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Christian Peucker, Nicola Gragert et al.: Kindertagesbetreuung unter der Lupe

Rezensiert von Prof. Dr. Regine Morys, 04.10.2011

Cover Christian Peucker, Nicola Gragert et al.: Kindertagesbetreuung unter der Lupe ISBN 978-3-87966-418-4

Christian Peucker, Nicola Gragert, Liane Pluto, Mike Seckinger: Kindertagesbetreuung unter der Lupe. Befunde zu Ansprüchen an eine Förderung von Kindern. Verlag Deutsches Jugendinstitut (München) 2010. 282 Seiten. ISBN 978-3-87966-418-4.
Reihe: Deutsches Jugendinstitut : DJI-Fachforum Bildung und Erziehung - Band 9.

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Thema

Das vorliegende Buch stellt die Ergebnisse einer bundesweiten repräsentativen Befragung von Kindertagesstätten systematisch dar. Diese Erhebung ist Teil des Langzeitprojekts „Jugendhilfe und Sozialer Wandel - Leistungen und Strukturen“ des Deutschen Jugendinstituts. Zentrale Themenbereiche der Erhebung stellen dabei die Rahmenbedingungen, die Arbeitsplatzsituation, die Vernetzung der Einrichtungen, die Zusammenarbeit mit den Eltern, die Einführung der Bildungspläne und der Umgang der Einrichtungen mit Heterogenität dar. Ziel der Publikation ist es, die wesentlichen Ergebnisse der Befragung darzustellen und aus den Daten herauszukristallisieren, wie die Kindertagesstätten mit den vielfältigen Anforderungen umgehen, welche Faktoren als unterstützend erlebt werden und welche Bedarfe sich abzeichnen.

Autorinnen und Autoren

Die Autoren und Autorinnen des Bandes sind als MitarbeiterInnen beim DJI im Projekt „Jugendhilfe und Sozialer Wandel - Leistungen und Strukturen“ tätig, im Rahmen dessen die der vorliegenden Veröffentlichung zugrunde liegende Studie entstand.

Aufbau

Das Buch zeichnet sich durch einen sehr übersichtlichen Aufbau aus. Es ist nach der Einführung in fünf Themenbereiche gegliedert, welche in jeweils zwei bis drei Kapitel unterteilt sind. In jedes Kapitel erfolgt eine Einführung, daran anschließend werden systematisch die wesentlichen Ergebnisse, unterstützt von Diagrammen oder Tabellen, dargestellt und erläutert. Jedes Kapitel wird von einem Fazit abgerundet, in dem die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst und eingeordnet werden. Mit dieser Gliederung ist das Buch so angelegt, dass die einzelnen Kapitel auch separat oder in anderer Reihenfolge gelesen werden können. Hilfreich sind die zahlreichen Querverweise.

Inhalt

Im einführenden ersten Kapitel wird dargestellt, welche Bedeutung der Kindertagesbetreuung zukommt, welche neuen Anforderungen und Erwartungen an diese gestellt werden und welche Entwicklungen sich vollziehen. Die grundlegenden Begriffe „Erziehung“ und „Bildung“ werden erläutert und miteinander in Beziehung gesetzt. Deutlich herausgearbeitet wird, vor welche „anspruchsvolle Herausforderung“ (26) die Kindertageseinrichtungen gestellt werden, wenn sie die Aufgabe, die Trias von Betreuung, Erziehung und Bildung miteinander zu verzahnen, ernst nehmen und mit den vorhandenen Ressourcen auf qualitativ hohem Niveau bewältigen wollen. Hieraus ergibt sich die Fragestellung für die folgenden Kapitel, wie bzw. inwiefern dies den Einrichtungen aus ihrer eigenen Sicht heraus gelingt.

Die folgenden Kapitel greifen wesentliche Ergebnisse der Studie auf. Die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen dem Ausbau der Quantität bei gleichzeitigem Erhalt oder gar der Steigerung der Qualität zieht sich als roter Faden durch die Darstellung der Ergebnisse.

Die Ergebnisse zum Themenbereich Organisationsbezogene Rahmenbedingungen von Bildung, Betreuung und Erziehung (27)untergliedern sich in die Kapitel „Ausgewählte Strukturmerkmale: Größe, Gruppen und anderes“ (29), „Öffnungszeiten - zeitlicher Betreuungsbedarf von Eltern und pädagogische Qualität“ (41) und „Trägerschaft, Rechtsform und die Unterstützung durch den Träger“ (59). Als überraschendes und wichtiges Fazit wird herausgearbeitet, dass nach wie vor in vielen Einrichtungen herkömmliche Gruppenstrukturen praktiziert würden. Änderungen, auch im Hinblick auf die Einführung der erweiterten Altersmischung würden nur dann realisiert, wenn dies aufgrund des Platzangebots erforderlich werde (40). Ein weiteres wichtiges Ergebnis besteht darin, dass man im Ost-West-Vergleich von „zwei Betreuungslandschaften“ (57) sprechen könne: In Ostdeutschland besteht ein vergleichsweise gutes Platzangebot mit Einrichtungen, die Öffnungszeiten anbieten, die den Erwartungen der Eltern entsprechen - ganz anders im Westen (57). Deutlich wird, dass die Öffnungszeiten darüber hinaus mit der Größe der Einrichtung korrelieren. Selbstverständlich wird darauf hingewiesen, welche Bedeutung hierfür eine entsprechende Personalausstattung hat. Doch auch die Unterstützung durch den Träger bei der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung ist entscheidend. Die Daten zeigen, dass größere Träger diese Angebote besser bereitstellen können. Empfohlen wird für kleinere Träger, dass diese sich trägerübergreifenden Angeboten anschließen oder Verbünde gründen sollen, um den Einrichtungen das passende Leistungsspektrum bieten zu können (76, 77).

Der Themenbereich Arbeitsplatz Kindertageseinrichtung (79) umfasst die Kapitel „Personalsituation in Kindertageseinrichtungen“, „Arbeitsbedingungen: Vorbereitungs- und Verfügungszeiten und Arbeitsklima“ und „Fortbildung und Qualifizierung“. Im Hinblick auf die Personalausstattung zeigt sich ein sehr heterogenes Bild. Erschreckend ist, dass über die Hälfte der befragten Einrichtungen angeben, dass sie „häufig“ oder „manchmal“ mit einer Personalausstattung arbeiten müssen, die unter den jeweiligen Richtnormen liegen (86). Gleichzeitig liegt eine weitere Problematik in den oftmals befristeten Arbeitsverträgen und im Einsatz von nicht adäquat Ausgebildeten und Hilfskräften. Die Daten zeigen auch, dass nur wenige Leitungskräfte über eine akademische Qualifizierung oder eine Zusatzausbildung verfügen (98, 99). Trotz dieser insgesamt gesehen schlechten Arbeitsbedingungen wird überwiegend von einem guten Arbeitsklima und einer konstruktiven Zusammenarbeit im Team berichtet (120) - allerdings nur dann, wenn die Einrichtungen nicht unter knappen Ressourcen und hoher Fluktuation leiden. Der Zusammenhang zwischen dem Arbeitsklima und der Ausstattung - insbesondere auch, was Verfügungszeiten anbelangt - wird aus den Daten deutlich. Im Fazit wird betont, welche Bedeutung der Qualifikation und Personalentwicklung (121) sowie verbesserten Fortbildungsangeboten und Praxisberatungen in Zukunft zukommen wird (141).

Mit der Vernetzung und der Elternarbeit befasst sich der Themenbereich Kindertageseinrichtungen im Austausch mit anderen Akteuren (143). Untersucht wird, mit welchen Institutionen und zu welchen Anlässen die Einrichtungen mit diesen kooperieren. Als Fazit ergibt sich, dass „die Kindertagesstätte tatsächlich eine vernetzte Institution“ (173) ist, da die Einrichtungen in vielfältige Netzwerke eingebunden sind. An erster Stelle der Kooperationspartner steht die Schule (147). Allerdings wird die Qualität dieser Kooperation nur als zufriedenstellend bewertet - deutlich besser bewertet werden die Kooperationen mit anderen Einrichtungen. Nachgewiesen werden kann der Zusammenhang der Qualität der Kooperation mit Schule und deren Häufigkeit (164). Die Daten zur Zusammenarbeit mit Eltern zeigen zwar, dass diese in allen Einrichtungen einen hohen Stellenwert hat, dass sich diese aber in erster Linie auf individuelle Gespräche über die einzelnen Kinder bezieht. Elternarbeit als Partizipation wird dagegen nur selten bzw. nur sehr eingeschränkt praktiziert. Als problematisch wird gewertet, dass die Einrichtungen die Schwierigkeiten, Eltern mit Migrationshintergrund oder Eltern in Armutslagen zu erreichen, überwiegend fremdattribuieren und als „Desinteresse“ deuten (185 ff). An dieser Stelle mahnen die AutorInnen Fortbildungen und Supervisionsangebote an (190).

Der Themenbereich Bildung und Umgang mit Heterogenität (191) befasst sich zunächst mit der Implementierung der Bildungspläne. Demnach sind die Bildungspläne in den Einrichtungen bekannt und gaben Anlass zu Veränderungen. Allerdings wird ein Mangel an Fortbildungen und an Zeitressourcen deutlich, der dazu führe, dass bislang nicht alle Einrichtungen ihre Arbeit entsprechend umgestalten konnten. Dieses Problem stellt sich insbesondere für kleine Einrichtungen (205). Im Kapitel zur Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund wird als Fazit herausgestellt, dass trotz der hohen Bedeutung der Thematik im Fachdiskurs und trotz des hohen prozentualen Anteils von Kindern mit Migrationshintergrund in den Einrichtungen diese noch viel zu wenig in Fokus steht. So fehlen z.B. in vielen Konzeptionen Ausführungen dazu (217). Die Bedeutung von interkultureller Bildung als Angebot für alle Kinder scheint immer noch nicht im Feld angekommen zu sein. Hier zeigt sich ein deutlicher Nachholbedarf an Fortbildung - allerdings scheint das Thema, so die These der AutorInnen, derzeit für die Einrichtungen nicht an erster Stelle zu stehen (227).

Der Themenbereich Neue Herausforderungen für Kindertageseinrichtungen (229) schließt das Buch ab. Zunächst befasst es sich mit Ergebnissen zum Bereich Gesundheitsförderung, wobei auch an dieser Stelle wiederum auf die Bedeutung von entsprechenden Ressourcen hingewiesen wird, um adäquate Konzepte umsetzen zu können (246). Die Ergebnisse zum Umgang der Einrichtungen mit Kindeswohlgefährdungen sind wenig aussagekräftig. Sie zeigen, dass die Jugendämter als Ansprechpartner für entsprechende Fragen und Fälle angenommen werden (256). Das letzte Kapitel stellt die forschungsmethodische Vorgehensweise dar - beschränkt auf das Vorgehen bei der Stichprobenziehung, die Darstellung des Rücklaufs (der bei etwas über 50% liegt), einer Einschätzung der Repräsentativität und einer kurzen Darstellung der Entwicklung des Fragebogens und der Auswertung.

Diskussion

Das vorliegende Buch bietet eine Fülle von empirischen Daten, die wichtige Strukturaspekte der Arbeit von Kindertagesstätten aus der Perspektive dieser Einrichtungen berühren. Es ist ansprechend aufbereitet, gut gegliedert und klar und verständlich geschrieben. Somit kann sich der Leser oder die Leserin schnell zurechtfinden und sich die Informationen suchen, die von Interesse sind. Die Adressatengruppe des Buches wird nicht direkt genannt. Da es sich in erster Linie um eine sachlich-deskriptive Darstellung von empirischen Forschungsergebnissen handelt, richtet es sich vor allem an das Fachpublikum. Von der Sprache und der Art der Aufbereitung her ist es aber auch gut für interessierte PraktikerInnen oder Studierende verständlich. Von der Intention her sollte es unbedingt von allen für die Qualität und Weiterentwicklung von Kindertagesstätten Verantwortlichen gelesen werden, da sich aus den Daten an vielen Stellen Folgerungen für die Ausstattung und Steuerung des Bereichs Kindertagesstätten ergeben.

Allerdings gilt es zu beachten, dass die Daten, auf denen die dargestellten Ergebnisse beruhen, aus dem Jahr 2007 stammen. Bedauerlich ist, dass die forschungsmethodischen und konzeptionellen Aspekte der Befragung nur sehr knapp dargestellt werden. So bleibt insgesamt unklar, nach welchen Kriterien welche Themen aufgegriffen werden und nach welcher Logik der Fragebogen, der leider nicht abgedruckt ist, konstruiert wurde. Zwar findet sich dazu ein knapper Hinweis, der deutlich macht, dass es dafür eine Begründung gibt (262), doch hilft dies inhaltlich nicht weiter. Stellenweise verwundert die Zuordnung der Kapitel zu den Themenbereichen. So ist z.B. nicht schlüssig, warum gerade die beiden Punkte - und nur diese beiden Punkte - Gesundheitsförderung und Umgang mit dem Kindeswohl zu den neuen Herausforderungen für Kindertagesstätten gerechnet werden. Nicht ganz stimmig ist der Titel des Buches, denn dieses befasst sich ausschließlich mit Kindertagesbetreuung in der Institution Kindertagesstätte, nicht mit Kindertagesbetreuung in der Kindertagespflege.

Leider endet das Buch sehr abrupt. Ein Abschlusskapitel, das die wesentlichen Ergebnisse insgesamt bündelt und daran anschließend diskutiert, welche Folgerungen sich daraus ergeben, wäre sehr wünschenswert gewesen. Die einleitend genannte Fragestellung wird somit nicht klar beantwortet, das Ziel, die „Perspektiven für die Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung“ aufzuzeigen (10), wird nur dann erreicht, wenn sich die Leser und Leserinnen die Mühe machen, in der Fülle der Daten nach den entsprechenden Hinweisen zu suchen.

Fazit

Trotz der genannten Kritikpunkte ist das Buch für die Fachöffentlichkeit und insbesondere für alle im Bereich Kindertagesstätten Verantwortlichen ein „Muss“. Die Stärke liegt darin, dass es ihm gelingt, eine repräsentative und breit angelegte Befragung aus der Perspektive der Einrichtungen gut verständlich und systematisch aufzubereiten und damit einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsfrage zu leisten. Man darf gespannt sein auf die angekündigte Veröffentlichung weiterer Publikationen aus diesem Projekt, in der die Perspektiven der verschiedenen Akteure miteinander verglichen werden sollen.

Rezension von
Prof. Dr. Regine Morys

Es gibt 7 Rezensionen von Regine Morys.

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ISSN 2190-9245