Norbert Neuß (Hrsg.): Grundwissen Elementarpädagogik
Rezensiert von Prof. Dr. paed. Michaela Rißmann, 01.09.2010

Norbert Neuß (Hrsg.): Grundwissen Elementarpädagogik. Cornelsen Scriptor (Berlin) 2010. 288 Seiten. ISBN 978-3-589-24534-5. 24,95 EUR. CH: 44,90 sFr.
Herausgeber
Dr. phil. habil. Norbert Neuß ist Hochschullehrer und Studiengangsleiter für die Studiengänge „Bildung und Förderung in der Kindheit (BA)“ und „Elementar- und Integrationspädagogik (MA)“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Aufbau
Das Buch ist in 24 Kapitel gegliedert, die an zentrale Module von Studiengängen und Ausbildung angelehnt sind. Die einzelnen Kapitel, die von sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren, meist Hochschullehrkräften, Dozent/innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen, verfasst wurden, haben etwa eine Länge zwischen 9 und 20 Seiten.
Aufbau und ausgewählte Inhalte
Aufgrund der Vielfalt der Themen folgt eine exemplarische Sicht auf einige ausgewählte Kapitel:
1 Berufswissen von Elementarpädagoginnen. Neben einer kurzen Erläuterung was Profession, Professionalisierung und Professionalität ist, wird in diesem Abschnitt u. a. auf elementarpädagogische Kompetenzen, speziell die biografische Kompetenz und die Weiterentwicklung des Berufes eingegangen.
2 Geschichte des Kindergartens – Kindheit und Kleinkindpädagogik in historischer Sicht. Hier werden die Entdeckung der Kindheit, Entwicklungslinien institutioneller Kleinkindpädagogik sowie kurz das Wirken der drei Pädagogen Johann Amos Comenius, Johann Heinrich Pestalozzi und Friedrich Fröbel beschrieben.
3 Elementarpädagogische Institutionen
4 Tagespflege
5 Krippe – Lebensort für Kleinstkinder. Zunächst wird in diesem Kapitel die kontroverse Diskussion um das Thema „Krippe ja oder nein“ aufgegriffen. Anschließend folgt ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung der Institution, wobei auch die außerfamiliäre Kleinstkinderbetreuung in der DDR Berücksichtigung findet. Es werden wesentliche Meilensteine in der Entwicklung der Kinder bis zum Alter von 3 Jahren beschrieben sowie Qualitätskriterien einer gelungenen Krippenbetreuung. Als pädagogische Ansätze für diese Altergruppe werden die Reggio- und die Pikler-Pädagogik beschrieben.
6 Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule
7 Pädagogisches Verstehen und Handeln. Auf der Basis des Konstruktivismus erläutert der Autor hier die aktuelle Sicht auf pädagogisches Verstehen und dem darauf aufbauenden pädagogischen Handeln. Dabei werden Merkmale des pädagogischen Handelns beschrieben.
8 Rechtliche Grundlagen
9 Elementarpädagogische Handlungskonzepte. Ausgehend von der Frage, was ein Konzept und was eine Konzeption ist, werden kurz und knapp der Situationsansatz, die Waldorf-Pädagogik, die Montessori-Pädagogik, die Reggio-Pädagogik und der Waldkindergarten vorgestellt.
10 Elementarpädagogische Theorien. Nach der Erläuterung, was eine Theorie ist, gibt es hier eine Erläuterung von Alltagstheorien, der Selbstbildungstheorie nach Gerd E. Schäfer und der Ko-Konstruktion nach Wassilios E. Fthenakis.
11 Bildung und Lernen in der frühen Kindheit
12 Heterogenität – Chancengleichheit im Kindergarten?
13 Elementardidaktik – Lernen anregen und begleiten
14 Der professionelle Umgang mit Kindern. Mit Blick auf die Haltung der Erzieherinnen kann man in diesem Kapitel etwas über Wertschätzung, Selbstreflexivität, Vorbildfunktion nachlesen. Anschließend stehen Gespräche mit Kindern im Mittelpunkt der Betrachtung, die Förderung von Alltagskompetenzen (mit Blick auf die Partizipation der Kinder), der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und die Grenzen professionellen Handelns.
15 Räume für Kinder
16 Erforschung der Kindheit. In einem kurzen Abschnitt geht Norbert Neuß hier auf die Merkmale qualitativer und quantitativer Forschung ein, reflektiert Gedanken zur Perspektive von Kindern und erläutert Fragen der Kindheitsforschung. Anschließend beschreibt er Phasen bei der qualitativen Forschung mit Kindern.
17 Selbstbildungsprozesse mit Kindern. Mit der Forderung nach Respekt der Wahrnehmungswelt der Kinder werden dann folgende Aspekte dargestellt: Kinderzeichnungen, Geheimnisse und Phantasiegefährten.
18 Beobachten, Dokumentieren und Fördern
19 Diagnostizieren
20 Aufgabenbereiche von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen
21 Elementarpädagogische Bildungspläne. Hier werden auf 10 Seiten Gemeinsamkeiten der Bildungspläne dargestellt. Dabei wird das Augenmerk auf die Übereinstimmungen in den Bildungsbereichen gelegt, deshalb folgen Ausführungen jeweils mit Zielen und Projektbeispielen zu
- Sprache, Schrift, Medien und Kommunikation
- Mathematik, Naturwissenschaft und Technik
- Körper, Bewegung und Gesundheit
- Musisch-ästhetischer Bildung, Kunst und Kultur
- Personaler und sozialer Entwicklung
- Werteerziehung und religiöser Bildung.
Dem schließt sich ein kurzer Abschnitt über Umsetzungsprobleme an.
22 Qualitätsentwicklung im Kindergarten
23 Beratung von Eltern
24 Themen, Methoden und Haltungen in der Zusammenarbeit mit Eltern
Das Buch schließt mit einer Übersicht interessanter Links und einer Benennung aller 15 Autorinnen und Autoren ab.
Diskussion
Im Buch werden alle wesentlichen Themen, die im Rahmen der Ausbildung von Erzieherinnen sowie auch im Studium der Elementarpädagogik gestreift werden, berücksichtigt. Dabei wird ein breiter Bogen gespannt von der Professionsdebatte über die Institutionen frühkindlicher Bildung bis hin zum pädagogischen Handeln und der pädagogischen Haltung der Fachkräfte. Die Leserin/der Leser erhält so mit diesem Buch einen strukturierten Überblick über die Elementarpädagogik. Wohltuend hebt sich das Buch für mich von anderen Veröffentlichungen dahingehend ab, dass die Bildungsbereiche nicht so im Vordergrund der Betrachtung stehen, sondern eine ganzheitliche Sicht auf Bildungsprozesse eingenommen wurde. Es gibt nicht die vielen Rezepte zu Bildungsangeboten in bestimmten Bereichen, wie andernorts.
Offensichtlich handelt es sich bei dem Buch – wie der Untertitel aussagt - um ein Lehrbuch im herkömmlichen Sinn, denn im Text sind immer wieder Arbeitsaufgaben enthalten, die zum Teil auch die Aufforderung enthalten, Lerngruppen zu bilden und bestimmte Fragen zu diskutieren. Oft sollen dabei Aussagen aus dem Text wiederholt oder anhand der Konstruktion eines Beispiels vertieft werden. Beispiel: „Nennen Sie fünf Meilensteine frühkindlicher Entwicklung und beschreiben Sie, welche Anforderungen sich daraus an die pädagogische Praxis ergeben“ (S. 71). Anhand einer Tabelle auf S. 61 ist das relativ leicht zu erarbeiten. Erwachsenenpädagogisch gesehen bietet das Buch da Ausbilder/innen und Lehrkräfte nicht viel Innovatives und Anregendes.
Vom Aufbau, der Darstellung der Inhalte und der inhaltlichen Tiefe her scheint mir das Buch besonders für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern in Fachschulen geeignet zu sein. Die Texte sind wenig diskursiv angelegt, sondern sind meist im Stil eines „so ist es (richtig)“ formuliert. Um auf ein Beispiel einzugehen: Im Kapitel zum Beobachten und Dokumentieren wird kurz (1 Seite) auf die Dokumentationsmethode des Portfolios eingegangen. Hier sind nur Gliederungs- und Inhaltsvorschläge aufgeführt, aber die Art und Weise der Erarbeitung und die Arbeit mit den Portfolios sowie deren Wert finden keine Berücksichtigung.
Das Buch ist in einer gut verständlichen Sprache geschrieben und mit einer Reihe von Fallbeispielen angereichert. Es ist sehr übersichtlich, die hervorgehobenen zusammenfassenden Erklärungen sind klar formuliert und helfen, das Wesentliche eines Textes zu erfassen. Tabellen und Übersichten erhöhen die Anschaulichkeit, Fotos lockern den Text auf.
Fazit
Konzipiert als Lehrbuch für die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte wird mit der Veröffentlichung ein kompakter Einblick in die relevanten Themen der Elementarpädagogik gegeben. 24 Themenbereiche von der Professionalität über die Institutionen frühkindlicher Bildung, den rechtlichen Grundlagen und elementarpädagogische Handlungskonzepte und Theorien, dem professionellen Umgang mit Kindern bis hin zur Qualitätsdebatte werden dabei kurz beleuchtet.
Rezension von
Prof. Dr. paed. Michaela Rißmann
Fachhochschule Erfurt
Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
Professur "Erziehungswissenschaften, Erziehung und Bildung von Kindern"
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