herkömmlicher Unsicherheit bei kaufmännischem Risiko abzugrenzen (Fritsch, M./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 272).

Grundsätzlich betrachtet die Prinzipal-Agent-Theorie eine Austauschbeziehung zwischen Wirtschaftssubjekten. Dem Prinzipal kommt dabei die Rolle des Auftraggebers zu, der Agent nimmt die Rolle des Auftragnehmers ein. Eine Prinzipal-Agent-Beziehung tritt in diesem Zusammenhang immer dann auf, wenn der Nutzen der einen Partei (Prinzipal) von der Handlung der anderen Partei (Agent) abhängig ist. Hier ist eine Missachtung der Interessen des Prinzipals durch den Agenten immer dann zu befürchten, wenn ein Informationsdefizit beim Prinzipal vorliegt. Es wirken in diesem Modell zwei zentrale Annahmen (Vgl. Williamson, O. E. (1975)):

  • (1) Die handelnden Menschen entsprechen dem erweiterten Prinzip des Homo Oeconomicus (Vgl. Göbel, E. (2002), S. 1 ff ):
    • Sie maximieren ihren eigenen Nutzen im Sinne des methodologischen Individualismus.
    • Sie handeln problemorientiert, dabei wird nur der betrachtete Problemausschnitt relevant.
    • Präferenzen und Restriktionen werden getrennt voneinander berücksichtigt, wobei nur Restriktionen in Form vom volkswirtschaftlichen Kostenverständnis zu Reoptimierungen führen, da das Präferenzsystem konstant und konsistent ist.
    • Entscheidungen folgen dem Rationalitätsprinzip aus einer Kosten- bzw. Nutzenabwägung.
    • Insgesamt entspricht das zu erwartende Verhalten nicht jedem Einzelfall, vielmehr geht es um das „typische Verhalten“.
  • (2) Die vertraglichen Beziehungen hinsichtlich der Tauschgeschäfte sind unvollständig. Daher entstehen Informationsasymmetrien.

Die Grundkonstellation des Austauschverhältnisses zwischen Prinzipal und Agent wird in der folgenden Abbildung dargestellt. Dabei ist es von großer Bedeutung, die Komplexität innerhalb der Austauschbeziehungen im Rahmen des Ambulant Betreuten Wohnens hervorzuheben. Aufgrund der drei vorhandenen Marktpartner entstehen insgesamt sechs Prinzipal-Agent-Beziehungen, da die entsprechenden Beziehungen jeweils beidseitig betrachtet werden müssen.

Abbildung
Abbildung 1: Grundmodell einer Prinzipal-Agent-Beziehung (Quelle: eigene Darstellung)

Die Unkenntnis in der Informationsasymmetrie kann dabei in mehrere Formen unterschieden werden. Zumeist handelt sich hierbei um drei Ausprägungen der asymmetrischen Informationen:

  • verborgene Eigenschaften (ex ante),
  • verborgene Handlungen/​verborgene Informationen (ex interim/ex post), und
  • verborgene Absichten.

Aufgrund der üblichen Verwendung der englischen Begriffe werden diese in der Folge verwendet (Hidden Characteristics, Hidden Action und Hidden Intention). Im weiteren Verlauf werden diese Formen asymmetrischer Informationsverteilung genauer vorgestellt und ein eventuelles Vorliegen innerhalb des Markts für Ambulant Betreutes Wohnen untersucht. Des Weiteren werden in der Literatur angebotene Lösungsmechanismen vorgestellt und auf ihre tatsächliche Anwendung innerhalb der vertraglichen Konstellation hin untersucht.

2.1 Regelungen in der vertraglichen Konstellation zur Bearbeitung von Informationsasymmetrien

An dieser Stelle soll für eine bessere Verständlichkeit der folgenden Analyse kurz auf die vertragliche Konstellation zum Ambulant Betreuten Wohnen in der Eingliederungshilfe in NRW eingegangen werden. Auf einer Kontroll- bzw. Steuerungsebene lassen sich die folgenden Bereiche identifizieren:

  • Der Regelungsbereich bzgl. der Prüfungen ist in den Verträgen insgesamt recht kurz gehalten. Es wird lediglich geregelt, dass in Bezug auf eine Qualitätsprüfung jährliche Berichte durch die durchführenden Träger (Leistungserbringer) eingereicht werden müssen und dass bei einem Verdachtsmoment eine nicht näher beschriebene Qualitätsprüfung vorgenommen werden kann. Des Weiteren kann eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit vorgenommen werden. Abgeschlossen wird dieser Bereich durch die Festlegung eines Prüfungsablaufs.
  • Für die Abrechnung ist es – analog zu klassischen Lieferscheinsystemen – notwendig, dass die Klient:in die geleisteten direkten Betreuungszeiten quittiert.
  • Die Klient:in besitzt das Wunsch- und Wahlrecht und entscheidet somit, welcher durchführende Leistungserbringer in ihrem Fall tätig wird. Mit diesem Leistungserbringer führt sie die Datenerhebungen im Hilfeplanverfahren durch.
  • Die Regelungen zur Qualität der Leistung sind unterteilt in Strukturqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität. Sie enthalten jedoch zumeist keine bindenden Formulierungen.
  • In einem jährlichen Rhythmus muss ein sogenannter Jahresbericht von den durchführenden Trägern (Leistungserbringern) an die Landschaftsverbände (Leistungsträger) gesendet werden, der Auskunft über die o.g. Punkte gibt und weitere statistische Merkmale aufweist.

2.2 Hidden Characteristics: Adverse Selection

Wenn vor dem Abschluss eines Vertrages der Prinzipal die Eigenschaften seines Agenten nicht vollständig kennt und nicht ausreichend einschätzen kann, das Ergebnis des Vertragsgegenstands aber maßgeblich von diesen Eigenschaften abhängig ist, dann droht das Phänomen der Adverse Selection (Vgl. hier und im Folgenden Fritsch, M./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 285 f. sowie zur ursprünglichen Entwicklung dieses theoretischen Modells Akerlof, G. (1970), der eine mathematische Qualitätsuntersuchung des amerikanischen Marktes für gebrauchte Automobile vorgenommen hat.). Dieses Phänomen beschreibt den Prozess, dass qualitativ gute Leistungsanbieter einen Markt verlassen, also insgesamt bessere Qualität aufgrund von Informationsasymmetrien aus einem Markt zu Gunsten von minderer Qualität verdrängt wird.

Dazu kommt es, weil die Unsicherheit hinsichtlich der Eigenschaften des Agenten regelmäßig dazu führt, dass auf einem Markt ein Durchschnittspreis bezüglich der möglichen Qualitätsabweichungen entsteht. Dieser Preis ist aber dann nicht angemessen oder kostendeckend für die auf dem Markt vorhandene beste Qualität. Demzufolge kommt es innerhalb des Marktprozesses dazu, dass die beste Qualität alternative Vermarktungsmöglichkeiten sucht und den Markt verlässt. Eine weitere Option für die beste Qualität auf dem Markt ist auch die Möglichkeit, die eigene geleistete Qualität nach unten zu verändern. Auf der anderen Seite ist gerade der auf dem Markt bestehende Durchschnittspreis so gestaffelt, dass er sich für die Agenten mit schlechterer Qualität und damit geringeren Kosten besonders lohnt. Denn der entstandene Preis ist in diesem Fall für die Agenten besser als dieser bei vollständiger Information wäre. Sie haben in dieser Konstellation auch kein Interesse daran, ihre schlechtere Qualität zu signalisieren, vielmehr werden sie versuchen, sie zu verstecken. Somit kommt es zu einer negativen Auslese der Agenten, die zu einer Qualitätsverdrängung führt. Es wird zumeist mit Adverse Selection aus dem Englischen bezeichnet. Dieses Phänomen kann so weit gehen, dass ein Markt vollständig zusammenbricht, was empirisch bereits beobachtet werden konnte.

Um diese Grundproblematik innerhalb eines Marktes überwinden zu können, gibt es mehrere Möglichkeiten. Sie lassen sich mit den zwei Begriffen Screening und Signalling zusammenfassen.

Die Maßnahme Screening geht dabei vom Prinzipal aus. Dieser hat das Ziel, die bestehende Informationsasymmetrie zu beseitigen. Die Beschaffung von Informationen über den Agenten wird dabei Screening genannt. Insgesamt ist hier von Bedeutung, dass jedes Screening gewisse Kosten erzeugt. Theoretisch ist an dieser Stelle eindeutig zu fordern, dass die Screening-Kosten den Screening-Nutzen nicht übertreffen dürfen. In der Realität ist dies in einer Planungssituation allerdings recht schwer festzustellen, da vor allem der Screening-Nutzen ex-ante nicht vorhersagbar ist. Trotzdem kann die Aussage getroffen werden, dass es volkswirtschaftlich nicht lohnend sein kann, solange Informationen zu sammeln, bis eine vollständige Information vorliegt. In der Literatur werden hier häufig Einstellungstests, Probezeiten oder auch Vorgaben für Kreditwürdigkeitstests genannt. Des Weiteren besteht die Möglichkeit der Informationsnachfrage über spezialisierte Dritte (Vgl. Fritsch, M./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 289 f).

Das Signalling geht nicht vom Prinzipal, sondern vom Agenten aus. Ein Interesse an der Signalisierung der eigenen Qualität zum Agenten haben in der Ausgangsposition ausschließlich diejenigen Agenten, die eine bessere Qualität liefern. Sollten die Signale jedoch auf dem Markt erfolgreich eingesetzt werden können, werden auch die Agenten mit schlechterer Qualität beginnen, Signale guter Qualität an den Prinzipal zu senden. In der Literatur besteht in diesem Zusammenhang die Annahme, dass Agenten mit guter Qualität deutlich geringere Kosten für das Signalling erzeugen als dies bei Agenten mit niedrigerer Qualität der Fall ist. Es wird davon ausgegangen, dass der Signalnutzen hier geringer ist als die Signalkosten. In der Literatur werden als Beispiele für ein Signalling häufig Studienabschlüsse, Gütesiegel, das Einräumen gewisser Garantien oder auch Markennamen genannt. Insbesondere der Einsatz einer Marke bezieht sich dabei auf den Aufbau von Reputation (Vgl. Fritsch, M./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 290 ff.).

Konkreter Fokus auf den Markt des Ambulant Betreuten Wohnens in der Eingliederungshilfe in NRW

Es ergibt sich zunächst die Frage, ob eine Prinzipal-Agent-Beziehung mit verborgenen Eigenschaften vorliegt. Zunächst ist festzustellen, dass innerhalb der Vertragskonstellationen die Leistungsträger als Prinzipal einzustufen sind, die Leistungserbringer als Agenten. Betrachtet man nun die Informationskonstellation hinsichtlich der Leistungserstellung in Form der durchzuführenden Betreuungen, treten mehrere Informationsmängel auf. An erster Stelle muss festgestellt werden, dass bereits die Feststellung der Qualitätsmerkmale als nicht trivial einzustufen ist. Des Weiteren sind die Qualitätsmerkmale der Leistungserbringer den Leistungsträgern grundsätzlich ex ante nicht bekannt. Inwieweit dies durch Screening- und Signallingmaßnahmen innerhalb der Vertragsbeziehung bearbeitet werden kann, wird nun tiefergehend analysiert.

Screeningmaßnahmen werden für gewöhnlich außerhalb des unvollständigen Vertrages betrachtet. In diesem Fall muss jedoch zunächst die vertragliche Konstellation herangezogen werden. Denn die Leistungsträger nehmen ein Screening grundsätzlich innerhalb des Vertrags vor. Sie verpflichten dort die Leistungserbringer verbindlich zur Durchführung der Hilfen in einer überprüfbaren Form. Trotzdem entsteht innerhalb der vertraglichen Beziehung eine große Qualitätsspanne. Aufgrund des festgelegten Marktpreises entsteht der Anreiz, die Leistung zu einer möglichst geringen und kostengünstigen Qualität anzubieten. Leistungserbringer mit einer höheren Qualität werden durch geringere Renditen – bzw. unter Umständen sogar mit Verlusten – bestraft. Daher können die eingesetzten Screeningmaßnahmen innerhalb der vertraglichen Konstellation als nicht ausreichend eingestuft werden. Denn weitere mögliche Maßnahmen werden in diesem Zusammenhang durch die Leistungsträger nicht vorgenommen.

Signallingmaßnahmen durch die Leistungserbringer werden innerhalb der vertraglichen Konstellation nicht geregelt. Es kann in der Praxis auch nicht beobachtet werden, dass entsprechende Maßnahmen durchgeführt werden würden. Es scheint aus Sicht der Leistungserbringer aufgrund der drei involvierten Parteien auch nicht sinnvoll zu sein, Signallingmaßnahmen gegenüber dem Leistungsträger vorzunehmen. Vielmehr würde sich dies bei den Leistungsberechtigten lohnen, da diese grundsätzlich entscheiden, welcher Leistungserbringer die entsprechenden Hilfen durchführt. An dieser Stelle lässt sich zumindest beobachten, dass die Leistungserbringer ein gewisses Interesse daran haben, Kompetenz beim Leistungsberechtigten zu signalisieren, bspw. über Kontakt- und Beratungsstellen oder Suchtberatungsstellen.

Insgesamt kann also festgestellt werden, dass der Markt des Ambulant Betreuten Wohnens in der Eingliederungshilfe in NRW mit einer deutlichen Tendenz zur Adverse Selection ausgestattet ist. Die geschlossenen Verträge sind unvollständig, darüber hinaus werden kaum weitere Screenings- oder Signallingmaßnahmen vorgenommen.

2.3 Hidden Action: Moral Hazard

Verborgene Handlungen oder verborgene Informationen im Kontext von Prinzipal-Agent-Beziehungen treten nach Vertragsabschluss auf. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass der geschlossene Vertrag unvollständig ist. Er ist nach den Maßgaben des Prinzipals gestaltet und wird vom Agenten angenommen. Innerhalb dieser Vertragsbeziehungen kann es zu nicht beobachtbaren Handlungen oder Handlungen in einem nicht bekannten Zusammenhang durch den Agenten kommen. Wenn diese Handlungen gegen die Interessen des Prinzipals verstoßen, werden sie innerhalb des Prinzipal-Agent-Ansatzes als Moral Hazard bezeichnet (Vgl. hier und im Folgenden zum Bereich Moral Hazard Fritsch, M./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 282 ff.). Die Wahrscheinlichkeit dieser Handlungen steigt an, wenn der Agent durch sein Fehlverhalten seinen eigenen Nutzen erhöhen kann. Es handelt sich um Probleme aufgrund von Informationsasymmetrien, die nach Vertragsabschluss (ex-post) auftreten.

In einer Situation, in der das Ergebnis des Verhaltens des Agenten die einzige Variable in Bezug auf die Ausprägung des Ergebnisses innerhalb des Vertrages ist, bestehen keine Schwierigkeiten. Denn hier besteht eine eindeutige Bewertbarkeit der verborgenen Handlungen des Agenten. Innerhalb der Neuen Institutionenökonomik wird jedoch zusätzlich zur Anstrengung bzw. Handlung des Agenten eine nicht beobachtbare stochastische Zufallsvariable berücksichtigt, die dazu führt, dass das Vertragsergebnis nicht ausschließlich auf die Handlungen des Prinzipals zurückzuführen ist. Diese Umweltbedingungen machen es unmöglich, die erzielten Ergebnisse vollständig in den Vertrag zu integrieren. Denn ansonsten wäre es möglich, bspw. die Vergütung des Agenten in vollständiger Abhängigkeit der erzielten Ergebnisse variieren zu lassen. Die Umweltbedingungen führen jedoch dazu, dass die möglichen Agenten einen solchen Vertrag nicht annehmen könnten.

Verborgene Informationen als Problem im Kontext des Moral Hazard liegen dann vor, wenn der Prinzipal zwar die Aktivitäten des Agenten beobachten kann, dieser aufgrund mangelnder Kenntnisse der sachlichen Lage jedoch nicht über die Angemessenheit der Handlungen entscheiden kann. In der Literatur wird hier häufig das Beispiel einer ärztlichen Behandlung genannt, in der die Patient:in zwar die Diagnosen und Handlungen der Ärztin beobachten, sie aber nicht bewerten kann.

Insgesamt lässt sich also festhalten, dass verborgene Handlungen auf der einen Seite dann auftreten, wenn das Anstrengungsniveau des Agenten nicht beobachtbar ist. Auf der anderen Seite treten verborgene Informationen dann auf, wenn zwar das Anstrengungsniveau zu beobachten ist, die Fähigkeiten und Qualitäten des Agenten aber nicht bewertbar sind. Für den Prinzipal ist es grundsätzlich unerheblich, ob verborgene Handlungen oder verborgene Informationen vorliegen, sie führen beide zu demselben ökonomischen Phänomen, das zu einer opportunistischen Ausnutzung durch den Agenten führen kann. Insgesamt können diese Zusammenhänge einen gesamten Markt auf ein falsches Niveau setzen.

Auch im Bereich Moral Hazard werden in der Literatur grundsätzliche Lösungsmöglichkeiten vorgestellt. Hierbei handelt es sich zumeist um eine Interessenharmonisierung im Vertrag, eine vertikale Integration und die Einführung von Monitoring- oder Reportingsystemen.

Der Grundgedanke der Interessenharmonisierung setzt daran an, dass eine Voraussetzung für ein Auftreten der Informationsasymmetrien das Nichtübereinstimmen der Interessen von Prinzipal und Agent ist. Wäre dies nicht der Fall, würde sich der Agent optimal in Bezug auf die Ziele des Prinzipals verhalten, da er so auch seine eigenen Interessen verfolgen würde. In der entsprechenden Literatur werden hier regelmäßig Ertragsbeteiligungen diskutiert. In einem solchen Modell werden die Vergütungen des Agenten gesteigert, wenn die Ergebnisse seiner Handlungen sich in gewissen Bandbreiten bewegen. Einen Extremfall dieser Interessenharmonisierung beschreibt die vertikale Integration. Dabei wird der Agent vertikal in das Unternehmen/die Organisation des Prinzipals integriert. Vereinfach gesprochen bedeutet dies, dass der Prinzipal die im Vertrag geregelte Leistungen selbstständig erbringt. Vertikal Integration kann dabei in verschiedenen Formen ablaufen, bspw. eine Kapitalbeteiligung, einer Einbindung in ein Franchise-System, Kooperationen oder längerfristig Verträge (Vgl. Fritsch, T./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 293.). Eine Bewertung zur Vorteilhaftigkeit vertikaler Integration oder marktseitiger Beschaffung von Leistungen wird innerhalb der Neuen Institutionenökonomik in der Transaktionskostentheorie vorgenommen. (Vgl. Williamson, O. E. (1975)).

Wenn eine Interessenharmonisierung keine ausreichende Lösung bieten kann, bietet sich für den Prinzipal die Möglichkeit der Einführung eines Monitorings an. Dabei handelt sich grundsätzlich um Überwachungsmaßnahmen, die in unterschiedlichem Ausmaß stattfinden können. Den Extrempunkt stellt hierbei die vollständige Beobachtung dar, die sich aber aufgrund von entstehenden Agency-Kosten nicht lohnt. Es kommt aber zumindest in Frage, in Stichproben kontrollierende Beobachtungen vorzunehmen, wie es bspw. in Franchise-Systemen üblich ist.

Es kann auch für den Agenten sinnvoll sein, zu signalisieren, dass er seine Verhaltensspielräume nicht ausnutzen möchte, bspw. um Folgeaufträge generieren zu können. In einem solchen Fall wäre für ihn die Umsetzung eines Reportings denkbar. Hier bietet der Agent von sich aus Informationen für den Prinzipal, um die Informationsasymmetrien abzubauen.

Konkreter Fokus auf den Markt des Ambulant Betreuten Wohnens in der Eingliederungshilfe in NRW

Es muss zunächst untersucht werden, inwieweit grundsätzlich Prinzipal-Agent-Beziehungen mit versteckten Handlungen und versteckten Informationen bestehen.

Zunächst ist hier auf den Betreuungsstart hinzuweisen, bei dem es den Leistungserbringern möglich ist, eine kooperierende Zusammenarbeit mit den Klient:innen einzunehmen. Dadurch ist es möglich, dass zum einen Betreuungen starten, die nicht zwingend notwendig wären, zum anderen können die Betreuungen bereits deutlich intensiver starten als dies notwendig wäre, indem Informationen entweder weggelassen oder stark akzentuiert werden. Dies gilt ebenfalls für alle Verlängerungsanträge bezüglich der Hilfen. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass der Leistungserbringer Handlungen vornimmt, die nicht zu einer Beendigung der Hilfe führen, sondern diese sogar verlängern, indem die Leistungserbringer die Klient:innen von ihren Leistungen in ihrer Lebensführung abhängig machen bzw. es für die Klient:innen angenehmer ist, im Hilfesystem betreut zu werden. Die entsprechenden Handlungen könnten durch die Leistungsträger entweder nicht beobachtet werden, bspw. durch Weglassen dieser Informationen in der Hilfeplanung, oder sie werden nicht entsprechend durch die Leistungsträger bewertet, bspw. bei Untervermietungen. Einen weiteren großen Punkt im Bereich des Moral Hazard stellt die Betreuungsdokumentation dar. Hier gibt es zum einen insgesamt die Möglichkeit für die Leistungserbringer, die vermutete Unkenntnis der Klient:innen über die Art und Form der Dokumentation auszunutzen. Beispielsweise scheint es möglich, dass auch indirekte Leistungen quittiert werden, die dann im Dokumentationstext als solche nicht identifizierbar sind. Diese Dinge könnten sehr große Auswirkungen besitzen und den gesamten Markt auf einem falschen Niveau ablaufen lassen.

Dieser große Bereich der Informationsasymmetrie wird durch die Leistungsträger mit Hilfe der Instrumente der Hilfeplanung und der Betreuungsdokumentation behandelt. Dabei lässt sich grundsätzlich feststellen, dass keine Maßnahmen zur Interessenharmonisierung zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer vorgenommen werden. Des Weiteren besteht kein Anreiz für ein Reporting durch die Leistungserbringer.

Die Maßnahmen der Hilfeplanung und der Betreuungsdokumentation sind dem Bereich des Monitorings zuzuschreiben. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Hilfeplanung zwar eine feste Struktur besitzt, aber zumindest das Weglassen von Informationen möglich zu sein scheint. Insgesamt werden die Klient:innen nur zu Beginn der Hilfe persönlich befragt. Alle anderen Anträge werden rein administrativ bearbeitet. Die Betreuungsdokumentation auf der anderen Seite wird durch die Leistungsträger für gewöhnlich nicht kontrolliert. Nur in Stichproben oder bei Verdachtsfällen werden Stichprobenprüfungen je Leistungserbringer vorgenommen. Es gibt für die Art der Dokumentation keine konkreten Vorschriften.

Insgesamt kann also festgestellt werden, dass der Markt des Ambulant Betreuten Wohnens mit einer deutlichen Tendenz zum Moral Hazard ausgestattet ist. Die geschlossenen Verträge sind unvollständig, darüber hinaus werden nur in geringem Ausmaß Monitoring-Maßnahmen vorgenommen. Interessenharmonisierung im Vertrag oder auch Reporting-Systeme werden nicht genutzt.

2.4 Hidden Intention: Hold-up

Verborgene Absichten des Agenten stellen den dritten und letzten Aspekt im Kontext der Betrachtungen von Informationsasymmetrien innerhalb der Theorie zum Prinzipal-Agent-Ansatz dar. Hierbei hat der Agent die Möglichkeit, Leistungen gegenüber dem Prinzipal zurückzuhalten, was diesem schadet. Diese Möglichkeit einer opportunistischen Ausbeutung dieser Form durch den Agenten wird in der Literatur der Neuen Institutionenökonomik mit Hold-up bezeichnet (Vgl. hier und im Folgenden zum Bereich Hold-up Fritsch, M./Wein, T./Ewers, H.-J. (2007), S. 286 f.). Zentraler Unterschied zum Bereich des Moral Hazard ist dabei, dass dies durch den Prinzipal durchaus zu beobachten ist. Vielmehr ist es so, dass ihm die Absichten des Agenten vor Vertragsabschluss (ex-ante) nicht bekannt sind.

Die Gefahr eines Hold-up steigt deutlich, wenn für die im Vertrag geregelten Transaktionsbeziehungen Vorleistungen in Form von Investitionen notwendig sind. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um irreversible Investitionen mit einer hohen Spezifität handelt. Spezifität ist in diesem Zusammenhang definiert als die Differenz zwischen der Verwendung der Investition in ihrer besten und nächstbesten Verwendungsmöglichkeit. In der Literatur wird hier zumeist das Beispiel einer langfristigen Lieferanten- und Abnehmerbeziehung gewählt, in der der Lieferant nur für einen Abnehmer Spezialmaschinen anschafft, die nur für die Aufträge dieses Abnehmers verwendbar sind. Ein drohender Abbruch der Lieferbeziehung stellt somit eine große Gefahr für den Lieferanten dar, der bspw. Preiszugeständnisse machen müsste. Die größte volkswirtschaftliche Gefahr droht hier vor Vertragsabschluss. Der Lieferant könnte auf die spezifische Investition verzichten; Kosteneinsparungspotenziale würden für die Volkswirtschaft bspw. nicht genutzt.

Allerdings kann bereits der Abschluss eines Vertrages als spezifische Investition verstanden werden. Dies gilt insbesondere, wenn durch den Vertrag Zahlungen entstehen. In der Bundesrepublik Deutschland gehören Arbeitsverträge dazu, denn nach Ablauf etwaiger Probezeiten hat der Arbeitgeber nur noch geringe – oder zumindest kostenintensive – Möglichkeiten, einen Arbeitnehmervertrag zu kündigen, nur weil der Arbeitnehmer einen Teil seiner Arbeitsleistung vorenthält.

Dem Phänomen des Hold-up kann mit den bisher bereits vorgestellten Gegenmaßnahmen des Signalling, Screening, Monitoring und der Harmonisierung von Interessen innerhalb der Vertragsbeziehung entgegengewirkt werden.

Konkreter Fokus auf den Markt des Ambulant Betreuten Wohnens in der Eingliederungshilfe in NRW

Es muss zunächst festgestellt werden, dass hier keine Investitionen mit einer hohen Spezifität vorliegen. Demzufolge besteht kein sehr hohes Risiko für Hold-up Situationen. Wird die Betrachtung allerdings auf den Vertragsabschluss und seiner spezifischen Investitionsfähigkeit erweitert, so kann eine gewisse Hold-up Gefahr identifiziert werden. Denn bei den meisten herausgearbeiteten Anreizen für die Leistungserbringer aus wirtschaftlicher Sicht handelt es sich um Handlungen, die unter Umständen durch die Leistungsträger zu beobachten sind. Sie stellen aber i.d.R. keinen Bruch der vertraglichen Vereinbarungen dar. Demzufolge haben die Leistungsträger in dieser Situation keine Möglichkeit, die Verträge zu kündigen. Da sie selbst in diesem von ihnen erarbeiteten System keinen Einfluss auf die Wahl des Leistungserbringers durch die Klient:innen haben, haben sie keine Möglichkeit die vertraglichen Beziehungen zu beeinflussen. Insofern sind alle möglichen Handlungen im Bereich des Moral Hazards auch hier durchführbar, sogar wenn sie für die Leistungsträger beobachtbar sind.

Insgesamt kann also festgestellt werden, dass der Markt des Ambulant Betreuten Wohnens in der Eingliederungshilfe in NRW mit einer leichten Tendenz zum Hold-up ausgestattet ist. Die geschlossenen Verträge sind unvollständig, darüber hinaus werden nur in geringem Ausmaß Monitoring, Screening oder Signalling-Maßnahmen vorgenommen. Interessenharmonisierung im Vertrag oder auch Reporting-Systeme werden nicht ausreichend genutzt. Bei der Feststellung einer opportunistischen Ausbeutung sind die Leistungsträger aufgrund ihrer Vertragsgestaltung nicht handlungsfähig.

3 Zusammenfassung der Erkenntnisse

Die Ergebnisse der Analyse des Marktes für Ambulant Betreutes Wohnen werden in Tabelle 2 zusammenfassend dargestellt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die von den Leistungsträgern geschaffene vertragliche Konstellation unzureichend erscheint, um das Risiko opportunistischen Verhaltens der Leistungserbringer zu regulieren. Dieser Argumentation folgend kann konstatiert werden, dass innerhalb des Marktes Niveaudefekte durch nicht geregelte Informationsasymmetrien bestehen. In der Folge werden nun Möglichkeiten für eine Anpassung dieser Steuerung und damit der Verringerung dieser vorhandenen Niveaudefekte diskutiert. Aufgrund des Fokus dieser Untersuchung können hier jedoch nur wenig detaillierte Vorschläge ausgearbeitet werden.

Opportunistisches Risiko

Risiko im Markt

Maßnahmen der Leistungsträger

Wirksamkeit der Maßnahmen

Adverse Selection

Hoch in vertraglich definierter Bandbreite

Screening: Jahresbericht

Signalling: Nicht vorhanden (teilw. gegenüber den Klient:innen)

In vertraglicher Bandbreite gegeben

Moral Hazard

hoch

Interessenharmonisierung: Nicht vorhanden

Monitoring: Hilfeplanung und Betreuungsdokumentation

Reporting: Nicht vorhanden

Nicht ausreichend gegeben

Hold-up

gegeben

Interessenharmonisierung: Nicht vorhanden

Nicht gegeben

Tabelle 2 Zusammenfassende Darstellung der Analyse mithilfe des Prinzipal-Agent-Ansatzes

Zunächst scheint es nicht sinnvoll zu sein, dass in der vertraglichen Konstellation lediglich ein qualitatives Mindestverhältnis an personeller Ausstattung verlangt wird. Denn nur so entsteht die Gefahr der adversen Selektion. Stattdessen könnte eine freiere Gestaltung der qualitativen Personalbesetzung in Abhängigkeit eines variablen Preises vereinbart werden. Dieses würde auch eine Spezialisierung auf bestimmte Zielgruppen fördern und zu einer Harmonisierung der Interessen führen. Grundsätzlich sind in all diesen Bereichen viele verschiedene Konstellationen der Vertragsgestaltung möglich, wie bspw. auch Prämienzahlungen für Betreuungsbeendigungen vom Leistungsträger an die Leistungserbringer.

Im Bereich der Screening-Maßnahmen besteht die Möglichkeit einer Erweiterung und der Integration der Klient:innen in den gesamten Prozess. Dies könnte bspw. über gezielt durchgeführte Befragungen der Klient:innen erfolgen. Diese könnten sowohl persönlich als auch schriftlich erfolgen, je nach Personenkreis. Aufgrund der Vermeidung einer zu hohen Ressourcenbindung beim Leistungsträger könnten diese Befragungen stichprobenweise je Leistungserbringer durchgeführt werden.

Im Bereich des Monitorings und Reportings könnten die Leistungserbringer aufgefordert werden spezielle Zahlen zu erheben, bspw. zur Anzahl oder zum Anteil beendeter Hilfen oder auch zur durchschnittlichen Verweildauer in Hilfen. So würde es auch den Leistungserbringern möglich sein, ihre Interessen an die der Leistungsträger anzupassen, wenn die Leistungsträger bei der Auswahl der Leistungserbringer für einzelne Hilfen involviert sind. Eine solche Involvierung hätte für die Leistungserbringer ebenfalls den Anreiz zur Folge, sich mit Signalling-Maßnahmen bei den Leistungsträgern Vertrauen aufzubauen. Die alleinige Konzentration auf die Hilfeplanung scheint hier mit den momentanen Instrumenten nicht ausreichend zu sein.

4 Einschätzungen des Autors

Die institutionellen Maßnahmen zur Regulierung der wirtschaftlichen Anreize bei den Leistungserbringern der Eingliederungshilfe scheinen unzureichend zu sein. Möglichkeiten zur Überwachung oder zur Harmonisierung von Interessen werden durch die Leistungserbringer nicht oder nur unzureichend genutzt. Stattdessen können im Rahmen dieses Vertrages die wirtschaftlichen Anreize ihre Wirkung entfalten.

Daraus ergibt sich in einem nächsten Schritt die Frage, ob die wirtschaftlichen Anreize bei den Leistungserbringern tatsächlich wirken. Erst durch empirische Checks könnte dies tatsächlich dargelegt werden. In diesem Fall wären Wirkung und Wirksamkeit – als „neue“ Begriffe des BTHGs – entsprechend betroffen: Beispielhaft stellt sich die Frage ob Leistungserbringer tatsächlich den wirtschaftlichen Anreiz spüren, unzuverlässige Klient:innen aus dem Hilfesystem zu entlassen. Wenn dem so wäre, würden sich weitere juristische Fragestellungen ergeben.

Festgehalten werden kann an dieser Stelle aber bereits, dass die Leistungsverträge überarbeitet werden sollten. Wenn theoretische Zusammenhänge sich so darstellen, dass wirtschaftliche Anreize nicht oder nur unzureichend reguliert werden, sollte dies – unabhängig von empirisch beobachtbaren Auswirkungen – entsprechend verbessert werden.

5 Literatur

Akerlof, G. (1970), The Market for Lemons, in: Quarterly Journal of Economics 84, S. 488–500.

Coase, R. (1937), The Nature of the Firm, in: Economica, New Series. Band 4, Nr. 16, 1937, S. 386–405.

Dietl, H. (1993), Institutionen und Zeit, Stuttgart.

Elsner, W. (1989), Adam Smith's Model of the Origins and Emergence of Institutions – the modern Findings of the Classical Approach, in: Journal of Economic Issues, 23. Jg., 1989, Heft 1, S. 189–213.

Fritsch, M./Wein, T./Ewers H.-J. (2007), Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 7. Auflage, München.

Göbel, E. (2002), Neue Institutionenökonomik, Stuttgart.

Homann, K./Suchanek, A. (2005), Ökonomik, Tübingen.

North, D. C. (1990), Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge.

Picot, A./Reichwald, R./Wigand, R. (2009), Die grenzenlose Unternehmung, 5. Auflage, Wiesbaden.

Williamson, O. E. (1975), Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications, New York.

Verfasst von
Prof. Dr. Jan Tietmeyer
FOM Hochschule
Professor für Soziale Arbeit
Diplom-Kaufmann und Master Soziale Arbeit
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Zitiervorschlag
Tietmeyer, Jan, 2023. Ökonomisierung Sozialer Arbeit II [online]. socialnet Materialien. Bonn: socialnet, 03.07.2023 [Zugriff am: 14.09.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/materialien/29852.php

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