Jens-Rainer Ahrens, Maja Apelt et al. (Hrsg.): Frauen im Militär
Rezensiert von Dr. Karl-H. Richstein, 22.12.2010
Jens-Rainer Ahrens, Maja Apelt, Christiane Bender (Hrsg.): Frauen im Militär. Empirische Befunde und Perspektiven zur Integration von Frauen in die Streitkräfte. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2005. 268 Seiten. ISBN 978-3-8100-4136-4. 24,90 EUR.
Thema
Die Integration von Frauen in den bewaffneten Dienst wird von einer gespannten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit begleitet, die sich nicht nur vor dem Hintergrund einer veränderten Weltlage mit bewaffneten Konflikten neuer Charakteristik interessiert, sondern auch im Blick auf veränderte Anforderungen an Wehrpflicht und Freiwilligendienste. Mit der Öffnung der männerdominierten Institutionen Militär und Polizei wird die Identität von Wehrhaftigkeit und Männlichkeit in Frage gestellt. Dies bedeutet einschneidende Veränderungen für Organisationskultur, institutionellem Apparat sowie für Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster aller Beteiligten.
Entstehungshintergrund und Aufbau
Der vorgelegte Band soll einen Einblick in den aktuellen Stand der Genderdiskussion in männlich geprägten Institutionen geben und präsentiert dazu Beiträge der Tagung „Geschlecht und Militär im Wandel“, die an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg im März 2003 stattgefunden hat, in überarbeiteter und aktualisierter Fassung.
Der Band ist in drei Hauptteile gegliedert: Der erste Abschnitt stellt „aktuelle Studien zur Integration von Frauen in die Bundeswehr“ (32-133) zusammen, ein zweiter Teil „Geschlechterverhältnisse in männlich geprägten Institutionen“ (134-193) erweitert den Blick auf Polizei und Wirtschaftsinstitutionen und arbeitet auf einer übergeordneten Ebene Genderkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse auf symbolischem, politischem und rechtlichem Niveau heraus; der dritte Abschnitt unter dem Titel „Geschlechterverhältnisse, Militär und Krieg“ bietet vornehmlich verallgemeinerungsfähige Einblicke in Struktur und Funktionen von Genderordnungen.
Inhalte
Im ersten Beitrag „Verzögerte Anpassung und radikaler Wandel. Zum parlamentarischen Diskurs über Frauen in den Streitkräften seit Gründung der Bundeswehr“ (32-44) rekonstruiert der SPD-Politiker und Soziologieprofessor Jens-Rainer Ahrens Abschnitte deutscher Nachkriegsgeschichte, indem er mit Hilfe von Parlamentarier-Stellungnahmen deutlich macht, wie sich „unsere Auffassung von der Natur und der Bestimmung der Frau“, die „einen Dienst mit der Waffe verbietet“ (41) zur Forderung, „Geschlechterrollen aufzubrechen, um das Bild des Mannes als Krieger und Beschützer … endgültig zu verdrängen“ (42) gewandelt hat.
Im Beitrag „Geschlechterstereotypen und Militär im Wandel“ (45-61) wird von Christine Bender (Professorin für Soziologie an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg) gezeigt, dass in der Bundesrepublik als „klassisch-korporatistisches Wohlfahrtsregime“ (9) die kulturelle Norm der genderspezifischen Arbeitsteilung im Hausfrauen-Familienernährer-Modell institutionalisiert wurde. Dabei sieht sie das klassische Soldatenethos durch eine Kombination von technischer Perfektion und juristischer Kontrolle zwar abgeschwächt, aber dennoch fortgeschrieben (58).
Gerhard Kümmel, Wissenschaftsdirektor des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Bundeswehr, stellt in seinem Beitrag „Backlash am Horizont? Die Bundeswehr und die Integration von Frauen im Praxistest“ (62-78) erste Ergebnisse aus der Begleitforschung seines Institutes zu Öffnung der deutschen Streitkräfte für Frauen vor. Aus Kümmels Sicht wird die herausragend hohe Motivation von Soldatinnen auf die Öffnung hin (67) alleine nicht ausreichen, um sie auf eine dauerhafte Berufstätigkeit im Militär zu gewinnen, dazu braucht es - vergleichbar zu anderen Arbeitsverhältnissen - erhöhter Anstrengungen, nicht zuletzt in Gender-Mainstreaming-Programmen sowie Bemühungen, Beruf und Familie miteinander verbinden zu können (73).
Im Beitrag von Oberstleutnant und Dipl.Päd. Jörg Keller (79-107) mit dem Titel „Soldat und Soldatin - Die Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit am Beispiel von Printmedien der Bundeswehr“ finden sich eindrucksvolle Belege für Geschlechterstereotypen, die sich gerade dort manifestieren, wo sie eigentlich überwunden geglaubt werden. Keller präsentiert Bildmaterial, das in der offenkundigen Absicht publiziert wurde, gelungene Beispiele selbstverständlich gewordener Akzeptanz von Soldatinnen in alltäglicher Berufsausübung zu geben (100-103). Die genaue Interpretation offenbart jedoch bald, dass Männlichkeitskonstruktionen mit Professionalität und Seriosität, die Konstruktion von Weiblichkeit nach wie vor mit geschlechterstereotypen Eigenschaften von Anmut und Charme etc. einher geht (93, 106). „Die beabsichtigte leitmotivische Selbstdarstellung gelungener Integration der Frauen belegt das [genaue] Gegenteil, nämlich die Tradierung geschlechtsspezifischer Denk- und Wahrnehmungsmuster.“ (9)
Maja Appelt, Cordula Dittmer und Anne Mangold (seiner Zeit alle drei wissenschaftl. Mitarbeiterinnen des DFG-Forschungsprojekts „Geschlecht und Organisation am Beispiel der Bundeswehr“) wenden sich in ihrem Beitrag „Die Bundeswehr auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter?“ (108-133) dem zeitlichen Missverhältnis zu, dass einerseits die Öffnung des bewaffneten Dienstes für Frauen in kürzester Zeit vollzogen wurde, andererseits die Formulierung des Gleichstellungsgesetzes für Soldatinnen und Soldaten nur sehr zögerlich umgesetzt wurde. Dieses Gesetz erscheint ihnen überhaupt nur vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils aus dem Jahre 2000 adäquat eingeordnet zu sein, infolge dessen „mit einer wirklichen Gleichstellung … [nicht] gerechnet werden kann“ (127).
Der zweite Abschnitt wird von Birgit Riegraf (seit 2009 Professorin für Allgemeine Soziologie an der Universität Paderborn) und ihrem Beitrag „´Frauenbereiche´ und ´Männerbereiche´: Die Konstruktion von Geschlechterdifferenzen in der Arbeits- und Berufswelt“ (134-155) eingeleitet. Sie zeigt, dass die „Optionen von Frauen zwar vielfältiger geworden sind, dass sich aber die Reproduktionsmechanismen der Geschlechterungleichheit keineswegs verflüchtigt haben“ und über „kontextspezifische Zuweisungsprozesse … nach wie vor als Selektions- und Segregationsfaktor[en]“ (10) wirken. Neben quantitativ orientierten Quotenregelungen reklamiert Riegraf eine qualitative Konzeptionen von organisationalen Kontexten und die Weiterentwicklung des Modells der lernenden Organisation in genderspezifischer Hinsicht.
Im Kanon der Institutionen staatlichen Gewaltmonopols spielt die Polizei eine zentrale Rolle. Ebenfalls männerdominiert hat sie sich bereits einige Jahre früher für Frauen geöffnet als die Bundeswehr. Sylvia Wilz (Professorin für Organisationssoziologie und qualitative Methoden, FernIniversität Hagen) hat den Öffnungsprozess mit eigenen Untersuchungen begleitet und veranschaulicht diese im Beitrag „´Nicht genügend kann davor gewarnt werden …´ - Männer und Frauen bei der Polizei. Fakten und Diskurse“ (156-172). Trotz auch für sie erkennbarer horizontaler wie vertikaler Segregationsprozesse (161-164) zeigen ihre Ergebnisse divergierende Wahrnehmungsmuster des Geschlechterdiskurses und erlauben keine Eindeutigkeiten hinsichtlich systematischer Ungleichbehandlung (170).
Sylka Scholz (Privatdozentin am Soziologischen Institut der TU Dresden) beschreitet den umgekehrten Weg und wendet sich in ihrem Beitrag “Wehrdienst und die Konstruktion männlicher Identität“ (173-193) zunächst dem Konstruktionsprozess in der ehemaligen DDR zu. Ausgangspunkt ihrer Thesen sind biografische Interviews mit DDR-Bürgern der Jahrgänge zwischen 1950 und 1960, die in der NVA ihren Wehrdienst abgeleistet haben. In einem zweiten Schritt diskutiert die Autorin die Frage, ob auch die Bundeswehr (noch?) Kriterien zur Männlichkeitskonstruktion liefert. Dagegen sprechen „Demilitarisierung der Bundeswehr“ und Relativierung der Wehrpflicht (186), dafür könnten Konstruktionen von Beschützer- und Kämferrolle reklamiert (187f) werden.
Die beiden Beiträge von Uta Klein (Professorin am Institut für Sozialwissenschaften) und Christine Eifler (Lehrbeauftragte am Zentrum für Gender Studies, Bremen) wenden sich ausländischen Streitkräften zu und eröffnen damit den dritten Abschnitt „Geschlechterverhältnisse, Militär und Krieg“ (194-265) der Gesamtpublikation. Anhand der Armeen Israels und Russlands wird verdeutlicht, dass die Genderverhältnisse in den Streitkräften in engstem Zusammenhang mit Geschlechterrelationen der jeweiligen Gesellschaften zu sehen sind. Israel bietet durch seine (neben China) weltweit einzigartige Wehrpflicht für Frauen eine besondere Ausgangssituation für Genderstudien in der Armee und offenbart u.a. dadurch, dass Segregation durch religiös-weltanschauliche und politische Fragen ebenso häufig geschieht wie aus geschlechtsspezifischen Gründen. Dennoch schließt der Aufsatz von Uta Klein „Wehrpflicht von Frauen: Erfahrungen mit Militär und Geschlecht in Israel“ (194-212) mit dem Fazit, „dass durch die Teilnahme von Frauen am Militär nicht zwangsläufig die Geschlechterdichotomie außer Kraft gesetzt ist“ (209). Wenn auch ohne Verpflichtungscharakter, so hat Russland ebenso eine lange Tradition der Beteiligung von Soldatinnen an Krieg und Armee - insbes. im zweiten Weltkrieg waren Frauen in großer Zahl im militärischen Einsatz. Wenn heute an diese Tradition der Soldatinnen angeknüpft wird, so zeigt Christine Eifler in ihrem Beitrag „Soldatinnen in Russland“ (213-229), dann geschieht dies vor dem Hintergrund materiell desolater Ausstattung und dem Niedergang soldatischer Moral insbes. aus den Erfahrungen im Tschetschenienkrieg der 1990er Jahre.
Ruth Seifert (Professorin für Soziologie an der FH Regensburg) ordnet in ihrem Beitrag „Weibliche Soldaten: Die Grenzen des Geschlechts und die Grenzen der Nation“ (230-241) die Segregation (horizontal wie vertikal) in einen übergreifenden Zusammenhang ein: Die Konstruktion des schutzbedürftigen weiblichen Körpers als Chiffre für die Unversehrtheit des nationalen Körpers dient als unbewusste Verteidigungsmotivation aufgrund traditioneller Geschlechterrollenzuschreibungen. Insofern würden weibliche Soldaten selbstverständlich als Schwächung männlicher Kameradschaft („male bonding“) und damit der Kampfkraft angesehen. Ein auf physische Überlegenheit ausgelegtes System könne schutzbedürftige MitstreiterInnen nicht integrieren ohne selbst an Wehrhaftigkeit einzubüßen (236). Seifert führt abschließend verschiedenste Gründe gegen das „Schutz-“ und das „Unvereinbarkeitsargument“ ins Feld: Simple Angleichungsforderungen für weibliche Soldaten an männliche werde langfristig statistischen und soziologischen Gegenpositionen nicht standhalten, eine genderneutrale Organisationsstruktur biete dagegen dauerhaft wirksamere Führungsstrategien und nachhaltigere Reformprozesse (239f).
Ein abschließender Beitrag von Regina Mühlhäuser (Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung) mit dem Titel „Sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen: eine Herausforderung für die internationale Strafgerichtsbarkeit“ (242-264) beschäftigt sich mit der Entwicklung völkerrechtlicher Ahndung sexueller Gewalt unterschiedlichster Formen in bewaffneten Auseinandersetzungen. Trotz einer positiven Beurteilung der Entwicklung juristischer Rahmenbedingungen, insbes. der Instrumentarien des Internationalen Gerichtshofes (255f) bleiben für sie Zweifel, „dass die Integration von Frauen in die Streitkräfte eine positive Wirkung auf die Reduktion sexueller Gewalt habe“ (12).
Diskussion
Der Band bietet eine Fülle von Einblicken und Argumentationsangeboten. Ein Blick auf die Publizierenden zeigt: Von vierzehn AutorInnen veröffentlichen im vorgelegten Aufsatzkanon drei Männer (das sind ein Fünftel). Es besteht die Gefahr, dass die Genderforschung als ´Frauenbereich´ ausgewiesen wird. Bisweilen entsteht zwischen den Zeilen der Eindruck, dass darin die Genderforschung klassische Geschlechterrollenbilder durchaus selbst reproduziert. Wenn „vertikale geschlechtsspezifische Segregation“ die ungleiche Verteilung in der Hierarchie meint, würde sich auch eine Analogie zur horizontalen Segregation („also eine Verteilung von Männern und Frauen auf typische Bereiche von Männer- und Frauenarbeit“, 162f) erkennen lassen: Nur ein Autor ist Soldat - Soldatinnen kommen nur in Studien zu Wort. Strukturelle Anmerkungen, die - kritisch gesehen - das genaue „Gegenteil der Forschungshypothesen, nämlich die Tradierung geschlechtsspezifischer Denk- und Wahrnehmungsmuster“ (9), auf einer Metaebene beschreiben.
Der nachvollziehbar angelegte Bogen von der Innenperspektive der Bundeswehr hinaus auf allgemein männlich geprägte Institutionen kann in diesem Verallgemeinerungsanspruch nicht durchgehalten werden. Zu nah erscheinen hier Strukturen in Armee und Polizei, dem nur ein einziger Artikel (Riegraf) eine erste Ergänzung hinzufügt.
Zu diesen überblickshaften Überlegungen bieten sich viele weitere Einzeldiskurse, die hier nur in Auswahl angesprochen werden können. Die Erweiterung der Perspektive auf Armeen mit langjähriger Frauenerfahrung bietet wesentliche Erkenntnisse. Den Zionismus als „Diskurs über Männlichkeit“ (199) zu apostrophieren, mag den Bogen etwas überspannen. Es scheint dagegen sowohl realistische als auch enttäuschende Erfahrung, dass „trotz [jahrzehntelanger] … Wehrpflicht von (jüdischen) Frauen … der israelische kämpfende Soldat [weiterhin] als Prototyp hegemonialer Männlichkeit konstruiert“ wird (209).
Der differenzierte Blick von Sylvia Wilz auf die Integration von Frauen in die Polizei bietet den gleichzeitig am besten verallgemeinerbaren Zugang. Mit der zentralen Diskussion um „Gleichheits-“ oder „Differenzansatz“ wird ein - auch für die praktische Begleitung in Genderfragen - neues Professionalisierungsniveau erreicht. Nicht der Wettbewerb um das durchsetzungsfähigere Modell, sondern die Erkenntnis, dass „Gleichzeitigkeit von Egalität und Differenz“ (169) herrscht und deren Balance sowohl durch Ertragen der Unvereinbarkeit als auch ausgleichender Vermittlung erreicht werden kann.
Fazit
Der genderinteressierten LeserIn bietet die Zusammenstellung der Aufsätze eine Fülle von Perspektiven und Studienansätzen. Die Publikation wird durch die Ergänzung von einer übersichtlichen Einleitung, umfangreichen Literaturlisten zu jedem Aufsatz und ausführlichen Vorstellungen der einzelnen AutorInnen zu einem sehr guten Studienbuch. Neulinge im Genderthema mutet es nicht nur Konfrontationen zu, sondern bietet ebenso gelungene Hinführungen zu den jeweiligen Fragestellungen und motivierende Anstöße zur weiteren Auseinandersetzung.
Rezension von
Dr. Karl-H. Richstein
MA (MSO), Paar- & Familientherapeut(EKFuL), Mediation(BMev) &
Supervison(DGSv), Krisenintervention(ICISF)
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Zitiervorschlag
Karl-H. Richstein. Rezension vom 22.12.2010 zu:
Jens-Rainer Ahrens, Maja Apelt, Christiane Bender (Hrsg.): Frauen im Militär. Empirische Befunde und Perspektiven zur Integration von Frauen in die Streitkräfte. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2005.
ISBN 978-3-8100-4136-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10361.php, Datum des Zugriffs 13.01.2025.
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