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Jacob A. Goedhart: Über-Leben

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 13.10.2010

Cover Jacob A. Goedhart: Über-Leben ISBN 978-3-86634-025-1

Jacob A. Goedhart: Über-Leben. Projekte-Verlag Cornelius GmbH (Halle (Saale)) 2006. 382 Seiten. ISBN 978-3-86634-025-1. 38,50 EUR.

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Wir Menschen wollen alles wissen – und schauen doch nicht richtig hin!

Die Diskussion über die Frage der Fragen, wie es gelingen könne, dass die Menschheit menschlich überleben kann, ohne Schaden an der Humanität zu erleiden, wird in der Menschheitsgeschichte immer wieder gestellt. Es sind metaphysische, materielle, spirituelle, religiöse, atheistische, wissenschaftliche und populäre Argumente, die sich in den mächtigen und übermächtigen Auffassungen vom Menschsein spiegeln, kontrastieren, sich ergänzen oder aufheben. Die Grundfrage fokussiert in dem kontroversen, historischen und aktuellen Diskurs, ob der Mensch sich die Erde untertan machen solle oder in Eintracht mit der Natur leben könne. Seitdem der Mensch über den Horizont seines theistischen Wissens hinauszuschauen wagte und mit der Entdeckung der Naturgesetze meinte, über die Entstehung des Lebens und des Universums auch den Schlüssel für das den Sinn des Lebens der Menschen auf der Erde gefunden zu haben, überschlagen sich die wissenschaftlichen Entdeckungen, Hypothesen und Theorien über kosmologische, astronomische, astrophysikalische und ökologische Phänomene in einem Wirrwarr von winzigen Teilchenwissen; Die Unfähigkeit, das scheinbare Chaos zusammen zu denken, lässt nicht wenige Physiker „anfangen (darüber) nachzudenken, wie man aufhören kann“. Wir müssen anfangen, darüber nachzudenken, wie wir von einer „Umwelt in engerem Sinne“ hin zu einer „Umwelt in weiterem Sinne“ gelangen können. Diese Absicht verfolgt ein aufregendes Buch, das es hier vorzustellen gilt.

Autor und Entstehungshintergrund

Der 1938 in den Niederlanden geborene Jacob Arie Goedhart diskutiert in dem Buch mit dem vieldeutigen Titel „Über-Leben“ über „das ganz Große“, welches das menschliche Dasein bestimmt und beeinflusst, das Universum, wie über „ das ganz Kleine“, die Grundbausteine der Materie. Es sind die Anstrengungen auf allen Gebieten der Forschungen und Entdeckungen, die den Autor fragen lassen, ob dieses Streben nach Wissen noch mit den Grundfragen der lokalen und globalen menschlichen Existenz vereinbar sei: „Eine Entdeckung machen (ist) nicht notwendigerweise das gleiche wie die Entdeckung begreifen“. Die ungehemmten und expandierenden finanziellen Mittel und Ressourcen, die dabei eingesetzt werden, stünden in keinerlei verantwortbaren Maßstab zu den Notwendigkeiten, humane und gerechte Lebensbedingungen für die Menschen auf der Erde zu ermöglichen: „Das Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) hat berechnet, dass 12% der weltweiten Militärausgaben genügen, um jeden Weltbürger eine Basisgesundheitsfürsorge zu garantieren, Unterernährung auszuschalten und sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen“. So ist das Buch eine Philippika und ein Beweismittel dafür, was „Über-Leben“ bedeutet.

Aufbau und Inhalt

Der Autor gliedert das Buch, neben der Einleitung und den Schlussfolgerungen, in neun Kapitel: Im ersten zeigt er mit dem Titel „Menschliches Elend, Naturkatastrophen und ihre Folgen“ die vielfältigen Probleme auf, die sich überall auf der Erde durch Hunger-, Krankheitskatastrophen, durch Überschwemmungen, Wüstenbildung, Arbeitslosigkeit und Fluchtbewegungen darstellen. Den Forderungen nach einer „new global human order“, einer neuen weltweiten menschlichen Ordnung, wie sie 2000 von einer Gruppe von 77 Staatsoberhäuptern und Regierungschefs aus Entwicklungsländern in die internationale Diskussion gebracht wurden, misst der Autor genau so wenig Überzeugungskraft zu einer Veränderung des Denkens und Handelns der Menschen zu, wie die ebenfalls 2000 von den Vereinten Nationen formulierten Millenniumsziele bis 2015 erreichbar sein würden. Im nächsten Kapitel geht es um die „Analyse der Klima-Konferenzen und Vorschläge von Organisationen“. Die Auflistung der Programme, Zielvorstellungen und Ergebnisse der weltweiten Klimakonferenzen von 1972 bis 2002, klingen eher wie Absichts-, denn Vollzugserklärungen: „Es gibt in Sachen Umwelt zuviel Tops, Subtops, Mini-Tops, Meetings, Rapporte von Gremien, Kommissionen mit nationaler oder internationaler Statur, wobei zu viel Leute mit zu wenig Mitteln zu wenig Zeit haben, um wirklich noch etwas Nutzbares für die Umwelt zu leisten“, auf den Punkt gebracht mit der fatalistischen Einschätzung: „Die Karawane zieht weiter, die Umwelt ist tot“. Des weiteren werden die „Gefahren für die Wasserversorgung und die Hydrosphäre im Allgemeinen“ thematisiert. Die Tatsache, „Kein Wasser – kein Leben“, wird anhand der Wasserverschmutzung und Wüstenbildung aufgezeigt. Die „Gefahren für die menschliche Gesundheit“ werden im nächsten Teil anschaulich vermittelt und bis hin zur Gentechnik und dem Aufkommen von neuen Krankheitserregern problematisiert. Der Entstehung und den Auswirkungen von Treibhauseffekten und klimarelevanten Gasen auf das menschliche, tierische und pflanzliche Leben auf der Erde widmet der Autor die weitere Aufmerksamkeit. Die Grundlagen der „photosynthetischen Kapazität“ und deren Rückgang durch menschliche Eingriffe in die Natur werden in den beiden nächsten Kapiteln mit vielfältigen Beweismaterialien, Modellen und naturwissenschaftlichen Belegstücken artikuliert. Im weiteren Teil werden die „biochemischen Kreisläufe“ in ihrer Prozesshaftigkeit und Komplexität dargestellt und im letzten Kapitel „spezifische abiotische Umweltfaktoren“ diskutiert. Dabei unterscheidet der Autor die Einflüsse aus dem irdischen Niveau, wie tektonische, geothermische und erdmagnetische Kräfte, und aus dem kosmischen Niveau, etwa der solaren Einstrahlung auf die Erde, die durch die verändernden Erdbahnparameter entstehen.

Fazit

Welche Erkenntnisse kann der fachlich gebildete Leser aus den vielfältigen statistischen Materialien, mathematischen Formeln und Parametern gewinnen und welche Schlussfolgerungen daraus ziehen? Zum einen ist es der Fingerzeig, dass wir Menschen auf der Einen Erde zur Entwicklung und Bewältigung unseres Lebens einen neuen Blick auf unsere Umwelt richten müssen, als Lebensraum „in weiterem Sinne“, der nicht nur die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden berücksichtigt, sondern „das Wohlbefinden der Menschheit ohne Armut, Hunger, Krieg und Krankheiten“ umfasst. Dazu sind, so der Autor, politische und wissenschaftliche Utopien notwendig. So lässt sich das wissenschaftliche Sachbuch auch als Aufruf lesen, endlich anzufangen mit der (konkreten) Utopie, dass die Menschheit nur human überleben kann, wenn wir unseren Lebensraum Erde als einen labilen, endlichen Ort begreifen, den es zu bewahren und nicht auszubeuten gilt. Dazu ist ein Perspektivenwechsel erforderlich, wie dies die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ 1995 gefordert hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“.

„Über-Leben“ von J. A. Goedhart ist deshalb ein Aufklärungs- und Sachbuch, wie wir „über unser Leben“ nachdenken und es gestalten sollten, und wie die Menschheit „überleben“ kann.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 13.10.2010 zu: Jacob A. Goedhart: Über-Leben. Projekte-Verlag Cornelius GmbH (Halle (Saale)) 2006. ISBN 978-3-86634-025-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10087.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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