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Zeitgemäße HR-Strategien: Personal, Technologie und Kulturwandel - das Interview mit Prof. Dr. Mroß

25.03.2025 | 6 Minuten Lesezeit

Prof. Dr. Michael Mroß diskutiert im Interview die Bedeutung moderner HR-Konzepte in der Sozialwirtschaft. Er hebt hervor, wie wichtig es ist, Personal als wertvolle Ressource zu betrachten und durch Digitalisierung, wertebasierte Rekrutierung und Technologieintegration zu stärken. Herausforderungen durch den Fachkräftemangel erfordern flexible HR-Strategien und eine starke Unternehmenskultur.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Mroß,

wir freuen uns, Sie im Rahmen dieses Interviews bei socialnet begrüßen zu dürfen. In unserem Gespräch möchten wir auf die Bedeutung innovativer HR-Konzepte, die Rolle der Digitalisierung und die Auswirkungen einer starken Unternehmenskultur eingehen. Zudem sind wir gespannt auf Ihre Einschätzungen zu den Herausforderungen und Chancen, die sich durch den Fachkräftemangel ergeben.

1. Herr Prof. Dr. Mroß, könnten Sie uns bitte ein grundlegendes Verständnis davon geben, was Sie unter einem innovativen HR-Konzept in der Sozialwirtschaft verstehen?

"Ein innovatives oder präziser, ein zeitgemäßes HR-Konzept in der Sozialwirtschaft, geht über reine Personalverwaltung (Vertragswesen und Personalbuchhaltung) hinaus. „Personal als wichtigste Ressource oder größtes Vermögen“ – das darf in einer Branche, die im Wesentlichen personalintensive Dienstleistungen erbringt, kein Lippenbekenntnis sein. Es bedarf daher eines Mindsets, das HR-Aktivitäten nicht nur als Kostenfaktoren ansieht, sondern buchstäblich als investiven Akt begreift. Es geht um eine Investition, die der Organisation ein personalbedingtes Handlungspotenzial erschließt, das sich übrigens auch nicht durch andere Vermögensarten substituieren lässt. Vergleichen wir es grob mit der Investition in eine Immobilie. Hier wäre es ganz selbstverständlich, dass wir viel Aufwand betreiben, um eine für uns passende Immobilie zu suchen und zu finden (Personalbeschaffung). Im Anschluss würden wir zweifellos dafür sorgen, dass sie ihren Wert behält (Weiterbildung), sie pflegen (Anreizgestaltung), professionell verwalten (Personalverwaltung) und gewiss mit Argusaugen darauf achten, dass sie uns nicht abhandenkommt (Personalbindung). Was für Gegenstände selbstverständlich ist, sollte es für die offenkundig knappe und vermeintlich wichtigste Ressource „Personal“ erst recht sein."

2. Welche aktuellen HR-Trends beobachten Sie in der Sozialwirtschaft, und welche erachten Sie als besonders erfolgversprechend für die Zukunft, auch im Hinblick auf neue Generationen?

"Digitalisierung, agile Arbeitsmodelle und Diversity Management prägen aktuell die HR-Landschaft, und das wird m. E. mittelfristig auch so bleiben. Eine bedeutsame Entwicklung ist, dass die Bindung vor allem jüngerer Beschäftigter zu ihren Arbeitgebern seit geraumer Zeit rückläufig ist – eine Entwicklung, die gerade Organisationen der Sozialwirtschaft vor Herausforderungen stellt. Wenn ein hoher Anteil aktueller und potenzieller Mitarbeiter die Organisationen der Sozialwirtschaft für grundsätzlich austauschbar hält, erschwert das den Aufbau einer Arbeitgebermarke („Employer Branding“) enorm."

3. Gibt es spezifische HR-Konzepte in der Sozialwirtschaft, die sich in Ihrer Forschung oder in der Praxis als effektiv erwiesen haben?

"Effektiv erwiesen haben sich wertebasierte Rekrutierungsverfahren, die sowohl fachliche als auch empathische Kompetenzen prüfen, sowie partizipative Personalentwicklung, z. B. durch kollegiale Fallberatungen. Pilotprojekte wie „Job Crafting“ (Mitarbeiter gestalten ihre Aufgaben aktiv mit) zeigen zudem, dass Autonomie die Arbeitszufriedenheit in sozialen Berufen signifikant steigert.  Gleichwohl gilt es, beim Thema wertebasierte Rekrutierungsverfahren keine unerfüllbaren Erwartungen zu wecken. Eine professionelle Organisation ist fähig, zwischen „(S)oziale Organisation“ und „(s)oziale Organisation“ zu unterscheiden. Ersteres meint den Arbeitsbereich, mithin die Branche, in der die Organisation tätig ist. Zweitgenanntes hebt auf das Miteinander innerhalb der Organisation ab. Beides sollte weder verwechselt noch vermengt werden. Eine übersteigerte Betonung der täglichen Relevanz von Werten und sozialem Miteinander in der Außendarstellung und im Recruiting-Prozess führt oftmals gerade bei Berufseinsteigern zu Enttäuschungen und Praxisschocks."

4. Wie wichtig ist die Personalisierung von HR-Konzepten, um das Mitarbeiterengagement zu fördern, und welche Ansätze empfehlen Sie dafür?

"Personalisierung ist zentral, da Motive vielfältig sind. In Zeiten des Fachkräftemangels sollte gerade das Thema Mitarbeiterbindung personalisiert werden, mindestens aber in Form von Clustern den Lebenslagen der Beschäftigten angepasst sein. Nicht jeder freut sich über ein Dienstfahrrad, und während der eine sich über 300 Euro Leistungszulage freut, fühlt sich eine andere eher von zwei zusätzlichen Urlaubstagen angesprochen. Ansätze, die auf sogenannten „Cafeteria-Systemen“ basieren, bieten sich hier an."

5. Wie integrieren die besten HR-Konzepte neue Technologien, und welche Rolle spielt dies in der effizienten Verwaltung und Unterstützung der Belegschaft?

"Führende Konzepte nutzen KI-gestützte Tools für effizientes Talentmanagement oder digitale Plattformen zur Fortbildung (z. B. E-Learning). Wichtig ist, Technologie derzeit als „Enabler“ zu begreifen – sie soll administrative Lasten reduzieren, ohne die zwischenmenschliche Interaktion zu ersetzen, die in der Sozialwirtschaft den Kern der Arbeit bildet. Insgesamt plädiere ich für mehr „Willkommenskultur für Technologie in sozialen Arbeitsbereichen“. Und seien wir offen und proaktiv gegenüber künftigen Entwicklungen. Denn auch wenn wir uns das derzeit noch nicht vorstellen können (oder wollen), wird KI mittelfristig auch in Kernbereiche der Sozialen Arbeit einsickern. Schauen wir uns an, welche verblüffenden Ergebnisse heute z. B. mit ChatGPT 4.0 möglich sind – zu was werden dann erst die Versionen 8.0 oder 12.0 in der Lage sein?"

6. Welche Bedeutung haben Unternehmenskultur und gemeinsam gelebte Werte bei der Entwicklung und Umsetzung von HR-Konzepten in der Sozialwirtschaft?

"Unternehmenskultur ist das Fundament jedes HR-Konzepts in der Sozialwirtschaft. Gemeinsam gelebte Werte müssen in allen HR-Prozessen verankert sein – von der Stellenausschreibung bis zur Führungsfeedbackkultur. Unternehmenskulturen können „stark“ oder „schwach“ sein, wobei „stark“ nicht gut/positiv bedeutet und „schwach“ nicht schlecht/negativ. Es bedeutet lediglich, dass die gemeinsam geteilte Wertebasis stark oder schwach ausgeprägt ist. Beides hat spezifische Vor- und Nachteile:

  • „Starke“ Unternehmenskulturen ermöglichen tendenziell effizienteres Arbeiten, sind aber weniger kreativ und erweisen sich per definitionem gegenüber Change-Management- Ansätzen als widerspenstig.
  • „Schwache“ Unternehmenskulturen sind weniger effizient, dafür kreativer und leichter zu verändern.

Wo Licht ist, ist also immer auch Schatten – „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ funktioniert nicht. Professionelle HR-Konzepte in der Sozialwirtschaft sollten daher die Herausbildung von Unternehmenskulturen nicht dem Zufall überlassen."

7. Welche Herausforderungen begegnen Organisationen häufig bei der Implementierung neuer HR-Konzepte, und wie können diese Herausforderungen überwunden werden?

"Offenkundige Hürden sind begrenzte Budgets, Vorbehalte gegenüber Veränderungen und die Spannung zwischen Effizienz und sozialem Umgang. Je nachdem, auf welchen HR- Teilbereich geschaut wird, ergeben sich unterschiedliche Herausforderungen. Ich knüpfe an das an, was ich eingangs ansprach: Wenn Personal wirklich die entscheidende Ressource darstellt, dann müsste sich dies auch in der Binnenkomplexität des Personalmanagements widerspiegeln. Meiner Auffassung nach sollte einer komplexer werdenden Organisationsumwelt – insbesondere hinsichtlich „Arbeitsmarkt und Beschäftigung“ – mit adäquat komplexeren Strukturen des HR-Managements begegnet werden."

8. Welche Schlüsselfaktoren tragen aus Ihrer Sicht zum erfolgreichen Aufbau und zur Umsetzung von HR-Konzepten in der Sozialwirtschaft bei?

"Erfolg hängt mindestens an drei Säulen:

  1. Klar kommunizierte Vision, die Werte und Ziele verbindet,
  2. Empowerment der Führungsebene, die als Vorbild agiert, sowie
  3. Kontinuierliches Lernen – regelmäßige Evaluation und Anpassung der HR-Strategie an sich wandelnde Rahmenbedingungen.

Letzteres geht mit einer systematischen und schonungslosen Prämissenkontrolle einher."

9. In welche Richtung könnten sich HR-Konzepte in der Sozialwirtschaft in den kommenden Jahren entwickeln, und welche neuen Ansätze erwarten Sie?

"Ich möchte drei Themen hervorheben:

  1. Arbeitskräftemangel
    Dieser wird – Anwerbung aus dem Ausland hin, Zuwanderung her – auch mittelfristig bestehen bleiben. Ich erwarte daher insbesondere im Bereich Pflege/Gesundheit eine Kompetenzverschiebung in Form eines Job Enrichment von „oben nach unten“.
  2. HR-Analytics und KI
    HR-Analytics wird künftig eine größere Rolle spielen und mithilfe spezialisierter KI neue Möglichkeiten für individualisierte und strategische Personalarbeit eröffnen.
  3. Gehaltsspreizungen im Führungsbereich 
    Vermutlich ein kontroverser Punkt, aber meines Erachtens wird die Sozialwirtschaft um größere Gehaltsspreizungen, insbesondere im oberen Führungsbereich, nicht umhinkommen, wenn es gelingen soll, künftig nicht nur motiviertes, sondern auch qualifiziertes Führungspersonal zu gewinnen."

10. Abschließend möchte ich wissen: Welchen Rat würden Sie Personalverantwortlichen in der Sozialwirtschaft geben, um zukunftsorientierte und wirkungsvolle HR-Konzepte zu entwickeln und zu implementieren?

"Nutzen Sie die Innovationskraft Ihrer Mitarbeiter durch Co-Creation, setzen Sie Technologie gezielt ein und haben Sie den Mut, alte Denkmuster zu hinterfragen. Und: Scheitern ist erlaubt, solange daraus gelernt wird."

Herzlichen Dank, dass Sie Ihre Perspektiven und Erfahrungen mit uns geteilt haben!

Interviewpartner
Prof. Dr. Michael Mroß
Professur für Sozialmanagement/ Technische Hochschule Köln
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