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Sonja Moser: Beteiligt sein. Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen

Rezensiert von Wolfgang Witte, 19.10.2011

Cover Sonja Moser: Beteiligt sein. Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen ISBN 978-3-531-16853-1

Sonja Moser: Beteiligt sein. Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2010. 355 Seiten. ISBN 978-3-531-16853-1. 49,95 EUR.

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Autorin

Dr. Sonja Moser hat in verschiedenen Funktionen, zuletzt als Mitarbeiterin des Stadtjugendamtes München, partizipative Projekte mit Kindern und Jugendlichen entwickelt und durchgeführt. (Verlagsinformation)

Entstehungshintergrund

„Schon wieder ’Partizipation’!“. So beginnt das Vorwort von Prof. Dr. Heiner Keupp, Doktorvater der als Dissertation entstandenen Arbeit von Sonja Moser. Partizipation ist wohlfeiles Schlagwort und Bestandteil beinahe jedes pädagogischen Konzeptes der Kinder- und Jugendarbeit, oft ohne hinreichende Klärung dessen, was eigentlich gemeint ist und was bewirkt werden soll. Es bleibt offen, wie Kinder und Jugendliche selbst solche Projekte wahrnehmen und was sie selbst unter Partizipation verstehen. Diesen Mangel hat Sonja Moser, die als Mitarbeiterin des Stadtjugendamtes München zahlreiche Partizipationsprojekte fachlich begleitet hat, zum Anlass ihrer Dissertation genommen.

Aufbau und Inhalt

Den Kern der Arbeit von Sonja Moser bilden Befragungen von Jugendlichen zu ihrer Lebenswelt, zu ihrem ehrenamtlichen und freiwilligen Engagement und zur ihrer Mitwirkung in Partizipationsprojekten mit Methoden der qualitativen Sozialforschung. Zuvor, auf den ersten ca. einhundert Seiten ihrer Arbeit, führt die Autorin die begrifflichen Grundlagen ihrer Untersuchungen aus. Im Kapitel „Die Jugendlichen“ werden die Schwierigkeiten ausgeleuchtet, die mit einer Definition der Jugendphase verbunden sind. Dabei bezieht sich Sonja Moser auf die geläufige Jugendsoziologie und referiert ausgewählte Ergebnisse der Jugendforschung. Deutlich werden die Probleme, „Jugend“ in der historischen und gegenwärtigen Vielfalt als homogene Kategorie zu verwenden. Entsprechend verfolgt sie einen theoretisch und wissenschaftlich reflektierten Alltagsbegriff von Jugend, der sich weitgehend am Lebensalter festmacht.

In einem weiteren Kapitel befasst sich Sonja Moser mit Grundlagen des zentralen Begriffes „Partzipation“. Nach ihrer Definition bedeutet Partizipation „die bewusste Mitwirkung an Entscheidungen, die das eigene Leben und das der Gemeinschaft betreffen“ (S. 71) und „dass die BürgerInnen, als freie und gleichberechtigte Subjekte, das Recht und die Zugänge haben, das Gemeinwesen aktiv mitzugestalten, indem sie an öffentlichen Diskussionsprozessen und Entscheidungen in Politik, Staat und Gesellschaft und deren Institutionen … mitwirken„(S. 73). Diesen Begriff setzt sie ins Verhältnis zu benachbarten Begriffen wie „bürgerschaftliches Engagement“, „Ehrenamt“ und „Peer-Education“ sowie zu „Mitsprache, Mitbestimmung, Mitwirkung, Teilhabe, Teilnahme, Beteiligung, Mitgestaltung, Mitentscheidung und Einbeziehung (S.73). Bezogen auf Kinder und Jugendlichen verbindet die Autorin das politische Recht auf Partizipation einerseits mit der Notwendigkeit pädagogischer begleiteter Lernprozesse und andererseits mit der Forderung, Formen kinder- und jugendgemäßer Interessenartikulation, u.a. in subkulturellen Lebenswelten, zu berücksichtigen (S. 75). Eine zentrale Frage besteht in der Bewertung der mit Partizipationsvorstellungen verbundenen Interessen. Sonja Moser kritisiert hier die Funktionalisierung von Kindern und Jugendlichen durch die herrschende Politik: „Sie werden Objekte einer paternalistischen Politik, die sie zwar zur Partizipation ermuntert, aber keine Macht abgeben will.“ (S. 89) Einem ähnlichen Konflikt müssen sich Pädagogen/innen stellen: „In pädagogischen Prozessen schließt man Kinder und Jugendliche somit erst von der Macht aus, um sie dann nach und nach einzubeziehen“ (S. 90). Für die Lösung dieses Dilemmas setzt die Autorin auf Aushandlungsprozesse, durch die „Kinder und Jugendliche lernen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und damit auch ernst genommen zu werden“ (S. 91) und in denen sie notwendige Kompetenzen erwerben. Die Jugendhilfe, insbesondere die Jugendarbeit, hat hierfür eine besondere Bedeutung, muss sich aber auch mit den besonderen, diesem pädagogischen Feld eigenen Machtstrukturen auseinandersetzen. In einem Vorgriff auf die später beschriebene und ausgewertete Befragung von Jugendlichen zitiert die Autorin Äußerungen von Jugendlichen zum Begriff „Partizipation“. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass es sich um einen Terminus der politisch-pädagogischen Sphäre handelt, mit dem junge Menschen wenig anfangen können, wenn sie ihn denn nicht durch entsprechende Teilnahme an einschlägigen Projekten bzw. als Studenten/innen kennen gelernt haben.

Der zentrale Teil der Arbeit geht mit qualitativer Forschung der Frage nach, wie sich Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen darstellt. Sonja Moser hat hierfür Interviews mit 16 Jugendlichen geführt, die sie über ihre eigene pädagogische Arbeit in Projekten der Münchener Jugendarbeit und über kollegiale Fachzusammenhänge kennengelernt hat. Das Ziel, hierbei eine repräsentative soziale Zusammensetzung zu erreichen, konnte allerdings nicht erreicht werden, weil sich Jugendliche aus Migrantenfamilien nicht für Interviews gewinnen ließen. Dagegen besuchen acht Interviewte Gymnasien oder studieren. Für ihr methodisches Vorgehen bemühte sich die Autorin darum, ihre Fragestellungen an den Vorstellungen der Jugendlichen zu orientieren, wofür sie Vorgespräche mit Jugendlichen, die ihr aus Projekten bekannt waren, nutzte. Mit der Methode des „Zirkulären Dekonstruierens“ (Jaeggi/ Faas/Mruck) analysiert und systematisiert sie die geführten Interviews und verdichtet sie zu zentralen Kategorien.

Die so gewonnenen Kategorien und Aussagen der Jugendlichen – „Blick der Jugendlichen“ – werden mit anderen, bereits vorliegenden Forschungsergebnissen verbunden. Auf dieser Grundlage zeichnet Sonja Moser ein Bild der „Partizipation von Jugendlichen in der Praxis“ (Kapitel 8). Sie stellt u.a. fest, dass

  • Jugendliche sich in ihren Umfeld und für bestimmte Anliegen engagieren, allerdings kaum im Rahmen etablierter Politikstrukturen,
  • die Bereitschaft zur Partizipation von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie der sozialen Herkunft, finanziellen Ressourcen oder Bildungshintergrund geprägt ist,
  • die Möglichkeit der Partizipation von Jugendlichen von institutionellen Kontexten abhängig ist. Dieser Rahmen ist für Ministrantinnen und im Fußballverein anders als in der Schule, in selbstorganisierten Projekten, in Jugendtreffs oder in virtuellen Netzwerken.
  • die jeweils konkreten individuellen Voraussetzungen wie die Bereitschaft, sich auf neue Ideen einzulassen, im Team arbeiten zu wollen, Frustrationen zu bewältigen, die Teilnahme an Partizipationsprojekten fördern. Engagement soll Spaß machen und lösbare Herausforderungen beinhalten, Anerkennung bieten, das Schließen von Kontakten und das Knüpfen von Freundschaften ermöglichen. Veränderungen und die Wirkung von Hilfsangeboten sollen erlebbar sein.
  • die biographische Situation von Jugendlichen beinhaltet, dass sie stärker als Erwachsene auf Unterstützung und Sicherheit durch ihre Familie angewiesen sind und durchaus Verständnis für Grenzsetzungen aufbringen.

Aus ihren Befragungen entnimmt die Autorin eine vergleichsweise hohe Bereitschaft der Jugendlichen, sich sozial zu engagieren.

Zum Gelingen von Partizipationsprojekten trägt die Bestimmung von Zielen und Qualitätsstandards bei. Professionelle Erwachsene können u.a. bei dieser Systematisierung unterstützen, sie sind aber gefordert, ihre Rolle zu reflektieren um Manipulation und Bevormundung zu vermeiden. Als hemmende Faktoren identifiziert der Autorin weiter bürokratische Strukturen, fehlende Information und Kommunikation, geringes Zutrauen in die Fähigkeiten der Jugendlichen, das Ausbremsen von Ideen der Jugendlichen, Überforderung durch zuviel Verantwortung. Als förderlich benennt Sonja Moser gute Gruppen- und Teamqualitäten mit unterschiedlichen Kompetenzen, unterstützende Professionelle und eine verlässliche Rahmenbedingungen wie einen festen Ort.

Im folgenden Kapitel werden als „Handlungsfelder der Partizipation“ Bereiche der Lebenswelt von Jugendlichen (Peergroup, Wohnumfeld, Medien, Familie, Schule) vorgestellt und auf ihr Partizipationspotential befragt. Auch hier werden empirische Ergebnisse aus anderen Quellen mit eigenen Befragungen der Autorin verbunden.

Ein eigenes Kapitel widmet Sonja Moser dem Handlungsfeld offene Jugendarbeit, dem sie für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen besondere Bedeutung zumisst. Mit Bezug auf Sturzenhecker beklagt sie allerdings die zu geringe praktische Bedeutung des Partizipationsgebotes in der Jugendarbeit, dem Betreuungsformen, schulnahe Angebote und Dienstleistungsorientierung entgegenstehen. Die Darstellung der Geschichte der offenen Jugendarbeit (allerdings ohne Berücksichtigung der Jugendarbeit der DDR) greift bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die Autorin kritisiert im Hinblick auf die Partizipationsaufgabe der Jugendarbeit die in den achtziger Jahren ausgeprägte Verschiebung zu sozialer Integration und Prävention, die zu einer Fokussierung auf Problemgruppen geführt habe. Eine Münchner Evaluation der Jugendfreizeitstätten, an der die Autorin beteiligt war und die sie ausführlich referiert, untersuchte gemeinsam mit jugendlichen Besucher/innen und Nicht-Besucher/innen die Attraktivität dieser Einrichtungen. Deutlich wird, dass offene Jugendarbeit umso attraktiver ist, je mehr reale Mitwirkungs- und Selbstorganisationsmöglichkeiten die Jugendlichen haben. Folgerichtig plädiert die Autorin dafür Partizipation als Qualitätsmerkmal besser zu verankern.

Zusammenfassend formuliert Sonja Moser 20 „Prüfsteine für Partizipation“, die als Indikatoren für gelingende Partizipation von Kindern und Jugendlichen gelten können.

Diskussion

Sonja Moser hat sich dem anspruchsvollen Vorhaben gestellt, das vielschichtige und unübersichtliche Feld der Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu systematisieren und durch die Erforschung von Wirkungen Maßstäbe für pädagogisches Handeln, das diese Partizipation fördert, zu gewinnen.

Der Versuch, der Vielschichtigkeit von Partizipationsansätzen, Begründungszusammenhängen und Interessenlagen gerecht zu werden, führt in der vorliegenden Arbeit dazu, dass diese Vielfalt umfangreich referiert wird, ohne dass Stringenz und roter Faden durchgehend erkennbar bleiben. Die eigene empirische Forschung gibt zwar zahlreiche zusätzliche Hinweise, ist aber nicht repräsentativ. Vor allem fehlen Perspektiven von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus unterprivilegierten Schichten. Für diese ist schon der Begriff „Partizipation“ fremd und unverständlich. Die Zusammenführung von Ausschnitten eigener Interviews mit anderen Forschungsergebnissen ist häufig irritierend, weil unklar bleiben muss, wie typisch die Aussagen dieser Jugendlichen sind. Es ehrt die Autorin, dass sie auf den begrenzten Wert ihrer eigenen Forschungsergebnisse hinweist. Der praktische Horizont der Arbeit beschränkt sich weitgehend auf Jugendarbeit im Sinne von offener Jugendarbeit. Dies blendet aber wesentliche Bereiche aus, insbesondere den der Jugendverbände. Auch Jugendbildungsstätten, kulturelle Jugendarbeit oder Beteiligung im Kindesalter bleiben außen vor. Ebenso die Beteiligung und Selbstorganisation von jungen Menschen außerhalb der Jugendarbeit.

Andererseits macht das Bestreben, alle denkbaren Zugänge und Begründungszusammenhänge zu berücksichtigen, die Arbeit zu einer Art Nachschlagewerk, das interessierte Professionelle für die eigene Konzeptionsentwicklung nutzen können. Für Fachkräfte der Jugendarbeit bieten besonders die Teile, die sich mit den eigenen Projekten der Autorin befassen – dem Peerprojekt Infofon und der Evalution der Münchener Jugendfreizeitstätten – interessante Anregungen. Dies gilt auch für die zusammengefassten Partizipationsprüfsteine.

Fazit

Das Buch „Beteiligt sein – Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen“ von Sonja Moser bietet einen weit reichenden Überblick über aktuelle Begründungszusammenhänge für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen, insbesondere Anregungen für die Vertiefung von Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von offener Jugendarbeit. Dem Anspruch, auf der Grundlage eigener empirischer Forschung die vielfältigen und oft unübersichtlichen Begründungszusammenhänge und Interessen im Zusammenhang mit dem Begriff „Partizipation“ zu systematisieren und zu bewerten, wird die Arbeit dagegen nur in Teilen gerecht.

Rezension von
Wolfgang Witte
Pädagoge M.A., Supervisor und Coach (DGSv/SG)
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Es gibt 10 Rezensionen von Wolfgang Witte.

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ISSN 2190-9245