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Claudia Fiedler, Ilse Goldschmidt: Burn out

Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 06.04.2011

Cover Claudia Fiedler, Ilse Goldschmidt: Burn out ISBN 978-3-406-60846-9

Claudia Fiedler, Ilse Goldschmidt: Burn out. Erprobte Wege aus der Falle. Verlag C.H. Beck (München) 2010. 127 Seiten. ISBN 978-3-406-60846-9. 6,80 EUR. CH: 12,90 sFr.
Reihe: Beck kompakt.

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Thema

Wenn man den medialen Katastrophenwarnungen Glauben schenkt, dürfte kaum noch ein Mensch in modernen westlichen Leistungsgesellschaften nicht von Burnout bedroht sein: Das Syndrom hat in der öffentlichen Meinung den Charakter einer Volkskrankheit angenommen, auch wenn dabei die Epidemiologie die Epidemie nicht stützt. So groß wie das medial verkündete Ausmaß der Volkskrankheit ist allerdings der Markt für populärpsychologische Ratgeber, die Abhilfe von derselben versprechen. Die Suche im Verzeichnis lieferbarer Bücher bringt ca. 100 Titel, meist zwischen 20 und 120 Seiten, gelegentlich auch länger. Die Graphiker der Verlage greifen zu Bildern attraktiver Frauen und Männer, die mal grübelnd am Boden sitzen, mal sich entspannt auf Jogamatten oder in Loungelandschaften räkeln und ganz bei sich im Hier und Jetzt scheinen. Die Ratgeber nutzen die Sprachspiele der ökonomisierten Gesundheitsreligion: Das „Antiburnout-Erfolgspramm“ konkurriert mit der „Anti-Burnout-Strategie“, der „Erfolgs-Navigator“ weist den Weg aus der Falle und das „Expresspaket Burnout Premium“, kartoniert, in Kassette (kein Scherz: es kostet EUR 14.80) verschafft sofortige Klarheit über den Stand des eigenen Verfalls. Bereits junge, begabte Menschen werden vor die Alternative „Bachelor statt Burnout“ (UTB!) gestellt, samt Hilfen zum wissenschaftlichen Schreiben und Service-Adressen (hatte der Verteidigungsminister das Buch?). Der Countdown zum „Sieg über Burnout“ beginnt mit „30 Minuten gegen Burn-out“, schon schwerfälliger ist, wer „Burnout besiegen - das 30-Tage-Programm“ benötigt. Wer schließlich bereits zu erschöpft ist, kann doch immerhin „Essen und Trinken gegen Burnout“. Ganz zielgruppenspezifisch gibt es Anti-Burnout-Bücher für Frauen, dann für Lehrer, Sozialarbeiter, Eltern, Dummies, Chefs und Angestellte (by the way - sind das die Männer?) und auch Indigo-Menschen, wer immer das sei, finden dank Aura-Soma ihren Weg aus der Krise. Es wird geatmet, Kraft geschöpft und Energie getankt, was das Zeug hält.

Nun also ein weiterer Ratgeber zu Burnout, der „erprobte Wege aus der Falle“ aufzuzeigen beansprucht. Was ist von den ca. 115 Textseiten dieses Pocket-Taschenbuchs zu erwarten?

Entstehungshintergrund

Die Erstautorin ist Diplom-Sozialpädagogin und nach eigenen Angaben als Trainerin, Beraterin und Dozentin an Hochschulen im Bereich von „Gesundheitspräventionsmaßnahmen“ tätig. Ohne die Qualifikationen der Autorin angreifen zu wollen und auch wenn die Google-Suche zu „Gesundheitsprävention“ 170.000 Treffer bringt, der Begriff ist bizarr und der Rezensent hofft nicht, dass mit dem Buch der Gesundheit der Leser vorgebeugt werden soll. Die Autorin war bereits früher im Thema aktiv: Ein zweiter, vergleichbarer Ratgeber beschäftigt sich mit Stressmanagement. Die Co-Autorin ist Physiotherapeutin, NLP- und Kommunikationstrainerin und Geschäftsführerin einer Beratungsfirma im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Personal- und Organisationsentwicklung. Die Autorinnen nennen ihre Praxiserfahrungen in Beratungs-, Coaching- und Kurstätigkeit explizit als Quelle für dieses Buch.

Aufbau und Inhalt

Das erste Kapitel - „Burnout - ein Modebegriff?“ - führt kurz in die Begriffs- und Entstehungsgeschichte des Burnout-Syndroms ein. Es wird dem Titel leider nicht gerecht, denn eine kritische Diskussion, ob Burnout nun ein Modebegriff ist oder nicht, findet nicht statt. Statt dessen findet sich am Kapitelende bereits eine erste Selbsteinschätzung, die potentiell Betroffenen einen Einblick geben soll, wie weit sie von einem Burnout entfernt sind. Dies scheint keine prinzipielle Frage, sondern nur eine der Distanz zu sein - soviel zur Epidemie.

Das zweite Kapitel fragt „Sind Sie bereits gefährdet oder leiden Sie bereits an einem Burn-out?“. Es beschäftigt sich mit der Selbsteinschätzung der eigenen Burnoutgefährdung, auch hier scheint die Möglichkeit, gesund und munter zu sein, nicht vorgesehen. Statt mit den gängigen Burnoutinventaren wird mit der AVEM-Klassifikation (Schaarschmidt & Fischer 1996) gearbeitet, die Burnout-Typen stützen dabei Klischees eher, als sie zu verstören. Zwei Checklisten dienen der eher unscharfen Selbsteinschätzung und eine Selbstanalyse zu „Energieräubern“ und „Tankstellen“ soll Ressourcen und Stressoren sichtbar machen. Ein Stimmungs- und Befindlichkeitstagebuch erhebt Leistungsfähigkeit, positive Erlebnisse, Stimmung, Beschwerden, Belastungen und Einflussmöglichkeiten darauf.

Das anschließende Kapitel „So erkenne ich ein Burn-out“ beschreibt Symptome, Stadien, Ursachen und Auswirkungen des Burnout-Syndroms. Die Autorinnen unterscheiden körperliche, soziale, Leistungs- und Umweltbelastungen und differenzieren sie auf der kognitiven, emotionalen und vegetativen Ebene. Erschöpfungssymptome werden ebenso beschrieben wie die (hier wahlweise 5) Stadien bis zum Endzustand der „Verzweiflung“. Bei den Ursachen von Burnout individualisieren die Autorinnen, ein „person-in-environment-Modell“ ist nicht erkennbar und das heuristische „Doppelhantelmodell“ berücksichtigt keine betrieblichen oder strukturellen Stressfaktoren. Die Autorinnen stellen bekannte Stressphänomene vor, unterscheiden aber nicht zwischen primärem Stress, Coping-Versuchen und sekundärem Stress (Lazarus 1984). Sie fokussieren bei den Ursachen von Burnout ausschließlich auf personenbezogene Faktoren, besonders auf Verhaltensmuster, persönliche Einstellungen und Glaubenssätze, wie sie aus der RET nach Ellis oder dem NLP bekannt sind. Am Schluss des Kapitels werden die Übergänge von Burnout zur Depression kurz thematisiert, professionelle Hilfen werden leider nur sehr vage angedeutet.

Im nächsten Kapitel „Glaubenssätze prägen unser Leben“ wendet sich das Buch der Selbsthilfe bei Burnoutprozessen zu. Einschränkende und unterstützende Glaubenssätze werden vorgestellt und die Selbstreflexion über diese durch eine Phantasiereise in die eigene Kindheit angeregt. Die eigenen Glaubensätze sollen durch eine Übung verändert werden, deren Wert der Rezensent für Menschen mit nur halbwegs ernsthafter Burnoutproblematik als kaum wirksam erachtet. Selbsthilfe wird hier angesichts der schleichenden Entstehung und bekannter Verleugnungstendenzen in den frühen Stadien von Burnout an ihre Grenzen stoßen.

Die folgenden Kapitel „Nein sagen!“, „Zeitmanagement“, „Persönlicher Jour fixe“, „Selbstwert, Anerkennung und Lob“ sowie „Aktive Pausen“ geben praktische Tipps aus dem großen Fundus von Gesundheitsförderung, Stressbewältigung und Zeitmanagement, sie sind vermutlich hilfreich für Menschen, die gewissen Belastungen ausgesetzt, aber noch voll handlungsfähig sind. Ob sie für Menschen mit ernsthafterer Burnoutproblematik geeignet sind, ist fraglich, nach Ansicht des Rezensenten sind sie eher geeignet, Bewältigungsformen von Burnout zu trivialisieren. Eine Wasser-, süße, Atem- oder Gute-Laune-Pause wird Menschen schon kaum aus der vermehrten Anstrengung im zweiten Burnoutstadium reißen. Die „Humor-ist-wenn-man-trotzdem-lacht“-Empfehlungen wirken reichlich hilflos, wenn man sich die Symptome, gegen die sie wirken sollen, vergegenwärtigt: Freudlosigkeit, mangelnde Initiative, Schuldzuweisungen, innere Kündigung, Aggressionen, dauerhafter Zynismus, Gereiztheit, Konzentrationsstörungen und Insuffizienzgefühle in der dritten Phase werden auch durch „Erfolgsbücher“ oder Stretchingübungen am Arbeitsplatz kaum zu beheben sein, und die NLP-Autosuggestion „das Leben ist einfach wunderbar zu mir“ wirkt vermutlich schon in Vorstadien eher als Katalysator für Zynismus, denn als positive Selbstinstruktion.

Diskussion

Das Buch reiht sich ein in die große Zahl der populärpsychologischen Ratgeber zum Thema Burnout. Es bringt keine innovativen Aspekte zur Selbsthilfe. Die Verhaltenstipps sind vielleicht geeignet für handlungsfähige Menschen, die gemessen an Lazarus‘ Klassifikation von primärem und sekundärem Stress eher unter primären Belastungen mit einem hinreichenden Maß an Coping-Fähigkeiten ausgestattet sind. Für ernsthaft Betroffene sind sie vermutlich wirkungslos oder verleiten möglicherweise zum weiteren Aufschub professioneller Hilfe, da Indikationen für und Formen von professioneller Hilfe nur unzureichend erläutert werden. Eine kleine Formalität: Warum Burn-out gegen den Sprachgebrauch mit Bindestrich geschrieben wird, ist nicht erkennbar und wird nicht deutlich gemacht. Burisch (2006) bezeichnet die Ratgeberliteratur als „didaktisches Stressmanagement“, dessen Wirkung mit „eher süß-säuerlich“ noch freundlich eingeschätzt ist, und er kommentiert: „keine Untersuchungen verfügbar“ (Burisch 2006, 247). Eine AMAZON-Leserrezension beschreibt denn auch treffend den Wirkungsbereich des Buches mit „für jedwede Lebenssituation gibt es passende Hinweise - auch für gesunde Menschen“ - vermutlich vor allem für diese.

Fazit

Für Menschen, die ernsthaft von Burnout betroffen sind, scheint das Buch dem Rezensenten kaum geeignet, denn in Selbsthilfe gehbare „Wege aus der Falle“ sind im Buch nicht erkennbar. Das Buch leitet vielleicht präventives Handeln von Betroffenen bei noch gut bewältigbarem primärem Stress an. Wie auch bei anderen solchen Ratgebern als mögliche Publikationsabsicht erkennbar, könnte das Büchlein als begleitende Lektüre zum Coaching oder zu Kursen bei einer der Autorinnen oder anderen psychosozialen Helfern dienen, wenn diese die Reflexions- und Interventionsbausteine in einem Beratungsprozess nutzen.

Literatur

  • Burisch, Matthias (2006). Das Burnout-Syndrom: Theorie der inneren Erschöpfung. Heidelberg: Springer.
  • Lazarus, Richard S./Folkman, Susan (1984). Stress, appraisal, and coping. New York: Springer.
  • Schaarschmidt, Uwe & Fischer, Andreas W. (2008). Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM). London: Pearson.

Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Widulle.

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Zitiervorschlag
Wolfgang Widulle. Rezension vom 06.04.2011 zu: Claudia Fiedler, Ilse Goldschmidt: Burn out. Erprobte Wege aus der Falle. Verlag C.H. Beck (München) 2010. ISBN 978-3-406-60846-9. Reihe: Beck kompakt. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/10475.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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