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Bernhard H. F. Taureck: Gleichheit für Fortgeschrittene

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 22.10.2010

Cover Bernhard H. F. Taureck: Gleichheit für Fortgeschrittene ISBN 978-3-7705-4984-9

Bernhard H. F. Taureck: Gleichheit für Fortgeschrittene. Jenseits von "Gier" und "Neid". Wilhelm Fink Verlag (München) 2010. 151 Seiten. ISBN 978-3-7705-4984-9. 19,90 EUR. CH: 35,90 sFr.

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Wir haben es weit gebracht mit der Ungleichheit

Diese zynische wie vieldeutige Metapher ist als Anklage zu verstehen. Es geht um die Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Ungleichheitsbedingungen in Deutschland: Wir sind ungleich – und das ist recht so? In der von den Vereinten Nationen 1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es in Kapitel eins: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren…“. Diese Feststellung findet sich in allen demokratischen Verfassungen, auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Gleichheit wird damit als ein Menschenrecht deklariert, und zwar als umfassende, philosophische und existentielle Forderung für alle Menschen in der Gesellschaft. Aber diejenigen, die von der Ungleichheit profitieren, die „Satten“, oder, wie Erich Fromm sie bezeichnet, die „Habenden“, tun alles, damit sich an den ungleichen Verhältnissen nichts ändert. Die Brechtsche Formel – „Ich bin arm, weil du reich bist!" – wird in der politischen Auseinandersetzung allzu leicht als eine allzu vereinfachende Denkweise und unrealistische Einschätzung der gesellschaftlichen Wirklichkeiten diffamiert. „Die Antiegalitaristen polemisieren gegen gleichmacherische Tendenzen“.

Autor und Entstehungshintergrund

Der an der Technischen Universität in Braunschweig lehrende Philosoph und politische Denker Bernhard Taureck widmet sich in seinen Arbeiten insbesondere der Bedeutung der Metaphern, wie sie im Laufe der Menschheitsgeschichte in den philosophischen Diskursen entstanden sind, ihre Bedeutung verändert haben und auf das gesellschaftliche Denken und Handeln der Menschen wirken, wie z. B.: „Die Praxis, Gleichheit zu sagen und Ungleichheit zu tun“. Der Volkssouverän, wie er in den Verfassungen und Gesetzen von Ländern, die als frei, gleich und demokratisch firmieren, voran gestellt wird, ist in der Wirklichkeit der neoliberalen, kapitalistischen Verfasstheit ein Popanz. Aus dem „Wir sind das Volk“ ist bald eine Kathederdemokratie geworden. Bernhard Taureck ist in seinem Denken konsequent: Er tritt für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein; und er leitet seine Forderungen zum einen ab aus dem historischen, philosophischen Diskurs, wobei er auf eine Reihe von Metaphern aufmerksam macht – etwa der aristotelischen Wahrheit: „Stets sind es die Schwächeren, die nach Gleichem und Gerechtem suchen, während sich die Stärkeren nicht darum kümmern“ - zum anderen aus einer an der Wirklichkeit fest gemachten gesellschaftlichen Analyse Hier und Heute, als Beispiele der aktuellen Herrschaftsbegründung.

Aufbau und Inhalt

Seine Reflexionen über die Zusammenhänge von Freiheit, Gleichheit, ihre vermeintliche Parallelität und gleichzeitig Unvereinbarkeit, beginnt der Autor mit der Suche danach, was gesellschaftliche Gleichheit allgemein bedeutet und wozu sie gebraucht wird. Haben wir gleiche Vorstellungen von der Gleichheit, und wie haben sich die ungleichen Ansichten und Praktiken darüber entwickelt? Das alte, von denen, die sich als gleicher als die anderen Menschen fühlen oder dies beanspruchen, sorgsam gepflegte Missverständnis, dass Gleichheit gleich identisch sei, wird von den Befürwortern des Gleichheitsgedankens dahingehend zurecht gewiesen, dass der Anspruch auf Gleichheit bedeutet, die Andersartigkeit der Menschen nicht als Maß für Ungleichheit zu nehmen, sondern, um mit Hobbes zu sprechen, dass der Unterschied von Mensch zu Mensch nicht so beträchtlich sei, dass ein Mensch darauf hin nicht irgend einen Vorteil für sich fordern könne, auf den ein Anderer nicht ebenso gut Anspruch hätte. Gleichheit in der kreativen Vielfalt, so definiert es die Weltkommission für Kultur und Entwicklung (1995), wenn sie eine „globale Ethik“ fordert, die auf dem Ethos der universalen Menschenrechte beruht: „Alle Menschen werden mit gleichen Rechten geboren und haben Anspruch auf diese Rechte, unabhängig von Klasse, Geschlecht, Rasse, Gemeinschaft oder Generation“ (vgl. dazu: Deutsche UNESCO-Kommission, Unsere kreative Vielfalt. Bericht der Weltkommission „Kultur und Entwicklung“, Kurzfassung, Bonn 1997, S. 23).

Wie sich die Wirklichkeiten in den Gleichheits-, Freiheits- und Gerechtigkeitsdebatten lokal und global darstellen, darauf findet Taureck Antworten bei den historischen und aktuellen Metaphern und ihren Wirklichkeitsbezügen. Es sind zwei Analysen, die er dabei identifiziert: „Die eine ist die absichtliche Täuschung des Staatsvolkes. Die andere ist die einer aufgeklärten Entwicklung“. Wenn die bereits vom griechischen Philosophen Platon formulierte Metapher auch heute gelten soll, dass Regierende philosophieren und Philosophen regieren sollten, dann bedeutet es einer intensiven Auseinandersetzung über die Schlagwörter und Standortbestimmungen, die von den Antiegalitaristen ins Feld geführt werden. Sie nämlich verorten den Anspruch auf Gleichheit in die Bereiche von Neid und Missgunst und damit gewissermaßen eine menschlich zu vernachlässigende und zu überwindende Eigenschaft: Erkennt an, dass der Gleichheitsanspruch gesellschaftsschädlich ist! Dagegen setzt Taureck Aufklärung und die Metapher „Je irrealer, desto realer“, also in gewisser Weise sein (real-)utopisches Konzept der Realisierung von individueller, gesellschaftlicher, politischer und kultureller Gleichheit. Mit dem Dreieck „Bemessung – Input – Output“ argumentiert er dabei grundrechtlich, ökonomisch und kontrollbezogen. Es gelte, eine ausnahmslose Menschenwürdegarantie durchzusetzen, den ausnahmslosen Ausschluss von Eigentum und Macht als Rechtsgrund zu garantieren, internationale Regeln für Devisengeschäfte zu schaffen und dies auch global durchzusetzen und zu kontrollieren. Als „Input“ sieht der Autor konsequenterweise die Schaffung eines gleichen, bedingungslosen und substanzsichernden Grundeinkommens für alle an, wie auch einen gleichen, öffentlichen Zugang zu Arbeit und Bildung als Erweiterung der Chancengleichheit. Als „Output“, realiter, würde sich dabei die Durchsetzung von Ober- und Untergrenzen für Einkommen und die Forderung nach gleichen Lohn für gleiche Arbeit, unabhängig vom Geschlecht, ergeben. Wenn hier die „Realisten“ müde abwinken und den Verfall des Abendlandes kommen sehen, könnte ihnen Hegel antworten: „Dasselbe, was ein Recht ist, ist auch eine Pflicht, und was eine Pflicht ist, ist auch ein Recht“.

Fazit

Taurecks Essay über Gleichheit ist gleichzeitig eine Reflexion über Freiheit. Wenn die Ansprüche nach Gleichheit und Freiheit der Menschen, wie dies in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formuliert wird, allgemeingültig sind. Die Verwirklichung im lokalen, nationalen und internationalen Zusammenleben der Menschen wäre einfach und selbstverständlich, erinnerten wir uns an den Kantischen Imperativ, der volkstümlich bekannt ist in dem Sprichwort: „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!“, und an die Festlegung, wie sie in der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 steht: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was anderen nicht schadet“. Dass die Überlegungen von Bernhard Taureck, Gleichheit als menschliche Selbstverständlichkeit einzuführen, in der konkreten Wirklichkeit, in der deutlich und zunehmend „die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden“, mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben, dass die Reflexionen eher utopisch als realistisch erscheinen, ist gewollt. Denn „Gleichheit für Fortgeschrittene“ heißt auch, bei den Menschen das aufklärerische Bewusstsein zu wecken, dass der Mensch fähig und in der Lage ist, sich seines Verstandes zu bedienen und, im Sinne von Aristoteles, zu einem eu zên, einem sittlich guten und autarken Leben strebt, das nur mit einem guten, gerechten und humanen Handeln erreichbar ist. Taurecks Büchlein sollte als Merkposten und Ausrufezeichen für alle diejenigen dienen, die mit den bisherigen ungleichen Bedingungen menschlichen Lebens in unserer EINEN WELT nicht zufrieden sind; und als Fragezeichen und Fingerzeig für die anderen, die sich scheinbar nicht vorstellen können, die Verhältnisse zu ändern. Die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ schreibt uns dies in unser Merkbuch: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1688 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245