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Dirk Lange, Ayca Polat (Hrsg.): Migration und Alltag

Rezensiert von Prof. Dr. Hartmut M. Griese, 04.02.2011

Cover Dirk Lange, Ayca Polat (Hrsg.): Migration und Alltag ISBN 978-3-89974-659-4

Dirk Lange, Ayca Polat (Hrsg.): Migration und Alltag. Unsere Wirklichkeit ist anders. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2010. 352 Seiten. ISBN 978-3-89974-659-4. 32,80 EUR.

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Thema

Wieder ein neues Buch zu „Migration und Integration“ denkt man, wenn man den Titel der Publikation liest, schließlich ist die „Flut“ der Neuerscheinungen zum Thema kaum mehr übersehbar (vgl. exemplarisch meine Rezensionen in socialnet.de), so dass man auch hier von einer „neuen Unübersichtlichkeit“ sprechen kann. Während man noch in den 70er und Anfang der 80er Jahre im Kollegenkreis belächelt wurde, wenn man sich in seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten u. a. diesem Thema gewidmet hatte (ich weiß, wovon ich rede !), so hat sich dies radikal gewandelt. Die Themen „Migration und Integration“, „Multikulturelle Gesellschaft und Interkulturelle Pädagogik“, „Einwanderung und Identität“ avancierten nicht nur zu Qualifikationsthemen von Diplom- oder Doktorarbeiten, sondern es wurden auch entsprechende Hochschullehrerstellen ausgeschrieben, so dass ein neues sozial- und erziehungswissenschaftliches Forschungs- und Lehrfeld entstand, das mittlerweile etabliert und „Dank“ medial-politisch aufgeheizter Debatten („Integrationsgipfel“, „Islam-Forum“ und Sarrazin lassen grüßen) nach wie vor aktuell und diskutabel ist.

Nun hat sich mit diesem Reader auch die „politische Bildung“, als eine didaktische und stark schulbezogene Sonderform der Pädagogik, das Thema vorgenommen und äußerst vielschichtig und differenziert behandelt. Ein solches Buch war überfällig und konnte eigentlich auch nur im „dafür zuständigen“ Wochenschau Verlag erscheinen – Verlag und Herausgebern herzlichen Dank!

Herausgeber und Autoren

Dirk Lange ist Professor für Didaktik der Politischen Bildung an der Leibniz Universität Hannover (im Textteil ist er noch zweimal an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angesiedelt, S. 11 und 163 – so etwas wäre verlagsintern zu vermeiden gewesen) und Ayca Polat ist promovierte Soziologin und seit 2008 die „Integrationsbeauftragte der Stadt Oldenburg“, so dass sich in den Tätigkeiten und Funktionen der Herausgeber auch das Konzept des Bandes, der Versuch, das Thema theoretisch zu durchdringen, im Wechselspiel von Politik und Wissenschaft zu reflektieren und bewährte Konzepte und Praxiserfahrungen von Projekten darzustellen, erkennen lässt.

Dabei ist es gelungen, anerkannte und einschlägig ausgewiesene Vertreter der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Migrations- und Integrationsforschung und theoretisch versierte und reflektierte Praktiker oder Journalisten (!) zu Wort kommen zu lassen. Angesichts der 30 Beiträge (manchmal auch zwei Autoren bzw. Wiedergabe von Dialogen, z.B. der Politiker Lale Akgün und Volker Bouffier oder Thomas Arslan/ Filmemacher und Thomas Krüger/ Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) nenne ich hier nur die m. E. (subjektiv) neben den Herausgebern bedeutendsten Kollegen (die anderen mögen mir meine Ignoranz verzeihen): Canan Topku, Nevim Cil, Maria do Mar Castro Varela, Ludger Pries, Mely Kiyak, Annita Kalpaka und Paul Mecheril (Kenner merken hier, dass ich die Frankfurter Rundschau lese), die auch größtenteils (aber nicht alle !?) mit Photo, akademischem Titel und Funktion vorgestellt werden. Prima – politische Bildung soll konkret und „anschaulich“ sein.

Aufbau

Der Reader gliedert sich neben einer Einleitung zu „Migration und Alltag“ der Herausgeber in vier Hauptteile: „Aspekte des Bürgerbewusstseins“ mit fünf Beiträgen, „Integrationskonzepte in Politik und Wissenschaft“ mit sechs Artikeln, „Konzepte politischer Bildung“ mit sieben Aufsätzen und „Aus der Praxis politischer Bildung“ mit zehn Abhandlungen. Zuletzt erfolgt noch ein „Datenvergleich“ von Dirk Lange und zwei Mitarbeitern „Zur Lage der politischen Bildung in den Bundesländern“, der verblüffende Unterschiede empirisch zum Ausdruck bringt – Bildungs-Föderalismus eben. Auf Grund der Anzahl der insgesamt ohne Ausnahme (!) interessanten, anregenden und kompetent verfassten Artikel konzentriere ich mich im Folgenden auf die Einleitung (Ziel und Zweck des Readers, Thema) sowie auf ausgewählte, d. h. mir relevant erscheinende und eher theoretisch anregende Beiträge.

Inhalt

Ausgehend von empirischen Daten zum „Einwanderungsland und Integrationsgesellschaft“ Deutschland sowie zur aktuellen Gesetzeslage wird kurz das Forschungsfeld bzw. Erkenntnisinteresse der Herausgeber skizziert: „Bürgerbewusstsein über Migration“ und die Relevanz der Politischen Bildung im Kontext von „Diversität und Pluralität der Gesellschaft“ bzw. von „Migration und Interkulturalität“ (S. 12). Es geht um „Vorstellungen (Bilder in den Köpfen, H.G.) über die Migrationsgesellschaft“ und deren Wandlungen und Wirkungen im Alltag. Politische Bildung hat „Bürgerbewusstseinsbildung“ zum Ziel, die „zu mehr Verständnis und zur Akzeptanz“ befähigen soll. „Ziel ist eine differenzierte Darstellung der Probleme, Perspektiven und Kontroversen in der deutschen Einwanderungsgesellschaft“ (S. 13). Und flugs wird aus „politischer Bildung“ dadurch „migrationspolitische Bildung“ – dies hätte noch eingehenden argumentativ begründet werden können, vor allem mit Blick auf die Frage „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“ (Pongs). Ist politische Bildung in der multikulturellen oder Einwanderungsgesellschaft immer (oder auch) migrationspolitische Bildung?

Sodann werden die vier Kapitel kurz vorgestellt, die nun „Innenansichten“ (1), „Wissenschaft und Politik“ (2) und „Strategien politischer Bildung“ (3 und 4) heißen. Bei den „Innenansichten“ geht es um die „Lebenswelten von Menschen mit Mehrfachzugehörigkeit und die Effekte von Migration auf die mentalen Modellierungen zu ethnischer Differenz und kultureller Diversität“ (S. 13), um Fragen und Probleme der „Identität“, der „Anerkennung“ und des „Gefühls von Zugehörigkeit“, wobei zwischen „Nichtdeutschen, Neudeutschen und Herkunftsdeutschen“ unterschieden wird. Beim Lesen fällt mir als „alter“ Vertreter einer Migrationssoziologie natürlich auf, dass wir bereits 1976 (Schrader/ Nikles/ Griese) den Typus des „Neu-Deutschen“ kreiert haben, ich zuletzt einen Exkurs über das Konzept der „Anerkennung“ verfasst habe (in: Sievers/ Griese/ Schulte 2009) und dass wir (Griese/ Sievers/ Schulte 2007) „Integration“ pragmatisch als „dazu gehören“ definiert haben.

Unterschiedliche Integrations- und Migrationsvorstellungen in Wissenschaft und Politik werden in den Beiträgen zu Kapitel 2 und 3 dargestellt, wobei die Herausgeber der Meinung sind (was zu belegen wäre), dass diese zum einen eng mit dem Bürgerbewusstsein korrespondieren und zum anderen der Diskurs im System Politik kontroverser als im System Wissenschaft ist. Das sehe ich etwas anders – vgl. die Debatte um die Relevanz des „muttersprachlichen Unterrichts“ (u.a. für den Schulerfolg), „Islamunterricht“ oder die Kritik am Konzept einer „Interkulturellen und/ oder Transkulturellen Pädagogik“. Ich habe dagegen eher den Eindruck, dass sich in der aktuelle Diskussion um „(hoch)qualifizierte (Trans-)Migranten“ auf Grund demographischer und ökonomischer Zwänge und der Erkenntnis, dass Deutschland kein attraktives Land für Migranten ist (vgl. die gescheiterte Green-Card-Initiative sowie die Tatsache der massenhaften Auswanderung der Kinder und Enkel der vor allem Türkei-Einwanderer), ein Konsens unter den politischen Parteien herausbildet unter dem Motto: Der Standort Deutschland benötigt junge und qualifizierte Fachkräfte – egal woher. Der Profifußball bzw. das multiethnische System Berufssport hat gezeigt, wie das funktioniert (vgl. Mesut Özil, the „German“!).

Den Darstellungen von „best practice“-Beispielen im Kapitel 4 fehlt mir etwas das selbstkritische Moment sowie die Reflexion darüber, dass („interkulturelle“) Modelle, Projekte, Maßnahmen usw. in der Regel die (Alibi-)Funktion haben zu verhindern, dass sie zum Allgemeingut und Selbstverständlichkeit in einer ethnisch differenzierten Einwanderungsgesellschaft werden. Undiskutiert bleibt auch das Verhältnis von (migrations-)politischer Bildung/ (Sozial-)Pädagogik, (Informations-)Medien (es geht um das „Bürgerbewusstsein“!) und (Migrations-)Politik in der Einwanderungsgesellschaft. Ein zusammenfassender Ausblick der Herausgeber hätte diese Aspekte ansprechen können.

Didaktisch sehr gelungen ist das Konzept, bei bestimmten Beiträgen einige „Fenster“ einzustreuen, die zentrale und alltägliche Begriffe und Phänomene konkret erläutern, z.B. „Moscheebau-Streit“, Zahlen zur Einbürgerung, „PISA und IGLU“, „Rechtsextremistische Übergriffe“, SINUS-(Migranten-)Milieus, „Gleichbehandlungsgesetz“, „Beutelsbacher Konsens“ (wichtig für die politische Bildung), „Integrationsgipfel“ und „Intergrationskurse“, „Nationaler Integrationsplan“ usw.

Nachdenkenswert halte ich folgende Aspekte und Fragen, auf die einzelne Artikel verweisen: Wie können „gegenhegemoniale Migrationsdiskurse“ gegen die Widersprüche einer politischen Konstruktion von „Integrationsproblemen“ institutionalisiert werden, wenn Einwanderung zur Normalität geworden ist (Castro Varela, S. 92)? Welche Rolle spielt das „kulturelle und kommunikative Gedächtnis der Gesellschaft“ bei der Aus-Bildung des Bürgerbewusstseins? Warum konstruieren wir (das SINUS-Institut) eigene Migrantenmilieus, losgelöst von den allgemeinen SINUS-Milieus, wenn Migration den Normalfall darstellt? Besondere Milieumodelle bedeuten Ab-Sonderung, Exklusion, suggerieren „Parallelmilieus“. Die Normalität wird dadurch wieder zum Sonderfall umkonstruiert. Warum werden Flüchtlinge und Asylbewerber aus der Migrations- und Integrationsdebatte faktisch exkludiert (Castro Varela)? Welche Konsequenzen hat das Phänomen bzw. Konstrukt der „Transmigration“ oder „Transnationalisierung“ für die Migrationsforschung und -theoriebildung (Ludger Pries schlägt z.B. in diesem Kontext den neuen Begriff „Inkorporation“ statt „Assimilation,, Integration und Eingliederung“ vor)? Und provokativ formuliert: In Bezug auf den politischen und pädagogischen Umgang mit Einwanderung ist Deutschland ein „Entwicklungsland“ (Pries).

Besonderes Interesse widme ich dem Beitrag zum „Bürgerbewusstsein in der Einwanderungsgesellschaft“ bzw. zur „Migrationspolitischen Bildung“ von Dirk Lange (S. 163ff), da dieses Konzept erkenntnisleitend für den Reader ist und ich darin ein durchaus innovatives und erfolgversprechendes Konzept für die allgemeine und politikdidaktische Migrationsforschung sehe. Allerdings sollte hierbei der Terminus „Menschen mit Migrationshintergrund“ kritisch hinterfragt werden (vgl. Griese/ Sievers 2010), der ja erneut Dualismen konstruiert (mit und ohne), Differenzen und Diversitäten negiert und Subjekte auf ein Merkmal reduziert werden. Auch halte ich den von Lange immer wieder verwendeten Begriff „interkulturell“ mittlerweile für äußerst problematisch (vgl. Griese 2002). Und wie steht es eigentlich mit dem Migrantenbewusstsein? Oder ist dies Teil des „Bürgerbewusstseins“ in der Einwanderungsgesellschaft? Warum dann aber spezielle „Migrantenmilieus“ (vgl. oben)? Es bleiben Fragen zum Begriff und Konzept des Bürgerbewusstseins! Welche Nähe hat der Begriff zu den Termini „Deutungsmuster“ oder „Alltagstheorien“ (vgl. Soziologie als Theorie über Alltagstheorien von Subjekten, Gruppen und Milieus)? Und was sind die entscheidenden Unterschiede der Theorie und Praxis der „migrationspolitischen Bildung“ gegenüber den gängigen Konzepten der „interkulturellen“ oder „antirassistischen“ Bildung?

Ist „Bürgerbewusstsein“ nicht zu pauschal gefasst angesichts der mehrfachen Ausdifferenzierungen (Pluralisierung, Diversitäten) in einer komplexen Einwanderungsgesellschaft? Gibt es nicht eher so etwas wie unterschiedliche Gruppen- oder Milieubewusstseins (Plural!) oder nur Bewusstseinsformen von Subjekten als einzigartige Verarbeitungen biographischer Erfahrungen? Lange selbst schreibt gegen Ende seines äußerst anregenden und Theoriekontroversen initiierenden Beitrags: „Individuen (!) sind in verschiedene (!) Deutungssysteme (!) eingebunden“ (! von mir), spricht dann aber von der „Mehrheitsgesellschaft“. Auf wen oder was bezieht sich dann das „Bürgerbewusstsein“? (S. 174) – auf die Mehrheitsgesellschaft (mit oder ohne Migranten?), auf verschiedene Milieus oder soziale Gruppen/ Szenen oder auf die handelnden Subjekte?

Innovativ und anregend ist auch der Begriff des oder der „Geanderten“, den Annita Kalpaka in Anlehnung an den Terminus „Othering“ einführt, um den Konstruktionscharakter des/ der „Anderen“ (vgl. „Wir und die Anderen“, wobei „wir“ die Normalität impliziert) im „Prozess des Andern“ zu verdeutlichen (S. 176f) – womit den Betreffenden ihr Subjektsein genommen wird. Auch bei diesem Beitrag muss ich mich an die Frage bzw. das Postulat von Schelsky erinnern: „Ist die Dauerreflexion (hier in Bezug auf die migrations-politische Bildungsarbeit) institutionalisierbar?“. Kalpaka fragt: Welche „Räume“ sollten dafür geschaffen werden, um z.B. für „Kulturalisierung“ bzw. Ethnisierung“ zu sensibilisieren (S. 185) (vgl. den Untertitel bei Griese 2002). Sie erwähnt auch als einzige im Reader die „Intersektionalitätsforschung“ (S. 187), ohne die man m. E. heute keine reflexive Migrations- oder Jugendforschung betreiben kann.

Paul Mecheril hat sich in seinem Artikel das Konzept „Diversity“ vorgenommen („Diverse Differenzen, viele Zugehörigkeiten“, „Vielzahl von Identitäts- und Zugehörigkeitskategorien … sowie ihr Zusammenspiel“) – allerdings ohne zu diskutieren oder zu klären, in welcher Beziehung diese Perspektive zum Konzept der „Intersektionalität“ steht, zumal er die klassische Trias des letzteren („gender, race, class“) erwähnt (S. 205). Gegen Ende (S. 206ff) beschreibt bzw. postuliert Mecheril ein „Diversity mainstreaming“ als „Querschnittsaufgabe von Organisationen und Institutionen“, damit eine neue „Organisationskultur“ ähnlich wie im „gender mainstreaming“ entstehen kann. Schlussendlich stellt auch er in seinem Beitrag etliche (selbst-)kritische Fragen an das Konzept, z.B. (S. 210): „Welche Differenzzusammenhänge werden durch ‚Diversity-Ansätze‘ vernachlässigt? … Wer profitiert? … Wem nützen? … Wer verliert durch … Diversity-Ansätze‘?“. „Rettung“ bringt eine von ihm geforderte „reflexive (was sonst, H.G.) ‚Diversity-Praxis‘“, „die sich ihres Machtpotenzials bewusst ist“.

Diskussion

Der Reader, das sieht man auch an meiner (über)langen Besprechung, ist insgesamt äußerst anregend, innovativ in Einzelbeiträgen und bietet die m. E. bisher beste Grundlage für eine Didaktik der (migrations-)politischen Bildung in der Einwanderungsgesellschaft. Die Fülle und Diversität (!) der Beiträge in den unterschiedlich ausgerichteten Kapiteln machen ein Lesen als Ganzes zu einer anstrengenden Aufgabe, die sich aber lohnt. Der Untertitel suggeriert einen „konstruktivistischen“ Ansatz, der aber nicht umgesetzt wird (in Richtung „Bürgerbewusstsein“ als „Konstruktion der Wirklichkeit“). Manchmal fällt mir noch ein etwas oberflächlicher Umgang mit zentralen Termini der Migrations- und Integrationsforschung auf (auch dieser Begriff ist nicht unproblematisch, was seine Konnotationen und Assoziationen betrifft). Ein etwas stärkerer Blick auf die Ressourcen, Potentiale und Kompetenzen der Einwanderer bzw. auf den (nicht nur ökonomisch-demographischen) „Nutzen“, den Deutschland durch seine „bunte“ und sich durch „Diversität“ auszeichnende Gesellschaft hat, wäre gerade im Diskurskontext einer (immer auch normativen) politischen Bildung angemessen gewesen, um das „Bild vom Fremden“ zu modifizieren. Dieses ist m. E. zentraler Bestandteil des „Bürgerbewusstseins“. Auch ein stringent historischer Beitrag zur Geschichte der Einwanderung und der Entwicklung der Migrationsforschung gehört in so einen voluminösen Band zur politischen Bildung – die ja immer auch historisch angelegt sein muss.

Da der Reader auf Grund seiner thematisch-inhaltlichen Stoffmenge und der Anzahl der Autoren fast den Charakter eines Hand- oder Lehrbuches hat, wäre ein Stichwortverzeichnis für den suchenden Leser sehr hilfreich gewesen.

Fazit

Trotz oder wegen meiner partiellen Kritik und den vielen Fragen, die ich zu den Texten habe (vgl. oben), halte ich diese Ansammlung von hochinteressanten, teilweise innovativen und kreativen Beiträgen von migrationswissenschaftlich kompetenten Kolleginnen und Kollegen für die derzeit beste Publikation auf diesem Sachgebiet, da der Reader ungemein anregend und eher fragend-reflexiv als konstatierend-normativ angelegt ist. Ein zusammenfassender Ausblick der Herausgeber hätte m. E. dem positiven Gesamteindruck noch das I-Tüpfelchen aufgesetzt. Aber angesichts der Diversität der Thematik sowie der Themen und Beiträge(r/innen) ist das wahrscheinlich zu viel verlangt – schließlich soll der Leser zu einem(r) reflexiven (Be-)Urteil(ung) der komplexen und komplizierten Thematik gelangen und nicht „überwältigt“ werden (vgl. dazu S. 196, das „Überwältigungsverbot“ im „Beutelsbacher Konsens“).

Literatur

  • Griese, Hartmut M. (2002): Kritik der Interkulturellen Pädagogik. Essays gegen Kulturalisierung, Ethnisierung, Entpolitisierung und einen latenten Rassismus. Münster: LIT-Verlag.
  • Griese, Hartmut M./ Sievers, Isabel/ Schulte, Rainer (2007): ‚Wir denken deutsch und fühlen türkisch‘. Sozio-kulturelle Kompetenzen von Studierenden mit Migrationshintergrund Türkei. Frankfurt: IKO-Verlag (Hannover 2010).
  • Griese, Hartmut M. und Sievers, Isabel (2010): Bildungs- und Berufsbiographien von Transmigranten. In: APuZ, Heft 46-47/ 2010.
  • Pongs, Armin (2000): In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Gesellschaftskonzepte im Vergleich. München: Dilemme Verlag.
  • Schrader, Achim/ Nikles, Bruno/ Griese, Hartmut M. (1976): Die Zweite Generation. Sozialisation und Akkulturation ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. Königstein: Athenäum Verlag.
  • Sievers, Isabel/ Griese, Hartmut M./ Schulte, Rainer (2010): Bildungserfolgreiche Transmigranten. Eine Studie über deutsch-türkische Migrationsbiographien. Frankfurt: Brandes & Apsel.

Rezension von
Prof. Dr. Hartmut M. Griese
Leibniz Universität Hannover, Philosophische Fakultät, Institut für Soziologie und Sozialpsychologie.
ISEF-Institut (Institut für sozial- und erziehungswissenschaftliche Fortbildung
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Es gibt 85 Rezensionen von Hartmut M. Griese.

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Zitiervorschlag
Hartmut M. Griese. Rezension vom 04.02.2011 zu: Dirk Lange, Ayca Polat (Hrsg.): Migration und Alltag. Unsere Wirklichkeit ist anders. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2010. ISBN 978-3-89974-659-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10128.php, Datum des Zugriffs 14.09.2024.


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