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Thomas Steinfeld: Der Sprachverführer

Rezensiert von Prof. Dr. Michael Buestrich, 27.10.2010

Cover Thomas Steinfeld: Der Sprachverführer ISBN 978-3-446-23416-1

Thomas Steinfeld: Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann. Hanser Verlag (München) 2010. 270 Seiten. ISBN 978-3-446-23416-1. D: 17,90 EUR, A: 18,40 EUR, CH: 29,90 sFr.

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Thema

Mit dem Einzug des Managements in die Soziale Arbeit hat die Notwendigkeit der Dokumentation, das heißt der inzwischen zumeist EDV-basierten Verschriftlichung dessen, was man selbst und mit anderen, etwa im Rahmen der Sozialberatung tut, sprunghaft zugenommen (vgl. Brack, Ruth; Geiser, Kaspar (Hg.) (2009): Aktenführung in der Sozialarbeit. Vorschläge für die klientenbezogene Dokumentation als Beitrag zur Qualitätssicherung. Bern (https://www.socialnet.de/rezensionen/8634.php)). Eine unter fachlichen wie formellen Gesichtspunkten „saubere“ Aktenführung und Falldokumentation können sich insbesondere innerhalb komplizierter Fallkonstellationen und bei Mitwirkung einer Vielzahl von Beteiligten, was nicht erst der Bremer Fall „Kevin“ zeigt, lebensrettend auswirken. Letzteres gilt unmittelbar für die Klientel, mittelbar aber auch für das Berufsleben von Mitarbeitern bei Behörden und bei sozialen Diensten und Einrichtungen (vgl. Kaufmann, Claudia; Leimgruber, Walter (Hg.) (2008): Was Akten bewirken können. Integrations- und Ausschlussprozesse eines Verwaltungsvorgangs. Zürich (https://www.socialnet.de/rezensionen/6621.php)).

Neben dem Schriftdeutsch kommt dem Einsatz von Sprache im Rahmen personenbezogener sozialer Dienstleistungen, die im Regelfall von Angesicht zu Angesicht („face-to-face“, wie der moderne Sozialmanager es ausdrückt) erbracht werden, eine zentrale Bedeutung zu. Der Erfolg der sozialarbeiterischen Tätigkeit (vornehmlich im Rahmen von Beratung und Betreuung, neuerdings auch zunehmend bei der Vermittlung in Arbeit) basiert darauf, dass sich der Hilfe Suchende und sein Gegenüber nicht nur im semantischen Sinne „verstehen“.

Das bedeutet nicht, dass alle manifesten Gegensätze letztlich nur Kommunikationsproblemen geschuldet seien. Im Gegenteil: Wenn der Fallmanager im Job-Center sich nicht mit dem Klienten „versteht“, leitet sich das in den meisten Fällen aus unterschiedlichen Absichten, Interessen und Zielen, also Konflikten auf der fachlichen wie der persönlichen „Beziehungsebene“ ab. So resultiert die anhaltende „Klageflut“ im Kontext von Hartz IV ganz sicher nicht vorrangig aus gegenseitiger Sprach- und Verständnislosigkeit, sondern aus den Inhalten und Konsequenzen der jeweiligen Leistungsentscheidungen, also „harten“ Geldfragen oder auch aus dem, was einem Arbeitsuchenden an Arbeitsgelegenheiten gesetzlich „zugemutet“ wird.

Probleme auf der Sprachebene mögen hinzukommen. Weniger, weil man sich anschweigt, sondern eher, weil man dabei aneinander vorbeiredet, etwa weil der eine kein Deutsch spricht oder versteht und der andere auch noch Bürokratendeutsch, also Fachchinesisch redet. Laut(er) zu werden ist dann keine Lösung, es wäre aber schon viel gewonnen, wenn Auskünfte und Bescheide auch für Nichtjuristen verständlicher formuliert wären. Ansonsten wird nach dem selbstkritischen Eindruck von Sozialarbeitern und Klienten in der Sozialen Arbeit manchmal eher zu viel und nicht zu wenig „miteinander geredet“ (Schulz von Thun).

Die Inhalte des Vorlesungsprogrammes der Hochschulen spiegeln die Notwendigkeit, Schrift und Sprache zu diesem Zweck besser zu beherrschen, allerdings nur begrenzt wider. Propädeutik (inklusive dem Lesen und dem Exzerpieren von Texten; vgl. Adler, Mortimer J.; Doren Charles van (1972): How to Read a Book (dtsch.: Wie man ein Buch liest (Frankfurt/Main, 2007)) kommt zwar obligatorisch vor, spezielle „Schreibwerkstätten“ stellen aber ebenso noch eher die Ausnahme dar, wie gezielte Schulungen in Rhetorik, vom Fehlen entsprechend spezialisierter Literatur einmal abgesehen.

Dieses Manko liegt auch darin begründet, dass man den Umgang mit Sprache und Schrift als schulischen Produkten selbstverständlich voraussetzt, was jedoch leider nicht immer den Tatsachen entspricht. Das Studium eines „Sprach(ver)führers“, der (durchaus erst einmal außerhalb des Fachjargons, in dem sich die meisten Studierenden nach sechs BA-Semestern erstaunlich gut bewegen) erläutert, „was die deutsche Sprache ist und was sie kann“, möchte man dem einen oder anderen Autor da schon ans Herz legen.

Autor

Thomas Steinfeld ist Germanist und Musikwissenschaftler. Er wirkte ab den 80er Jahren als Professur an der Universität im kanadischen Montreal und lehrt aktuell im schweizerischen Luzern. Einem breiteren Publikum ist er aber wohl als leitender Redakteur des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung bekannt (vorher war er Literaturchef bei der FAZ). Hier hebt er sich unter anderem durch kluge Beiträge zum politischen Zeitgeschehen hervor. In der jüngsten Vergangenheit unter anderem mit einem lesenswertenden Mehrspalter zur leidigen Debatte über die Thesen Thilo Sarrazins, die in ihrer Spezialität ja auch nicht unwesentlich von der Bereitschaft zum Erlernen bzw. dem Umgang mit der deutschen Sprache handeln (vgl. SZ, Nr. 200 vom 31.08.2010, S. 11). Ein Beitrag, der sich qualitativ wohltuend von dem absetzt, was man ansonsten manchmal in diesem, aber auch in anderen Presseprodukten und nicht nur zum Thema „Migration“ als Leser tapfer zu erdulden hat.

Inhalte

Das Buch rekonstruiert in historischer Perspektive, wie die moderne Sprache mit der Entwicklung von Staat und Gesellschaft in Deutschland (und darüber hinaus) entstanden ist, was man daraus über ihre Eigenschaften lernen kann und wie man ihre Möglichkeiten für einen eleganten, transparenten Stil nutzt. Damit beantwortet es Fragen, die sich beim Lesen und Schreiben immer wieder stellen: „Wie baut man einen gelungenen Satz? Wie lang darf er sein? Was ist von Fremdwörtern zu halten? Welche Rolle spielen Klang und Rhythmus? Der beste Zugang zu unserer Sprache führt über die Schriftsteller, die in den großen Texten der deutschen Literatur ihre Ausdrucksmöglichkeiten seit 200 Jahren erprobt und weiterentwickelt haben. Sie liefern Steinfeld die Beispiele für seine unkonventionelle Stilkunde.“ (Klappentext).

Aus diesem Anspruch ergibt sich dann auch das Gliederungsschema des Buches: In insgesamt sieben Kapiteln („Vom Schreiben“, „Vom Leben“, „Vom Üben“, „Vom Nennen“, „Vom Beugen“, „Vom Bauen“, „Vom Schließen“) und zwei Exkursen, die sich mit „Wahrheit und Sprache“ (Elfriede Jelinek) sowie „Literatur und Konventionen“ (Heinrich Heine) beschäftigen, entwickelt Steinfeld anhand einschlägiger Textbeispiele vieler bekannter und einiger eher unbekannter, dabei nicht nur deutschsprachiger Literaten ein Panoptikum der Sprachtechnologie und -kunst. Dabei erfährt man nicht nur einiges über das literarische Werk der Autoren, sondern auch – quasi nebenbei – etwas über ihr (politisches) Wirken durch und außerhalb der Literatur sowie ihre Rezeption durch die Leser und die Nicht-Leser.

Exemplarisch sei hier die öffentliche Befassung mit Bertold Brecht angeführt: „Nur ein Bild ist von ihm zurückgeblieben. Es scheint mehr die Person als das Werk darzustellen, einen Mann mit speckiger Mütze und schmutzigen Fingernägeln, einen unzuverlässigen Liebhaber und gelegentlichen Dieb geistigen Eigentums. Aber ungewaschen waren auch andere, ungleich beliebtere Dichter, und der intellektuelle Vampirismus ist eine ebenso verbreitete wie unvermeidliche Erscheinung. Dieses Bild, so ist zu fürchten, gibt es nur, weil sich etwas anderes dahinter verbirgt: die Abneigung gegen diesen Mann und der Unwille gegenüber der Parteilichkeit, mit der Bertolt Brecht für eine heute vergangene, obsolet gewordene Weltanschauung - und dann: deren Staat, die DDR – eintrat. Sie wird, im Bewusstsein eines beileibe nicht selbst erworbenen Triumphes, mit einer anderen Parteilichkeit beantwortet: Sie richtet sich gegen Bertolt Brecht.“ (S. 149; vgl. zur neueren Brecht-Rezeption auch Dahle, Wendula (Hg.) (2007): Die Geschäfte mit dem armen B. B. – Vom geschmähten Kommunisten zum Dichter „deutscher Spitzenklasse“, Hamburg).

Die Philosophen G. W. F. Hegel und Friedrich Nietzsche, der Soziologe Niklas Luhmann und ein Theologe (Martin Luther natürlich, der „dem Volks aufs Maul schauen“ wollte!) vervollständigen die Reihe ebenso wie die Ausführungen des Chefs der Deutschen Bank Josef Ackermann (O-Ton: „Wir werden unseren Kurs der zeitnahen Transparenz fortsetzen und uns unvermindert für zielführende Reformen des Finanzsystems insgesamt einsetzen“, S. 15) und die „dunkle Rede“ (S. 42) des Wissenschaftsrates zur „Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium“. Beide dürfen „schöne“, weil schlechte Sprachbeispiele für die grassierende „Phraseologie“ und ihr Wirken beisteuern.

Dabei vermeidet Steinfeld im Gegensatz zu eher aufdringlichen Zeitgenossen, die sich in scheinbar nicht endenden wollenden Buchreihen und vor einem Massenpublikum in großen Hallen zum angeblich fragwürdigen Zustand der deutschen Sprache verbreiten, die oberlehrerhafte Attitüde eines Sprach(block)wartes. „Schlechtes Deutsch“ habe es aber immer gegeben, auch das 19. Jahrhundert, die Zeit, in der mehr auf diese Sprache geachtet wurde als je zuvor und je danach, sei voller missratener Sätze, ungeschickter Formulierungen und nicht zuletzt voller Sprachkitsch und -tand gewesen.

Wie eine gute deutsche Sprache beschaffen sein soll, sei dagegen ungleich schwieriger zu beschreiben: „Sie habe sparsam zu sein, möchte man annehmen, denn die Zeit des Hörers oder Lesers ist kostbar. Aber nicht einmal das stimmt, es hat ganze Zeitalter gegeben, das Barock vor allem, die der Rhetorik sehr zugewandt waren. Aber muss sie nicht wenigstens klar sein, durchsichtig und verständlich auch dem Ungeschulten, frei und weltläufig? Nicht unbedingt, denn es gibt viele Idiome, die gerade nicht gemeinverständlich sein sollen - Zunftsprachen zum Beispiel, Fachsprachen, aber auch Dialekte. Was immer sprachlich ausgedrückt wird, muss nicht einmal logisch gegliedert sein. Es darf schillern, abweichen, sogar delirieren. Es darf nuscheln, schmatzen, grölen und wenn man das nicht erträgt, hat es nichts mit Sprache, umso mehr aber mit einem Bewusstsein für Anstand und gutes Benehmen zu tun. […] Das alles ist möglich, und keine Stilkunst hätte darüber zu richten. Man könnte lange so weitermachen, und man käme doch nicht zu einer Bestimmung von guter Sprache, ja vielleicht nicht einmal zu einer Vorstellung von dem, was grammatisch richtig ist.“ (S. 43 f.).

Auf der anderen Seite, so Steinfeld, widerspreche dieser Befund aber einem besonders im deutschen, aber auch französischen Sprachraum weit verbreiteten Bedürfnis: „Denn es sind, wenn von gutem Deutsch die Rede sein soll, schnell ein Ruf nach Ordnung und ein Verlangen nach dem strengen Lehrer da - und der unangenehme Ton von Vorschrift und Regel, von Pflicht und Zensur, von Nachhilfe und gefährdeter Versetzung.“ (S. 44). In jüngster Zeit stilbildend fungierte in dieser Hinsicht die Mitte der 90er Jahre einsetzende, inzwischen etwas vergessene Debatte um staatliche Eingriffe in die deutsche Orthographie, die unter der Überschrift „Rechtschreibreform“ der Vereinfachung dienen sollte und im Rahmen ihrer Umsetzung und dem damit verursachten Chaos dann eher traurige Berühmtheit erlangte. Die Masse der Schreiber wie Leser sehen es seitdem offenbar eher pragmatisch. Der Tendenz nach schreibt jeder so gut er kann, respektive wie er will: „Auch das Zusammen- und Auseinanderschreiben von Verben bereitete nicht allzu viele Schwierigkeiten, bis die Reform der deutschen Rechtschreibung die gute Gewohnheit zerstörte. Jetzt ist alles immer richtig, weil der Unterschied verwischt wurde.“ (S. 168).

Weiterhin wird von Sprachhygienikern die zunehmende „Okkupation des Deutschen durch das Englische“ (früher hieß das „Verwelschung“) beklagt, was zugleich niemanden davon abhält, möglichst schon Dreijährige (Stichworte: „Globalisierung“ und „employability“) damit zu traktieren. Dieses gilt selbst in Anbetracht dessen, dass manche in Deutschland gebräuchlichen Sprach- bzw. Wortschöpfungen im englischen Sprachraum gar nicht bekannt sind. Etwa der Begriff „Handy“ für „cell(ular) phone“ (USA) oder „mobile phone“ (GB): „Denn an der Beliebtheit englischer Wörter kann es ja kaum liegen, wenn Sprachkritik zum Schauspiel für das große Publikum wird - und im Absolutismus war das Französische, weil es die gesamte Oberschicht beherrschte, gewiss eine größere Gefahr für das Deutsche. Und wenn sich einzelne mit großem öffentlichen Erfolg gegen eine Entwicklung wehren, die vielen als Verfall erscheint, so fehlen dem Widerstand doch offenbar Ziel und Richtung, abgesehen von einer großen Aufseherei und Besserwisserei, die ihren Höhepunkt erreicht, wenn die obligatorisch schlechten Zensuren […] in einem Schauspiel für die Massen verteilt werden.“ (S. 22).

Die Ergebnisse der in diesem Zusammenhang einschlägigen PISA-Studie haben die Nation wachgerüttelt. „Ausreichendes“, vor allem aber „richtiges und gutes Deutsch“ stehen – wie es Herr Sarrazin aktuell insbesondere auch im Hinblick auf „Deutsche mit Migrationshintergrund“ anzugeben weiß - seitdem ganz oben auf der politischen Wunschliste und dem schulischen Lehrplan. Steinfeld gibt hier zu bedenken, dass das Nachdenken über die Sprache, darüber, worin sie besteht, wie sie aufgebaut sei und wie sie funktioniere, wie sie sich entwickele und verbreite damit unmittelbar und so gut wie ausschließlich der staatlichen Schule - und sei es einer als Schule begriffenen Volksgemeinschaft – überantwortet sei und damit dem Lehren, Belehren und Zensieren.

Diese Sicht sei schon deshalb nicht angemessen, weil die Basis einer Sprache in der Konvention und damit in der Identifikation mit ihr begründet läge, was ein hohes Maß an Varianz und die Veränderlichkeit der Sprache einschließe. Man könnte auch formulieren: Die Einführung einer „Amtssprache“, die als „Hochdeutsch“ die offizielle Referenz abgeben soll, ist letztlich eben das Resultat eines hoheitlichen Aktes, um dessen Befolgung sich die Sprecher faktisch trotzdem nur bedingt kümmern. Deshalb müssen sie, zu allererst in der staatlichen Regelschule, eben darauf verpflichtet werden. Auf beiden Seiten wird so, wenn es denn funktioniert, das Deutsche „beherrscht“, weil und insofern „[…] sich ein souveräner deutscher Staat durchsetzte, der in diese Freiwilligkeit [der Beschäftigung mit Sprache, MB], in diese ledige Bereitschaft zum Lernen eingriff, indem er die Norm und die Regel an die Stelle des Nachdenkens über die Sprache setzte.“ (S. 130).

Mit der Formulierung dieses staatlichen Anspruches ist die inhaltliche Frage, was dann „gutes und richtiges Deutsch“ sein soll natürlich nicht geklärt: „Manches, was geregelt zu sein schien, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als reichlich unbestimmt und schwankend im Gebrauch. Die dritte Position ‚wegen‘, um nur ein Beispiel zu nennen, konnte bis weit ins 19. Jahrhundert hinein den Dativ nach sich ziehen, dann erst wurde der Genitiv Pflicht, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Jetzt ist es beinahe wieder vorbei mit dem Genitiv. […] Und wer über ‚meinem Opa sein klein Häuschen‘ spottet, weil der Dativ der Tod des Genitivs sein soll, der tut das vielleicht auch aus Anmaßung und Überheblichkeit.“ (S. 45).

Es gibt auch Ratschläge, die für das (Amts-)Deutsch der Mitarbeitern von Sozialverwaltungen und Sozialarbeiter von Relevanz sind. Die Vermeidung von Schachtelsätzen etwa, die man auch jedem Schüler einbläut: „Das ist ein guter Rat, dem aber nur bedingt zu folgen ist. Tatsächlich sperrt sich die deutsche Sprache gegen diese Anwendung, denn die Klammer ist so gebräuchlich, und sie erscheint in mehreren Gestalten […]. Man muss sie stattdessen gestalten, und man muss zwischen geglückten und misslungenen Klammern unterscheiden, und oft ist es schön, wenn man sie verkleinert, enger fasst.“ (S. 207). Den schließlich könne „[…] ein sehr langer Satz, wohlgegliedert, in allen Einzelheiten durchsichtig, […] übersichtlicher und verständlicher sein als ein weitaus kürzerer, aber schlecht gegliederter Satz.“ (S. 221).

Diskussion

Der Markt für Ratgeber zum Thema „Deutsch“ und „Texterstellung“ wächst nach wie vor. Steinfeld reiht sich hier nicht einfach ein. Er will mehr, nämlich die (deutsche) Sprache und ihre Entwicklung erklären, um damit die Sensibilität für den „rechten“ Umgang mit ihr zu erhöhen. Und er löst diesen Anspruch auch ein, indem er zeigt, dass und wie man dazu Gelehrtheit und die Freude am Lesen miteinander kombinieren kann, ohne dabei zwangsläufig in einen akademischen Lehrbuchstil oder auf der anderen Seite mit Kuriositätenschilderungen in eine tendenziell infantile Volksbelustigung bzw. –belehrung verfallen zu müssen.

Das gilt trotz der Einschränkung, dass die gewählten Überschriften in einigen Fällen erst neugierig machen, dann aber mit den darunter gefassten Inhalten nur marginal zu tun haben. Auch könnte man dem Autor die Redundanz einiger Argumentationslinien des „Sprachverführers“ ankreiden. Ebenso wie den Umstand, dass er sich in dem einen oder anderen Kapitel thematisch etwas verrennt, weil Politik, Kulturgeschichte und Literatur(kritik) ziemlich unvermittelt nebeneinander stehen. Das erscheint dann z. T. doch recht bildungsbürgerlich beflissen, so als hätte es der Autor nötig, sich und seinem Publikum zu beweisen, aus welchem umfangreichen Fundus an Kenntnissen und Erfahrungen er schöpft, was man ihm aber auch so abnimmt.

Und mitunter wird - und dann wohl oder übel einigermaßen professoral – handfeste „Germanistik“ betrieben, wie im folgenden Beispiel: „Der Artikel im Deutschen hat sich aus den Demonstrativa entwickelt und ist dagegen kompakter und zweckmäßiger. Das liegt vor allem daran, dass der Artikel ohne Kasus gar nicht vorkommt. Und auch nicht ohne Genus und Numerus. Diese drei Funktionen muss man im Artikel selbst unterscheiden. Und weil das meistens gelingt, hat auch das zur Folge, dass die Stellung der Satzteile, besonders die strategisch wichtige Stelle am Satzanfang, eher frei ist – die grammatische Funktion wird ja am Artikel markiert.“ (S. 151). Wenn der Autor hier die Funktion des Artikels im Deutschen im Unterschied zum Lateinischen erläutert, kommt der Leser ohne ein Mindestmaß an Sachkenntnis nicht aus, will er den Ausführungen folgen. Sich diese Kenntnisse anzueignen gehört, unabhängig vom Gegenstand, aber dazu, wenn man sich kundig machen will.

Fazit und Empfehlung

Der Verlag kündigt das Buch mit dem Versprechen an, dass „Steinfeld Ohren und Augen für die Lebendigkeit der deutschen Sprache öffnet. Wer dieses Buch gelesen hat, wird danach ein bisschen besser schreiben. Und wer behauptet, die deutsche Sprache verflache, offenbart nur, dass er nichts liest.“ Wohl wahr. Und insofern gibt es auch für niemanden eine Ausrede, nicht gleich damit zu beginnen.

Rezension von
Prof. Dr. Michael Buestrich
Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum
Website

Es gibt 35 Rezensionen von Michael Buestrich.

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Zitiervorschlag
Michael Buestrich. Rezension vom 27.10.2010 zu: Thomas Steinfeld: Der Sprachverführer. Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann. Hanser Verlag (München) 2010. ISBN 978-3-446-23416-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10281.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


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