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Frank Schulze: Humor als regulative Idee politischer Bildung

Rezensiert von Prof. (em) Dr. Herbert Effinger, 11.08.2011

Cover Frank Schulze: Humor als regulative Idee politischer Bildung ISBN 978-3-89974-629-7

Frank Schulze: Humor als regulative Idee politischer Bildung. Der Beitrag des "Großen Humors" zur Orientierung kritisch-rational. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2010. 430 Seiten. ISBN 978-3-89974-629-7. 42,80 EUR.

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Thema

Humor als regulatives Konzept für die Gestaltung professioneller Lehr-Lernverhältnisse in der politischen Erwachsenenbildung

Autor

Der Autor ist Lehrbeauftragter im Bereich Politischer Erwachsenenbildung am Lehrstuhl für Andragogik-Erwachsenenbildung/Weiterbildung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er arbeitet als Redakteur beim BW-Verlag und ist zweiter Vorsitzender der Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg

Entstehungshintergrund

Bei dem Buch handelt es sich um eine Dissertation, die 2009 an der Universität Bamberg, Fakultät für Humanwissenschaften angenommen und verteidigt wurde.

Aufbau und Inhalt

Nachdem der Autor in seine Themen- und Fragestellung eingeführt hat, klärt er zunächst ausführlich einige Grundfragen seines Verständnisses von Professionalität in der Erwachsenenbildung und wendet sich dann den zentralen theoretischen Grundlagen seiner Studie zu. Dies sind zunächst die kritisch rationale Theorie Karl Poppers und sein Konzept von „Offener Gesellschaft“ als normativer Grundlage der politischen Bildung. Dieses gesellschaftstheoretische Konzept einer demokratischen Moderne setzt er ins Verhältnis zum dialogischen Prinzip Martin Bubers als regulative Idee politischer Bildungspraxis. Hier geht es um die Gestaltung pädagogischer Beziehungen zwischen den professionellen „Bildnern“ und ihren Adressaten. Als die zentralen Herausforderungen und Aufgaben moderner Professionen in allen pädagogischen, therapeutischen und sozialen Handlungsfeldern markiert er „Spannungsfelder professionellen pädagogischen Handelns“, wie den Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit vor dem Hintergrund von Antinomien, Widersprüchen, Ambivalenzen und Paradoxien bei der Lebensbewältigung und der Bewältigung professioneller Aufgaben. Die dafür erforderlichen Kompetenzen teilt er in drei zentrale Kompetenzanforderungen auf. Da ist zunächst die Relationierungskompetenz als Fähigkeit gesellschaftliche und individuelle Phänomene in unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge zu setzen und damit auch zu deren Relativierung beizutragen. Als zweiten Kompetenzbereich nennt er Resilienz als die Fähigkeit sich gegenüber den unterschiedlichsten, widersprüchlichen Anforderungen selbst behaupten zu können und schließlich die Interaktionskompetenz als Fähigkeit sich trotz dieser Widersprüchlichkeiten und eines „doppelten Mandats“ von Klient und Gesellschaft in eine vertrauensvolle, professionelle Beziehung zu begeben, die sowohl Fürsorge, Anerkennung und grundsätzliche personale Wertschätzung als auch wertschätzende Kritik erlaubt. Diese Kompetenz-Trias fasst er als „reflexive erwachsenenpädagogische Professionalität“ zusammen.

Anschließend entwickelt er nun sein Verständnis vom „Großen Humor“ als regulativer Idee eines kritisch-rational und dialogisch fundierten Professionsverständnisses. Hier bezieht er sich insbesondere auf das Humorkonzept des dänischen Autors Harald Höffding, welches bereits 1918 in Deutschland veröffentlicht wurde. Dieses Humorverständnis bezeichnet er selbst als ein enges, da es sich im Wesentlichen durch eine positive Haltung sich selbst und seiner Umwelt gegenüber auszeichnet. Mit dieser Humordefinition grenzt er sich deutlich von einem weiten Humorverständnis ab, in denen beispielsweise auch Ironie, Sarkasmus und Spott als Lachen über andere, als Bestandteile des Humors gesehen werden. Seine Abgrenzung basiert auf einer Unterscheidung zwischen den positiven Eigenschaften des „Großen Humors“ und negativen, menschenfeindlichen Eigenschaften oder Handlungsmustern. Insofern handelt es sich hier um ein durchaus normatives Regulationskonzept mit dem sich der Autor insbesondere von systemisch-konstruktivistischen Konzepten versucht abzugrenzen.

Schließlich unterfüttert und illustriert er sein Humorverständnis mit Experteninterviews zur Bedeutung von Humor in der politischen Erwachsenenbildung. Experten sind für ihn in diesem Sinne sowohl Professionelle aus Wissenschaft und Praxis als auch TeilnehmerInnen der Erwachsenbildung. Hier geht es auch um die Frage, ob Humor lehr- und lernbar ist. Dies wird von dem Autor bejaht und er nennt dafür Voraussetzungen, welche er in „Hintergrund“ und „Grundlage“ unterscheidet. Mit „Hintergrund“ meint er „intellektuell-objektive“ Voraussetzungen, wie das Wissen über die Funktionen und Wirkungen des Humors in verschiedensten Kontexten. Mit „Grundlage“ spricht er „emotional-subjektive“ Voraussetzungen an, wie die Fähigkeit zur Sympathie und Selbstbehauptung. Vor diesem Hintergrund wird ein humorvoller Mensch als ein Mensch beschrieben, der seine Lebenskraft und Professionalität aus der Anerkennung des imperfekten und widersprüchlichen Lebens zieht, ein Mensch dem daher Dogmatismus und Fanatismus fremd sind.

Diskussion

Bei der Studie handelt es sich um eine äußerst lesenswerte, detailreiche und mit vielen gut recherchierten Quellen angereicherte Arbeit. Das vom Autor entwickelte Professionsverständnis trifft nach Auffassung des Rezensenten präzise die Herausforderungen moderner Dienstleistungsprofessionen. Er verknüpft hier in kreativer Form gesellschaftstheoretische und pädagogisch-philosophische Konstruktionen mit den Möglichkeiten eines positiv verstandenen Humors, als einer zutiefst menschenfreundlichen Haltung sich selbst und anderen gegenüber. Die intelligente Verknüpfung der liberalen Gesellschaftstheorie Poppers mit der humanistischen Beziehungsphilosophie Bubers einerseits mit den Potentialen eines humanistischen Humorverständnisses zu einer Regulations- und Professionstheorie verdient Beachtung und ein Aufgreifen auch für andere Handlungsfelder und in anderen Professionen, insbesondere auch der Sozialen Arbeit.

Nicht ganz nachvollziehbar und nicht so überzeugend erscheint mir dagegen die Abgrenzung zum Konstruktivismus und seine Unterscheidung zwischen relationieren und relativieren sowie die zwischen gutem und schlechtem Humor. Dies mag an der starken normativen Ausrichtung seiner theoretischen Bezugspunkte liegen. Unterscheidungen in guten oder schlechten Humor lassen sich zwar analytisch und vielleicht noch intentional machen. Kommunikationstheoretisch und vor allem praktisch, mit Blick auf die beim Empfänger ankommende Wirkung einer mehr oder weniger humorvollen Intervention, lässt sich eine solche Unterscheidung leider nicht aufrechterhalten; denn über die Bedeutung einer Kommunikation entscheidet bekanntermaßen nicht der Sender, sondern der Empfänger. Ganz im Gegensatz zum eigenen Verständnis des und dem Toleranzgebot des „Großen Humors“ zeigt sich mir dann zwischen den Zeilen manchmal ein gewisses Sendungsbewusstsein und eine Überhöhung des kritischen Rationalismus gegenüber anderen, mit diesem normativen Konzept scheinbar wenig kompatiblen Gedanken, insbesondere konstruktivistischer Herkunft wie beispielsweise bei Siebert.

Fazit

Dieses Buch ist absolut lesenswert und anregend für alle, die sich mit Fragen der Kompetenzbildung und Professionalität in pädagogischen, sozialen und beratenden Handlungsfeldern befassen. Sein Verdienst besteht vor allem darin, gesellschaftstheoretische und pädagogische Klassiker mit einer gründlichen Aufarbeitung der Literatur zum Humor und den darin verborgenden Möglichkeiten zur Gestaltung liberaler, offener und demokratischer Gesellschaften einerseits und der Gestaltung professioneller (Hilfe)beziehungen andererseits verknüpft zu haben.

Rezension von
Prof. (em) Dr. Herbert Effinger
Diplomsozialpädagoge (DBSH, Supervisor (DGSv), Case Management Ausbilder (DGCC), Professor für Sozialarbeitswissenschaft/Sozialpädagogik an der Evangelischen Hochschule Dresden
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Es gibt 25 Rezensionen von Herbert Effinger.

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ISSN 2190-9245