Cornelia Muth (Hrsg.): [...] nach Trainings zur gewaltfreien Kommunikation
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 26.10.2010
Cornelia Muth (Hrsg.): "dann kann man das ja auch mal so lösen!". Auswertungsinterviews mit Kindern und Jugendlichen nach Trainings zur gewaltfreien Kommunikation.
ibidem-Verlag
(Hannover) 2010.
138 Seiten.
ISBN 978-3-8382-0120-7.
24,90 EUR.
Reihe: Dialogisches Lernen - Band 13.
Gewaltfreie Kommunikation ist möglich!
Für den US-amerikanischen Psychologen und Konfliktmediator Marshall B. Rosenberg ist der Mensch von Grund auf gut. Es ist seine "Lebenskraft" (force of life), die ihm das ermöglicht. Wird er böse, fehlt ihm die Einsicht und die Kraft, um das Gutsein zu verwirklichen und die richtigen Worte, es auszudrücken (vgl. dazu die Rezension zu: Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, Schwäbisch Hall 2007). Worte können Fenster sein und Brücken, oder Barrieren und Mauern. Wer kennt nicht die Situationen, die Sympathie oder Antipathie erzeugen, Duldsamkeit und Zustimmung oder Aggression und Abwehr schaffen, Hochstimmung oder Depression bewirken. Der verbale und nonverbale Ausdruck ist es, der Nähe oder Distanz, Empathie oder Hass im Leben der Menschen produziert, gelingende oder scheiternde Kommunikation zustande bringt. Die Suche nach einer friedfertigen Sprache im Zusammenleben der Menschen ist vielleicht so alt wie die Menschheit selbst, genau so wie der gewalttätige Ausbruch. Schon der griechische Philosoph Aristoteles hat zum Ausdruck gebracht: "Das Gewaltsame ist widernatürlich". Die Sehnsucht nach dem gewaltfreien Leben als die menschlichste Form des lokalen und globalen Zusammenlebens ist lebendig und wird immer wieder von bedeutsamen Menschen dargestellt: Mahatma Gandhi, Martin Luther King seien hier stellvertretend für viele andere genannt. Von gewaltsamen und machtbesessenen Menschen, deren Institutionen und Ideologien, sind solche Denk- und Handlungsweisen des gewaltlosen Widerstandes immer wieder als Schwäche ausgelegt, belächelt und ignoriert worden. „Dann kann man das ja auch mal so lösen“, und dabei erfahren, dass gewaltfreie Kommunikation bereichert, Stärke anstatt Schwäche bringt und damit eine positive Sicht menschlichen Daseins ermöglicht. So lässt sich von Marshall Rosenberg sagen, dass er ein modernen Wegbereiter einer uralten Auffassung ist, dass das Zusammenleben der Menschen nicht in erster Linie von der Hobbeschen Auffassung bestimmt sein muss, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, sondern mit dem Anspruch versehen ist, wie dies Artikel eins der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 postuliert: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“.
Autorenteam und Entstehungshintergrund
Rosenbergs Erfahrungen und Initiativen zur gewaltfreien Kommunikation, die er in Jahrzehnten in seinem Forschungs- und Praxis-Institut „Center of Nonviolent Communication“ in San Francisco gesammelt hat, werden überall in der Welt aufgenommen. In Deutschland ist es vor allem der Arbeitskreis Entwicklungspolitik (AKE) e.V. in Vlotho, der die gewaltfreie Kommunikation in verschiedenen Projekten durchführt. Mit dem Kinder- und Jugendbildungsprojekt “Ahimsa“ (der Begriff stammt aus dem Sanskrit und heißt soviel wie Nicht-Verletzen, Gewaltlosigkeit und gilt im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus als eine der wichtigsten Verhaltensregeln) sollen bei Kindern und Jugendlichen Erfahrungen mit gewaltfreier Kommunikation vermittelt werden. Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation“ (GFK) beruht auf der Überzeugung, dass „Menschen grundsätzlich auf Kooperation und positiver Verbindung zu anderen Menschen aus sind, dass jedem menschlichen Verhalten der Versuch zugrunde liegt, Bedürfnisse zu erfüllen und dass gewalttätiges Verhalten häufig ein Ausdruck von Leiden ist und ein ’tragischer’ Versuch, Bedürfnisse zu erfüllen“. Der Teufelskreis entsteht nun dadurch, dass destruktives Verhalten kaum Bedürfnisse befriedigen kann. Deshalb gilt es bei der GFK zuallererst zu klären, was individuelle und kollektive Bedürfnisse sind und zu vermitteln, wie die eigenen Bedürfnisse realisiert werden können, ohne die der anderen Menschen zu beeinträchtigen. Empathie, also die Fähigkeit, sich in die Erwartungshaltungen und Lebensweisen des anderen Menschen hineinfühlen zu können, könnte dann entstehen, wenn klar wird, dass „alle Menschen die gleichen Bedürfnisse haben, sich aber unterscheiden durch die Art und Weise…, wie sie ihre Bedürfnisse erfüllen wollen oder können“. Gelingt es nämlich, sich im Zusammenleben der Menschen darauf zu verständigen, können Konflikte, Irritationen und unerwartetes oder unakzeptables Verhalten friedlich gelöst werden. Es wäre freilich eine Illusion anzunehmen, dass der Wille und die Bereitschaft zur Empathie alleine ein „Rezept“ für gewaltfreies Kommunizieren sei; vielmehr bedarf es einer längerfristigen, willentlichen Auseinandersetzung darüber, wie Bedürfnisse und Gefühle entstehen und was sie mit einem machen (können).
Die Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Cornelia Muth, die mit ihrem Team das von der zertifizierten Trainerin CNVC und Leiterin der Initiative, Susanne Kalkowski, 2005 entwickelte und von 2007 bis 2010 geleitete „Ahimsa-Projekt“ wissenschaftlich begleitet hat, stellt in der von ihr begründeten Reihe „Dialogisches Lernen“ mit dem Band 13 die Interviews mit den beteiligen Kindern und Jugendlichen vor und berichtet über ihre Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge beim Forschungsprojekt „Förderung von Resilienz und Gewaltprävention durch nachhaltige Entwicklung und Stärkung von sozialen und emotionalen Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen“. Am Projekt beteiligt sind Kinder und Jugendliche in den unterschiedlichen Altersgruppen (Kindergarten, Grundschule, Sekundarschule). Exemplarisch werden in dem Buch Interviews abgedruckt und kommentiert.
Aufbau und Inhalt
Der Ablauf der Interview-Projekte gliedert sich in die didaktisch-methodischen Bausteine, wie sie in der Theorie der GKF bekannt sind und in der Praxis der Gewaltfreien Kommunikation geübt werden:
- „Spaß“, als Fragekomplex danach, was die Proband/innen von GKF halten, ob und wie sie die Methoden verstehen und mit ihnen umgehen;
- „Gefühlssonne“ als Erklärungsmuster und Hinweise darüber, wie sie GKF wahrnehmen und in ihrem Alltagsverhalten erleben;
- der „Weg“, wie sich Veränderungsprozesse bei den Beteiligten bilden und wirksam werden;
- und „Streit“, als Anlass von fehlgehender Kommunikation, mit kurz- und längerfristig wirkenden Umgangsformen.
Die verschiedenen Bausteine, die jeweils alters- und situationsgerecht eingesetzt werden, zeigen auf, wie Verhaltensänderungen stattfinden. Die ausführlich und wortwörtlich abgedruckten Interviews ermöglichen ein intensives Nachvollziehen. Wenn also das Konzept und die Methoden der Gewaltfreien Kommunikation wirksam werden sollen – und das Forscherteam ist sich sicher: „Gewaltfreie Kommunikation wirkt“ – ist, dialog-pädagogisch und didaktisch, die Evaluation der Praxis unabdingbar.
Fazit
Bei jedem Klärungsversuch von Kommunikationsstörungen und -verweigerungen, ist eine gezielte Auseinandersetzung mit den Ursachen notwendig; aussitzen, ignorieren oder tabuisieren der Problemsituation hilft weder denen, die an der Kommunikationsstörung leiden, noch denen, die sie verursachen. Die Suche nach Klärung der eigenen Identität wird dabei zum Anker, der die Vorgehensweisen und Methoden, wie sie GFK anbietet – wie etwa die „Giraffensprache“ und „Wolfssprache“ – wirksam werden lassen kann. Mit dem Ahimsa-Projekt „Gewaltfreie Kommunikation für Kinder und Jugendliche“ steht ein positives Beispiel zur Verfügung, differenzierte Wahrnehmungsformen zu lernen, sich mit ihnen auseinander zu setzen und sie situationsgerecht weiter zu entwickeln. Besonders Studierende der sozialpädagogischen Bereiche, aber auch Lehramtsstudierende können von der Dokumentation der Reflexions- und Evaluationsverfahren beim Projekt „Ahimsa“ profitieren; ebenso natürlich in der Theorie und Praxis tätige Sozialpädagog/innen, Sozialarbeiter/innen, Lehrer/innen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 26.10.2010 zu:
Cornelia Muth (Hrsg.): "dann kann man das ja auch mal so lösen!". Auswertungsinterviews mit Kindern und Jugendlichen nach Trainings zur gewaltfreien Kommunikation. ibidem-Verlag
(Hannover) 2010.
ISBN 978-3-8382-0120-7.
Reihe: Dialogisches Lernen - Band 13.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10095.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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